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· Fachbeitrag · Demografischer Wandel

Müssen auch alternde Geschäftsunfähige haften?

| Der medizinische Fortschritt lässt Menschen immer länger leben. Die Kehrseite ist: Der Anteil von Menschen mit altersbedingten Behinderungen wächst ständig ‒ auch die Zahl von Menschen mit Demenzerkrankungen. Diese Personen können sich entweder nicht oder nur noch teilweise selbst vertreten. Das führt oft zur Geschäftsunfähigkeit. Das wirft das zwei Fragen auf: Welche Folgen treten ein, wenn ein Geschäftsunfähiger gleichwohl als Vertragspartner Verpflichtungen begründet oder vertragliche Erfüllungsleistungen in Empfang nimmt? Welche Risiken treffen den Gläubiger als Vertragspartner? Das KG beleuchtet in einem aktuellen Fall diese Fragestellungen, gibt Antworten und zeigt so die Konsequenzen auf. |

Sachverhalt

Die Klägerin ist Erbin und verlangt von der beklagten Bank eine Kontogutschrift in Höhe von 30.000 EUR nebst Zinsen aus dem Nachlass. Diese Summe hatte die Erblasserin von ihrem Konto abgehoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Erblasserin aufgrund verschiedener altersbedingter Erkrankungen sowie alkoholbedingter psychischer Verhaltensstörungen offensichtlich geschäftsunfähig. Zu welchem Zweck sie das Geld verwendet hat, war nicht mehr aufzuklären. Auch die Nachforschungen der Klägerin blieben erfolglos. Die Klägerin meint, durch die Auszahlung des Geldes an eine geschäftsunfähige Person könne keine Erfüllungswirkung eintreten. Die Bank sei zur erneuten Auszahlung von 30.000 EUR in Form einer Kontogutschrift verpflichtet.

Entscheidungsgründe

Das KG stellt die folgenden, klaren Regeln auf:

 

  • 1. Leistungen an eine geschäftsunfähige Person haben keine Erfüllungswirkung. Der Leistende kann aber die Herausgabe der Leistung wegen ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 BGB verlangen.
  • 2. Soweit der geschäftsunfähige Bereicherungsschuldner sich auf den Wegfall der Bereicherung beruft (§ 818 Abs. 3 BGB), ist er dafür darlegungs- und beweispflichtig.

(Abruf-Nr. 212584)

 

 

Auszahlungsanspruch ist entstanden

Der Fall kann schulmäßig gelöst werden. Der Erblasserin stand ein Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens zu. Dieser resultiert aus § 700 Abs. 1 S. 1, § 488 Abs. 1 S. 2 BGB und ist hier entstanden. Der Anspruch könnte aber durch die Barauszahlung an die Erblasserin gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen sein. Genau das ist die Frage. Die Klägerin macht geltend, die Erblasserin sei geschäftsunfähig gewesen, weshalb eine Erfüllungswirkung der Auszahlung ausscheide.

 

MERKE | Geschäftsunfähig ist gemäß § 104 BGB, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Folge: Die Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen sind nach § 105 BGB nichtig. Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird. Gemäß § 131 BGB wird eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben wird, nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.

 

Beweispflicht für Geschäftsunfähigkeit

Prozessual gilt der Grundsatz, dass jeder die ihm günstigen Tatsachen beweisen muss, wenn das Gesetz keine andere Beweislastverteilung anordnet. Festzustellen ist also, für wen die Geschäftsunfähigkeit eine günstige Tatsache ist.

 

Das BGB geht davon aus, dass alle Personen, die das 18 Lebensjahr vollendet haben, volle Geschäftsfähigkeit besitzen (§§ 2, 104, 106 BGB). Die Geschäftsunfähigkeit stellt eine Ausnahme dazu dar. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung. Wer sich also auf Geschäftsunfähigkeit beruft, muss ihre Voraussetzungen darlegen und beweisen (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 104 BGB, Rn. 8).

 

MERKE | Beruft sich also der Schuldner auf seine Geschäftsunfähigkeit und möchte so die eingegangene Verpflichtung bestreiten, kann der Gläubiger sich darauf zurückziehen, die fehlende Geschäftsfähigkeit zu bestreiten. Es obliegt dann dem Schuldner, die zur Geschäftsunfähigkeit führenden Umstände darzulegen und zu beweisen. Gelingt ihm das nicht, greift die Vermutung, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Erklärung geschäftsfähig war. Gerade im Hinblick auf einen in der Vergangenheit liegenden konkreten Zeitpunkt kann es in der Praxis sehr schwierig sein, den Beweis zu führen.

