09.08.2013
Finanzgericht München: Urteil vom 20.02.2013 – 3 K 1620/12
1. Eine sonstige Leistung gegen Entgelt „Verzichtsleistung”) liegt nicht vor, wenn der Erbringer einer entgeltlich vereinbarten
Dienstleistung die Leistung im Interesse bzw. zu Gunsten des Leistungsempfängers unterlässt bzw. vorzeitig beendet und von
diesem hierfür einen Geldbetrag erhält; das folgt aus dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer (gegen BFH-Rechtsprechung).
2. Der Vorteil, den die zahlende von der anderen, auf die Vertragserfüllung Verzicht leistenden Partei erhält, besteht im
Wesentlichen in der Befreiung von den Pflichten aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis bzw. von der Bindung an den ursprünglich
abgeschlossenen Vertrag. Die Entlassung aus der Vertragsbindung als solche kann indes keine sonstige Leistung sein.
3. Es fehlt an einem für die Umsatzsteuerbarkeit erforderlichen Leistungsaustausch, wenn der anlässlich einer vorzeitigen
Vertragsbeendigung vereinbarte Vergleichsbetrag kein Entgelt, sondern eine Entschädigung darstellt, die auch ohne Abschluss
des Vergleichs aufgrund Gesetzes geschuldet wäre.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 3. Senat des Finanzgerichts München durch … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2013 für Recht erkannt:
1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 17. November 2011 und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 13. April 2012
werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in
Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit
in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine GmbH, ist seit August 2008 Tochtergesellschaft der B-Holding GmbH, die als Arbeitsgemeinschaft gem. § 219
Sozialgesetzbuch V im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für ihre Gesellschafter, insbesondere Betriebskrankenkassen
(BKK), IT-Dienstleistungen erbringt. Zu diesem Zweck betreibt die Klägerin ein Service-Zentrum und bietet den BKK Hard- und
Softwarelösungen an, insbesondere Rechner und DV-Netzbetrieb sowie Softwareanwenderberatung.
Die Klägerin erbrachte auf der Grundlage einer in 1998 abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (folgend: IT-Dienstleistungsvertrag)
gegenüber ihrem Gesellschafter und Kunden, der B-BKK, Dienstleistungen der elektronischen Datenverarbeitung, insbesondere
Netzwerkdienstleistungen und die sog. ISKV-Basisdienstleistung. Die Leistungen wurden nach § 5 IT-Dienstleistungsvertrag auf
Selbstkostenbasis abgerechnet; die Gesamtvergütung betrug bis zum 31. Dezember 2001 ohne Netzkosten jährlich … DM. Der IT-Dienstleistungsvertrag
wurde nach seinem § 9 ab dem 1. Januar 1999 zunächst für die Dauer von drei Jahren geschlossen. Er konnte unter Wahrung einer
Kündigungsfrist von neun Monaten zum Jahresende, erstmals zum 31. Dezember 2001 gekündigt werden. Erfolgte keine Kündigung,
verlängerte er sich um jeweils ein Jahr, wobei die Vergütung neu festzulegen war.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2002 kündigte die B-BKK den IT-Dienstleistungsvertrag zum Ablauf des 31. Dezember 2003. Gleichzeitig
erklärte sie, dass sie bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2002 keine Dienstleistungen, Nutzungen von Hard- und Software und
sonstige Tätigkeiten oder Aufwendungen der Klägerin in Anspruch nehmen werde. Sie gehe davon aus, dass aufgrund der Abrechnung
auf Selbstkostenbasis nach § 5 des IT-Dienstleistungsvertrags wegen der wegfallenden Inanspruchnahme nach dem 31. Dezember
2002 keine abzurechnenden Kosten im Jahr 2003 entstehen werden, und bitte daher um die Erstellung einer Schlussrechnung unter
Berücksichtigung aller durch die Nichtinanspruchnahme der Klägerin in 2003 ersparten Aufwendungen.
Hintergrund der Kündigung war die im September 2002 beschlossene Fusion der B-BKK und der V-BKK zur D-BKK zum 1. Januar 2003,
das damit verbundene Ausscheiden der B-BKK als Gesellschafter der Klägerin und die in diesem Zusammenhang getroffene Entscheidung,
dass die D-BKK künftig nur noch das bisher von der V-BKK genutzte Rechenzentrum des Konkurrenzunternehmens der Klägerin, der
I-GmbH, nutzen werde.
Die Klägerin machte daraufhin gegenüber der B-BKK Vergütung, Aufwendungs- und Schadensersatz in Höhe von ca. … EUR geltend.
Ihr sei durch die Entscheidung der D-BKK, die ISKV-Basisdienstleistung bei der I-GmbH zu beziehen, ein erheblicher Schaden
entstanden, der vor allem daraus resultiere, dass die Klägerin bereits erhebliche Investitionen für die B-BKK getätigt habe.
Sie habe im Mai 2002 aufgrund der begrenzten Rechnerressourcen eine neue Rechnergeneration (Solaris Technologie) einführen
müssen. Dies sei auch mit der B-BKK besprochen und im guten Glauben durchgeführt worden, dass mit diesem Umstieg die beabsichtigte
Vertragsverlängerung um weitere drei Jahre nur noch eine „Formsache” sein würde. In diesem Zusammenhang sei die Klägerin auch
weitere Verpflichtungen für die B-BKK eingegangen (gemietete Leitungen, Leasingverträge, Wartungsverträge, Personaleinstellungen).
