09.08.2013
Finanzgericht München: Urteil vom 16.04.2013 – 2 K 990/10
1. Die Umsätze aus der Tätigkeit als Klauenpfleger unterliegen nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG.
Die Klauenpflege dient allenfalls mittelbar der Förderung der Tierzucht und genügt damit nicht dem Unmittelbarkeitserfordernis
der Vorschrift.
2. Für die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ist es nicht ausreichend, dass die Klauenpflege eine Maßnahme zur
Erhaltung oder Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere unter Berücksichtigung der Tiergesundheit i. S. v. § 1 Abs. 2
Nr. 1 TierZG darstellt.
3. Eine Steuersatzermäßigung für Klauenpflegeleistungen lässt sich auch nicht dadurch erreichen, dass sich der Unternehmer
unmittelbar auf Art. 98 MwStSystRichtlinie 112/2006/EG i. V. m. Anhang III Kategorie 11 beruft. Da die MwStSystRL den Mitgliedstaaten
insoweit aber nur eine entsprechende Möglichkeit eröffnet, aber keine Pflicht auferlegt, ist es unschädlich, wenn bestimmte
Dienstleistungen nach deutschem Recht nicht von der Steuerermäßigung erfasst werden.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 2. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht
… und die Richterin am Finanzgericht …, sowie die ehrenamtlichen Richter … und … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom
16. April 2013 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Umsätze aus der Tätigkeit als Klauenpfleger dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
Der Kläger erzielte im Streitjahr steuerpflichtige Umsätze aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Klauenpfleger und der
Betreuung von Kleinkläranlagen.
Mit seiner Umsatzsteuererklärung 2007 erklärte er Umsätze zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von … EUR. In diesem Betrag sind
Leistungen im Zusammenhang mit der Betreuung von Kleinkläranlagen in Höhe von … EUR und Umsätze aus der Klauenpflege in Höhe
von … EUR enthalten, für die in den Rechnungen eine Steuer von 19 % ausgewiesen wurde. Die übrigen Umsätze aus Klauenpflegeleistungen
in Höhe von … EUR erklärte er als Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von 7 % und meldete eine zu zahlende Steuer von …EUR an.
Davon abweichend legte der Beklagte (das Finanzamt) der Besteuerung der Umsätze aus der Klauenpflege in Höhe von … EUR den
allgemeinen Steuersatz von 19 % zu Grunde. Mit Umsatzsteuerbescheid vom 27. Oktober 2008 und Änderungsbescheid vom 22. Dezember
2009 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 2007 auf … EUR fest und ging dabei für die Versteuerung der streitgegenständlichen
Klauenpflegeleistungen von einer Bemessungsgrundlage von … EUR aus (vgl. Bl. 46 der Rechtsbehelfsakte).
Mit Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2010 wurde der Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzug für 2007 als unbegründet
zurückgewiesen und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben, weil die Klauenpflege nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht
diene und auch keine Nebenleistung zu einer begünstigten Leistung sei.
Mit seiner Klage bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass die Leistungen der Klauenpflege unmittelbar der Tierzucht und
der Milchwirtschaft dienten. Die Klauenpflege sei erforderlich zur Erreichung der in § 1 Abs. 2 des Tierzuchtgesetzes (TierZG)
genannten Ziele der Förderung der Tierzucht. Ohne eine fachgerechte Klauenpflege, so wie es das TierZG vorschreibe, gebe es
auch keine Tierzucht. Sie werde zu 99 % in Milchkuhherden ausgeführt, welche zur Nachzucht durch die Kreuzungs- und Auslesezucht,
zur Bestandsergänzung im eigenen Betrieb und für fremde Betriebe und zur Verbesserung des Leistungspotenzials der Milchviehherden
bestimmt seien. Bei einer Milchkuhherde handle es sich deshalb um eine Zuchtherde und nicht um eine Nutztierhaltung. Aus den
vorgelegten Auszügen aus dem landwirtschaftlichen Wochenblatt gehe hervor, dass die Klauenpflege in der Milchwirtschaft
und in der Viehzucht rein aus gesundheitlichen Gründen erfolge und eine unerlässliche Maßnahme darstelle, die direkt am Tier
zu erbringen sei.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Umsatzsteueränderungsbescheids vom 22. Dezember 2009 und der Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2010,
die Umsatzsteuer für 2007 auf … EUR festzusetzen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen
und nimmt hierzu auf die Einspruchsentscheidung Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts und
die von den Beteiligten im Verfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug
genommen.