 

Relevanz für die Praxis

Im vorliegenden Fall hat das KG aufgrund der Darlegungen der Klägerin in tatrichterlicher Würdigung die Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin unterstellt. Die Übereignung des Geldes an die geschäftsunfähige Erblasserin scheitert zunächst an § 131 BGB. Danach wird eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben wird, nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. Daher kann gegenüber einem Geschäftsunfähigen keine Erfüllungswirkung eintreten. Der Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens ist also nicht erloschen.

 

Darauf kam es nach Auffassung des Gerichts aber letztlich nicht an, da der Klageantrag gleichwohl abzuweisen war: Ist der Auszahlungsanspruch der Erblasserin noch nicht erfüllt und daher nicht erloschen, steht dem Anspruch möglicherweise der Einwand von Treu und Glauben entgegen (§ 242 BGB), wenn die Klägerin den Geldbetrag in gleicher Höhe umgehend auch wieder an die Beklagte zurückzahlen müsste. Das hat das KG im konkreten Fall angenommen, da die Klägerin ‒ als in die Rechtsstellung der Erblasserin nach § 1922 BGB eingetretene Erbin ‒ um den Betrag von 30.000 EUR rechtsgrundlos bereichert ist und ihn daher nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB herausgeben muss.

 

Mit der Auszahlung der 30.000 EUR hat die Beklagte das Ziel verfolgt, die Verpflichtung aus dem mit der Erblasserin bestehenden Kontovertrag zu erfüllen, und hat somit eine „Leistung” an die Erblasserin erbracht. Diese hat den Besitz ‒ wenn auch mangels Geschäftsfähigkeit kein Eigentum ‒ an dem Bargeld und somit „etwas“ i. S. d. § 812 erlangt. Da die Erblasserin geschäftsunfähig war, erfolgte die Leistung auch „ohne Rechtsgrund”, da die zur Auszahlung des Guthabens führende Willenserklärung der geschäftsunfähigen Erblasserin unwirksam war. Somit ist die Klägerin als Erbin gegenüber der Beklagten zur Herausgabe des erlangten Geldbetrags bzw. zum Wertersatz verpflichtet (§ 812 Abs. 1, § 818 Abs. 2 BGB). Dieser Anspruch aus § 812 BGB kann dem noch nicht erloschenen Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens im Wege der Aufrechnung entgegengehalten werden (§§ 387, 389 BGB).

 

Nach § 818 Abs. 3 BGB ist die Pflicht zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes jedoch ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Nach Auffassung des KG kann sich die Klägerin jedoch nicht mit Erfolg auf Entreicherung berufen.

 

MERKE | Die Bereicherung ist weggefallen, wenn sich weder der Bereicherungsgegenstand noch dessen Gegenwert im Vermögen des Bereicherungsschuldners befindet, z. B. wenn der Bereicherte den Gegenstand weiterveräußert hat und sich der Erlös der Veräußerung noch im Vermögen des Bereicherungsschuldners befindet. Auch wenn sich der Bereicherungsschuldner durch die Bereicherung Aufwendungen erspart, indem er z. B. die Sache an einen Dritten verschenkt, für den er sonst ein Geschenk hätte besorgen müssen, oder indem er den Bereicherungsgegenstand verbraucht und sich dadurch die entgeltliche Anschaffung eines entsprechenden Gegenstands erspart, ist er bereichert. Hätte der Bereicherte die Aufwendungen ohne die Bereicherung hingegen nicht getätigt, z. B. sich keine sehr teure Luxuskreuzfahrt geleistet, liegt keine Bereicherung des Bereicherungsschuldners mehr vor. Dieser hat aufgrund der Tatsache, dass er eben keine Aufwendungen gespart hat, keinen Vorteil mehr in seinem Vermögen.

 

Hier war nicht mehr aufzuklären, welcher Verwendung die geschäftsunfähige Erblasserin das Geld zugeführt hatte. Nach einhelliger Auffassung ist es aber Sache des Bereicherungsschuldners, darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen, dass er durch die Leistung in seinem Vermögen nicht mehr bereichert ist (BGHZ 188, 383, 387).

 

MERKE | Dabei gilt auch keine Ausnahme für den Fall der Geschäftsunfähigkeit des Bereicherungsschuldners. Der Geschäftsunfähige ist durch §§ 104, 105 BGB ausreichend geschützt und wird durch die Darlegungs- und Beweislast im Zuge des Entreicherungseinwands auch nicht unbillig benachteiligt. Sein gesetzlicher Vertreter ist eher in der Lage, den Verbleib des Empfangenen aufzuklären und festzustellen, ob der Wert sich noch im Vermögen befindet oder nicht, als dies dem Bereicherungsgläubiger möglich ist (BGH 17.1.03, V ZR 235/02, Abruf-Nr. 030401). Die Klage war daher im Ergebnis abzuweisen.

 
Quelle: Ausgabe 05 / 2020 | Seite 79 | ID 46511255