Nach intensiven Verhandlungen und Überprüfung der bei Nichterbringung der Leistung bestehenden Einsparungsmöglichkeiten schlossen
die Klägerin und die B-BKK am 20. Dezember 2002 eine „Vergleichsweise Vereinbarung” (folgend: Vergleich) mit im Wesentlichen
folgendem Inhalt: Die gekündigten Verträge werden trotz der Kassenfusion mit der V-BKK hinsichtlich der Netzwerkdienstleistungen
mit bestimmten Modifikationen wieder in Kraft gesetzt. Hinsichtlich der „übrigen Dienstleistungen” (d.h. insbesondere der
ISKV-Basisdienstleistung) sind sich die Parteien im Wege gegenseitigen Nachgebens einig, dass die bestehenden Verträge mit
Ablauf des 31. Dezember 2002 beendet sind. Des Weiteren sind sich die Parteien im Vergleichswege einig, dass die B-BKK (bzw.
als Rechtsnachfolger die D-BKK) als „Vergütung für nicht erbrachte Leistung bzw. Schadensersatz” einen Vergleichsbetrag von
… EUR (ohne MwSt) schuldet; in diesem Betrag sind etwa ersparte Aufwendungen und etwaiger getätigter oder unterlassener anderweitiger
Erwerb bereits berücksichtigt. Der Vergleichsbetrag ist in zwei Raten von … EUR zum 1. Januar 2003 und … EUR zum 1. Januar
2004 fällig.
In Bezug auf die Mehrwertsteuer wurde folgende Steuerklausel vereinbart: In dem Vergleichsbetrag sei Mehrwertsteuer nicht
enthalten. Die Parteien seien übereinstimmend der Auffassung, dass der Vergleichsbetrag infolge des Entfallens des Leistungsaustauschs
nicht der Mehrwertsteuerpflicht unterliegt. (…)
Die zum 1. Januar 2003 fällige erste Rate des Vergleichsbetrages wurde von der Klägerin weder in der Steuererklärung für 2002
noch in der für 2003 der Umsatzsteuer unterworfen.
Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) erfasste mit geändertem Bescheid vom 17. November 2011 die erste Rate des Vergleichsbetrags
bei der Umsatzsteuer für 2002 und erhöhte die verbleibende Steuer auf … EUR.
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch blieb in der Einspruchsentscheidung vom 13. April 2012 erfolglos. Hiergegen
richtet sich die vorliegende Klage.
II.
Die Klage ist begründet.
Das FA hat den Vergleichsbetrag zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen.
1. …
2. a) aa) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein
Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Entsprechend unterliegen gem. Art. 2 Nr. 1 der
im Streitjahr noch geltenden Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die
ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer.
Für das Vorliegen einer entgeltlichen Leistung, die in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 77/388/EWG gem. § 1 Abs.
1 Nr. 1 UStG steuerbar ist, gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der Bundesfinanzhof
(BFH) angeschlossen hat, Folgendes: Zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang
bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen
eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht
werden, erbracht wurde (EuGH-Urteile vom 18. Juli 2007 C-277/05 Société thermale d'Eugénie-les-Bains, BFH/NV Beilage 2007,
424, Rn. 19; vom 27. Oktober 2011 C-93/10, GFKL Financial Services, DStR 2011, 2093, Rn. 18 f.; BFH-Urteil vom 30. Juni 2010
XI R 22/08, BStBl II 2010, 1084, Rn. 12, m.w.N.).
Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, ob die Leistung des Unternehmers
derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet (BFH-Urteil vom
30. Juni 2010 XI R 22/08, BStBl II 2010, 1084, Rn. 13). Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in einem
gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben, liegt grundsätzlich ein Leistungsaustausch vor (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008
V R 38/06, BStBl II 2009, 749, Rn. 34).
Es kommt nicht darauf an, ob die Zahlung zivilrechtlich als Schadensersatz bezeichnet wird (vgl. BFH-Urteile vom 17. Dezember
2009 V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869, Rn. 17; vom 16. Januar 2003 V R 36/01, BFH/NV 2003, 667, Rn. 22). „Echte” Entschädigungs-
oder Schadensersatzleistungen sind demgegenüber kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine
Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für
den Schaden und seine Folgen einzustehen hat (BFH-Urteile vom 30. Juni 2010 XI R 22/08, BStBl II 2010, 1084, Rn. 14; vom 16.
Januar 2003 V R 36/01, BFH/NV 2003, 667, Rn. 17).
bb) Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind. Sie können auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer
Handlung oder eines Zustands bestehen (§ 3 Abs. 9 Sätze 1 und 2 UStG). Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung
eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 Richtlinie 77/388/EWG ist. Diese Leistung kann u.a. bestehen in der Verpflichtung,
eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden (Art. 6 Abs. 1 Gedankenstrich 2 Richtlinie 77/388/EWG).
Nach der Rechtsprechung des EuGH, der der BFH folgt, muss der Leistungsempfänger identifizierbar sein. Er muss ferner einen
Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (EuGH-Urteile vom 18. Dezember
1997 C-384/95, Landboden-Agrardienste, UR 1998, 102; vom 29. Februar 1996 C-215/94, Mohr, HFR 1996, 294; BFH-Urteile vom 18.
