07.08.2017 · IWW-Abrufnummer 195710
Finanzgericht Münster: Urteil vom 06.04.2017 – 5 K 3168/14 U
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Die Umsatzsteueränderungsbescheide 2010 bis 2012 vom 6.8.2014 werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuern auf xxx € (2010), xxx € (2011) und xxx € (2012) festgesetzt werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob im Rahmen der Teilnahme an einer integrierten Versorgung i.S.d. § 140c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) a.F. von der Krankenkasse gezahlte variable Prämien Entgelt für nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) steuerbefreite Leistungen darstellen.
3Die Eheleute Dres. O betreiben in S gemeinschaftlich eine Praxis für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.
4Die Regelung einer sog. integrierten Versorgung ist mit Wirkung zum 1.1.2000 in das SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung – aufgenommen worden. Die Gemeinschaftspraxis nahm am integrierten Versorgungsnetz X X auf freiwilliger Basis teil. Dessen Zielsetzung ist ausweislich der geschlossenen vertraglichen Teilnahmevereinbarung (Netzarztvertrag) die verbesserte Betreuung der … Versicherten im Rahmen des Verbundnetzes X nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB V (Präambel in Anlage I zur Rahmenvereinbarung, Gerichtsakte Bl. 97). Der Vertrag zur integrierten Versorgung wurde zwischen der K in ihrer Funktion als gesetzliche Krankenkasse und als damalige Trägerin des Krankenhauses S (welches heute in Form einer eigenständigen GmbH geführt wird) und dem Bundesverband der …ärzte e.V. als Gemeinschaft der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen …ärzte geschlossen. Hiernach wurde ein sektorenübergreifendes und interdisziplinär-fachübergreifendes Netz aus teilnehmenden Krankenhäusern sowie sämtlichen …ärzten, die auf der Grundlage einer freiwilligen Beitrittserklärung diesem Integrationsvertrag beigetreten sind, errichtet. Der Beitritt der …ärzte zu diesem Integrationsvertrag erfolgt mittels eines Netzarztvertrages (Rahmenvereinbarung) mit der K. Auf den in der Akte befindlichen Blanko-Netzarztvertrag wird Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 96 ff.). In einer regelmäßig stattfindenden Netzwerkkonferenz werden die Rahmenbedingungen innerhalb dieses Netzes abgestimmt. Auf die Geschäftsordnung Netzwerkkonferenz X X wird Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 91 ff.). Die Versicherten der K können auf freiwilliger Basis am integrierten Versorgungsnetz X teilnehmen. Es wird auf die Blanko-Teilnahmeerklärung/Einverständniserklärung Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 104). Die Versorgung der teilnehmenden Versicherten (Netzversicherte) erfolgt durch die teilnehmenden Ärzte (Netzärzte) und die teilnehmenden Krankenhäuser (Netzkrankenhäuser) nach Maßgabe der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und der gesetzlichen Vorgaben.
5Die von den Netzärzten und den Netzkrankenhäusern an die Netzversicherten erbrachten ärztlichen Leistungen werden von der K als Kostenträger unmittelbar vergütet. In § 7 Abs. 4 der Anlage I zur Rahmenvereinbarung (Netzarztvertrag) heißt es zudem wie folgt: „Bei nachgewiesenen Einsparungen des Versorgungsnetzes X X gemäß den Regelungen zur Erfolgsmessung (Anlage II zur Rahmenvereinbarung zwischen der K und dem Bundesverband der …ärzte e.V.) erhält der Netzarzt ergänzend zu seinem für die …ärztliche Tätigkeit gezahlten Honorar eine variable Vergütung für seine ärztlichen therapeutischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Heilbehandlung innerhalb des Versorgungsnetzes X X. Die variable Vergütung wird aus dem Netzerfolg gezahlt“ (Gerichtsakte Bl. 102). Hierzu vergleicht die K bei jedem Netzversicherten die tatsächlich angefallenen Kosten mit den tatsächlichen Kosten eines „statistischen Zwillingsversicherten“ außerhalb des Netzes. Für eine solche Vergleichsbetrachtung werden die Kriterien Geschlecht, Alter, Erwerbsunfähigkeitsstatus und Morbidität (Abbildung über die sog. ICD-Kodierung in verschlüsselten Diagnosen) betrachtet. Soweit die für den Netzversicherten entstandenen Kosten geringer sind, entsteht ein Netzerfolg. Die Berechnung der konkreten Höhe der variablen Vergütung für den jeweiligen Netzarzt nach § 7 Abs. 4 der Anlage I zur Rahmenvereinbarung wegen nachgewiesener Einsparungen des Versorgungsnetzes X X erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst entfällt vom eingetretenen Netzerfolg ein Anteil von 37,5 % als variable Vergütung auf die Netzärzte in ihrer Gesamtheit. Dieser Anteil wird sodann nach gemeinsam aufgestellten Verteilungsmaßstäben unter den Netzärzten verteilt. Die Vergütungen