20.07.2012
Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 27.04.2012 – 2 K 19/11
Die rückwirkende gesetzliche Einführung eines formalisierten Nachweises für bestimmte Arten von Heilmaßnahmen und medizinischen Hilfsmittel ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Kosten als außergewöhnliche Belastung, die dem Kläger durch einen Kuraufenthalt entstanden sind.
Der Kläger ist zu 100% schwerbehindert mit den Merkzeichen ..., ... und ... Er leidet unter anderem an einem ... Sein Hausarzt verordnete ihm am ... 2009 eine „offene Bade-Kur aus ... Indikation.” Der Kläger beantragte bei seiner Beihilfestelle die Genehmigung der offenen Badekur. Diese wies ihn mit Schreiben vom ... 2009 darauf hin, dass die Durchführung einer offenen Badekur nicht vorgenehmigungspflichtig sei und eine Beihilfe für Unterkunft und Verpflegung nicht gewährt werden könne. Ärztlich verordnete Heilanwendungen und Heilmittel seien beihilfefähig. Vom ... bis zum ... 2009 führte der Kläger eine offene Badekur in A auf ... durch.
Er erzielte im Jahr 2009 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Versorgungsempfänger und Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seiner Einkommensteuererklärung 2009 vom ... 2010 machte der Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt ... € geltend. Darin sind Fahrtkosten in Höhe von ... € und Kosten für die offene Badekur in A in Höhe von insgesamt ... € enthalten. Letztere setzen sich zusammen aus einem Eigenanteil für Therapieaufwendungen (... €), Unterkunftskosten (... €), Verpflegungspauschalen (... €), den Kosten einer Fahrt zum Arzt in A (... €) und den Kosten einer Reiserücktrittsversicherung (... €).
Mit Einkommensteuerbescheid 2009 vom ... 2010 setzte der Beklagte Einkommensteuer in Höhe von ... € fest. Er ging dabei von einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von ... € aus und erkannte außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt ... € an. Von den geltend gemachten Fahrtkosten sind ... € und von den Kosten der offenen Badekur sind ... € (Eigenanteil für Therapieaufwendungen und Kosten der Arztfahrt) in diesem Betrag enthalten. Die berücksichtigten außergewöhnlichen Belastungen wirkten sich aber nicht steuerlich aus, weil sie unter dem Betrag der zumutbaren Belastung in Höhe von ... € (6 % von ... €) lagen.
Der Kläger legte dagegen am ... 2010 Einspruch ein und begehrte, die geltend gemachten Fahrtkosten sowie die Kosten für die offene Badekur vollständig anzuerkennen. Die Kurkosten stellten eine außergewöhnliche Belastung für ihn dar. Seine private Krankenversicherung schließe keine Leistungen für Anreise, Unterkunft und Verpflegung der offenen Badekur ein. Auch die Beihilfe übernehme diese Kosten nicht. Bei der Badekur habe es sich um eine therapeutische Maßnahme gehandelt, die eine Verschlimmerung seiner Krankheiten verhindern und die Beschwerden habe lindern sollen. Sie sei medizinisch notwendig gewesen. Aufgrund seiner ... sei ein Aufenthalt in einer heilklimatischen Umgebung sinnvoll gewesen. Der Hausarzt kenne seine Krankheiten und könne die medizinische Indikation objektiv beurteilen. Eine entsprechende Verordnung einer offenen Badekur im Jahr 2007 sei vom Beklagten problemlos akzeptiert wurden. Auf die Idee, zusätzlich ein amtsärztliches Attest beizubringen, sei er auf Grund der Erfahrungen in 2007, der Gegebenheiten der Beihilfe und der Krankenkasse, der Verordnung der offenen Badekur bei vorhandener medizinischer Indikation und seinen aktuellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht gekommen.
