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  • 03.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141600

    Sozialgericht Nürnberg: Urteil vom 20.03.2014 – S 1 KA 46/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht Nürnberg

    Urt. v. 20.03.2014

    Az.: S 1 KA 46/13

    Tenor:

    I.

    Der Bescheid des Beklagten vom 30.09.2013 (Beschluss: 11.09.2013) wird aufgehoben.
    II.

    Der Beklagte wird verurteilt, über den Nachbesetzungsantrag der Beigeladenen zu 7) für den psych. Vertragsarztsitz L.-Straße, B-Stadt, im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden.
    III.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
    IV.

    Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

    Tatbestand

    Streitig ist zwischen den Beteiligten die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages für den Vertragsarztsitz als Psychotherapeutin in der L.-Straße, B-Stadt.

    Die Beigeladene zu 7) ist psychologische Psychotherapeutin für die Richtlinienverfahrensart Verhaltenstherapie und nimmt als solche an der ambulanten vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil.

    Mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte - Mittelfranken - (ZA) vom 08.06.2011 wurde sie trotz bestehender Zulassungsbeschränkungen im Planungsbereich des Stadtkreises B-Stadt zugelassen auf Grundlage des § 101 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Bayern hatte mit Beschluss vom 09.11.2010 festgestellt, dass bei der Arztgruppe der Psychotherapeuten trotz der angeordneten Zulassungsbeschränkungen im Planungsbereich B-Stadt Stadt noch Zulassungen für ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte bzw. Leistungserbringer möglich wären, wenn diese ausschließlich Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch behandeln.

    Mit Formantrag vom 28.07.2013 verzichtete die Beigeladene zu 7) auf ihre Zulassung zum 31.12.2013 und beantragte die Ausschreibung ihres hälftigen Versorgungsauftrages nach § 103 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB V.

    Der ZA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30.09.2013 (Beschluss: 11.09.2013) ab, da die Voraussetzungen zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nicht vorlägen. Zwar sei die Beigeladene zu 7) im Rahmen ihrer Teilzulassung in nennenswertem Umfang vertragsärztlich tätig gewesen und habe in den Quartalen IV/2011 bis III/2012 durchschnittlich 21 Patienten behandelt. Dies liege nur leicht unter dem Fallgruppendurchschnitt bei hälftigem Versorgungsauftrag von 27,95 %.

    Der ZA habe jedoch auch zu prüfen, ob die Nachbesetzung des hälftigen Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen erforderlich sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 7) im Jahre 2011 selbst die Zulassung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin aufgrund des 20 %-igen Minderversorgungsanteils erhalten habe. Nach § 36 Abs. 7 der Bedarfsplanungsrichtlinien für Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten (BPlRÄ) könne eine erneute Zulassung nur bei Fortbestand der den besonderen Versorgungsbedarf begründenden Voraussetzungen erteilt werden. Da der Planungsbereich B-Stadt Stadt mit einem Versorgungsgrad von 154,4 % für Psychotherapeuten gesperrt sei, habe der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Bayern im Beschluss vom 10.06.2013 keine zusätzlichen Zulassungsmöglichkeiten für Leistungserbringer, die ausschließlich oder überwiegend Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch behandeln, ausgewiesen. Die Nachbesetzung des hälftigen Vertragsarztsitzes sei deshalb aus Versorgungsgründen nicht erforderlich, so dass die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 SGB V abzulehnen gewesen sei.

    Dagegen hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns am 29.10.2013 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben.

    Es sei zwar zutreffend, dass der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Bayern nach dem neuen Bedarfsplanungsrecht für die Arztgruppe der Psychotherapeuten im Planungsbereich des Stadtkreises B-Stadt einen Versorgungsgrad von 154,4 % festgestellt und Zulassungsbeschränkungen angeordnet habe. Daraus könne jedoch nicht gefolgert werden, dass kein zusätzlicher Versorgungsbedarf mehr bestehe. Dem stehe auch nicht die Gesetzesbegründung entgegen, wonach in gesperrten Planungsbereichen langfristig die Überversorgung abgebaut werden solle. Der Umstand, dass dieses Ziel "langfristig" erreicht werden solle, sei vielmehr ein Indiz dafür, dass nicht jede Praxis ohne weitere Prüfung als nicht versorgungsrelevant einzuordnen sei.

