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· Fachbeitrag · Betreutes Wohnen

Sozialhilfeträger muss Hausnotrufkosten tragen

Die Kosten für die Schaltung eines behinderungsbedingt notwendigen werdenden Hausnotrufs sind vom Sozialhilfeträger vollständige zu erstatten, sofern diese nicht von der Pflegekasse getragen werden. Eine bloße Übernahme einer herausgerechneten „Grundgebühr“ ist nicht zulässig (SG Wiesbaden 30.4.14, S 30 SO 172/11, Abruf-Nr. 141991).

 

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Sozialhilfeträger die vollständige Übernahme der Kosten für einen bei ihr eingerichteten Hausnotruf. Sie bezieht laufende Leistungen nach § 45b SGB IV und wohnt im Rahmen des betreuten Wohnens in einer Einrichtung. Leistungen aus der Pflegeversicherung erhält sie mangels Einstufung in eine Pflegestufe derzeit nicht. Der Beklagte erkannte in Anlehnung an ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkasse im Rahmen der gewährten Eingliederungshilfe einen Bedarf im Bereich der Grundpflege von 7 Minuten täglich und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten täglich an. Neben den sich daraus ergebenden Pflegesachleistungen bzw. der Hauswirtschaftshilfe bewilligte der Beklage die Übernahme der Kosten des Hausnotrufs von monatlich 34,77 EUR „vorläufig bis längstens 31.12.10“. Die Befristung begründet er damit, dass die Finanzierung des Hausnotrufs vorrangig in die Zuständigkeit der Pflegeversicherung falle.

 

In dem hiergegen eingelegten Widerspruchsverfahren, wurde von der gemeinnützigen GmbH, bei der die Klägerin ihre Wohnung hat, vorgetragen, dass die Klägerin nicht in eine Pflegestufe eingeteilt ist und folglich auch keine Pflegehilfsmittel über die Pflegekasse finanziert bekommen kann. Der Hausnotruf ist unbedingt notwendig, weil die Klägerin stark übergewichtig ist und an Epilepsie leidet.

 

Beklagte half dem Widerspruch teilweise ab und erklärte sich zur Übernahme der „Grundgebühr für den Hausnotruf“ von monatlich 18,36 EUR für die Zeit ab Januar 2011 im Rahmen der Sozialhilfe - längstens für die Dauer der Kostenübernahme für das betreute Wohnen - bereit. Eine ausdrückliche Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen erfolgte nicht. Zur Begründung führt er an, dass man von einer „behinderungsbedingten Erforderlichkeit des Notrufsystems“ ausgeht. Daher werde die Grundgebühr von 18,36 EUR monatlich übernommen („weitergehende Leistungen des Hausnotrufanbieters, die über die Grundgebühr hinaus gehen, werden grundsätzlich nicht durch den LWV Hessen finanziert“). Spielraum für eine Ausnahmeregelung besteht seiner Ansicht nach hier nicht, denn es sei kein Nachweis über einen drohenden „Verlust der Häuslichkeit geführt worden“.

 

Entscheidungsgründe

Der Beklagte ist im Rahmen seiner nach §§ 53 und 54 SGB XII zu gewährenden Eingliederungshilfe auch verpflichtet, die volle Gebühr für die Einrichtung des Hausnotrufs zugunsten der Klägerin zu übernehmen.

 

Da die Notrufschaltung der Klägerin behinderungsbedingt erforderlich ist, ist sie auch vollständig zu finanzieren bzw. die der Klägerin dafür entstehenden Kosten zu erstatten.

 

Ausweislich der monatlichen Rechnungen wird für die Gewährung des Hausnotrufs ein einheitlicher Betrag von 34,77 EUR berechnet, sodass sich die vom Beklagten vorgenommene Differenzierung bzw. Gewährung ausschließlich einer „Grundgebühr von monatlich 18,36 EUR“ aus der verfahrensgegenständlichen Bescheidung durch den Beklagten für das Gericht und die Klägerin nicht erschließen. Offenbar wird dabei zwischen der Herstellung eines entsprechenden Telefonanschlusses mit automatischer Rufumleitung einerseits und andererseits dem Aufbewahren eines Wohnungsschlüssels der Kundin - was das Aufsuchen derselben im Fall eines Notfalls ermöglichen soll - differenziert.

 

Der Beklagte will den in der Gesamtgebühr enthaltenen Anteil für das Vorhalten eines Schlüssels mit der entsprechenden Rettungsmöglichkeit nicht finanzieren, sodass der Hausnotruf angesichts der erfolgten Bewilligung des Beklagten nur die Funktion hätte, einen etwaigen Notruf in der Leitstelle des Rettungsdiensts zu dokumentieren, ohne der Klägerin im Fall eines Notfalls auch sofort zur Hilfe kommen zu können. Die Bewilligung einer bloßen Grundgebühr erscheint daher weitgehend sinnentleert. Für eine derartige Aufteilung der Kosten einer Notrufeinrichtung ist zudem keine gesetzliche Grundlage erkennbar.

 

Die angegriffene Bescheidung hält danach einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beklagte ist vielmehr dazu zu verpflichten, die gesamten Kosten des Hausnotrufs in Höhe von 34,77 EUR monatlich, welche so von dem Rettungsdienstanbieter bislang in Rechnung gestellt wurden und werden, der Klägerin zu erstatten.

 

Praxishinweis

Es ist immer wieder verblüffend, auf welche Ideen Sozialhilfeträger kommen, um eigentlich zustehende Leistungen nicht zu zahlen - oder wie hier - zu kürzen. Die Kosten zwar für den Notruf, nicht aber für die Ermöglichung sofortiger Hilfe im Notfall zu übernehmen ist nicht mehr nachvollziehbar. Dies hat das SG mit erfreulich deutlichen Worten festgestellt.

 

Da der Verfahrensgegenstand laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, musste die Berufung hier nicht gesondert zugelassen werden (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).

 

Weiterführende Hinweise

  • Zu technischen Assistenzsystemen als Pflegehilfsmittel, Hagge, SR 14, 118 (in dieser Ausgabe)
  • Zu krankheitsbedingten Aufwendungen, BGH erleichtert Nachweis beim Treppenlift, SR 14, 91, Abruf-Nr. 141112
Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 112 | ID 42762809