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Das Finanzamt hat die streitgegenständlichen Umsätze des Klägers aus Klauenpflegeleistungen zu Recht dem allgemeinen Steuersatz
von 19 % nach § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) unterworfen.
1. Die Steuer für die Klauenpflegeleistungen des Klägers ermäßigt sich nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG auf 7 %.
a) Nach dieser Vorschrift gilt eine Steuerermäßigung für Leistungen, die unmittelbar der Vatertierhaltung, der Förderung der
Tierzucht, der künstlichen Tierbesamung oder der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft
dienen.
Mit der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG hat der Gesetzgeber von der durch Art. 98 der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL)
i.V.m. Anhang III Kategorie 11 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen ermäßigten Steuersatz auf Leistungen anzuwenden,
die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind.
Die in § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG normierte „Unmittelbarkeit des Dienens” bezieht sich nicht nur auf die Vatertierhaltung, sondern
auch auf die weiteren Tatbestände dieser Vorschrift. Die Unmittelbarkeit als Voraussetzung der Steuerermäßigung ist nur gegeben,
wenn der begünstigte Zweck durch die im Einzelfall vorliegende Leistung selbst gefördert oder verwirklicht
wird. Alle Leistungen, die nicht selbst den begünstigten Zweck erreichen, sondern eine hierauf gerichtete Leistung erst vorbereiten
oder lediglich begünstigen, erfüllen nicht die Voraussetzung der unmittelbaren Förderung. Solche Leistungen sind nicht zwingend
zur Erfüllung des begünstigten Zwecks erforderlich und fördern den Zweck nur indirekt und mittelbar. Dabei wird es sich regelmäßig
um solche Leistungen handeln, die zwar dem Förderungszweck zugute kommen, bei denen aber der Förderungszweck nicht im Vordergrund
steht (vgl. Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 18. Dezember 1996 XI R 19/96, BFHE 181, 544, BStBl II 1997, 334). Da die Vorschrift
des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG eine Ausnahme von dem allgemeinen regulären Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG darstellt, ist sie
eng auszulegen (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. Januar 2001 Rs. C-83/99, Slg. 2001, I-445, Rn.
19).
b) Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen fallen die Klauenpflegeleistungen des Klägers nicht unter die Steuerermäßigung
nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG.
Da die Klauenpflege unmittelbar weder der Vatertierhaltung noch der künstlichen Tierbesamung oder der Leistungs- und Qualitätsprüfung
in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft dient, kommt im Streitfall von den in § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG aufgeführten Ermäßigungstatbeständen
allenfalls eine Steuerermäßigung wegen Förderung der Tierzucht in Betracht.
Die Klauenpflege dient aber auch nicht unmittelbar, sondern allenfalls mittelbar der Förderung der Tierzucht. Leistungen,
die nur mittelbar die Tierzucht fördern, sind nicht begünstigt.
Unter Tierzucht sind Maßnahmen zu verstehen, die der Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials
der landwirtschaftlichen Nutztiere dienen (vgl. Urteile des Sächsischen Finanzgerichts vom 10. Mai 2005 3 K 2406/03, EFG 2005,
1978; und des Finanzgerichts Münster vom 6. Oktober 2009 – 15 K 1318/05 U, EFG 2011, 1107; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG,
Rz. 19 zu § 12 Abs. 2 Nr. 4). Die Tierzucht bezweckt die Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere unter
Berücksichtigung der Vitalität, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der tierischen Erzeugung, die Überprüfung der qualitativen
Anforderungen der von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse und die Erhaltung einer genetischen Vielfalt (vgl. BFH-Urteil vom
18. Dezember 1996 XI R 19/96, BFHE 181, 544, BStBl II 1997, 334).
Für die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ist es nicht ausreichend, dass die Klauenpflege eine Maßnahme zur Erhaltung
oder Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere unter Berücksichtigung der Tiergesundheit im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1
TierZG darstellt (vgl. Beck OK Weymüller/Müller, Rn. 60.3 zu § 12 Abs. 2 Nr. 4, sowie Huschens in Pflückebaum-Malitzky, UStG,
Rz. 25 zu § 12). Aus dem Urteil des BFH vom 18. Dezember
1996 XI R 19/96 kann nicht gefolgert werden, dass jegliche Maßnahme zur Erhaltung oder Verbesserung der Leistungsfähigkeit
der Tiere steuerermäßigt ist. Voraussetzung ist vielmehr des Weiteren, dass eine Maßnahme unmittelbar der Förderung der Tierzucht
dient.