    Zu hinterfragen sei vielmehr gewesen, welchen Versorgungsbeitrag die jeweilige Praxis, deren Ausschreibung begehrt wird, für die Behandlung von Patientinnen und Patienten leistet. Dies könne insbesondere an Fallzahlen, Behandlungsstunden und an der Erreichbarkeit der Praxis festgemacht werden. Für die Versorgungsrelevanz einer Praxis spiele es auch eine große Rolle, ob und inwieweit sie über ein besonderes Leistungsspektrum verfügt. Der Beklagte hätte deshalb in qualitativer Hinsicht würdigen müssen, dass die Beigeladene zu 7) nach dem Richtlinien-Verfahren mit Verhaltenstherapien für Kinder und Jugendliche auch ein spezifisches Leistungsspektrum anbietet. Diese Therapieform werde bei Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten mit 36,8 % im Verhältnis zu den psychologischen Psychotherapeuten (56,9 %) in deutlich geringerem Umfang angeboten.

    Der ZA hätte ferner ermitteln müssen, welche Praxen die von der Beigeladenen zu 7) bisher versorgten Kinder und Jugendlichen nach dem Richtlinien-Verfahren Verhaltenstherapie hätten weiterversorgen können und auch tatsächlich dazu bereit gewesen wären. Im Planungsbereich der Stadt B-Stadt seien zum damaligen Zeitpunkt gerade 15 Psychotherapeuten mit diesem Versorgungsangebot tätig gewesen, davon zehn mit einer vollen und drei mit einer hälftigen Zulassung, im übrigen jeweils mit einer Teilzeitanstellung.

    Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzung, "ob die Nachbesetzung des hälftigen Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen erforderlich ist" sei dem ZA kein Ermessen, sondern ein Beurteilungsspielraum eingeräumt gewesen.

    Die Klägerin beantragt deshalb,

    1.

    den Bescheid des ZA für Ärzte - Mittelfranken - (Beschluss vom 11.09.2013), versendet am 30.09.2013, aufzuheben,
    2.

    dem Antrag der Beigeladenen zu 7) auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages für ihren Vertragsarztsitz L.-Straße, B-Stadt, stattzugeben,
    hilfsweise den Zulassungsausschuss zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut über den Antrag der Beigeladenen zu 7) auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages für ihren Vertragsarztsitz L.-Straße, B-Stadt, zu entscheiden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Mit Beschluss des SG B-Stadt vom 11.11.2013 wurden die AOK Bayern, der Landesverband der Betriebskrankenkassen in Bayern, die IKK classic, die SVLFG, Landwirtschaftliche Krankenkasse/Pflegekasse, der F. die G. als Trägerin der Krankenversicherung und Frau H., M.-M.-Str., H-Stadt zum Verfahren vor dem SG B-Stadt beigeladen.

    Die Beigeladene zu 1) beantragt ebenfalls,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beigeladene zu 7) schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Prozessakte des SG B-Stadt, insbesondere auf das Vorbringen der Beteiligten in den eingereichten Schriftsätzen, Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe

    Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz = SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen SG Nürnberg (§§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 57 a Abs. 1, 10 Abs. 2 SGG i. V. m. § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit in Bayern - BayRS-33-A -) erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist zulässig.

    In den Fällen des § 103 Abs. 3 a SGB V findet ein Verfahren vor dem Berufungsausschuss für Ärzte - Bayern - (BA) nicht statt (§ 103 Abs. 3 a Satz 5 und 6 SGB V).

    In der Sache erweist sich die Klage als begründet im Sinne des Hilfsantrages der Klägerin auf Neubescheidung des Antrags der Beigeladenen zu 7) vom 31.07.2013 auf Nachbesetzung des Vertragspsychotherapeutensitzes in der L.-Straße, B-Stadt im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes (§ 131 Abs. 3 SGG).

    Endet die Zulassung eines Vertragspsychotherapeuten in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung und soll die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, entscheidet der ZA auf Antrag des Vertragspsychotherapeuten oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben, ob ein Nachbesetzungsverfahren nach Abs. 4 für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll (§ 103 Abs. 3 a Satz 1 SGB V). Der ZA kann den Antrag ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragspsychotherapeutensitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist (§ 103 Abs. 3 a Satz 3 erster Halbsatz SGB V).

    Nach der Gesetzessystematik des § 103 Abs. 3 a Satz 1 SGB V ist dabei die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens trotz bestehender Zulassungsbeschränkungen die Regel, auch wenn ein Antrag auf Nachbesetzung nur für einen hälftigen Vertragsarztsitz gestellt wird. Nach § 103 Abs. 3 a Satz 3 SGB V kann der ZA den Antrag ablehnen, wobei Voraussetzung für die Eröffnung dieses Ermessensspielraumes ist, dass die Nachbesetzung des Vertragspsychotherapeutensitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist.