setzen sich ausweislich der Abrechnungen der K für die Klägerin (Betriebsprüfungshandakte Bl. 109 ff.) aus sog. Performanceanteilen zusammen (Krankenhausfallvermeidung, Arzneimittel, Scheinquote, Netztreue), welche jeweils praxisindividuell unter Anwendung einer ebenfalls praxisindividuellen „Risikosumme“ ermittelt werden. Über die Krankenhauseinweisungsquote wird 40 % des Netzerfolges verteilt. Insoweit finden folgende Faktoren Einfluss: Vermeidung von stationären Fällen, Steuerung in das Netzkrankenhaus, richtige Dokumentation der ICDs und Behandlung von Netzversicherten. Für das Versorgungsnetz stellt sich die Steuerung in ein Netzkrankenhaus insbesondere auch deshalb kostengünstiger dar, weil dieses verpflichtet ist, zunächst noch selbst zu prüfen, ob eine stationäre Aufnahme des Patienten tatsächlich geboten ist. Über die Arzneimittelquote wird 25 % des Netzerfolges verteilt. Die Arzneimittelquote wird durch folgende Faktoren beeinflusst: Senkung des Arzneimittelumsatzes, Substitution mit Generika, richtige Dokumentation der ICDs, Behandlung von Netzversicherten. Über die Scheinquote, mittels derer der je nach Fachrichtung regelmäßig unterschiedliche Zeitaufwand bei der Patientenbehandlung berücksichtigt werden soll, werden 25 % des Netzerfolges verteilt. Hierin finden die richtige Dokumentation der ICDs und die Behandlung von Netzversicherten Eingang. Schließlich werden unter Berücksichtigung von Teilnahmen an der Netzwerkkonferenz noch die restlichen 10 % des Netzerfolges verteilt. Denn abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 2 der dem Gericht vorliegenden Blanko-Anlage I zur Rahmenvereinbarung, nach der keine besondere Vergütung der vom Netzarzt übernommenen Pflichten (Teilnahme an den Netzwerkkonferenzen, Mitarbeit und konstruktiven Mitgestaltung etc.) stattfindet, ist eine 10%ige Berücksichtigung einer Teilnahme an der Netzwerkkonferenz vereinbart worden, um die Aufrechterhaltung einer notwendigen Kommunikationsplattform zu fördern. Bei der Verteilung des anteiligen Netzerfolges der Netzärzte hat die sog. Risikosumme einer Praxis, die über die Anzahl der behandelten Netzversicherten, gewichtet mit deren Morbidität, bestimmt wird, insgesamt jeweils den stärksten Einfluss auf die praxisindividuelle Ausschüttung. Wegen der Einflussfaktoren der Performance-Kennzahlen und Verteilung des Netzerfolges im Einzelnen wird auf Bl. 111 der Betriebsprüfungshandakte und auf die Anl. II zur Rahmenvereinbarung und den dazugehörigen Anhang 1 (Gerichtsakte Bl. 115 ff.) Bezug genommen.
6Am eingetretenen Netzerfolg werden zudem die Netzkrankenhäuser mit einem Anteil von 37,5 % beteiligt. Die Netzversicherten werden ebenfalls am eingetretenen Netzerfolg – nach Abzug einer administrativen Aufwandsvergütung für die K – beteiligt.
7Auch die D trat dem Versorgungsnetz X X X bei. Insoweit erklärten die Eheleute Dres. O ihren Beitritt auch zu dem integrierten Versorgungsvertrag zwischen der D und der K K als Trägerin des Krankenhauses S und dem Bundesverband der …ärzte e.V. Diesbezüglich zahlte eine K L GmbH an die Klägerin sog. Bonusbeträge (Betriebsprüfungshandakte Bl. 124 ff.).
8An die Klägerin wurden aus dem integrierten Versorgungsnetz X X bzw. X X X in den Streitjahren folgende Prämien / Bonusbeträge ohne Ausweis von Umsatzsteuer gezahlt:
92010 |
2011 |
2012 |
|
Zahlungen der K |
xxx € |
xxx € |
xxx € |
Zahlungen der „K L GmbH“ |
xxx € |
xxx € |
xxx € |
Die Klägerin behandelte die Prämien / Bonusbeträge als Entgelt für nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie Umsätze. Den Umsatzsteuererklärungen 2010-2012 stimmte der Beklagte zunächst zu.
11Der Beklagte führte bei der Gemeinschaftspraxis eine Außenprüfung für die Streitjahre 2010-2012 durch. Die Prüferin war der Auffassung, dass die aus den Ärztenetzwerken erzielten Prämien nicht umsatzsteuerfrei seien. Auf den Prüfungsbericht vom 10.4.2014 wird Bezug genommen.
12Hierauf erließ der Beklagte an die Gemeinschaftspraxis gerichtete, nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide vom 2.7.2014, mit denen er die Prüfungsfeststellungen umsetzte. Die Umsatzsteuer wurde auf xxx € (2010), xxx € (2011) und xxx € (2012) festgesetzt und der Vorbehalt der Nachprüfung jeweils aufgehoben.
13Mit hiergegen gerichteten, beim Beklagten am 11.07.2014 eingegangenen Einsprüchen wendete sich die Klägerin gegen eine Steuerpflicht der an die Ärztenetzwerke erbrachten, variabel vergüteten Umsätze. Die Zahlungen der K und der K L GmbH seien allein als zusätzliches, erfolgsabhängiges Entgelt für die erbrachten ärztlichen Leistungen i.S.v. § 4 Nr. 14 UStG erfolgt. Falls der Beklagte an der Umsatzsteuererhöhung festhalte, müsse der Vorsteuerschlüssel angepasst werden.
