07.12.2011
Finanzgericht Köln: Urteil vom 26.05.2011 – 12 K 1316/10
Ob es sich bei einer Anästhesieleistung um eine steuerbefreite Heilbehandlung handelt, kann nur unter Würdigung des Eingriffs beurteilt werden, dem die Anästhesie dient. Ist der durch die Narkose ermöglichte Eingriff - wie bei einer medizinisch nicht indizierten kosmetischen Operation - nicht als Heilbehandlung zu qualifizieren, gilt dies auch für die Narkoseleistung.
Im Namen des Volkes  
 URTEIL  
 In dem Rechtsstreit  
 hat der 12. Senat in der Besetzung: Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … ehrenamtliche  Richterin … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 26.05.2011 für Recht erkannt:  
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Narkoseleistungen im Zusammenhang mit medizinisch nicht indizierten kosmetischen Operationen  nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit sind.  
Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der W (nachfolgend W GbR). Gesellschaftszweck der W GbR war die anästhesiologische  Versorgung operativ tätiger Ärzte verschiedener Fachrichtungen während der Durchführung von Operationen.  
Im Zuge einer die Vorjahre betreffenden Betriebsprüfung war der Beklagte zu der Rechtsauffassung gelangt, dass ein Teil der  Umsätze der W GbR – nämlich Anästhesieleistungen im Zusammenhang mit Schönheitsoperationen – nicht als Heilbehandlung im Bereich  der Humanmedizin i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG i.V.m. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 132 Abs.  1 Buchst. c MwSt-SystRL) zu qualifizieren und somit umsatzsteuerpflichtig sei.  
In der für das Streitjahr 2007 eingereichten Umsatzsteuererklärung bezifferte die W GbR die entsprechenden Erlöse auf 207.112,–  EUR und ordnete sie (vorsorglich) den umsatzsteuerpflichtigen Leistungen zu. Zugleich kündigte sie einen diesbezüglichen Rechtsbehelf  an.  
Gegen den auf der Grundlage der Steuererklärung ergangenen Umsatzsteuerbescheid 2007 legte die W GbR wie angekündigt Einspruch  ein und machte geltend, Narkoseleistungen seien unabhängig davon, bei welcher Operation sie erbracht würden, nach § 4 Nr.  14 UStG steuerbefreit. Es müsse unterschieden werden zwischen den Leistungen des Schönheitschirurgen, die mangels medizinischer  Indikation nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG fielen und den von der W GbR abgerechneten Narkoseleistungen.  Letztere seien Gegenstand eines gesonderten Vertrages und bildeten keinen einheitlichen Leistungsgegenstand mit den Schönheitsoperationen.  Die Aufgabe eines Anästhesisten bestehe vornehmlich darin, einen Zustand der Empfindungslosigkeit herzustellen und die Kontrolle  aller lebenswichtigen Funktionen während der Operation aufrechtzuerhalten. Nachdem sich die Patienten zur Durchführung einer  medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperation entschieden hätten, dienten ihre Anästhesieleistungen letztlich dem Schutz  der Gesundheit des Patienten und dem therapeutischen Ziel der Lebenserhaltung.  
Am 09.06.2009 reichte die W GbR eine korrigierte Umsatzsteuererklärung ein, in der die steuerpflichtigen Umsätze auf (netto)  226.604,– EUR beziffert wurden. Die entsprechende Steuerfestsetzung wurde Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens.  
Mit Einspruchsentscheidung vom 16.04.2010 – gerichtet an die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der W GbR – wies der Beklagte  den Einspruch als unbegründet zurück. Ärztliche Leistungen seien nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann steuerfrei,  wenn sie der Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen  dienten. Es komme danach maßgebend darauf an, ob die ärztliche Maßnahme therapeutisch bedingt sei. Auf ästhetisch plastische  Leistungen treffe dies regelmäßig nicht zu. Die medizinische Begleitung einer Schönheitsoperation durch einen Anästhesisten  könne nicht anders beurteilt werden als die Schönheitsoperation selbst. Es handele sich um eine einheitliche Leistung, die  umsatzsteuerlich auch einheitlich zu würdigen sei.  
