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  • 08.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130422

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 20.11.2012 – 10 K 766/12 E

    Die Rechtsbehelfsbelehrung in einem Steuerbescheid entspricht auch dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn auf die Möglichkeit einer Einspruchseinlegung per E-Mail nicht hingewiesen wird (entgegen Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. November 2011 10 K 275/11, EFG 2012, 292).


    Tatbestand
    Streitig ist die Frage, ob Steuerbescheide noch zu Gunsten der Kläger geändert werden können.
    Die Kläger sind Eheleute und hatten in den Kalenderjahren 2005 bis 2007 jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Die Klägerin hatte daneben zusätzlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Mit diesen Einkünften waren die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt worden.
    Da sie für die Streitjahre 2008 und 2009 zunächst keine Einkommensteuererklärungen abgegeben hatten, hatte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege ermittelt und Steuerbescheide mit folgenden Merkmalen erlassen:

      2008 2009
    Steuerbescheide vom 1.2.2011 1.2.2011
    Vorbehalt der Nachprüfung nein nein
    Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb aus nichtselbständiger Arbeit 19.000 EUR 46.732 EUR 21.000 EUR 48.289 EUR
    Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit 51.623 EUR 52.297 EUR
    Einkommensteuer 29.510 EUR 30.832 EUR
    Die Steuerbescheide waren den Klägern förmlich zugestellt und nach dem Inhalt der Postzustellungsurkunden jeweils am 2.2.2011 in deren Briefkasten eingeworfen worden.
    Mit einem am 3.3.2011 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 2.3.2011 erhoben die Kläger gegen die vorgenannten Bescheide Einspruch und kündigten an, die Steuererklärungen nachzureichen. Dies geschah Mitte April 2011.
    Nachdem der Beklagte die Kläger darauf hingewiesen hatte, dass der Einspruch seiner Ansicht nach verspätet eingelegt worden sei (Schreiben vom 4.3.2011), beantragten die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dazu teilten sie mit, dass sie die Frist bis zum letztmöglichen Zeitpunkt hätten ausschöpfen wollen, um noch die Steuererklärungen vorbereiten zu können. Außerdem hätten sie persönlich unter einer starken psychischen Belastung gestanden, weil ihr Vater/Schwiegervater sie mit häufigen Arzt- und Krankenhausterminen sehr beansprucht habe. Im Übrigen seien sie sehr sicher gewesen, den Einspruch rechtzeitig einzulegen, denn die Bescheide zur Umsatzsteuer seien ihnen jeweils mit einfachem Brief zugegangen und daher habe die 3-Tages-Fiktion gegolten. Dies hätten sie auch für die Einkommensteuer angenommen und versäumt, die Rechtsbehelfsbelehrung im Hinblick auf die Abwicklung bei einer förmlichen Zustellung zu lesen. Ein solches Versehen, das zu einer Versäumnis von einem Tag geführt habe, könne sich ihrer Meinung nach bei steuerunkundigen Bürgern nicht nachteilig auswirken.
    Der Beklagte verwarf den Einspruch unter dem 27.1.2012 als unzulässig. Zur Begründung verwies er auf die gesetzlich vorgesehene Rechtsbehelfsfrist, die die Kläger im Streitfall nicht eingehalten hätten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte er ab, denn seiner Ansicht nach seien die Kläger nicht unverschuldet verhindert gewesen, die gesetzlich vorgesehene Einspruchsfrist einzuhalten. Wegen der Gründe im Einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 27.1.2012 Bezug genommen.
    Im Klageverfahren haben die Kläger zunächst vorgetragen:
    Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die nachgereichten Steuererklärungen schon im Hinblick auf die gegenüber den geschätzten Beträgen deutlich niedrigeren Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu bearbeiten und zu berücksichtigen. Im Streitfall sei nämlich nicht die einmonatige Rechtsbehelfsfrist des § 355 der Abgabenordnung (AO) anzuhalten, sondern die einjährige des § 356 Abs. 2 AO, weil die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig gewesen sei. Der Beklagte habe nämlich über seine Internetseite den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente im Sinne des § 87a AO eröffnet, denn auf dieser Seite sei die Möglichkeit, Einspruch gegen Steuerbescheide auch per E-Mail einzulegen, ausdrücklich hervorgehoben. Folgerichtig habe er in seinen Rechtsbehelfsbelehrungen ebenfalls auf diese Möglichkeit hinweisen müssen. Da der Hinweis jedoch unterblieben sei, seien die Rechtsbehelfsbelehrungen fehlerhaft. Zur näheren Begründung beziehen sich die Kläger auf ein Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. November 2011 (10 K 275/11, abrufbar bei juris).