Dezember 2008 V R 38/06, BStBl II 2009, 749, Rn. 31; vom 6. Mai 2004 V R 40/02, BStBl II 2004, 854, Rn. 16; vom 11. April
2002 V R 65/00, BStBl II 2002, 782, Rn. 29).
cc) Der BFH nimmt eine sonstige Leistung gegen Entgelt „Verzichtsleistung”) auch dann an, wenn der Erbringer einer Leistung
(es handelt sich in den entschiedenen Fällen ganz überwiegend um sonstige Leistungen, insbesondere Dauerleistungen wie Vermietung)
die Leistung im Interesse bzw. zu Gunsten des Leistungsempfängers unterlässt bzw. beendet und von diesem hierfür einen Geldbetrag
erhält. Die sonstige Leistung liege in dem Verzicht auf die Rechte aus dem Vertrag bzw. auf die weitere Vertragsdurchführung.
Die zu diesem Zweck geschlossene Auflösungsvereinbarung gegen Abfindungszahlung spreche für einen Leistungsaustausch und gegen
das Vorliegen von Schadensersatz, weil es sich um einen gegenseitigen Vertrag handele (BFH-Beschlüsse vom 26. März 1998 XI
B 73/97, BFH/NV 1998, 1381; vom 29. Juli 2009 V B 156/08, BFH/NV 2010, 238; vom 23. Januar 2002 V B 161/01, BFH/NV 2002, 553;
vom 19. Oktober 2010 V B 103/09, BFH/NV 2011, 327).
Entsprechend hat der BFH entschieden hinsichtlich der Beendigung anwaltlicher Beratung und der Auflösung eines langfristigen
Beratungsvertrags, zu der sich eine Anwaltssozietät in einer Auflösungsvereinbarung gegen Zahlung eines einmaligen Geldbetrags
bereit erklärt hat. Die versprochene Leistung sei der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält. Bei Leistungen, zu deren
Ausführung sich die Vertragsparteien in gegenseitigen Verträgen verpflichtet haben, liege der erforderliche Leistungsverbrauch
grundsätzlich vor; das versprochene Tun, Dulden oder Unterlassen sei der Vorteil, den der Leistungsempfänger erhält (BFH-Urteil
vom 7. Juli 2005 V R 34/03, BStBl II 2007, 66).
b) Der erkennende Senat folgt der zuletzt bezeichneten BFH-Rechtsprechung nicht. Im Streitfall stellt die teilweise Beendigung
der gewerblichen Tätigkeit der Datenverarbeitung, d.h. die nicht weitere Ausführung der „übrigen Dienstleistungen” (folgend:
ISKV-Basisdienstleistung), durch die Klägerin keine sonstige Leistung dar (hierzu unten 3.). Die Vertragsparteien des Vergleichs
haben auch keinen Leistungsaustausch vorgenommen (hierzu unten 4.). Damit ist der Vergleichsbetrag nicht der Umsatzsteuer
zu unterwerfen.
3. a) Das Fehlen einer (sonstigen) Leistung folgt aus dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer (vgl. Hummel, UR 2005,
S. 665 und UR 2011, S. 341; Reiß, UR 2008, S. 58, 65 ff.; Nieskens, in Rau/Dürrwächter, Komm. UStG, § 1 Anm. 534, Leistungs-ABC,
Stichwort Verzicht; Probst, in Hartmann/Metzenmacher, Komm. UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rn. 318; Stadie, Komm. UStG, § 1 Rn. 49
ff.; an der BFH-Rechtsprechung zweifelnd Forster, UR 2001, 199; FG München, Urteil vom 22. November 2000 3 K 476/97, EFG 2001,
465; Hessisches FG, Urteil vom 28. April 2003 6 K 982/99, EFG 2003, 1421).
aa) Der in Erfüllung des ursprünglich abgeschlossenen und später (einseitig oder einvernehmlich) beendeten Vertrags Leistende
erbringt durch das Unterlassen (bzw. die Beendigung) seiner Leistung keine sonstige Leistung an den Leistungsempfänger. Denn
er hatte aus dem Vertrag gegenüber dem Leistungsempfänger kein Recht, die Leistung (weiter) zu erbringen, sondern die Pflicht
hierzu. Er hatte grundsätzlich auch kein Recht, dass der Leistungsempfänger die Leistung abnimmt bzw. weiter in Anspruch nimmt.
Es besteht zwar beim Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Abnahmepflicht des Käufers, doch ist
diese typischerweise nur eine nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Nebenpflicht (Westermann, in Münchener Kommentar
zum BGB, 6. Auflage 2012, § 433 Rn. 76). Beim Mietvertrag hat der Mieter gem. § 535 BGB keine Pflicht zum Gebrauch (Häublein,
in Münchener Kommentar zum BGB, § 535 Rn. 166; vgl. aber den Sonderfall des BFH-Urteils vom 18. Januar 1990 V R 6/85, BFH/NV
1991, 130, in dem der Mieter die Pflicht übernommen hatte, in den Mieträumen ein Ladengeschäft zu betreiben). Insoweit fehlt
es an einem Recht, auf das der Leistende verzichten könnte.
Der Leistende verzichtet durch das Unterlassen (bzw. die Beendigung) der Leistung also eigentlich auf das volle ursprünglich
vereinbarte Entgelt. Der Verzicht auf Geld ist indes keine (sonstige) Leistung i.S. des Mehrwertsteuersystems. Denn auch die
Entrichtung des Entgelts durch Geldzahlung oder die Verpflichtung dazu stellt nach allgemeiner Meinung keine sonstige Leistung
dar (vgl. EuGH-Urteil vom 9. Oktober 2001 C-409/98, Mirror-Group, Slg. 2001, I-7175, Rn. 26). Durch Geld bzw. die Ersparnis
von Geld wird dem Leistungsempfänger kein verbrauchsfähiger Vorteil zugewendet. Das zugewendete Geld dient nur der Möglichkeit,
sich einen verbrauchsfähigen Nutzen zu verschaffen, es ist aber nicht selbst ein solcher (Stadie, § 1 Rn. 28: „Geld kann man
nicht essen”; Nieskens, in Rau/Dürrwächter, § 3 Anm. 405; Tehler, in Reiß/Kraeusel/Langer, Komm. UStG, § 1 Rn. 73; Oelmeier,
in Sölch/Ringleb, Komm. UStG, § 1 Rn. 6; Probst, in Hartmann/Metzenmacher, Komm. UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rn. 42).