14Der Beklagte erließ daraufhin an die Gemeinschaftspraxis gerichtete, nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide vom 6.8.2014, mit denen er den Einsprüchen hinsichtlich der Vorsteueraufteilung abhalf und die Umsatzsteuer auf xxx € (2010), xxx € (2011) und xxx € (2012) festsetzte. Im Übrigen wies der Beklagte die Einsprüche mit einer an Herrn Dr. C O und Frau Dr. D O als Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis Dres. O gerichteten Einspruchsentscheidung vom 28.08.2014 als unbegründet zurück. Die Besteuerung der Leistungen aus Ärztenetzwerken sei zu Recht erfolgt. Die Prämienzahlungen seien gesondert zu betrachten und würden nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG fallen. Sie würden kein Entgelt für eine konkrete ärztliche Leistung darstellen. Zwar würden die von den Ärztenetzwerken gezahlten Erfolgsprämien in einem engen Zusammenhang mit den Umsätzen aus der heilberuflichen Tätigkeit als Arzt stehen, doch stehe bei diesen Umsätzen nicht die Ausübung der Heilkunde im Mittelpunkt. Denn Gegenleistung für das Entgelt sei nicht die Behandlung des Patienten als solche, sondern vielmehr die Kosteneinsparungen für die gesetzlichen Krankenversicherungsträger.
15Die Klägerin, die Gemeinschaftspraxis Dres. O, hat am 29.9.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG auch auf die zusätzlichen Entgelte im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG anwendbar sei. Aus den Vereinbarungen mit dem X-Netzwerk ergebe sich eindeutig, dass die Zahlungen allein als zusätzliches erfolgsabhängiges Entgelt für die erbrachten ärztlichen Leistungen erfolgen würden.
16Mit der integrierten Versorgung solle eine stärker an den Versorgungsbedürfnissen der Patienten orientierte Behandlung erfolgen. Neue Regelungen hierzu würde das im Juli 2015 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstärkungsgesetz enthalten; § 140a Abs. 1 SGB V spreche nunmehr von der „besonderen Versorgung“. Inhaltlich hätten sich dadurch aber keine wesentlichen Änderungen für die integrierte Versorgung ergeben. Die integrierte Versorgung zeichne sich im Vergleich zur gesetzlichen Regelversorgung insbesondere dadurch aus, dass den Vertragspartnern Gestaltungsfreiheiten eingeräumt würden, um die starre Aufgabenteilung zwischen der ambulanten und stationären Versorgung gezielt zu durchbrechen und dadurch die Behandlung der Versicherten stärker an deren Versorgungsbedürfnissen auszurichten.
17Hintergrund für die Schaffung eines Vergütungssystems im X-Netzwerk mit ergänzender variabler Vergütung bei nachgewiesenen Einsparungen des Versorgungsnetzes sei folgender gewesen: Für die …ärzte sei eine Teilnahme am Netz aus wirtschaftlicher Sicht nur dadurch interessant geworden, dass im Rahmen der Patientenversorgung erforderliche ärztliche Mehrleistungen auch eine Vergütung auslösen würden und es nicht nur bei der bisherigen Vergütungsregelung im …arztsystem verbleibe. Die K sei andererseits aber nicht dazu bereit gewesen, die zusätzlichen ärztlichen Leistungen mit festen Vergütungssätzen zu honorieren, da nicht klar gewesen sei, ob die Mehrleistungen der Ärzte tatsächlich zur wirtschaftlicheren und effizienteren medizinischen Versorgung der Versicherten führen würde und die Integrationsversorgung nicht nachher teurer als die Regelversorgung werden könnte. Insbesondere die angestrebte Vermeidung von Krankenhausfällen würde zwingend eine verstärkte kontinuierliche Betreuung des Patienten im ambulanten Bereich durch die niedergelassenen Ärzte voraussetzen. Je intensiver und aufwändiger im ambulanten Bereich betreut werde, desto eher sollten sich stationäre Behandlungsfälle vermeiden lassen. Innerhalb der Regelversorgung würden hier häufig noch deutliche Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Denn das Vergütungssystem in der ambulanten Regelversorgung habe das Grundproblem, dass die von den Krankenkassen jährlich zur Verfügung zu stellende Gesamtvergütung nicht ausreichend sei, um die von den Vertragsärzten erbrachten ärztlichen Leistungen bei den GKV-Patienten nach Maßgabe der Gebührenvorschriften vollständig zu vergüten. Diesem Problem werde im Wesentlichen dadurch begegnet, dass viele Leistungen über Pauschalen pro Behandlungsfall vergütet würden und dass den ärztlichen Vergütungsanspruch begrenzende Budgets gebildet würden. Für die Inanspruchnahme einer Grundpauschale pro Quartal reiche auf der einen Seite zwar bereits der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt aus, auf der anderen Seite könne der Arzt weitere erbrachte Leistungen im Quartal nicht zusätzlich abrechnen. Auch bei weiteren Arztbesuchen im Quartal könne der Arzt lediglich einmal die Grundpauschale geltend machen. Hierdurch bestehe seitens des Arztes kein Interesse an einer möglichst engmaschigen Betreuung und Behandlung eines Patienten, möglicherweise noch verbunden mit Hausbesuchen außerhalb der üblichen Praxiszeiten. Dies könnte dazu führen, dass Ärzte Patienten mit einem Bedarf nach intensiver und engmaschiger Betreuung aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eher stationär einweisen würden. Des Weiteren solle durch die integrierte Versorgung auch eine optimierte, weniger kostenintensive Arzneimitteltherapie erreicht werden. Denn eine Umstellung vom Originalpräparat auf das wirkstoffgleiche Arzneimittel eines Generika-Herstellers im Rahmen einer Dauermedikation bringe einem Arzt keine wirtschaftlichen Vorteile; es bedeute für ihn vielmehr einen hohen zeitlichen Aufwand, dem Patienten die Umstellung der Medikation verständlich zu machen. Schließlich würden noch weitere Kostenpositionen neben den ganz wesentlichen Kosten der Krankenhausbehandlung und der Arzneimitteltherapie eine Rolle spielen.