    Unter dem 17.9.2012 hat der zur vorbereitenden Bearbeitung des Rechtsstreits zuständige Berichterstatter einen Gerichtsbescheid erlassen, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
    Die Kläger haben im Hinblick auf diesen Bescheid fristgerecht mündliche Verhandlung beantragt und in dieser Verhandlung vorgetragen:
    Sie seien weiterhin der Ansicht, dass die von ihnen angefochtenen Steuerbescheide geändert werden müssten. Die vom Beklagten vorgenommenen Schätzungen seien nämlich deutlich übersetzt.
    Ferner sei auch die Möglichkeit gegeben, die von ihnen begehrten Änderungen durchzuführen. Soweit im Gerichtsbescheid im Hinblick auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Rechtsprechung des BFH verwiesen worden sei, könnten sie sich der Argumentation des Berichterstatters nicht anschließen. Der Gesetzgeber habe nämlich bei der Formulierung des Gesetzestextes des § 357 Abs. 1 AO die heute bestehenden technischen Gegebenheiten noch nicht im Blick gehabt und man müsse davon ausgehen, dass er eine andere Formulierung gewählt hätte, wenn ihm die Nachrichtenübermittlung per E-Mail bekannt gewesen wäre. Diesen Gesichtspunkt habe der BFH in seiner Entscheidung nicht hinreichend gewürdigt und auch die Argumentation des Niedersächsischen Finanzgerichts habe er nicht berücksichtigen können, weil das Urteil des Finanzgerichts später ergangen sei.
    Die Kläger beantragen,
    unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 2008 und 2009 vom 1.2.2011 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.1.2012 die Steuer nach Maßgabe der eingereichten Steuererklärungen festzusetzen,
    hilfsweise,
    die Revision zuzulassen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Gründe
    Die Klage ist unbegründet.
    Die Kläger werden durch die angefochtenen Einspruchsentscheidung vom 27.1.2012 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ), denn der Beklagte hat ihren Rechtsbehelf zutreffend als unzulässig verworfen.
    Dabei kann dahinstehen, ob in den streitigen Bescheiden die Einkünfte der Kläger zutreffend angesetzt sind, denn die Kläger können einen solchen Fehler jedenfalls jetzt nicht mehr mit Erfolg rügen.
    Der Beklagte hat nämlich mit den Bescheiden vom 1.2.2011 für die Veranlagungszeiträume 2008 und 2009 wirksam verbindliche Regelungen getroffen (1) und ein Abweichen von diesen Regelungen ist im Hinblick auf die inzwischen eingetretene Bestandskraft der Bescheide (§ 172 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht möglich (2).
    1. Die für den Streitfall bedeutsame Regelung ergibt sich aus den in den Steuerbescheiden enthaltenen Festsetzungen der Einkommensteuer.
    Soweit die Kläger mit ihren Hinweisen auf die gegenüber den geschätzten Beträgen erheblich niedrigeren Einkünfte aus Gewerbebetrieb geltend machen wollen, dass der Beklagte den ihm eingeräumten Schätzungsrahmen in der Weise verlassen habe, dass die Steuerbescheide als nichtig eingestuft werden müssten, kann dem nicht gefolgt werden.
    Ein Steuerbescheid mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen ist nämlich nicht schon deshalb nichtig, weil sich nachträglich die Fehlerhaftigkeit der Schätzung herausstellt. Selbst grobe Schätzungsfehler, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, führen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH; vergl. dazu den Beschluss vom 7. April 2009 - XI B 115/08, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH 2009, 1085) regelmäßig nicht zur Nichtigkeit eines Steuerbescheides.
    Das gilt auch für den Streitfall.
    Stichhaltige Anhaltspunkte für eine willkürliche Schätzung sind nämlich nicht erkennbar. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass dem Beklagten bei der Schätzung aus zeitnah zurückliegenden Kalenderjahren lediglich die Steuererklärung betreffend den Veranlagungszeitraum 2007 vorgelegen hat. Zwar hatte die Klägerin insoweit einen Verlust deklariert, aus einer einzigen Steuererklärung lassen sich aber keine verlässlichen Daten, etwa zu gleichbleibend (niedrigen) Betriebseinnahmen über mehrere Jahre oder zu einem bestimmten Verhältnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben entnehmen, die bei einer Schätzung ggf. heranzuziehen sind. Deshalb ist es ausreichend, dass der Beklagte den Gewinn bei rund 20.000 EUR angesiedelt und deshalb in der absoluten Größenordnung nicht überzogen hat.
