· Rechtsprechungsübersicht
Wichtige Neuerungen für die Beratungspraxis

von StB Dipl.-FinW (FH) Philipp Peplowski, LL.M., Köln, www.laufmich.de
| Zwar kommen Leistungserbringende im Gesundheitswesen oft nur mit einer branchentypischen Auswahl von Normen in Berührung (z. B. § 4 Nr. 14 UStG, § 18 EStG). Gerade aber das ambulant tätige Gesundheitswesen zeichnet sich durch eine Vielzahl an Übertragungs- und Verkaufsvorgängen aus, weswegen v. a. ertragsteuerliche Vorschriften zum Umwandlungssteuergesetz und zum „halben“ Steuersatz in der Beratung in den Fokus gelangen. Der Beitrag fasst die wichtigsten Neuerungen bei der steuerlichen Beratung von Gesundheitsfachberufen seit dem Jahreswechsel kompakt zusammen. |
1. Vorsicht bei Put-Option und Fixkaufpreis
Das FG Rheinland-Pfalz (17.12.24, 5 K 1293/22, EFG 25, 376) entschied mit Urteil, dass die Vereinbarung einer Put-Option im Rahmen einer Buchwerteinbringung nicht automatisch einen Veräußerungsgewinn auslöst, wenn die Option erst in 17,5 Jahren ausgeübt werden muss. Im Urteilsfall war ein Festkaufpreis vereinbart worden. Der Kläger hatte einen Mitunternehmeranteil an einer ärztlichen GbR in eine MVZ GmbH eingebracht und sich zur späteren Ausübung einer Verkaufsoption verpflichtet. Die Übertragung erfolgt nach § 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG zum Buchwert. Die Finanzverwaltung sah bereits im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung im Einbringungsjahr einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, was zu einem sofortigen Sperrfristverstoß nach § 22 UmwStG geführt hätte.
Das FG widersprach dem und verneinte den vorzeitigen Eigentumsübergang mangels einer gesicherten Erwerbsposition und wegen der langen Optionsfrist. Insbesondere wurde betont, dass der Kläger weder seine gesellschaftsrechtlichen Positionen vollständig verloren hatte noch das Risiko-Chancen-Profil übertragen wurde. Die als Garantiedividende gezahlten Beträge wurden nicht als Zinsen auf einen gestundeten Kaufpreis gewertet.
Zudem stellte das FG klar, dass es sich bei der jährlichen Nachweispflicht gemäß § 22 Abs. 3 UmwStG nicht um eine Ausschlussfrist handelt. Wer die Nachweispflicht verpasst, kann gegen die Bescheide Einspruch einlegen und den Nachweis im Rahmen der Einspruchsbegründung erbringen. So kann die Nachversteuerung nach § 22 Abs. 1 UmwStG wegen eines fiktiven Sperrfristverstoßes auch nach Fristablauf noch aus der Welt geschafft werden.
PRAXISTIPP | Für die Praxis zeigt das Urteil die Risiken fester Put-Optionen mit langfristiger Bindung und fixem Kaufpreis auf. Gestaltungen sollten daher variable Kaufpreismodelle und echte Wahlrechte vorsehen. Sich zeitlich überlappende Optionszeiträume sollte die gestaltende Steuerberatung vermeiden („Doppeloption“, vgl. BFH 11.7.06, VIII R 32/04, BStBl II 07, 296). Die Einholung einer verbindlichen Auskunft kann in Zweifelsfällen vor Steuerrisiken schützen. Das Urteil ist rechtskräftig, da die Revision zurückgenommen wurde. |
2. Verwirkung des „halben“ Steuersatzes
Der BFH (28.9.21, VIII R 2/19, BStBl II 22, 169) hat entschieden, dass die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann als verbraucht gilt, wenn das FA sie zu Unrecht oder ohne Antrag in Vorjahren gewährt hat.