Auch im Streitfall hat die Klägerin nur auf den vollen Gegenleistungsanspruch in Geld verzichtet. Sie hat der B-BKK lediglich
den nicht verbrauchsfähigen Vorteil zugewendet, dass diese ihr für das Jahr 2003 nicht mehr das volle Entgelt für die ISKV-Basisdienstleistung
zu entrichten hatte. Dies wird daran ersichtlich, dass sich der Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin von den ursprünglich
geltend gemachten ca. 8,2 Mio. EUR auf den Vergleichsbetrag von 2,3 Mio. EUR vermindert hat. Die Gesamtvergütung wäre für
2003 gemeinsam neu festzulegen gewesen; ihr wären die durch die Vertragserfüllung verursachten tatsächlich entstehenden Sach-
(Klima-, Energie-, Raum-, Investitionskosten etc.) und Personalkosten zugrunde zu legen gewesen (§ 5 Nr. 2 IT-Dienstvertrag).
Die Verminderung der Gesamtvergütung, die sich hiernach bestimmt hätte, auf den Vergleichsbetrag kam durch die Anrechnung
der Ersparnis und der Vorteile zu Stande, die sich daraus ergaben, dass in 2003 die ISKV-Basisdienstleistung durch die Klägerin
an die B-BKK nicht weiter zu erbringen war (vgl. Abschnitt B. II, Ziff. 1 des Vergleichs).
Eine abweichende rechtliche Bewertung folgt nicht daraus, dass in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e Richtlinie 77/388/EWG von Verpflichtungen
die Rede ist, eine berufliche Tätigkeit – vorliegend etwa die Datenverarbeitung – ganz oder teilweise nicht auszuüben (vgl.
§ 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG), denn bei dieser Vorschrift geht es um eigenständige Verpflichtungen, solche Tätigkeiten gegenüber
Dritten nicht auszuüben (insbesondere Wettbewerbsverbote) und nicht – wie vorliegend – um Verpflichtungen, die der Leistung
als Rechtsverhältnis zugrunde liegen (vgl. dagegen Martin, UR 2006, S. 56, 59).
bb) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 15. Dezember 1993 C-63/92, Lubbock Fine (BStBl
II 1995, 480). Der EuGH hat erkannt, dass der Fall, dass ein Mieter, der auf seine Rechte aus dem Mietvertrag verzichtet,
das Grundstück gegen eine Abfindung an die Person zurückgibt, von der er seine Rechte ableitet, unter den Begriff der „Vermietung
von Grundstücken”, der in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie 77/388 zur Beschreibung eines zwingend steuerfreien
Umsatzes verwendet wird, fällt. Der Urteilsfall betrifft die umgekehrte Konstellation zum Streitfall. Die Beendigung der Vermietungsleistung
und die einvernehmliche Auflösung des Mietvertrags geschahen im Interesse bzw. zu Gunsten des Vermieters (Leistungserbringers);
ihm gegenüber erbrachte der Mieter (Leistungsempfänger) eine sonstige Leistung, indem er auf sein Gebrauchsrecht verzichtete.
Der erhaltene Vorteil für den Vermieter, der in der vorzeitigen Wiedererlangung des unmittelbaren Besitzes an dem Mietobjekt
besteht, ermöglicht einen Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts (vgl. bereits BFH-Urteil vom 27. Februar
1969 V 102/65, BStBl II 1969, 386 zur „Räumungsentschädigung” eines Vermieters an den Mieter).
Ebenfalls die umgekehrte Konstellation zum Streitfall betrifft der Fall, in dem der BFH im Einklang mit dem EuGH-Urteil C-63/92
(Lubbock Fine) entschieden hat, dass eine steuerbare sonstige Leistung vorliegt, wenn der Inhaber einer Genehmigung zum Betrieb
einer Sonderabfalldeponie aufgrund eines Vertrages mit einem Bundesland das Vorhaben aufgibt und hierfür vom Land einen Geldbetrag
erhält (BFH-Urteil vom 24. August 2006 V R 19/05, BStBl II 2007, 187). Der Verzicht auf die Rechte aus dem Planfeststellungsbeschluss
geschah im (Gemeinwohl)Interesse bzw. zu Gunsten des Bundeslands, also ebenfalls sozusagen des „Leistenden” (Genehmigenden)
im Rahmen des ursprünglichen gesetzlichen (öffentlich-rechtlichen) Schuldverhältnisses (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG);
dem Land wurde vom Genehmigungsempfänger eine sonstige Leistung durch Zuwendung des verbrauchsfähigen Vorteils, der in der
Wiedererlangung der Planungsfreiheit in Bezug auf die ursprünglich für die Abfalldeponie vorgesehenen Flächen besteht, erbracht.
cc) Besonders gelagert ist der Fall, in dem der BFH geurteilt hat, dass der Verzicht auf die Ausübung des Amtes als Testamentsvollstrecker
gegen „Entschädigung bzw. Schadensersatz” eine steuerbare sonstige Leistung sein kann (BFH-Urteil vom 6. Mai 2004 V R 40/02,
BStBl II 2004, 854). Dort geschah der Amtsverzicht im Interesse bzw. zu Gunsten des Erben, also – wie im Streitfall – des
Leistungsempfängers im Rahmen des ursprünglichen gesetzlichen Schuldverhältnisses (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Da die Amtsausübung
kein Recht ist, auf das der Amtsinhaber verzichten kann, sondern eine Pflicht, ist davon auszugehen, dass der Testamentsvollstrecker
in Wirklichkeit ebenfalls nur auf die – keinen verbrauchsfähigen Vorteil darstellende – volle Tätigkeitsvergütung verzichtet
hat.