18Der Erfolg des integrierten Versorgungsmodells hänge davon ab, dass die teilnehmenden Netzärzte Mehrleistungen im ärztlichen Bereich erbringen würden. Nur durch derartige Mehrleistungen würden sich Einsparungen im Vergleich zur Regelversorgung erzielen lassen. Die K und der Bundesverband der …ärzte e.V. hätten in Ausgestaltung von § 140c Absatz 1 Satz 1 SGB V der in den Streitjahren geltenden Fassung ein eigenständiges Vergütungssystem dergestalt gewählt, dass die für Einsparungen erforderlichen ärztlichen Mehrleistungen durch eine variable Vergütung abgegolten würden, welche in Abhängigkeit vom „Netzerfolg“ bemessen werde. Es gehe dabei nicht um eine Erfolgsprovision, sondern um eine Vergütung der ärztlichen Leistungen. Der Netzarzt könne die Wirtschaftlichkeit der Versorgung der Netzversicherten ausschließlich durch seine ärztlichen Leistungen verbessern. Ein Netzerfolg könne nicht entstehen, wenn die Netzärzte keine Mehrleistungen erbringen würden. Ein solcher könne tatsächlich nur dann eintreten, wenn die Netzversicherten von den Netzärzten anders behandelt würden als die übrigen Versicherten. Schließlich lasse sich nur durch ein anderes ärztliches Behandlungs- und Verordnungsverhalten ein Unterschied bei den Behandlungskosten erklären.
19Da es den zwingenden Grundsatz der Beitragsstabilität nach § 71 SGB V gebe, wonach der Gesetzgeber vorgegeben habe, dass sich derartige Mehrkosten aus Einsparungen finanzieren müssten, erfolge die Vergütung für die erbrachten Mehrleistungen vorliegend nicht mit festen Vergütungssätzen für die einzelnen ärztlichen Leistungen, sondern variabel. Denn Einsparungen würden sich nicht im Vorfeld feststellen lassen, sondern immer erst nach Durchführung der jeweiligen Leistungen, so dass im Vorfeld keine festen Vergütungssätze hätten vereinbart werden können. Der Netzerfolg würde über gemeinsam entwickelte Verteilungsmaßstäbe verteilt werden. Diese würden hier grundlegend auf dem Prinzip der ärztlichen Mehrarbeit beruhen. Je intensiver sich ein Netzarzt durch seine ärztlichen Leistungen bemühe, die medizinische Versorgung der Netzversicherten wirtschaftlicher und effizienter zu gestalten, desto höher sei auch seine variable Vergütung je von ihm behandelten Netzversicherten. Mit den Performance-Anteilen würde letztlich die ärztliche Mehrarbeit abgebildet. Der Faktor der „Netztreue“, der die Teilnahme an den Netzwerkkonferenzen betreffe, die notwendig sei, um Arzneimitteltherapieempfehlungen, medizinische Behandlungspfade und Behandlungsabläufe unter den Netzärzten und den teilnehmenden Krankenhäusern abzustimmen, erfasse zwar keine unmittelbare ärztliche Leistung, doch sei der Anteil von 10 % an dem ermittelten Gesamtbetrag der variablen Vergütung vollkommen nachrangig. Zudem könnten die notwendigen ärztlichen Mehrleistungen in der Praxis auch nur dann von den Netzärzten umgesetzt werden, wenn eine Abstimmung und Koordination aus ärztlicher Sicht über die verschiedenen Maßnahmen auf der Netzwerkkonferenz stattgefunden habe.
20Bei der variablen Vergütung handele es sich nicht um eine Provisionsregelung oder Ähnliches, sondern um eine Vergütung für die von den Netzärzten zu erbringenden ärztlichen Mehrleistungen.
21Aus der Pressemitteilung des Finanzministeriums des Landes NRW vom 17.7.2015 würde hervorgehen, dass Praxisnetze eine mit der Sozialfürsorge eng verbundene Koordinierungsleistung erbringen würden, die im Gesundheitssystem gesetzlich vorgesehen sei, so dass diese Leistungen steuerfrei sein könnten (Gerichtsakte Bl. 125 f.).
22Wegen der Einzelheiten des klägerseitigen Vortrags wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 23.03.2016 Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 79 ff.).
23Der Beklagte hat die vorliegend ergangene Einspruchsentscheidung am 3.3.2016 aufgehoben, weil sie nicht an die Gemeinschaftspraxis gerichtet war und damit ins Leere gegangen war. Eine an die Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung hat der Beklagte jedoch weder erlassen noch beabsichtigt er dies.