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Im entschiedenen Fall hatte ein Arzt seine Beteiligung an einer Gemeinschaftspraxis im Jahr 2016 veräußert und den Antrag auf Anwendung des „halben“ Steuersatzes gestellt. Das Wohnsitz-FA hatte jedoch bereits im Jahr 2006 irrtümlich den begünstigten Steuersatz auf einen Betrag von 40.000 EUR angewendet, obwohl es sich nicht um einen begünstigten Veräußerungsgewinn handelte. Der Fehler beruhte auf einer unzutreffenden Auswertung der ESt-4B-Mitteilung. |
Nach Auffassung des BFH war der Vergünstigungsanspruch in 2016 damit verbraucht, da sich die fehlerhafte Anwendung steuerlich ausgewirkt und der Bescheid Bestandskraft erlangt hatte. Nur wenn der Steuerpflichtige den Fehler nicht erkennen konnte ‒ etwa wegen der geringen Höhe oder fehlender Hinweise im Steuerbescheid ‒ kommt ein Absehen vom Verbrauch nach Treu und Glauben in Betracht.
Das LG Lübeck (11.1.24, 15 O 72/23) befasste sich in einem Urteil mit der Haftungsfrage des beratenden Steuerberaters. Dieser hatte den Fehler aus 2006 erkannt, jedoch keinen Einspruch eingelegt, um eine Mehrsteuerbelastung von rund 8.000 EUR zu vermeiden. Das Gericht sah hierin eine Pflichtverletzung aus dem Steuerberatungsvertrag (§§ 675, 611 BGB i. V. m. § 280 Abs. 1 und § 241 Abs. 2 BGB) und sprach den Klägern Schadensersatz in Höhe von 220.267,60 EUR zu. Das OLG Schleswig-Holstein (11.10.24, 17 U 4/24) bestätigte diese Entscheidung in seinem Urteil und erhöhte den Schadensersatz auf 233.096,99 EUR, einschließlich Prozesskosten. Es betonte, dass der Steuerberater verpflichtet ist, seinen Mandanten auf Fehler des FA hinzuweisen, wenn diese nachteilige Folgen für die spätere Nutzung der Steuervergünstigung haben können.
Das FG Hamburg (12.6.24, 1 K 141/22, DStRK 24, 302) schloss sich in einem Urteil der Rechtsprechung des BFH in einem ähnlichen Streitfall an. Auch hier war die Vergünstigung in einem früheren Jahr ohne Antrag gewährt worden, wodurch der spätere Antrag im Jahr 2019 abzulehnen war. Das Gericht stellte klar, dass der Steuerpflichtige die Steuerfestsetzung anfechten muss, wenn er sich die spätere Inanspruchnahme vorbehalten möchte. Eine Korrektur ist nur möglich, solange die Festsetzungsfrist noch offen ist.
In einem parallelen Verfahren urteilte das FG Köln (20.3.24, 9 K 926/22, EFG 24, 1754), dass auch der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG als verbraucht gilt, wenn ihn das FA ohne Antrag berücksichtigt und der Steuerpflichtige keine Rechtsmittel einlegt. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann eine Verbrauchswirkung nur dann verneint werden, wenn der Bescheid keine Hinweise auf die Berücksichtigung des Freibetrags enthält.