Das FG München als Vorinstanz hat entsprechend – wie im Streitfall – im Hinblick auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer
das Vorliegen einer steuerbaren sonstigen Leistung verneint; der Testamentsvollstrecker habe dem Erben keinen verbrauchsfähigen
Vorteil verschafft (Urteil vom 27. Juni 2002 14 K 770/01, EFG 2002, 1557). Der BFH hat dagegen den Vorteil, den der Erbe „zur
eigenen Verwendung” erhalten hat, in der Befreiung von den Verfügungsbeschränkungen gem. § 2211 BGB „Fesseln der Testamentsvollstreckung”)
gesehen. Zu dieser Beurteilung konnte der BFH indes nur aufgrund der Besonderheit des im Urteilsfall gegebenen gesetzlichen
Schuldverhältnisses (§§ 2215 – 2221 BGB) kommen, dass der Testamentsvollstrecker bei der Erbringung seiner Leistung an den
Erben den (letzten) Willen eines Dritten, nämlich des Erblassers zu erfüllen hat (§ 2203 BGB). Der Testamentsvollstrecker
hat nämlich einerseits als Vertrauensperson des Erblassers entsprechend dem Willen und unter Beachtung der Anordnungen des
Erblassers den Nachlass im fremden Interesse zu verwalten und ist zu diesem Zweck mit regelmäßig umfassenden, den Erben verdrängenden
Herrschaftsbefugnissen über den Nachlass ausgestattet, andererseits ist er dem Erben für die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung
verantwortlich (Zimmermann, in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 2197 ff., Rn. 5).
b) Unabhängig vom Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer spricht generell Folgendes gegen das Vorliegen einer sonstigen
Leistung: Der Vorteil, den die zahlende von der anderen (nach der BFH-Rechtsprechung auf die Vertragserfüllung Verzicht leistenden)
Partei erhalten hat, besteht im Wesentlichen in der Befreiung von den Pflichten aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis bzw.
von der Bindung an den ursprünglich abgeschlossenen Vertrag. Die Entlassung aus der Vertragsbindung als solche kann indes
keine sonstige Leistung sein. Denn auch der Abschluss des zu Grunde liegenden schuldrechtlichen Vertrags – als Kehrseite hierzu
– stellt für sich genommen nach allgemeiner Meinung keine sonstige Leistung dar (vgl. Nieskens, in Rau/Dürrwächter, § 1 Anm.
401).
4. Im Streitfall fehlt es überdies an einem Leistungsaustausch, weil der Vergleichsbetrag kein Entgelt, sondern eine Entschädigung
darstellt, die auch ohne Abschluss des Vergleichs aufgrund Gesetzes geschuldet wäre.
a) Der EuGH hat mit Urteil vom 18. Juli 2007 C-277/05, Société thermale d'Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415) entschieden,
dass die Beträge, die im Rahmen von Verträgen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand
haben, als Angeld geleistet worden sind, in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts
Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des
Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens – ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung – und als
solche nicht als steuerbare Leistungsentgelte anzusehen sind. Dieses Urteil, betrifft ebenfalls die Konstellation des Streitfalls:
Der Leistungsschuldner (ein Hotel) unterließ die versprochene Dienstleistung (Beherbergung) im Interesse bzw. zu Gunsten des
Leistungsgläubigers (Gast) und erhielt deshalb von diesem das Angeld (Stornogebühr) als Entschädigung bzw. durfte dieses einbehalten.
Dem EuGH-Urteil (Rn. 23 ff.) ist zu entnehmen, dass die bloße Leistungsbereitschaft grundsätzlich keine sonstige Leistung
darstellt, die in Zusammenhang mit der erhaltenen Entschädigungszahlung steht, weil sich die Leistungsbereitschaft als Ausfluss
der Vertragstreue direkt aus dem zugrunde liegenden Vertrag ergibt.
Nach Ansicht von Nieskens liegt dagegen der Ausnahmefall, dass die Leistungsbereitschaft als solche die geschuldete Leistung
darstellt, in der Regel vor, wenn die Leistungsbereitschaft unabhängig davon honoriert wird, ob und in welchem Umfang eine
tatsächliche Inanspruchnahme erfolgt (vgl. Nieskens, in Rau/Dürrwächter, Komm. UStG, § 1 Anm. 534, Leistungs-ABC, Stichwort
Leistungsbereitschaft-Annahmeverzug, S. 117).