24Die Klägerin beantragt,
25die Umsatzsteueränderungsbescheide 2010-2012 vom 6.8.2014 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer erklärungsgemäß für 2010 i.H.v. xxx €, für 2011 i.H.v. xxx €, für 2012 i.H.v. xxx € festgesetzt wird,
26hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen,
29hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
30Die Klägerin habe nicht belegen können, dass es sich bei den Zahlungen der Krankenkassen im Rahmen des X-Netzwerkes um die Vergütung ärztlicher Leistungen handele. Der Arzt werde hier letztlich für die Einsparungen im Gesundheitssystem vergütet. Der Anteil am Gewinn bemesse sich unter anderem daran, dass der teilnehmende Arzt eine bestimmte Anzahl an Krankenhausaufenthalten verhindert habe. Die ärztlichen Leistungen, die der Arzt erbringe und ggf. mehr erbringe, um den Krankenhausaufenthalt des Patienten zu verhindern, seien gesondert abgerechnet worden.
31Das Schreiben des Finanzministeriums des Landes NRW vom 17.7.2015 regele keinen vergleichbaren Sachverhalt. Die dortigen Ausführungen seien nicht auf Zahlungen anzuwenden, welche als Anreiz für Einsparungen im Gesundheitssystem getätigt würden.
32Die Sache ist am 23.2.2016 vor der Berichterstatterin erörtert und am 6.4.2017 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Es wird auf die Protokolle Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe
34Die zulässige Klage ist begründet.
35I. Die als Untätigkeitsklage i.S.v. § 46 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) auszulegende Klage ist zulässig.
36Gemäß § 46 Abs. 1 FGO ist eine Klage abweichend von § 44 FGO auch ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) handelt es sich bei den in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen nicht um Zugangsvoraussetzungen mit der Folge, dass bei ihrem Nichtvorliegen von einer unheilbar unzulässigen Klage auszugehen ist; vielmehr handelt es sich hierbei um Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen (BFH-Beschluss vom 7.3.2006 VI B 78/04, BStBl II 2006, 430).
37Über den von der Klägerin erhobenen Einspruch vom 11.7.2014 hat der Beklagte ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes bislang sachlich nicht entschieden. Mit der an die Eheleute O als Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis gerichteten Einspruchsentscheidung vom 28.8.2014 hatte der Beklagte nicht über den Einspruch der Klägerin – der Gemeinschaftspraxis – entschieden, so dass der Beklagte diese Einspruchsentscheidung am 3.3.2016 auch aufgehoben hat. Der Aufhebungsbescheid, der als Datum der Einspruchsentscheidung den 28.4.2014 aufführt, ist dahingehend auszulegen, dass die Einspruchsentscheidung vom 28.8.2014 aufgehoben werden sollte. Der Beklagte beabsichtigte nicht, nunmehr eine an die Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung zu erlassen, und hat dies auch nicht getan.
38Zwar hat die Klägerin die vorliegende Untätigkeitsklage verfrüht erhoben, doch ist diese in die Zulässigkeit hineingewachsen. Die Klägerin hat hier vor Ablauf von sechs Monaten nach ihrem am 11.7.2014 eingelegten Einspruch Klage erhoben, nämlich bereits rund 2 ½ Monate später am 29.9.2014. Mittlerweile sind nicht nur sechs Monate seit Einspruchseinlegung vergangen, auch hat der Beklagte durch sein Verhalten zu erkennen gegeben und in der mündlichen Verhandlung am 6.4.2017 auch bestätigt, dass er keine an die Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung mehr erlassen wolle, so dass es abgesehen von prozessökonomischen Gründen dem Grundrecht auf wirkungsvollen, insbesondere zeitnahen Rechtsschutz entspricht, die Klägerin nicht auf eine erneute Klageerhebung zu verweisen, sondern die Klage als in die Zulässigkeit hineingewachsen anzusehen (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 7.3.2006 VI B 78/04, BStBl II 2006, 430; BFH-Beschluss vom 13.9.2016 V B 26/16, BFH/NV 2017, 53).
39II. Die Klage ist auch begründet.
40Die Umsatzsteueränderungsbescheide 2010 bis 2012 vom 6.8.2014 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die streitigen variablen Prämien, die die Klägerin wegen ihrer Teilnahme an dem Versorgungsnetzwerk X von der K und der K L GmbH erhalten hat, zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen.
41Die streitigen Zahlungen der K und der K L GmbH stellen Entgelt für nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerbefreite ärztliche Leistungen dar. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind sie nicht Entgelt für eine steuerpflichtige sonstige Leistung in Form eines kostenvermeidenden Verhaltens der Klägerin.
421. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind umsatzsteuerfrei Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL; bis 31.12.2006 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG – 6. EG-Richtlinie) in nationales Recht um. Danach befreien die Mitgliedstaaten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie und Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL sind in gleicher Weise auszulegen; daher kann auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie weiterhin zur Auslegung herangezogen werden (vgl. EuGH-Urteil vom 10.6.2010 C-86/09, Future Health Technologies, Slg. 2010, I-5215, HFR 2010, 890, Rz 26 f.; BFH-Urteile vom 1.10.2014 XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451; vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, BFH/NV 2015, 297). Der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff (vgl. EuGH-Urteile vom 20.11.2003 C-212/01, Unterpertinger, Slg. 2003, I-13859, HFR 2004, 280, Rz 35; vom 20.11.2003 C-307/01, D' Ambrumenil, Slg. 2003, I-13989, HFR 2004, 278, Rz 53) und umfasst Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteil vom 8.6.2006 C-106/05, L.u.P., Slg. 2006, I-5123, HFR 2006, 831, Rz 27; BFH-Urteil vom 12.8.2004 V R 27/02, BFH/NV 2005, 583). Dagegen sind Leistungen, die keinem therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen (vgl. EuGH-Urteil vom 14.9.2000 C-384/98, D., Slg. 2000, I-6795, HFR 2000, 918, Rz 18 f.; BFH-Urteil vom 15.7.2004 V R 27/03, BStBl II 2004, 862).
43Der Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.10.2011 XI B 54/11, BFH/NV 2012, 279; vom 8.4.2014 V B 38/13, BFH/NV 2014, 1106; BFH-Urteil vom 1.10.2014 XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451).
442. Im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung sind die gesetzlichen Krankenkassen Leistungsempfänger der ärztlichen Leistungen, die am gesetzlich krankenversicherten Patienten erbracht werden. Denn der Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung hat gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf ärztliche Versorgung („Sachleistungsprinzip"). Deshalb müssen die Kassen Ärzte zur Verfügung stellen, die im Krankheitsfall ärztliche Hilfe leisten. Gesetzlich Krankenversicherte erhalten Leistungen als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 SGB V). Dienstleistung ist zunächst im Wesentlichen die ärztliche Behandlung; Sachleistungen sind vor allem Arzneimittel, Verbandmittel und Hilfsmittel. Um die ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, schließen die Verbände der Krankenkassen sog. Sicherstellungsverträge (vgl. zum Sicherstellungsauftrag § 75 Abs. 1 SGB V) mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), denen automatisch alle Ärzte („Vertragsärzte") angehören, die zur ambulanten Behandlung von Kassenpatienten zugelassen sind. Die Bezahlung erfolgt von der Krankenkasse über eine Gesamtvergütung (eine Art Kopfpauschale) mit befreiender Wirkung an die Kassenärztliche Vereinigung, die ihrerseits für die Verteilung der Gelder an die einzelnen Praxen zuständig ist. Ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient besteht nur bei der Direktabrechnung, wie z.B. bei der privaten Krankenversicherung.
45Die sog. integrierte Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V a.F. berührt nicht die dargestellten Leistungsverhältnisse. Diese sind die gleichen wie bei der gesetzlichen Regelversorgung, nämlich zwischen Arzt und Krankenkasse. Im Rahmen der integrierten Versorgung schließen die Krankenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs. 1 SGB V a.F. genannten Vertragspartnern. Die Verträge zur integrierten Versorgung sollen eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung ermöglichen; aus ihnen ergeben sich das Versorgungsangebot und die Voraussetzungen seiner Inanspruchnahme (§ 140a Abs. 1 SGB V a.F.). Die integrierte Versorgung räumt den Vertragspartnern dabei im Vergleich zur gesetzlichen Regelversorgung Gestaltungsfreiheiten ein. So können dem Sinn und der Eigenart der integrierten Versorgung entsprechende abweichende Regelungen getroffen werden, die die Qualität, die Wirksamkeit und die Wirtschaftlichkeit der integrierten Versorgung verbessern oder aus sonstigen Gründen zu ihrer Durchführung erforderlich sind (vgl. § 140b Abs. 4 Satz 1 SGB V a.F.). Die integrierte Versorgung stellt damit nur eine andere Ausgestaltung der gesetzlichen Regelversorgung dar, ändert aber nicht die Leistungsverhältnisse an sich.
463. Einer Steuerbefreiung des Leistungsverhältnisses nach § 4 Nr. 14 UStG a.F. steht nicht entgegen, dass Leistungsempfänger nicht der Patient, sondern die Krankenkasse ist. Denn die hiernach befreiten Umsätze sind nicht durch die Person des Leistungsempfängers definiert. Vielmehr beschränkt sich das personenbezogene Tatbestandsmerkmal auf den Leistenden, der Träger eines ärztlichen bzw. arztähnlichen Berufs sein muss (vgl. BFH-Urteile vom 08.8.2013 V R 8/12, BFHE 242, 548; vom 18.8.2011 V R 27/10, BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214; vom 10.3.2005 V R 54/04, BStBl II 2005, 669; vom 25.11.2004 V R 44/02, BStBl II 2005, 190).
474. Vorliegend unstreitig ist, dass die beiden Ärzte Dres. O im Rahmen ihres Praxisbetriebs regelmäßig nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerbefreite Leistungen erbracht haben, da bei ihren ärztlichen Behandlungsleistungen therapeutische Ziele im Vordergrund standen, indem Hauptziel der Leistungen der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit war. Hierbei waren auch die streitigen variablen Prämien-/Bonuszahlungen der K und der K L GmbH Bestandteil der Vergütungen für ihre Heilbehandlungen im Sinne der Befreiungsvorschrift. Zwar waren die Zahlungen an ein kostensparendes Verhalten der Ärzte gekoppelt, nämlich ob und in welcher Höhe ein Netzerfolg eingetreten war und in welcher Höhe die Klägerin an dem Netzerfolg zu beteiligen war. Doch trat dies zurück hinter dem jeweils im Vordergrund stehenden therapeutischen Ziel der Leistungen der Ärzte.