PRAXISTIPP | Bekanntermaßen müssen Fehler des FA zugunsten des Mandanten verfahrensrechtlich grundsätzlich nicht nach § 153 AO berichtigt werden. Bei der Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG führt eine fehlerhafte, aber bestandskräftige Steuerfestsetzung jedoch regelmäßig zum Verbrauch der Vergünstigung für spätere Jahre. Wird ein solcher Fehler erkannt, ist ein Einspruch zwingend erforderlich, um die spätere Nutzung des „halben“ Steuersatzes zu sichern. Andernfalls macht sich die steuerliche Beratung haftbar gegenüber dem Mandanten. Die zunehmende Zahl gleichgelagerter FG-Verfahren deutet auf einen automatisierten Aufgriff entsprechender Fälle durch die Festsetzungssoftware der Finanzverwaltung hin. |
3. Anstellung von Fachärzten und die Gewerbesteuer
Die OFD Frankfurt am Main (29.1.25, S 2246 A - 00012-0357 - St 214, DStR 25, 648) hat in einer Verfügung u. a. zur einkommensteuerlichen Behandlung der Anstellung fachfremder Fachärzte Stellung genommen. Anlass ist die zunehmende Verbreitung von Kooperationsformen zwischen Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, insbesondere im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V) und der besonderen Versorgung (§ 140a SGB V). In diesen Fällen stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Tätigkeit des Arztes weiterhin als freiberuflich i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG oder bereits als gewerblich zu qualifizieren ist. Maßgeblich ist nach Auffassung der OFD die Art der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.
Besonderes Augenmerk legt die Verfügung auf die Anstellung fachfremder Fachärzte. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG setzt die Freiberuflichkeit voraus, dass der Steuerpflichtige aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist. Nach Auffassung der OFD Frankfurt am Main kann bei der Anstellung fachfremder Ärzte regelmäßig nicht von einer solchen Eigenverantwortlichkeit des Praxisinhabers ausgegangen werden. Maßgeblich bleiben jedoch stets die Gesamtumstände des Einzelfalls.
Zur Verdeutlichung verweist die Verfügung auf folgenden Beispielsfall: Eine augenärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) beschäftigt eine Fachärztin für Anästhesiologie zur Durchführung von Operationen. Da die Narkotisierung des Auges Teil der augenärztlichen Facharztausbildung ist, verfügt der Praxisinhaber über ausreichende eigene Fachkenntnisse, um die Tätigkeit leitend und eigenverantwortlich zu überwachen. In diesem Fall besteht nach Auffassung der Finanzverwaltung kein Gewerbesteuerrisiko.
PRAXISTIPP | Für die Praxis bedeutet die Verfügung, dass die Anstellung fachfremder Ärzte in ärztlichen Gemeinschaften stets sorgfältig zu prüfen ist. Entscheidend ist, ob der Praxisinhaber die Arbeit des angestellten Arztes aufgrund eigener fachlicher Kompetenz inhaltlich leiten und verantworten kann. Fehlt diese Voraussetzung, droht eine gewerbesteuerliche Infektion der gesamten Tätigkeit. Bei der Vertragsgestaltung sollten daher fachliche Zuständigkeiten, Leitungsverantwortung und Überwachungsbefugnisse klar dokumentiert werden. |
4. Keine gewerbesteuerliche Infektion bei doppelstöckigen Praxisstrukturen
Der BFH (4.2.25, VIII R 1/22, BFH/NV 25, 513) hat mit Beschluss entschieden, dass eine freiberuflich tätige Personengesellschaft, die Beteiligungseinkünfte aus einer gewerblich tätigen Personengesellschaft erzielt, nicht der Gewerbesteuerpflicht unterliegt. Damit bestätigt der VIII. Senat die Rechtsprechung des IV. Senats (BFH 6.6.19, IV R 30/16, BFH/NV 19, 994) und schließt eine „aufwärts gerichtete Abfärbung“ für Zwecke der Gewerbesteuer aus.