Dies ist bei der Klauenpflege nicht der Fall. Es handelt sich hierbei um eine allgemeine Gesundheitsmaßnahme im Rahmen der
Nutztierhaltung. Sie dient der Förderung der Hygiene und damit der Vorbeugung von Krankheiten. Bei allen – besonders den im
Stall gehaltenen – Rindern ist regelmäßig oder bei Bedarf – auch aus Gründen des Tierschutzes – eine fachgerechte Klauenpflege
durchzuführen. Sie hat aber keinen tierzuchtspezifischen Bezug auf die Feststellung und Herausbildung des Leistungspotenzials
der Rinder.
Daran ändert auch nichts der Umstand, dass, wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Klauenpflege für
ein gutes „Fundament” der Kühe erforderlich ist, welches ein Auswahlkriterium für die Tierzucht ist.
Die Klauenpflege kommt damit zwar der Förderung der Tierzucht zugute, der Förderungszweck steht aber nicht im Vordergrund.
Selbst tierärztliche Leistungen, wie z. B. Trächtigkeitsuntersuchungen, Maßnahmen der Unfruchtbarkeitsbekämpfung, Kaiserschnitt,
oder Geburtshilfe, die bei Zuchttieren durchgeführt werden, dienen nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht und unterliegen
dem allgemeinen Steuersatz (vgl. Abschn. 12.3. Abs. 1 Satz 3 UStAE). Es kommt deshalb für die Steuerermäßigung nach § 12 Abs.
2 Nr. 4 UStG auch nicht darauf an, ob die Leistungen unmittelbar am Tier vorgenommen werden.
Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger vorgelegten Zeitungsartikeln und fachlichen Auskünften. Ein unmittelbarer Zusammenhang
zwischen Klauenpflege und Förderung der Tierzucht wird darin nicht hergestellt. Der Kläger bringt vielmehr selbst vor, dass
die Klauenpflege in der Viehzucht rein aus gesundheitlichen Gründen erfolgt und abhängig von Stallhygiene und der Beschaffenheit
der Stallböden ist.
c) Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger seine Klauenpflegeleistungen an Zuchttieren (Rindern) erbracht hat, die einem
zur Vermehrung bestimmten Bestand angehört haben (vgl. Abschn. 12.3. Abs. 3 Sätze 2 und 4 UStAE).
2. Der Kläger kann sich auch nicht zu seinen Gunsten unmittelbar auf Art. 98 der MwStSystRL i.V.m. Anhang III Kategorie 11
berufen.
Diese Vorschrift ist zwar weiter gefasst als die deutsche Regelung, indem die Mitgliedstaaten für sämtliche Dienstleistungen,
die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, einen ermäßigten Steuersatz anwenden
können. Danach könnte
auch für eine Klauenpflegeleistung, die in der Regel im Rahmen einer landwirtschaftlichen Erzeugung erbracht wird, grundsätzlich
ein ermäßigter Steuersatz eingeführt werden.
Da die MwStSystRL den Mitgliedstaaten insoweit aber nur eine entsprechende Möglichkeit eröffnet, aber keine Pflicht auferlegt,
ist es unschädlich, wenn bestimmte Dienstleistungen nach deutschem Recht nicht von der Steuerermäßigung erfasst werden, obwohl
dies nach Art. 98 der MwStSystRL i.V.m. Anhang III Kategorie 11 denkbar wäre (vgl. Beck OK Weymüller/Müller, Rn. 13 zu § 12
Abs. 2 Nr. 3).
Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, für sämtliche Leistungen einer Kategorie oder eines Begriffs des Anhangs III
der MwStSystRL denselben Steuersatz anzuwenden. Der nationale Gesetzgeber darf von der Möglichkeit, auf Dienstleistungen einen
ermäßigten Steuersatz anzuwenden, einen selektiven Gebrauch machen, wenn die nationale Regelung insoweit den in der Richtlinie
vorgegebenen Rahmen nicht überschreitet (vgl. BFH-Beschluss vom 17. November 2009 XI B 2/09, BFH/NV 2010, 480, und BFH-Urteil
vom 6. Dezember 2012 V R 36/11, juris).
3. Schließlich kommt für die streitgegenständlichen Umsätze auch keine Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG in Betracht.
Der Kläger hat weder die Aufzucht noch das Halten fremden Viehs gegen Entgelt übernommen. Die Leistungen des Klägers können
deshalb auch keine Nebenleistung zu einer entsprechenden steuerermäßigten Hauptleistung sein.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.