48a. Die Klägerin, die an der integrierten Versorgung teilgenommen hat, hat in Erfüllung der übernommenen Pflichten aus den Verträgen zur integrierten Versorgung wie im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung ärztliche Heilbehandlungen erbracht. Zwar mögen die ärztlichen Leistungen durch die Teilnahme an der integrierten Versorgung von den Ärzten nach Art und Umfang anders erbracht worden sein als sie im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung erbracht worden wären. Dennoch standen auch bei diesen an die Netzversicherten ggf. von Art und Umfang her abweichend ausgeführten Leistungen der Ärzte therapeutische Ziele im Vordergrund, so dass diese als Heilbehandlungen zu qualifizieren sind.
49b. Hiergegen spricht nicht, dass im Rahmen des Versorgungsnetzes die Vergütung der ärztlichen Leistungen anders als im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung ausgestaltet war. § 140c Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V a.F. sieht ausdrücklich vor, dass die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung festlegen und aus dieser Vergütung sämtliche Leistungen, die von teilnehmenden Versicherten im Rahmen des vertraglichen Versorgungsauftrags in Anspruch genommen werden, zu vergüten sind. Es unterliegt damit der Vertragsfreiheit des Versorgungsnetzes, wie die Vergütung tatsächlich vertraglich ausgestaltet ist. Allerdings haben die Vertragspartner auf Seiten der Krankenkassen und der Leistungserbringer die Vereinbarungen über die Vergütungen nach dem SGB V so zu gestalten, dass Beitragserhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten (Grundsatz der Beitragssatzstabilität), § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Dies hat zur Folge, dass auch im Rahmen der integrierten Versorgung Beitragserhöhungen ausgeschlossen sein müssen. Zusätzliche Vergütungen dürfen Vertragsärzte deshalb nur aus Einsparungen der Krankenkassen erhalten.
50Im X-Versorgungsnetz haben sich die Vertragsparteien hinsichtlich der Vergütung dergestalt geeinigt, dass die Vergütung der ärztlichen Leistungen in zwei „Vergütungsstufen“ erfolgt, wobei nur die zweite „Vergütungsstufe“ abweichend zum Vergütungssystem in der gesetzlichen Regelversorgung erfolgen soll. Diese zweite Vergütungsstufe soll den Anreiz geben, am Versorgungsnetz überhaupt teilzunehmen und Art und Umfang der Leistungen am Gedanken des X-Versorgungsnetzes auszurichten. Auf der ersten Vergütungsstufe verbleibt es bei der Abrechnung nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) i.S.d. § 87 Abs. 2 SGB V, wie es auch bei der gesetzlichen Regelversorgung vorgesehen ist.
51c. Die im Rahmen des X-Versorgungsnetzes von den Krankenkassen gezahlten Vergütungen erfolgen zur Überzeugung des Senats auf beiden Vergütungsstufen für die Behandlungsleistungen der Ärzte. Die im X-Versorgungsnetz anders ausgestaltete Vergütung führt nicht dazu, dass nur die auf der ersten Stufe erfolgende pauschale Vergütung als Entgelt für die Heilbehandlungen anzusehen ist. Auch die variable Vergütung nach § 7 Abs. 4 der Anlage I zur Rahmenvereinbarung (Netzarztvertrag), deren umsatzsteuerliche Behandlung hier streitig ist, hat die Krankenkasse für die erbrachten Heilbehandlungen gezahlt.
52Zwar soll in der zweiten Vergütungsstufe, mit der anhand der individuellen Risikosumme und der individuellen Performance-Anteile eines Arztes die Beteiligung des einzelnen Arztes am Netzerfolg abgebildet werden soll, ein kostensparendes Verhalten vergütet werden. Dieses kostensparende Verhalten ist aber vorliegend nicht darauf ausgerichtet, dem Umfang nach weniger ärztliche Leistungen zu erbringen, sondern vielmehr insbesondere darauf, dass die Heilbehandlungen in anderer Art und Weise, ggf. auch in größerem Umfang und damit vom Versorgungsnetz „gelenkt“ erbracht werden. So ist die Vergütung auf der zweiten Stufe danach bemessen, wie sehr der jeweilige Arzt seine Patientenbehandlungen am Gedanken des X-Versorgungsnetzes ausrichtet. Durch das vom Versorgungsnetz bezweckte veränderte, kostenbewusste Verhalten der Ärzte sollen neben dem Effekt der Kostenersparnis für das Versorgungsnetz insbesondere auch optimierte Therapieerfolge eintreten.
53Die Klägerseite hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausführlich und überzeugend dargelegt, dass der jeweilige Arzt auf der zweiten Vergütungsstufe nicht berücksichtigt wird, wenn er seine Behandlungen nicht am Gedanken des X-Versorgungsnetzes ausgerichtet hat. Die Klägerseite hat dem Senat hierzu das hochkomplexe Berechnungssystem, anhand dessen der Netzerfolg verteilt wird, dargelegt und verständlich gemacht. Hiernach erhalten nur die Ärzte die variable Vergütung, die ihr Verhalten tatsächlich umgestellt haben. Die Klägerseite hat in der mündlichen Verhandlung zur vereinfachten Darstellung des Vergütungssystems (Betriebsprüfungshandakte Bl. 102) insbesondere dargestellt, dass allein die bloße Anzahl der X-Versicherten die eigene Beteiligung am Netzerfolg nicht erhöhen kann, wenn nicht auch das Verhalten des Arztes verändert wird.