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Im zugrunde liegenden Fall war die Klägerin eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB), die im Streitjahr 2014 neben Einkünften aus selbstständiger Arbeit gewerbliche Beteiligungseinkünfte aus einer Beteiligung an einer GmbH & Co. KG erzielte. Das FA qualifizierte daraufhin sämtliche Einkünfte als gewerblich und setzte Gewerbesteuer fest. Nach erfolglosem Einspruch gab das FG Hamburg (25.2.21, 3 K 139/20, EFG 21, 1564) der Klage statt. |
Das FG führte aus, § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG nicht als Gewerbebetrieb i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG gelte. Die Abfärberegelung führe einkommensteuerlich zwar zu einer Umqualifizierung sämtlicher Einkünfte in solche aus Gewerbebetrieb, gewerbesteuerlich dürfe dies jedoch nicht zu einer Schlechterstellung gegenüber Einzelunternehmern führen, die ebenfalls verschiedene Einkunftsarten erzielen können. Eine Ungleichbehandlung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da Personengesellschaften in diesen Fällen keine sachliche Rechtfertigung für die zusätzliche Gewerbesteuerbelastung treffe. Der BFH bestätigte diese Sichtweise in vollem Umfang. Er stellte klar, dass § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG verfassungskonform so auszulegen ist, dass ein gewerbliches Unternehmen i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (vgl. BFH 4.2.25, VIII R 1/22, BFH/NV 25, 513, Rz. 19 ff.). Der Senat schloss sich der Linie des IV. Senats an und sah in der Besteuerung eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmern. Entscheidend sei, dass die gewerblichen Beteiligungseinkünfte bereits auf Ebene der Untergesellschaft der Gewerbesteuer unterliegen und daher keine Gefahr einer doppelten Belastung bestehe.
Die Entscheidung steht im Gegensatz zu den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 1.10.20 (BStBl I, 20, 1032), die eine generelle Anwendung der im BFH-Urteil vom 6.6.19 entwickelten Grundsätze zur gewerbesteuerlichen Behandlung der Aufwärtsabfärbung abgelehnt hatten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung betraf die damalige BFH-Entscheidung nur einkommensteuerrechtliche Fragen; gewerbesteuerliche Aspekte seien nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Diese restriktive Verwaltungsauffassung ist durch den nunmehr rechtskräftigen Beschluss des VIII. Senats endgültig überholt. Der BFH stellt ausdrücklich fest, dass § 2 Abs. 1 GewStG in verfassungskonformer Auslegung anzuwenden ist und eine Gewerbesteuerpflicht der aufwärts abgefärbten Obergesellschaft nicht besteht.
PRAXISTIPP | Für die Praxis ist damit klargestellt, dass bei freiberuflichen oder vermögensverwaltenden Personengesellschaften eine Beteiligung an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft nicht zur Gewerbesteuerpflicht der Obergesellschaft führt, selbst wenn die Einkünfte einkommensteuerlich als gewerblich gelten. Der Nichtanwendungserlass der Länder vom 1.10.20 ist durch die aktuelle BFH-Entscheidung obsolet. Steuerberater sollten prüfen, ob Gewerbesteuermessbescheide aus vergleichbaren Fällen ‒ insbesondere bei gemischt tätigen Gesellschaften ‒ noch korrigiert oder bzw. künftige Bescheide offengehalten werden können. Bei anhängigen Betriebsprüfungen empfiehlt sich der Hinweis auf die nunmehr gefestigte Rechtsprechung, wonach die „Aufwärtsabfärbung“ für Zwecke der Gewerbesteuer nicht greift. |
5. Ärzte mit fast ausschließlich geschäftsführenden Aufgaben gefährden die Freiberuflichkeit der Gesellschaft nicht
Der BFH (4.2.25, VIII R 4/22, BStBl II 25, 450) hatte in diesem Urteil über die Frage zu entscheiden, ob die Tätigkeit eines in einer zahnärztlichen Partnerschaftsgesellschaft beteiligten Gesellschafters, der nahezu ausschließlich organisatorische und administrative Aufgaben wahrnimmt und kaum noch selbst am Patienten tätig ist, als freiberuflich oder gewerblich zu qualifizieren ist. Einer der Seniorpartner, Dr. X, war seit Gründung der Gesellschaft nahezu ausschließlich mit kaufmännischen, verwaltungstechnischen und organisatorischen Aufgaben betraut, behandelte im Streitjahr 2010 lediglich fünf Patienten (Beitrag von 0,028 % zum Gesamtumsatz) und war nur unregelmäßig in der Praxis anwesend.