So verhält es sich im Streitfall indes nicht; abzurechnen waren nämlich die „durch die Vertragserfüllung” verursachten Selbstkosten
(§ 5 Nr. 2 IT-Dienstleistungsvertrag). Es steht außer Frage, dass die bis 31. Dezember 2001 vereinbarte Gesamtvergütung in
Höhe von … DM p.a. nicht für die bloße Leistungsbereitschaft der Klägerin zu zahlen war. Auch hinsichtlich der für die Folgejahre
gemeinsam neu festzulegenden Vergütung lässt sich § 5 Nr. 2 IT-Dienstleistungsvertrag nicht entnehmen, dass für den Fall,
dass die Leistung tatsächlich nicht in Anspruch genommen wird, nunmehr die bloße Leistungsbereitschaft zu vergüten ist.
b) Aus dem EuGH-Urteil C-277/05 (Société thermale d'Eugénie-les-Bains) geht außerdem hervor, dass eine Entschädigung – wie
das Angeld – kein Entgelt für eine Dienstleistung darstellt und deshalb kein Bestandteil der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer
ist (Rn. 32). Der Charakter des Angelds als „pauschalierte Entschädigung” wurde vom EuGH aus dem französischen Zivilrecht
abgeleitet.
c) Im Streitfall muss für die Beurteilung des Entschädigungscharakters des Vergleichsbetrags nach dem hier deutschen Zivilrecht
das Leistungsstörungsrecht insgesamt in den Blick genommen werden.
aa) Geht das Unterlassen (die Beendigung) der Leistung auf die Verweigerung der (weiteren) Leistungsannahme durch den Leistungsgläubiger
– wie im Streitfall seitens der B-BKK – zurück, kann Gläubiger- bzw. Annahmeverzug vorliegen (§§ 293 ff. BGB). Zwar schließen
sich die Leistungsstörungen des Gläubigerverzugs und der Unmöglichkeit der Leistung grundsätzlich aus. Bei Verträgen, die
Fixcharakter haben, weil die Leistung nicht nachgeholt werden kann, besteht indes die Besonderheit, dass Gläubigerverzug und
die – dann vom Gläubiger zu vertretende – Unmöglichkeit zusammenfallen. Dies gilt für bestimmte Dauerschuldverhältnisse der
vorliegenden Art wie Dienstverträge, aber auch Mietverträge, z.B. wenn der Mieter die Mietsache nicht entgegennimmt (vgl.
Ernst, in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 293 Rn. 7-10; § 326 Rn. 66, 74, 80).
Im Streitfall stand aufgrund der beschlossenen Fusion der B-BKK mit der V-BKK zum 1. Januar 2003 und der im Hinblick hierauf
getroffenen Entscheidung, die Datenverarbeitungsleistungen ab diesem Jahr von dem Konkurrenzanbieter (I-GmbH) zu beziehen,
schon vor Abschluss des Vergleichs endgültig fest, dass die B-BKK die ISKV-Basisdienstleistung von der Klägerin in 2003 nicht
mehr in Anspruch nehmen wird. Dies hat die B-BKK gegenüber der Klägerin bereits im Kündigungsschreiben vom 16. Oktober 2002
zum Ausdruck gebracht.
Damit wäre ohne Abschluss des Vergleichs am 1. Januar 2003 durch die Nichtannahme der ISKV-Basisdienstleistung bzw. die Nichtvornahme
der erforderlichen Mitwirkungshandlung (Überspielung der zu verarbeitenden Daten) seitens der B-BKK Gläubigerverzug und „Teilunmöglichkeit”
der ISKV-Basisdienstleistung (der Zeit nach) zusammengefallen. Dies folgt daraus, dass die ISKV-Basisdienstleistung nicht
nachgeholt werden konnte, und die vorliegende Dienstleistungsverpflichtung i. S. von § 611 BGB deshalb eine Fixschuld ist
(Müller-Glöge, in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 611 Rn. 15).
Rechtsfolge wäre gewesen, dass der Klägerin in Bezug auf die Leistung (ISKV-Basisdienstleistung) die Einrede des § 275 BGB
zugestanden hätte. Dabei hätte sie jedoch gem. § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung behalten, „wie wenn
sie tatsächlich erfüllt hätte”. Sie hätte sich allerdings – was im Zuge der Vergleichsverhandlungen auch geschehen ist (vgl.
Abschnitt B. II, Ziff. 1 des Vergleichs) – dasjenige anrechnen lassen müssen, was sie infolge der Befreiung von der Leistung
erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 326 Abs. 2
Satz 2 BGB). § 275 und § 326 BGB dienen auch der Umsetzung des Unionsrechts (Richtlinie 1999/44 EG vom 25. Mai 1999, ABl.
EG Nr. L 171, S. 12). Eine Spezialregelung zu § 326 Abs. 2 BGB findet sich für Dienstverträge in § 615 BGB. Damit hätte die
B-BKK der Klägerin gem. § 326 Abs. 2, § 615 BGB auch ohne Abschluss des Vergleichs eine Entschädigung in Höhe des Vergleichsbetrags
zahlen müssen.
Wenn die Leistung aufgrund Annahmeverzugs des Leistungsgläubigers bereits unmöglich war, als der zugrundeliegende Vertrag
(Fixgeschäft) einvernehmlich aufgelöst wurde, weil z.B. laufende (nicht nachzuholende und auch nicht unabhängig von ihrer
Erbringung zu vergütende) Datenverarbeitungs-, Beratungs- oder andere Dienstleistungen bereits endgültig nicht mehr in Anspruch
genommen wurden oder weil der Mieter schon endgültig (etwa unter Mitnahme seiner Möbel) aus der Wohnung ausgezogen war, ist
kein Raum mehr für einen (entgeltlichen) Verzicht auf die Leistungserbringung. Auf eine unmögliche Leistung bzw. eine unmögliche
weitere Vertragsdurchführung kann nicht verzichtet werden.