    Zwar weichen die vom Beklagten geschätzten Gewinne auch damit noch erheblich von den von den Klägern mitgeteilten Betriebsergebnissen ab (2.231 EUR für 2008 und 1.595 EUR für 2009), auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass das deklarierte Betriebsergebnis nicht überprüft ist und deshalb nicht zwangsläufig als das vermutlich „richtige” Ergebnis angesehen werden kann, an dem das geschätzte Ergebnis zu messen ist. Daher kann dem Vortrag der Kläger aus der mündlichen Verhandlung, dass die Schätzungen des Beklagten in jedem Falle übersetzt gewesen seien, nicht in der Weise gefolgt werden, dass die angefochtenen Bescheide als nichtig eingestuft werden.
    2. Liegt danach eine wirksame Regelung vor, kann dem Begehren der Kläger nach einer Herabsetzung der festgesetzten Steuern nicht entsprochen werden, denn dies wäre nur bei einer Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Steuerbescheide möglich. Eine solche Änderung wiederum ist nicht mehr unbeschränkt möglich, weil die Steuerbescheide bestandskräftig geworden sind.
    Zwar haben die Klägern mit dem am 3.3.2011 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 2.3.2011 Einspruch eingelegt, dieser Rechtsbehelf hat den Eintritt der Bestandskraft aber nicht verhindert. Er ist nämlich erst nach Ablauf der gesetzlich (§ 355 Abs. 1 AO) vorgesehenen Einspruchsfrist beim Beklagten eingegangen.
    Das wäre zwar unschädlich, wenn der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, die Voraussetzungen dafür haben im Streitfall aber nicht vorgelegen. Das Fristversäumnis ist nämlich, wie die Kläger selbst eingeräumt haben, dadurch eingetreten, dass sie die Rechtsbehelfsbelehrungen nicht eingehend durchgelesen haben. Insoweit folgt das Gericht den Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung vom 27.1.2012.
    Soweit die Kläger ferner der Ansicht sind, dass die in den Steuerbescheiden enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrungen fehlerhaft gewesen seien, führt auch diese Argumentation nicht zu einem anderen Ergebnis.
    Richtig ist allerdings, dass einem Steuerbescheid gemäß § 157 Abs. 1 Satz 3 AO eine Belehrung darüber beizufügen ist, welcher Rechtsbehelf zulässig und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist. Im Streitfall hat jedoch die in den angefochtenen Steuerbescheiden niedergelegte Rechtsbehelfsbelehrung diesen gesetzlichen Anforderungen entsprochen (vergl. dazu auch den Beschluss des BFH vom 2. Februar 2010 - III B 20/09, BFH/NV 2010, 830). Insbesondere gibt sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wieder, wonach der Einspruch schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären ist. Außerdem enthält sie Informationen zu Beginn und Dauer der Rechtsbehelfsfrist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die, wie im Streitfall, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns informiert, ist ausreichend (vergl. dazu das Urteil des BFH vom 7. März 2006 - X R 18/05, Bundessteuerblatt II 2006, 455).
    Auf die Möglichkeit einer Einspruchseinlegung in elektronischer Form hat der Beklagte somit auch dann nicht hinweisen müssen, wenn unter Berücksichtigung der von den Klägern bezeichneten Internetseite des Beklagten die Eröffnung eines „Zugangs” im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 1 AO zu sehen sein sollte. Insoweit folgt das Gericht nicht den Ausführungen des Niedersächsischen Finanzgerichts in der Entscheidung vom 24. November 2011 (10 K 275/11, a.a.O.).
    Es folgt ferner nicht der Argumentation der Kläger aus der mündlichen Verhandlung. Richtig ist, dass dem Gesetzgeber bei der Fertigung der ursprünglichen Fassung der AO die neuen technischen Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung noch nicht bekannt gewesen sind. Auf der anderen Seite hat er aber die Gelegenheit gehabt, auch die Möglichkeiten der Einlegung von Rechtsmitteln neu zu regeln. Als die neuen technischen Möglichkeiten im Wirtschaftsleben Bedeutung erlangt haben, hat nämlich auch der Gesetzgeber reagiert, etwa bei der Regelung des § 87a AO. Die Notwendigkeit einer Neuregelung der §§ 356, 375 Abs. 1 AO hat er daraus aber nicht abgeleitet.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
    Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die vorliegende Entscheidung weicht nämlich von dem bereits erwähnten Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. November 2011 ab, in dem ebenfalls die grundsätzliche Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfragen bejaht und die Revision zugelassen worden ist.

    VorschriftenAO § 87a Abs. 1 Satz 1, AO § 157 Abs. 1 Satz 3, AO § 355 Abs. 1, AO § 356 Abs. 2 Satz 1, AO § 357 Abs. 1

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