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· Fachbeitrag · Ausbildungsunterhalt

Sie tanzte nur einen Sommer: Eltern müssen keine Zweitausbildung bezahlen

| Eltern müssen ihrem Kind grundsätzlich keine zweite Ausbildung finanzieren, wenn sie ihm bereits eine angemessene Ausbildung finanziert haben und diese den Begabungen und Neigungen des Kindes entsprach. Das das Kind in dem erlernten Beruf nach Abschluss der Ausbildung keine Beschäftigung gefunden hat, spielt dabei keine Rolle, so das OLG Hamm. |

 

Sachverhalt

Die Tochter der Antragsgegner wollte, seit sie 15 Jahre alt war, Bühnentänzerin werden. Deshalb verließ sie nach der mittleren Reife die Schule und absolvierte erfolgreich den Studiengang Tanz, den sie 2011 mit dem Tanzdiplom abschloss. In der Folgezeit fand sie jedoch keine Beschäftigung als Tänzerin. Deshalb nahm sie 2012 die Schulausbildung wieder auf, machte Abitur und begann 2015 Psychologie zu studieren. Für dieses Studium erhielt sie vom Land NRW BAföG-Leistungen in Höhe von 6.400 EUR. Diese wollte das Land erstattet haben. Das AG Dortmund gab dem Land Recht. Das OLG Hamm entschied zugunsten der Eltern (27.4.18, 7 UF 18/18, Abruf-Nr. 202133).

 

Entscheidungsgründe

Laut BAföG müssen Eltern dem fördernden Land BAföG-Leistungen erstatten, wenn sie für die geförderte Ausbildung Unterhalt schulden. Eltern schuldeten ihrem Kind eine Berufsausbildung, die

  • der Begabung und den Fähigkeiten,
  • dem Leistungswillen und den zu beachtenden Neigungen des Kindes am besten entspreche und
  • sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern halte.

 

Haben Eltern ihrem Kind eine solche erste Berufsausbildung ermöglicht, schulden sie grundsätzlich keine weitere Ausbildung. Hier hatten die Eltern ihrer Tochter schon die Erstausbildung zur Bühnentänzerin finanziert. Weiteren Ausbildungsunterhalt schuldeten sie nicht. Das spätere Psychologiestudium ist keine Weiterbildung, die im Zusammenhang mit der ersten Ausbildung steht. Die Tochter hat bei der Aufnahme ihrer Tanzausbildung auch keinen weiteren Schulabschluss mit anschließendem Studium angestrebt. Auch hat die Ausbildung zur Bühnentänzerin exakt Neigungen und Fähigkeiten und der Begabung der Tochter entsprochen. Sie hatte seit dem fünften Lebensjahr kontinuierlich Ballettunterricht. Bei diesem Werdegang sind die Neigungen und Fähigkeiten der Tochter, bezogen auf den Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns, nicht falsch eingeschätzt worden.

 

Dass sie später keine Anstellung gefunden hat, beruhe auf einer verschlechterten Arbeitsmarktsituation für Tänzerinnen. In der Zeit nach Abschluss ihres Studiums haben sich bis zu 3000 Bewerber auf eine Stelle im Bereich Bühnentanz beworben. Deshalb war der Tochter klar geworden, dass Bewerbungen im Bühnentanzberuf aussichtslos sind.

 

Ein solches Beschäftigungsrisiko ihres Kindes nach erfolgreichem Abschluss der geschuldeten Erstausbildung müssen unterhaltsverpflichtete Eltern nicht tragen. Ihnen kann man das allgemeine Arbeitsplatzrisiko nicht zur Last legen. Ein Volljähriger, der nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitslos ist, muss primär selbst für seinen Unterhalt sorgen. Er muss jede Arbeitsstelle annehmen ‒ auch außerhalb des erlernten Berufs. Insbesondere, wenn im erlernten Beruf tatsächlich keine Verdienstmöglichkeit mehr besteht.

 

Relevanz für die Praxis

Ausnahmen vom Prinzip der Übernahme der Kosten von nur einer Ausbildung bestehen nur bei besonderen Umständen.

 

Checkliste / In diesen Fällen wird eine zweite Ausbildung geschuldet

  • Der Beruf kann aus gesundheitlichen Gründen nicht ausgeübt werden.
  • Der Beruf kann aus sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden.
  • Die weitere Ausbildung steht in einem im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Erstausbildung und war von Anfang an angestrebt.
  • Während der ersten Ausbildung wird eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich.
 

Eine andere Fragestellung betrifft den Freiwilligendienst. Ob er als Ausbildung oder Teil einer Ausbildung mit der Folge eines fortbestehenden Ausbildungsunterhaltsanspruchs angesehen werden kann, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich, teilweise stark differenzierend, beurteilt.

 

Übersicht / Unterhaltsanspruch beim Freiwilligendienst

  • Kein Unterhaltsanspruch mangels Ausbildungscharakter des Freiwilligendienstes: OLG München FamRZ 02, 1425; OLG Zweibrücken, NJW-RR 94, 1225; Palandt/Brudermüller, BGB, 75. Aufl., § 1610 Rn. 19.

 

  • Ein Ausbildungsunterhaltsanspruch ist jedenfalls gegeben, wenn der Freiwilligendienst notwendige Voraussetzung (OLG Naumburg, NJW-RR 07, 1380) oder zumindest sinnvolle Vorbereitungsmaßnahme (OLG Hamm FamRZ 15, 1200) für eine spätere Ausbildung ist.

 

  • Ein Ausbildungsunterhaltsanspruch ist gegeben, da der Freiwilligendienst einen allgemeinbildenden Charakter hat und damit stets von einer Ausbildung im Freiwilligendienst auszugehen ist. Er muss nicht zwingend Voraussetzung für einen weiteren Ausbildungsweg sein. Dies folgt aus der Lernzielorientierung nach § 1 JFDG sowie des Erwerbs von Kompetenzen nach § 3 JFDG, was sich auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt. Das Freiwillige Soziale Jahr stellt sich damit unabhängig von einer späteren Ausbildung auch als eine unterhaltsrechtlich anerkennenswerte Orientierungsphase dar (OLG Celle NJW 12, 82; OLG Hamm FamRZ 15, 1200; OLG Frankfurt a. M. NZFam 15, 634).

 

  • Ein Unterhaltsanspruch besteht unabhängig davon, ob die Eltern der Aufnahme des Freiwilligendienstes zugestimmt haben, da das Kind seine Obliegenheit zur zielstrebigen Ausbildung nicht verletzt hat (OLG Stuttgart FamRZ 07, 1353).
 
Quelle: Ausgabe 08 / 2018 | Seite 132 | ID 45344651