Das FA beurteilte die Tätigkeit des Dr. X als gewerblich, da er keine leitende und eigenverantwortliche freiberufliche Tätigkeit mehr ausübe und seine Aufgaben weitgehend von der unmittelbaren Patientenbehandlung losgelöst seien. Folglich wurden die Einkünfte der gesamten Partnerschaftsgesellschaft gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert. Das FG Rheinland-Pfalz (16.9.21, 4 K 1270/19, EFG 22, 490) bestätigte diese Auffassung und stellte klar, dass ein approbierter Zahnarzt, der nahezu ausschließlich Management- und Organisationstätigkeiten ausübt und keine eigene Arbeitsleistung am Patienten erbringt, nicht mehr das Leitbild einer freiberuflichen zahnärztlichen Tätigkeit erfüllt. Eine solche gewerbliche Betätigung „infiziere“ die gesamte Partnerschaftsgesellschaft, da alle Gesellschafter die Merkmale der selbstständigen Arbeit in eigener Person erfüllen müssen.
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf. Nach seiner Auffassung kann auch ein als Zahnarzt zugelassener Mitunternehmer den freien Beruf i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ausüben, wenn er ‒ neben einer gegebenenfalls äußerst geringfügigen zahnärztlichen Behandlungstätigkeit ‒ vorwiegend organisatorische und administrative Leistungen für den Praxisbetrieb der Mitunternehmerschaft erbringt. Die freiberufliche Betätigung kann auch in der Mitwirkung an der organisatorischen Führung und in der Mit- und Zusammenarbeit im Praxisbetrieb bestehen. Entscheidend ist, dass die Tätigkeit dem Berufsbild des Zahnarztes zugeordnet werden kann und der Gesellschafter durch seine leitende Tätigkeit Einfluss auf die Qualität und Durchführung der zahnärztlichen Leistungen nimmt. Damit wird das bisherige Berufsbild um eine kaufmännisch-administrative Komponente erweitert. Die kaufmännische Leitung und Organisation einer zahnärztlichen Personengesellschaft stellt eine notwendige Grundlage für die am Markt erbrachten Leistungen dar und sind daher als Ausdruck freiberuflicher Mitwirkung anzusehen. Eine hundertprozentig verwaltende Tätigkeit bleibt jedoch weiterhin schädlich.
PRAXISTIPP | Für die Praxis bedeutet die Entscheidung eine deutliche Erleichterung für größere ärztliche und zahnärztliche Kooperationen. Gesellschafter, die primär Managementfunktionen übernehmen, können die Freiberuflichkeit der Gesellschaft wahren, sofern sie in minimalem Umfang auch an der unmittelbaren Leistungserbringung beteiligt sind. Diese minimale Mitwirkung an der Patientenbehandlung sollte aber für Nachweiszwecke dokumentiert werden (z. B. über die Praxissoftware). |
6. Ärztliche Vertretungsleistungen sind von der Umsatzsteuer befreit
Der BFH (14.5.25, XI R 24/23, BFH/NV 25, 1263) hat entschieden, dass die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste durch einen Arzt auch dann umsatzsteuerfrei ist, wenn das Entgelt nicht von den Patientinnen und Patienten bzw. der KV, sondern von den vertretenen Ärztinnen oder Ärzten gezahlt wird.
