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· Fachbeitrag · Ältere Arbeitnehmer

Höhenverstellbare Schreibtische: Rentenversicherer vorrangig in der Pflicht

von RA Norbert Nolting, Lohra

| Gerade ältere Arbeitnehmer sind aufgrund körperlicher Einschränkungen darauf angewiesen, dass an ihrem Arbeitsplatz auf ihre Beschwerden Rücksicht genommen und der Arbeitsplatz z. B. mit einem täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisch ausgestattet wird. Aber wer muss für die Kosten aufkommen? Häufig macht das der Arbeitgeber, dabei besteht ein Anspruch gegen den Rentenversicherer. |

1. Grundlagen und Ansicht der Rentenversicherungsträger

Das Gesetz bietet gem. §§ 9, 16 SGB VI i. V. m. § 49 VIII S. 1 Nr. 4b SGB IX einen Anspruch gegenüber den Rentenversicherungsträgern. Diese lehnen aber seit 2018 grundsätzlich Anträge auf Ausstattung des Arbeitsplatzes mit einem elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch ab. Sie begründen dies damit, dass vorrangig der Arbeitgeber dafür zuständig sei, weil solch ein Schreibtisch einer zeitgemäßen ergonomischen Arbeitsplatzausstattung zuzuordnen sei. Diese Praxis dürfte aufgrund der Rechtsprechung jedoch fraglich sein.

2. Urteil des LSG Rheinland-Pfalz

Bereits mit Urteil vom 2.3.16 hatte das LSG Rheinland-Pfalz (L 6 R 504/14, Abruf-Nr. 207721) entschieden, dass keine vorrangige Verpflichtung des Arbeitgebers gem. § 49 VIII S. 1 Nr. 4b SGB IX (§ 34 VIII S. 1 Nr. 4 SGB IX a.F.) bestehe.

 

a) Was zählt zur ergonomischen Grundausstattung?

Richtig ist zwar, dass der Arbeitgeber für eine ergonomische Grundausstattung des Arbeitsplatzes verantwortlich ist und sich auch aus Arbeitsschutzvorschriften Arbeitgeberpflichten ergäben (z. B. Arbeitsschutzgesetz, BildschirmarbeitsVO, ArbstättV und der Unfallverhütungsvorschrift DGUV Information 215 bis 410 von September 2015). Danach entsprechen Arbeitsmittel den ergonomischen Gestaltungskriterien, wenn sie den physischen und psychischen Gegebenheiten so angepasst sind, dass einseitige, zu hohe Belastungen vermieden werden. Es obliege aber zunächst dem Arbeitgeber, zu entscheiden, welche individuelle Lösung er wählt, um insbesondere der DGUV Information 215 bis 410 Nr. 7 zu entsprechen.

 

Beachten Sie | Ein höhenverstellbarer Schreibtisch, der ein wechselseitiges Arbeiten im Sitzen und im Stehen ermögliche, gehört nicht zwingend dazu.

 

b) Vorrang individueller Leistungen

Auch habe das BSG ( 22.0.81, 1 RA 11/80) hat den Vorrang von individuellen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegenüber Ansprüchen gegen den Arbeitgeber auf Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen bestätigt.

 

Etwas anderes könne nur gelten, wenn der mehrfach verstellbare Schreibtisch ein technisches Arbeitsmittel darstellen würde, um die Arbeitstätigkeit überhaupt erst zu ermöglichen, die Arbeitsausführung zu erleichtern bzw. die Arbeitssicherheit zu gewährleisten.

 

Beachten Sie | Steht aufgrund ärztlicher Bestätigung aber zwingend fest, dass der Schreibtisch zum mittelbaren Ausgleich der „Behinderung” im Hinblick auf den konkreten Arbeitsplatz (enger berufsspezifischer Zusammenhang) unbedingt erforderlich ist, liegt die Ursache der Gefährdung der Erwerbstätigkeit in der Behinderung/Erkrankung des Arbeitnehmers. Dann ist es die Aufgabe des Rentenversicherungsträgers, ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für seinen konkreten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Dies ergibt sich aus § 9 I SGB VI.

 

c) Anspruchsvoraussetzungen

Danach muss zunächst als persönliche Voraussetzung gemäß § 10 SGB VI eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit bevorstehen und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von gewisser Dauer drohen, die nicht durch ambulante ärztliche oder Krankenhausbehandlung abwendbar ist (vgl. § 13 II Nr. 1 u. 2 SGB VI). Liegen zusätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 SGB VI und keine Ausschlussgründe nach § 12 SGB VI vor, umfasst der Anspruch gemäß § 16 SGB VI i.V.m. 49 SGB IX (§ 33 SGB IX a.F.) auch den Anspruch auf einen täglich höhenverstellbaren Schreibtisch. Dieser ist keine technische Arbeitshilfe nach § 49 VIII S. 1 Nr. 5 SGB IX (§33 VIII S. 1 Nr. 5 SGB IX a.F.), sondern ein Hilfsmittel nach § 49 VIII S. 1 Nr. 4b SGB IX (§ 33 VIII S. 1 Nr. 4 SGB IX a.F.).

 

Auch scheiden vorrangige Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 15 SGB VI i. V. m. §§ 42 ff. SGB IX (§§ 26 ff SGB IX a.F.) aus, da der Schreibtisch als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens von der Versorgung ausgeschlossen ist.

 

d) Früheres Verhalten des Arbeitgebers unerheblich

Schließlich verweist das LSG auch darauf, dass selbst wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit seiner Verpflichtung hinsichtlich eines ergonomischen Arbeitsplatzes nicht nachgekommen wäre, dieses unerheblich sei. Die Ursache, Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers, liege schließlich in seiner jetzigen Behinderung/Erkrankung.

3. Anspruch bei Schwerbehinderung

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich etwas anderes ergeben kann, wenn der Arbeitnehmer schwerbehindert ist und mögliche Ansprüche nach § 50 I S. 1 Nr. 3 SGB IX (§ 34 I S. 1 Nr. 3 SGB IX a.F : Arbeitshilfen im Betrieb), nach § 64 IV S. 1 Nr. 4 u. Nr. 5 SGB IX (§81 IV S. 1 Nr. 4 u. 5 SGB IX a.F: behindertengerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten; Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Arbeitshilfen), nach § 46 II SGB III (behindertengerechte Einrichtung von Arbeitsplätzen) oder nach § 185 III Nr. 1a) SGB IX (§ 102 III S 1 Nr. 1a SGB IX a.F. : Anspruch gegenüber dem Integrationsamt auf technische Arbeitshilfen) bestehen können.

Quelle: Ausgabe 04 / 2019 | Seite 63 | ID 45766961