Nach Auffassung des Senats kann dies nicht anders gesehen werden, wenn – wie im Streitfall – bereits vor und ungeachtet des
Zustandekommens der einvernehmlichen Vertragsauflösung (des Vergleichs) aufgrund der gegebenen Umstände endgültig feststand,
dass der Leistungsgläubiger (B-BKK) die vereinbarte Dienstleistung nicht mehr in Anspruch nehmen wird und damit der Eintritt
der Unmöglichkeit und die Verwirklichung der § 326 Abs. 2 und § 615 BGB bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung unmittelbar
bevorstand.
Zwar begründen weder § 326 Abs. 2 Satz 1 noch § 615 Satz 1 BGB einen Schadensersatzanspruch (Ernst, in Münchener Kommentar
zum BGB, § 326 Rn. 87; Henssler, in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 615 Rn. 1). Dennoch haben diese Vorschriften
Kompensationscharakter, indem nach ihnen die sich durch die Unmöglichkeit der Leistung bzw. den Annahmeverzug als vergeblich
erweisenden Aufwendungen zu ersetzen sind. Im Unterschied zu den sich aus dem (nicht leistungsgestörten) Vertrag und aus dem
Gesetz ergebenden (ungeschmälerten) Gegenleistungsansprüchen (wie § 433 Abs. 2, § 535 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 631 Abs. 1 etc.
BGB) ergeben sich bei den Ersatzansprüchen gem. § 326 Abs. 2 und § 615 BGB die Anrechnungspflichten des Anspruchsinhabers
allein aus dem Gesetz (§ 326 Abs. 2 Satz 2; § 615 Satz 2 BGB).
Die das Entgelt ersetzenden Ansprüche gem. §§ 326 Abs. 2, 615 BGB sind damit in umsatzsteuerlicher Hinsicht insofern mit „echtem”
Schadensersatz zu vergleichen, als sie nicht mit einer Leistung des Leistungsschuldners innerlich verknüpft sind; sie beruhen
vielmehr darauf, dass die Unmöglichkeit der aus dem ursprünglichen Vertrag geschuldeten Leistung von dem in Annahmeverzug
geratenen Leistungsgläubiger zu vertreten ist. Die Zahlung erfolgt dann nicht für eine Leistung, sondern trotz Unterlassens
der Leistung. Diesem Umstand wird im Streitfall durch die Bezeichnung des Vergleichsbetrags im Vergleich (unter B. II, Ziff.
2) als „Vergütung für nicht erbrachte Leistung bzw. Schadensersatz” Rechnung getragen.
bb) Geht dagegen – in der umgekehrten Konstellation – das Unterlassen (die Beendigung) der Leistung auf vom Leistungsschuldner
zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung oder auf Erfüllungsverweigerung des Leistungsschuldners zurück, kann der Leistungsgläubiger
unter den Voraussetzungen des § 283 oder § 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung (früher Schadensersatz wegen Nichterfüllung)
verlangen (vgl. Ernst, in Münchener Kommentar zum BGB, § 281 Rn. 1).
In dieser Fallgruppe ist nach der BFH-Rechtsprechung ein Leistungsaustausch bereits im Hinblick darauf zu verneinen, dass
die Ansprüche gem. §§ 281, 283 BGB solche auf „echten” Schadensersatz sind (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1970 V R 52/67,
BStBl II 1971, 38). Dies lässt sich bei vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit (§ 283 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB) damit
begründen, dass der Gläubiger wegen der Unmöglichkeit keinen Anspruch auf die Vertragserfüllung hat, auf den er gegen Entgelt
hätte verzichten können (Nieskens, in Rau/Dürrwächter, Komm. UStG, § 1 Anm. 534, Leistungs-ABC, Stichwort Unmöglichkeit der
Leistung).
Bei Erfüllungsverweigerung durch den Leistungsschuldner unterliegt es bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 281 BGB der
Disposition des Gläubigers, ob er seinen Anspruch inhaltlich von der Erfüllung auf den Ersatzgegenstand Schadensersatz umstellt
(Ernst, in Münchener Kommentar zum BGB, § 281 Rn. 73). Verlangt er statt der ursprünglich geschuldeten Sachleistung (z.B.
einer Dienstleistung) einen Geldbetrag, liegt Schadensersatz vor. Verweigert also z.B. – umgekehrt zum Streitfall – der Schuldner
von Datenverarbeitungsleistungen ernsthaft und endgültig die weitere Erbringung der Leistung (§ 281 Abs. 2 BGB), so dass die
Voraussetzungen eines Anspruchs des Gläubigers auf Schadensersatz statt der Leistung vorliegen, ist in einem Vergleich, mit
dem der Gläubiger auf die weitere Datenverarbeitung gegen Abfindungszahlung verzichtet, nur noch eine Vereinbarung über die
bloße Höhe des Schadensersatzes zu sehen.
d) Aus dem EuGH-Urteil C-277/05 (Société thermale d'Eugénie-les-Bains) geht nicht hervor, ob der EuGH auch dann einen Leistungsaustausch
gem. Art. 2 Nr. 1 Richtlinie 77/388/EWG verneinen würde, wenn die Zahlung einer (pauschalen) Entschädigung nicht – wie im
Urteilsfall – für den Fall der Aufhebung des Vertrags durch Rücktritt einer Vertragspartei bereits im ursprünglich abgeschlossenen
Vertrag vereinbart war (ähnlich einer Vertragstrafe), sondern die Entschädigung – wie im Streitfall – in einem später abgeschlossenen
gesonderten Vertrag (Vergleich) vereinbart wird, durch den der ursprüngliche Vertrag ebenfalls (teilweise) aufgehoben wird.