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Im Urteilsfall hatte sich ein Vertretungsarzt seine Tätigkeit in einer fremden Praxis von zwei Seiten vergüten lassen. Für die Behandlung selbst erhielt er ein Honorar von der KV. Von dem Praxisinhaber erhielt er für die Übernahme des Notdienstes zusätzlich ein Entgelt. Streitgegenständlich war die Vertretungsleistung gegenüber dem Praxisinhaber. Die Tätigkeit stellt eine Heilbehandlung i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG dar, unabhängig davon, wem gegenüber die Leistung erbracht wird. Damit konkretisiert der XI. Senat die bisherige Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Behandlung ärztlicher Bereitschaftsleistungen und bekräftigt eine weit auszulegende, tätigkeitsbezogene Sichtweise des Heilbehandlungsbegriffs. |
Die entgeltliche Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes ist eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, da sie der Erkennung, Behandlung und Vermeidung von Krankheiten, Leiden oder Gesundheitsstörungen dient. Die Tätigkeit eines Arztes im Notfalldienst sei stets darauf ausgerichtet, eine zeitnahe medizinische Versorgung sicherzustellen, um gesundheitliche Gefahren abzuwenden oder Behandlungsverzögerungen zu vermeiden. Diese Bereitschaft, jederzeit ärztliche Hilfe leisten zu können, sei selbst dann therapeutisch, wenn im Einzelfall keine konkrete Behandlung erfolge. Entscheidend sei daher der Zweck der Tätigkeit, nicht die Person des Leistungsempfängers.
Der BFH betonte, dass § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL weit auszulegen sei. Nach der unionsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. EuGH 24.11.22, C-458/21, UR 23, 476 „CIG Pannonia Eletbiztosito“) umfassen Heilbehandlungen nicht nur diagnostische und therapeutische Maßnahmen, sondern auch präventive Tätigkeiten, die der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Dementsprechend erfüllt auch die Übernahme eines Notfalldienstes durch einen Arzt den erforderlichen therapeutischen Zweck, selbst wenn das Honorar aus einem Vertretungsverhältnis resultiert.
In den Entscheidungsgründen verweist der BFH zudem auf seine frühere Rechtsprechung (insbesondere auf BFH 2.8.18, V R 37/17, BFHE 263, 63), in der bereits notärztliche Bereitschaftsdienste bei Großveranstaltungen als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen anerkannt worden waren. Ebenso fügt sich die Entscheidung in die Linie des Urteils des BFH (7.7.22, V R 10/20, BFHE 276, 445) ein, in dem der BFH das Konzept des sogenannten „therapeutischen Kontinuums“ entwickelt hat. Danach sind auch solche Leistungen steuerfrei, die in einem engen funktionalen Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehen und deren Erfolg sichern. Die Notdienstvertretung ist Bestandteil dieses therapeutischen Kontinuums, da sie ununterbrochene medizinische Versorgung gewährleistet.
PRAXISTIPP | Für die Praxis hat die Entscheidung erhebliche Bedeutung. Ärztinnen und Ärzte, die im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes Vertretungen übernehmen, können sich auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG berufen ‒ unabhängig davon, ob sie von der KV, den Patientinnen und Patienten oder den vertretenen Kolleginnen und Kollegen vergütet werden. Damit schafft der BFH eine bundesweit einheitliche steuerliche Behandlung und beseitigt bisherige Unsicherheiten.
Fraglich ist, ob mit der Entscheidung auch eine Ausweitung des § 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG auf Personalgestellungen im Gesundheitswesen einhergeht. Schließlich wird auch dadurch eine Leistungsbereitschaft ermöglicht. In diesem Sinne äußert sich ausdrücklich Dorn (UR 25, 694). Da der hier rechtsprechende IX. Senat aus organisatorischen Gründen aufgelöst worden ist, wird sich zeigen, ob der für Umsatzsteuerangelegenheiten zuständige verbleibende V. Senat diese sinnvolle Linie fortschreiben wird. Gleichwohl bleibt die sozialversicherungsrechtliche Einordnung solcher Vertretungstätigkeiten weiterhin gesondert zu prüfen. Bei regelmäßigen oder dauerhaft übernommenen Notdiensten kann im Einzelfall eine abhängige Beschäftigung vorliegen (vgl. BSG 19.10.21, B 12 R 1/21 R, NZS 22, 542), weshalb ein Statusfeststellungsverfahren empfohlen wird. |