Mit Einspruchsentscheidung vom ... 2011 setzte der Beklagte die Einkommensteuer erneut auf ... € fest. Er erkannte die geltend gemachten Fahrtkosten nunmehr in voller Höhe an und berücksichtigte demgemäß insgesamt außergewöhnliche Belastungen in Höhe von ... €. Diese wirkten sich aber wiederum steuerlich nicht aus, weil sie unter der zumutbaren Belastung von ... € blieben. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten der offenen Badekur seien nicht über die anerkannten Beträge hinaus als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Die medizinische Notwendigkeit dieser Maßnahme sei nicht - wie von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) gefordert - durch ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachgewiesen worden. Der Sachverhalt sei im Jahr 2009 neu zu beurteilen, so dass sich der Kläger nicht darauf berufen könne, dass im Veranlagungszeitraum 2007 Kosten für eine offene Badekur anerkannt worden seien.
Der Kläger hat am ... 2011 Klage erhoben. Der BFH habe seine bisherige Rechtsprechung mit Urteil vom 11. November 2010 (VI R 17/09) aufgegeben und fordere nun nicht mehr den formalisierten Nachweis der medizinischen Indikation durch Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens. Die vorherige Rechtsprechung habe dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 96 Absatz 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) widersprochen. Welche Beweismittel dem Steuerpflichtigen zur Verfügung stünden, sei danach unerheblich.
Die Verordnung der offenen Badekur sei aufgrund des Krankheitsverlaufs medizinisch indiziert gewesen. Dies könne durch ein Sachverständigengutachten bewiesen werden. Mit dem rein formalen Argument des Beklagten könne die Ablehnung der Anerkennung der geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht aufrechterhalten bleiben. Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 eingeführte neue Rechtslage widerspreche der Entscheidung des BFH und sei eine rein willkürliche Regelung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über Einkommensteuer für 2009 vom ... 2010 und die Einspruchsentscheidung nebst Änderungsbescheid vom ... 2011 dahingehend abzuändern, dass die Kosten für eine offenen Badekur in Höhe von ... € als außergewöhnliche Belastung bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens in Abzug gebracht werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung darauf, dass das vom Kläger genannte Urteil des BFH nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei. An der Verwaltungsauffassung werde festgehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Akten des Beklagten (Einkommensteuerakten, Rechtsbehelfsakten) Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 vom ... 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2011 ist rechtmäßig.
Der Beklagte hat zu Recht die geltend gemachten Kosten für die vom Kläger durchgeführte offenen Badekur nicht über den berücksichtigten Betrag in Höhe von ... € (Eigenanteil für Therapieaufwendungen und Kosten der Arztfahrt) hinaus als außergewöhnlich Belastung im Sinne von § 33 EStG anerkannt. Die nicht berücksichtigen Aufwendungen des Klägers für Unterkunft (... €), Verpflegungspauschalen (... €) und Reiserücktrittsversicherung (... €) in Höhe von insgesamt ... € stellen keine außergewöhnliche Belastung dar.
Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 05. Oktober 2011 VI R 49/10, BFV/NV 2012, 33).
Insbesondere Krankheitskosten erwachsen einem Steuerpflichtigen im Sinne dieser Vorschrift regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel gemacht werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Abziehbar sind derartige Aufwendungen nur, wenn es sich um unmittelbare Krankheitskosten handelt (vgl. BFH-Urteil vom 07. Juni 2000 III R 54/98, BStBl II 2001, 94).
Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der BFH bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, wie regelmäßig auch bei Kurmaßnahmen (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 1995 III R 52/93, BStBl II 1995, 614, 616, und vom 08. Juli 1994 III R 48/93, BFH/NV 1995, 24, 25, m. w. N.), verlangte der BFH diesen oder einen vergleichbaren (vgl. BFH-Urteil vom 02. April 1998 III R 67/97, BStBl II 1998, 613) formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung (oder einem vergleichbaren Zeugnis) zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der BFH jedoch seit dem Urteil vom 11. November 2010 (VI R 17/09, BStBl II 2011, 969) nicht länger fest (vgl. etwa auch BFH-Urteil vom 05. Oktober 2011 VI R 49/10, BFV/NV 2012, 33).
Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01. November 2011 (BGBl. I 2011, 2131) hat der Gesetzgeber auf diese Rechtsprechungsänderung reagiert und für bestimmte Arten von Heilmaßnahmen - u. a. für Bade- oder Heilkuren - sowie medizinische Hilfsmittel ein formalisiertes Nachweisverfahren eingeführt. § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) wurde durch Art. 2 Nr. 7 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 dergestalt gefasst, dass der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für eine Bade- oder Heilkur durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu erbringen hat. Dieser Nachweis muss vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStDV). Zudem wurde durch Artikel 1 Nr. 19 Buchst. b des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 in § 33 EStG ein neuer Absatz 4 eingefügt. Darin wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des Nachweises von Aufwendungen nach § 33 Abs. 1 EStG zu bestimmen. Diese Änderungen traten am Tag nach ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt - am 05. November 2011 - in Kraft (Art. 18 Abs. 2 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011). § 84 Abs. 3f EStDV wurde durch Art. 2 Nr. 9 Buchst. d des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 zudem dergestalt gefasst, dass § 64 Abs. 1 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 in allen Fällen (rückwirkend) anzuwenden ist, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.
Die dargestellte Gesetzesänderung geht auf eine Prüfbitte des Bundesrates vom 04. März 2011 (BR-Drucks. 54/1/11, S. 12) zurück. Sie soll nach den Gesetzgebungsmaterialien die geltenden Verwaltungsanweisungen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten (R 33.4 EStR 2008) zur Aufrechterhaltung der bisherigen langjährigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis gesetzlich im Rahmen einer Rechtsverordnung festschreiben. Ziel dieser gesetzlichen Regelung sei es, den Steuerpflichtigen das Risiko einer Kostenbelastung in Folge einer falschen Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen zu ersparen. Auf diese Weise werde auch ein Beitrag zur Rechtssicherheit und -klarheit und damit auch die angestrebte Steuervereinfachung geleistet (vgl. BT-Drucks. 17/6146, S. 15). Die Anwendungsregelung in § 84 Abs. 3f EStDV stelle sicher, dass die Neuregelung in § 64 Abs. 1 EStDV in allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen zur Anwendung komme. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass die bisherige Rechtspraxis ohne zeitliche Lücke aufrechterhalten werde. Aus verfassungsrechtlicher Sicht handele es sich um eine zulässige echte Rückwirkung (vgl. BT-Drucks. 17/6146, S. 17).
Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 EStDV ist zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der streitgegenständlichen Aufwendungen des Klägers für seine offene Badekur (§ 33 Abs. 1 und 2 EStG) ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorher ausgestellte ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich. Diese Vorschrift ist vorliegend (rückwirkend) anwendbar, weil die Einkommensteuerveranlagung 2009 noch nicht bestandskräftig ist (§ 84 Abs. 3f EStDV). Einen solchen Nachweis hat der Kläger nicht erbracht und kann ihn nach den gesetzlichen Vorgaben auch nicht mehr nachträglich erbringen. Das vom Kläger angebotene Sachverständigengutachten zur medizinischen Notwendigkeit der offenen Badekur brauchte deshalb - unabhängig davon, ob das Nachweiserfordernis in § 64 Abs. 1 EStDV als materielle Tatbestandsvoraussetzung (so Geserich, FR 2011, S. 1067 <1072>) oder als Beschränkung auf bestimmte Beweismittel anzusehen ist - auf dieser gesetzlichen Grundlage nicht eingeholt zu werden.
Die neuen gesetzlichen Vorgaben sind zu beachten. Sie sind formell und materiell verfassungsgemäß.
Dafür, dass sie nicht in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren wirksam zustande gekommen sind, fehlt es an Anhaltspunkten.