    Die Klägerin hat zutreffend ausgeführt, dass in Bezug auf die Notwendigkeit der Nachbesetzung aus Versorgungsgründen dem ZA ein Beurteilungsspielraum eröffnet ist, denn nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist ihm überhaupt ein Ermessensspielraum eröffnet, aufgrund dessen er den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens auch ablehnen kann. Den Zulassungsgremien steht zur Beurteilung der Versorgungsgründe ein gerichtlich nur eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu, denn die ortsnahen fachkundigen Zulassungsinstanzen können nur ungefähr entscheiden, ob und inwieweit die bereits niedergelassenen Vertragspsychotherapeuten eine qualitativ ausreichende Versorgung gewährleisten, da zur Beantwortung dieser Frage eine Vielzahl von Faktoren in die Entscheidung einzubeziehen ist. Dies rechtfertigt es, den Zulassungsgremien einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen und deren Entscheidung hinzunehmen, solange sie sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung hält. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich daher - wie in vergleichbaren Fällen der Bedarfsfeststellung - darauf, ob der Verwaltungsentscheidung bezüglich des Vorliegens der Notwendigkeit einer Nachbesetzung aus Versorgungsgründen im Rahmen des § 103 Abs. 3 a Satz 3 SGB V unter anderem ein vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "Erforderlichkeit aus Versorgungsgründen" zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob die Substitutionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung des Beurteilungsmaßstabes erkennbar und nachvollziehbar ist.

    Zur Notwendigkeit der Nachbesetzung aus Versorgungsgründen kann dabei jedoch nicht allein auf das Vorliegen von Zulassungsbeschränkungen vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für den betroffenen Planungsbereich abgestellt werden, denn ein Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 3 a SGB V bezieht sich nach der Gesetzessystematik dieser Bestimmung gerade auf Zulassungen in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind (§ 103 Abs. 3 a Satz 1 SGB V).

    Zur Frage der Versorgungssituation im Sinne des § 103 Abs. 3 a Satz 3 SGB V und damit zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens, hätte der Beklagte jedoch weitere Ermittlungen anstellen müssen. Insbesondere zu der Frage, welchen Versorgungsbeitrag die psychotherapeutische Praxis der Beigeladenen zu 7) für die Behandlung von Patienten und Patientinnen im Planungsbereich B-Stadt Stadt leistet. Dies kann insbesondere an Fallzahlen, Behandlungsstunden und an der Erreichbarkeit der Praxis überprüft werden. Für die Versorgungsrelevanz einer psychotherapeutischen Praxis, die Behandlungen nach dem Richtlinien-Verfahren für Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche anbietet, ist ferner von Bedeutung, ob die Vertragspsychotherapeutenpraxis der Beigeladenen zu 7) etwa über ein besonderes Leistungsspektrum verfügt. Bei der Frage der Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Richtlinien-Verfahren ist darüber hinaus wichtig, welche Praxen die von der Beigeladenen zu 7) bisher versorgten Kinder und Jugendlichen weiterversorgen können und tatsächlich auch dazu bereit sind.

    Auch unter Beachtung der nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Versorgungssituation für Vertragspsychotherapeuten im Planungsbereich der Stadt B-Stadt kann die Entscheidung des Beklagten, ein Nachbesetzungsverfahren im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages der Beigeladenen zu 7) keinen Bestand haben. Die Ermittlungen des Beklagten tragen dessen Schlussfolgerungen zur Frage fehlender Erforderlichkeit der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens aus Versorgungsgründen nicht.

    Die unvollständige Sachverhaltsaufklärung des Beklagten stellt einen Verfahrensfehler dar, der grundsätzlich zur Aufhebung des streitbefangenen Bescheides vom 30.09.2013 (Beschluss: 11.09.2013) führt und zur Verpflichtung des ZA, über den Nachbesetzungsantrag der Beigeladenen zu 7) für den psychotherapeutischen Vertragsarztsitz L.-Straße, B-Stadt, im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrages erneut unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden.

    Der Klage musste deshalb insoweit stattgegeben werden.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach dem Beklagten als dem unterlegenen Teil die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen waren. Über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7) war nicht zu entscheiden, da diese nicht angefallen sind.

    Bezüglich des Streitwertes in Zulassungssachen finden nach § 197 a Abs. 1 SGG die Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) Anwendung. Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert nach der für die Klägerin sich ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da es sich jedoch im vorliegenden Fall um eine vorbereitende Maßnahme für die hälftige Zulassung eines Vertragspsychotherapeuten handelt, erscheint es der Kammer angemessen, hier den Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 Euro festzusetzen.

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