Mit der hiergegen erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Behandlung der Anästhesieleistungen als umsatzsteuerpflichtig.  Es sei verfehlt, von einer einheitlichen Leistung der Schönheitschirurgen und Narkoseärzte auszugehen, da es sich um verschiedene  Unternehmer handele. Die Übertragung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung auf Leistungen verschiedener Steuerpflichtiger  sei auch dann nicht zulässig, wenn die Leistungen aufeinander abgestimmt seien. Die Anästhesieleistungen stünden zwar im sachlichen  Zusammenhang mit einer Schönheitsoperation. Maßnahmen eines Anästhesisten hätten aber unabhängig von dem Grund der Operation  immer das therapeutische Ziel der Erhaltung der Vitalfunktionen des Patienten. Die Tatsache, dass die Krankenkassen und Sozialversicherungsträger  keine entsprechenden Kosten übernehmen würden, reiche für die Versagung der Steuerbefreiung nicht aus.  
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 24.08.2008 und die Umsatzsteuerfestsetzung vom 09.06.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist weiterhin der Auffassung, dass Anästhesieleistungen im Zusammenhang mit medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen  vom Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG ausgeschlossen seien. Nach dem EuGH-Urteil vom 14.09.2000 C  384/98, UR 2000, 432 seien Leistungen eines Arztes nur dann nach Art. 132 Abs. 1 c der MwStSystRL steuerfrei, wenn sie der  medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen  dienten. Bei den hier zu beurteilenden Narkoseleistungen stehe kein therapeutisches Ziel im Vordergrund. Sie stellten das  Mittel dar, um die Leistung des Schönheitschirurgen in Anspruch nehmen zu können. Dem Leistungsempfänger gehe es nur um das  Ergebnis dieser nicht medizinisch indizierten Operation. Es handele sich um eine Leistung, die letztlich durch den Wunsch  nach Schönheit und Wohlbefinden des Patienten veranlasst sei und deshalb nicht unter die Befreiung des § 4 Nr. 14 UStG falle.  
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, Anästhesieleistungen im Zusammenhang mit therapeutisch nicht indizierten Schönheitsoperationen  gem. § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer freizustellen.  
1. Nach § 4 Nr. 14 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt. Die  Vorschrift setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin  durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15.07.2004 V R 27/03, BStBl II 2004, 862;  Beschluss vom 22.02.2006 V B 30/05, BFH/NV 2006, 1168; siehe auch BFH-Beschluss vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001).  Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 132 Abs. 1 c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006  über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – umfassen Tätigkeiten, die zum Zwecke der Vorbeugung, Diagnose, der  Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden (EuGH-Urteil  vom 20.11.2003 C-307/01, HFR 2004, 278). Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung  zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, findet die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG keine Anwendung.  
2. Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze sind Leistungen eines Anästhesisten im Zusammenhang mit einer medizinisch  nicht indizierten Schönheitsoperation umsatzsteuerpflichtig. Der auf dieser Grundlage ergangene Umsatzsteuerbescheid begegnet  damit keinen durchgreifenden Bedenken.  
Die Aufgabe eines Anästhesisten besteht darin, einen Zustand der Empfindungslosigkeit zum Zwecke der Toleranz von körperlichen  Eingriffen herbeizuführen und für die Dauer des Eingriffs aufrechtzuerhalten. Ob es sich bei dieser Leistung um eine Heilbehandlung  handelt, kann nach Dafürhalten des Senates nur unter Würdigung des Eingriffs beurteilt werden, dem die Anästhesie dient. Denn  die Narkose würde ohne die Operation nicht stattfinden; sie hat für den Patienten keinen von der Operation unabhängigen Nutzen.  
Ist der durch die Narkose ermöglichte Eingriff – wie hier – unstreitig nicht als Heilbehandlung zu qualifizieren, gilt dies  auch für die Narkoseleistung. Dies ergibt sich aus der Zielrichtung der Narkose, die in besagten Fällen darin besteht, eine  nicht indizierte Schönheitsoperation zu ermöglichen. Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass der Anästhesist während  der Operation die lebenswichtigen Körperfunktionen kontrolliert und damit schützt, beruht nicht auf einer Erkrankung des Patienten,  sondern geht darauf zurück, dass der Anästhesist zuvor selbst bestimmte Körperfunktionen ausgeschaltet hat. Der Anästhesist  heilt mit der anlässlich einer Schönheitsoperation verabreichten Narkose keine Gesundheitsstörung und betreibt auch keine  Gesundheitsvorsorge. Ebenso wie die medizinisch nicht indizierte Schönheitsoperation stellt auch die zur Ermöglichung des  Eingriffs vorgenommene Narkose keine Heilbehandlung dar.  
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.