Der Gesetzgeber war auch befugt, selbst die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zu ändern und musste dies - auf Grund der neuen Ermächtigung in § 33 Abs. 4 EStG - nicht der Bundesregierung überlassen. Der (Parlaments-) Gesetzgeber ist berechtigt, selbst Rechtsverordnungen zu ändern. Das dadurch entstehende Normgebilde ist aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren. Bei der Änderung von Verordnungsrecht ist der Gesetzgeber aber an das Verfahren nach § 76 ff. des Grundgesetzes (GG) und an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) gebunden. Ferner ist erforderlich, dass es sich um eine Anpassung handelt, die im Rahmen der - anderweitigen - Änderung eines Sachbereichs durch den Gesetzgeber liegt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 13. September 2005 2 BvF 2/03, BVerfGE 114, 196; BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 18/09, BStBl II 2012, 129). Die Einhaltung des Zitiergebotes des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ist in solchen Fällen entbehrlich (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 18/09, BStBl II 2012, 129).
Der Gesetzgeber hat mit § 33 Abs. 4 EStG eine hinreichende bestimmte Ermächtigungsgrundlage geschaffen, an deren Grenzen er sich mit den dargestellten Neuregelungen gehalten hat. Sie genügt den in Artikel 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG vorgegebenen Voraussetzungen zum Erlass von Rechtsverordnungen. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz selbst bestimmt sein. Dass es um die Einzelheiten des Nachweises von Aufwendungen nach § 33 Abs. 1 EStG geht, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 4 EStG. Darunter kann - insbesondere angesichts der früheren Rechtsprechung des BFH und der Verwaltungspraxis sowie der darauf bezogenen Gesetzesbegründung - auch der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen zur Heilung oder Linderung einer Krankheit durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sowie der Zeitpunkt der Einholung des Nachweises verstanden werden (vgl. FG Münster, Urteil vom 18. Januar 2012 11 K 317/09 E, juris; Geserich, FR 2011, S. 1067 <1072>). Zudem implementiert jede Verordnungsermächtigung die Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs einer darauf gestützten Neuregelung. Mithin braucht in ihr nicht ausdrücklich geregelt zu werden, dass eine Neuregelung auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden kann. Inwieweit dies verfassungsrechtlich zulässig ist, ist nicht am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG zu messen, sondern an den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Der Gesetzgeber hat sich mit den einschlägigen Änderungen von §§ 64 und 84 EStDV auch im Rahmen einer Änderung eines Sachbereichs bewegt. Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 wurden - gleichsam in einem Paket - mehrere Gesetze geändert, um in mehreren Punkten Steuererleichterungen zu erreichen (u. a. das Einkommensteuergesetz, die Abgabenordnung, das Umsatzsteuergesetz), etwa durch die Anhebung des sogen. Arbeitnehmer-Pauschbetrags, Änderungen zur Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten.
Das Erfordernis eines vor Ableistung einer Bade- oder Heilkur eingeholten amtsärztlichen Attestes oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung verstößt nicht gegen Grundrechte des Klägers. Darin liegt entgegen seiner Auffassung insbesondere kein Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Willkürverbot. Auf Grund der Neutralität und Unabhängigkeit von Amts- und Vertrauensärzten ist das Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten (vgl. Geserich, FR 2011, S. 1067 <1072>). Der im Gesetzgebungsverfahren angeführte Beitrag zur Rechtssicherheit und -klarheit ist naheliegend.
Ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes liegt nicht vor (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bedarf es besonderer Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändern, sind daher verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Belastende Steuergesetze dürfen ihre Wirksamkeit grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken; der Gesetzgeber darf daran nicht ungünstigere Folgen knüpfen als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind jedoch - ohne dass dies abschließend wäre - Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist. So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war. Dem Gesetzgeber ist unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erst recht nicht von Verfassungs wegen verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach. Besteht eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung und finanzbehördliche Praxis zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage, kann der Steuerpflichtige gegenüber einer rückwirkenden gesetzlichen Festschreibung dieser Rechtsanwendungspraxis grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen für sich reklamieren, wenn er eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertritt und seine Dispositionen an dieser abweichenden Auffassung ausrichtet (vgl. BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; BVerfG-Beschluss vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87, BVerfGE 81, 228).