54Auch wenn tatsächliche ärztliche Mehrleistungen letztlich nicht feststehen bzw. nachvollzogen werden können und dies auch nicht zwingende Voraussetzung für das Entstehen eines Netzerfolges und für Zahlungen aus dem Netzwerk ist, sollen hiermit doch ärztliche Leistungen abgebildet und vergütet werden. Dies soll durch das hochkomplexe Berechnungssystem unter Einbeziehung einer im Einzelnen nach der addierten Morbidität der Patienten ermittelten Risikosumme der jeweiligen Praxis, die zu verschiedenen Performance-Kennzahlen in Bezug gebracht wird, erreicht werden. Mit dem auf der zweiten Stufe vergüteten, am Gedanken des X-Versorgungsnetzes ausgerichteten Verhalten des jeweiligen Arztes hat dieser neben den Heilbehandlungen keine eigene, weitere Leistung erbracht. Es wird, wie ausgeführt, lediglich eine andere Art und Weise der Erbringung der Heilbehandlungen vergütet, dies ändert aber nichts am Charakter der heilbehandelnden Tätigkeit. Wird der Kostenapparat z.B. durch eine geringere Anzahl von Krankenhauseinweisungen entlastet, ändert dies nichts daran, dass die jeweilige Entscheidung des Arztes gegen eine Krankenhauseinweisung zur Heilbehandlung des Arztes gehört. Mit der variablen Vergütung wird weiterhin die Heilbehandlung, die auf einer ersten Vergütungsstufe auch bereits nach EBM vergütet wurde, auf einer zweiten – belohnenden – Stufe erhöht vergütet. Zur Überzeugung des Senats ist insoweit der Kostengedanke nicht derart entscheidend, dass die therapeutischen Ziele der Leistungen in den Hintergrund treten.
55d. Es entspricht im Übrigen dem Sinn und Zweck des § 4 Nr. 14 UStG, auch die variable Vergütung nach § 7 Abs. 4 der Anlage I zur Rahmenvereinbarung (Netzarztvertrag) umsatzsteuerfrei zu belassen. Denn Sinn und Zweck des § 4 Nr. 14 UStG ist es, die Kosten der Heilbehandlungen zu senken (EuGH-Urteil vom 8.6.2006 C-106/05, L.u.P., Slg 2006, I-5123, HFR 2006, 831; Weber in Reiß/Kraeusel/Langer, § 4 Nr. 14 UStG Rz. 16). Hier hielt es der Bundesgesetzgeber für dringend geboten, im Gesundheitssystem neue Versorgungsstrukturen zu schaffen und zu etablieren, um die Qualität und Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zu wahren (Adolf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 140a SGB V, Rn. 9). Damit verfolgt auch die integrierte Versorgung den Zweck, das Gesundheitssystem zu entlasten. Dem würde es widersprechen, wenn spezifische Vergütungsstrukturen im Rahmen der integrierten Versorgung mit Umsatzsteuer belastet würden. Sinn und Zweck des § 4 Nr. 14 UStG wären dann nicht erreicht.
56e. Soweit die variable Vergütung bei ihrer Bemessung auch die Netzwerktreue (Teilnahme an der Netzwerkkonferenz) und die richtige und umfassende Dokumentation der ICDs berücksichtigt, werden hier steuerliche Nebenleistungen vergütet, die der Hauptleistung der steuerfreien Heilbehandlung folgen. Es liegen einheitliche Leistungen vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 10.3.2011 C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Bog u.a., Slg. 2011, I-1457, BStBl II 2013, 256, Rn. 54; BFH-Urteil vom 27.2.2014 V R 14/13, BStBl II 2014, 869). Sowohl die Teilnahme an der Netzwerkkonferenz als auch die richtige und umfassende Dokumentation der ICDs stellen nur das Mittel dar, um die Heilbehandlungen optimiert zu erbringen. Auf den Netzwerkkonferenzen soll die notwendige Kommunikation und Verbreitung von Informationen und Neuerungen unter den Vertragsparteien stattfinden, die für die künftigen Heilbehandlungen erforderlich ist. Die richtige und umfassende Dokumentation der ICDs sind für das Versorgungsnetzwerk von erheblicher Bedeutung, da nur so richtige Vergleichsgruppen gefunden werden können, um den Netzerfolg anhand von „statistischen Zwillingen“ nachvollziehen zu können. Ohne diese Dokumentation kann ein Netzerfolg nicht festgestellt werden und im System der integrierten Versorgung wäre den Ärzten hier der Anreiz zur Teilnahme genommen.
57III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
58IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
59V. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, obwohl die gesetzliche Regelung der §§ 140a ff. SGB V a.F. fortentwickelt wurde und nunmehr in § 140a SGB V mit „Besondere Versorgung“ überschrieben ist. Vom System her haben sich keine wesentlichen Änderungen für die integrierte/besondere Versorgung ergeben.