Nach Auffassung des erkennenden Senats sind diese Fälle gleich zu behandeln. Auch ist sowohl bei einseitiger Vertragsaufhebung
(durch Rücktritt oder Kündigung) als auch bei einvernehmlicher vorzeitiger Vertragsaufhebung (z.B. durch Vergleich) grundsätzlich
davon auszugehen, dass eine im Hinblick hierauf von der an der Vertragsaufhebung interessierten Partei an die andere Partei
gezahlte Abfindung Entschädigungscharakter hat, was einem Leistungsaustausch entgegensteht.
Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Leasing wird im Hinblick auf das Vorliegen eines Leistungsaustauschs
keine Unterscheidung zwischen der einseitigen und der einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung des Leasingvertrags getroffen.
Hiernach sind Schadensersatzleistungen, die der Leasingnehmer nach einer von ihm schuldhaft veranlassten außerordentlichen
Kündigung des Leasingvertrages zu erbringen hat, ohne Umsatzsteuer zu berechnen, weil ihnen eine steuerbare Leistung nicht
gegenübersteht und der Leasinggeber deshalb Umsatzsteuer auf sie nicht zu entrichten hat. Nichts anderes gilt für den leasingtypischen
Ausgleichsanspruch des Leasinggebers, der auf Ausgleich seines noch nicht amortisierten Gesamtaufwandes zum Zeitpunkt einer
ordentlichen Kündigung, einer nicht durch den Leasingnehmer schuldhaft veranlassten außerordentlichen Kündigung oder einer
einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung des Leasingvertrages gerichtet ist (BGH-Urteil vom 14. März 2007 VIII ZR 68/06, BFH/NV
2007, Beilage 3, 316; ebenso Urteil Niedersächsisches FG vom 2. Dezember 2010 5 K 224/09, EFG 2011, 1020; Probst, in Hartmann/Metzenmacher,
Komm. UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rn. 310). Zu Recht wird hierbei nicht erwogen, dass eine steuerbare Leistung des Schuldners
(Leasinggebers) darin bestehen könnte, dass er auf die Erbringung der von ihm geschuldeten Leistung verzichtet (oder verzichten
muss) (vgl. Reiß, UR 2008, S. 58, 67).
Einem Leistungsaustausch steht damit im Ergebnis sowohl die Ersetzung des ursprünglichen Anspruchs auf die (Sach-, Natural-)Leistung
durch die Schadensersatzansprüche gem. §§ 281, 283 BGB als auch – wie im Streitfall – die Ersetzung des ursprünglichen Anspruchs
auf das Entgelt durch die Ansprüche gem. §§ 326 Abs. 2, 615 BGB entgegen.
Damit liegt – abgesehen von dem speziellen Aspekt des Zusammenfallens von Unmöglichkeit und Annahmeverzug – der Streitfall
genauso wie der vom BFH mit Urteil vom 27. August 1970 V R 159/66 (BStBl II 1971, 6) entschiedene Fall, in dem ein Unternehmer
im Rahmen eines ursprünglich abgeschlossenen Werklieferungsvertrags (§ 651 BGB), also eines Vertrags ohne Fixcharakter, auf
die Abnahme seiner Leistung im Einvernehmen mit dem Besteller verzichtet hat. Der BFH hat eine entgeltliche (sonstige) Leistung
„Verzichtsleistung”) des Unternehmers im Hinblick darauf verneint, dass dieser sich mit dem Abänderungsvertrag lediglich seinen
vertraglichen Gegenleistungsanspruch „gesichert” und diesen Anspruch nach dem Gesichtspunkt des § 649 Satz 2 BGB ermäßigt
hat (d.h. – wie bei §§ 326 Abs. 2 Satz 2, 615 Satz 2 BGB – unter Anrechnung dessen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags
erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat) (sog.
Schiffsbauurteil, vgl. Nieskens, in Rau/Dürrwächter, Komm. UStG, § 1 Anm. 534, Leistungs-ABC, Stichwort Verzicht; vgl. auch
BFH-Urteil vom 30. Juni 2010 XI R 22/08, BStBl II 2010, 1084, Rn. 19 ebenfalls zu § 649 Satz 2 BGB).
Entsprechend verhält es sich auch im Streitfall in Hinsicht auf den Vergleich, durch den der IT-Dienstleistungsvertrag abgeändert
wurde, und die im Vergleich (unter B. II, Ziff. 1) vereinbarte Ermäßigung des Gegenleistungsanspruchs der Klägerin nach dem
Gesichtspunkt der § 326 Abs. 2 Satz 2 und § 615 Satz 2 BGB.
e) Deshalb bezogen sich im Streitfall die in der Vorbemerkung zum Vergleich (unter Abschnitt A.) angeführten unterschiedlichen
Auffassungen unter den Parteien über die Wirksamkeit und Folgen der Erklärungen im Kündigungsschreiben der B-BKK vom 16. Oktober
2002 und entsprechend das „gegenseitige Nachgeben” (vgl. Abschnitt B. II, Ziff. 1 und 2 des Vergleichs) nur auf die Höhe der
der Klägerin ohnehin gem. § 326 Abs. 2 und § 615 BGB zustehenden Ersatzansprüche bzw. der hiernach auf die Gesamtvergütung
anzurechnenden Beträge. Über das Bestehen der Ersatzansprüche dem Grunde nach gab es zwischen den Vertragsparteien keine unterschiedliche
Beurteilung oder Unsicherheit, die durch den Vergleich bereinigt werden musste (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1998 V R
58/97, BFH/NV 1999, 987).