In § 64 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. V. m. § 84 Abs. 3f EStDV ist eine echte Rückwirkung verankert, weil damit erstmalig und - wie im Fall des Klägers - mit Wirkung für in der Vergangenheit abgeschlossene Tatbestände ein formalisiertes Nachweiserfordernis für die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall gesetzlich festgelegt wurde. Diese Rückwirkung ist nach dem dargestellten Maßstab aber verfassungsrechtlich zulässig. Der Kläger konnte kein schützenswertes Vertrauen bilden, keinen formalisierten Nachweis zur medizinischen Notwendigkeit seiner offenen Badekur durch vorherige Einholung eines amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens leisten zu müssen, weil der Gesetzgeber mit § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a und Satz 2 EStDV eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben hat, die vor der Rechtsprechungsänderung durch den BFH einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (vgl. FG Münster, Urteil vom 18. Januar 2012 11 K 317/09 E, juris; a. A. Haupt, DStR 2011, 2443 <2446>; zweifelnd: Geserich, FR 2011, 1067 <1071>).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH war zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von bestimmten Aufwendungen die medizinische Indikation regelmäßig durch Vorlage eines zeitlich vor Entstehung der Aufwendungen erstellten amtsärztlichen oder vertragsärztlichen Gutachtens bzw. eines Attests eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers zu führen (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BStBl. II 1980, 295). Das galt insbesondere auch für die vorliegend zu beurteilende Fallgruppe von Kuren (vgl. etwa BFH-Urteile vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BStBl. II 1980, 295; vom 11. Dezember 1987, III R 95/83, BStBl II 1988, 257; vom 30 Juni 1995 III R 52/93 BStBl II 1995, 667). Diese Auffassung entsprach der Rechtsanwendungspraxis der Finanzverwaltung, vgl. R 33.4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2008/2009.
Diese Nachweisanforderungen galten auch für den vorliegend zu beurteilenden Veranlagungszeitraum 2009. Aus diesem Grund hatten Steuerpflichtige, bei denen es um die Beurteilung der Verhältnisse dieses Jahres gegangen ist, nie Anlass darauf vertrauen zu können, dass die medizinische Notwendigkeit von Aufwendungen für Kuren, die zu einer Abzugsfähigkeit als Krankheitskosten nach § 33 EStG führen sollten, anders als durch Vorlage von vor Beginn der Maßnahme erstellten amtsärztlichen Bescheinigungen oder Attesten eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers nachzuweisen waren. Der Kläger kann sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte bei der Veranlagung 2007 eine offene Badekur ohne einen solchen formalisierten Nachweis - zu Unrecht - anerkannt habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung sind die - auch gleichliegenden - Sachverhalte vom Finanzamt in jedem Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen, so dass der Steuerpflichtige - ohne eine besondere, förmliche Zusage - nicht auf eine gleichbleibende rechtliche Beurteilung vertrauen kann.
Die Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BFH vom 11. November 2010 (VI R 17/09, BStBl II 2011, 969) vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Dieses Urteil ist erst im Verlauf des Jahres 2011 veröffentlicht worden. Erst ab diesem Zeitpunkt kann überhaupt die Möglichkeit eines Vertrauens in eine Rechtsposition in Betracht kommen, die mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) anders geregelt worden ist. Ob in dieser Hinsicht das Rückwirkungsverbot und damit das Rechtsstaatsprinzip berührt ist, kann im Streitfall offen bleiben. Um eine solche Konstellation geht es nicht. Die hier zu beurteilenden Verhältnisse sind bereits vorher im Jahr 2009 verwirklicht worden (vgl. auch FG Münster, Urteil vom 18. Januar 2012 11 K 317/09 E, juris; BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).