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  • 15.05.2012

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 11.01.2012 – 2 K 1416/11

    1. Hat die zuständige Denkmalschutzbehörde die vom Steuerpflichtigen beantragte Bescheinigung nach den §§ 7i, 10f und 11b EStG als Grundlagenbescheid für den Einkommensteuerbescheid noch nicht erteilt, sondern bislang lediglich eine qualifizierte Eingangsbestätigung erstellt, so hat das FA bei Erlass des Einkommensteuerbescheids den vorläufigen Ansatz des beantragten Abzugsbetrags nach § 10f EStG im Wege der Schätzung nach § 155 Abs. 2 i. V. m. § 162 Abs. 5 AO zu prüfen, wenn nach den gesamten ersichtlichen Umständen vom Vorliegen nach §§ 7i, § 10f EStG begünstigter Aufwendungen sowie von der künftigen Erteilung der erforderlichen Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde auszugehen ist (im Streitfall: Sicherheitsabschlag von 10 % für solche Aufwendungen, die möglicherweise nicht die Voraussetzungen des § 7i EStG erfüllen).

    2. Innerhalb ihrer Schätzungsbefugnis hat die Finanzbehörde die Frage zu beantworten, ob sie die gesetzlichen Vorgaben eines Abzugsbetrags nach § 7i bzw. § 10f EStG vorläufig als gegeben ansieht. Falls sie mit ihrer Schätzung von der Steuererklärung abweichen will, muss sie auch insoweit überprüfbar darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden soll.

    3. Bei der qualifizierten Eingangsbestätigung handelt es sich um keine Bescheinigung i. S. d. § 7i Abs. 2 EStG.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 2. Senat unter Mitwirkung von … und … sowie den ehrenamtlichen Richtern … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 11. Januar 2012 für Recht erkannt:

    1. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 5. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2011 wird dahingehend geändert, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von EUR 22.032 zu berücksichtigen sind. Die Berechnung wird dem Beklagten aufgegeben.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 10% und der Beklagte 90%.

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe vor der Vollstreckung leisten.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darum, inwieweit der Beklagte verpflichtet ist, Aufwendungen für Wohneigentum zu berücksichtigen.

    Die Kläger haben mit notariellem Kaufvertrag vom 10. September 2009 eine unsanierte Eigentumswohnung in der X-str. 5 in Y erworben, welche sie am 7. September 2010 bezogen. In der Anlage zum Kaufvertrag haben sie weitere Sonderausstattungen vereinbart. Die Kläger erhielten am 14. Oktober 2010 eine Eingangsbestätigung des Amts für Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt Y, aus der sich ergibt, dass die Kläger am 11. Oktober 2010 bei dem Amt einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b EStG eingereicht haben. Die Antragssumme für die zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten Gebäude beläuft sich danach auf EUR 272.000. Die Behörde bestätigte am 21. April 2011, dass das denkmalschutzrechtliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden ist.

    In der am 8. April 2011 eingereichten Steuererklärung für 2010 erklärten die Kläger in der Anlage FW die Berücksichtigung von EUR 24.480 als Aufwendungen für Wohneigentum. Mit Bescheid vom 5. Mai 2011 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2010 auf EUR 17.733 fest, wobei er Aufwendungen nach §§ 7i, 10f EStG nicht berücksichtigte. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. August 2011 als unbegründet zurückwies.

    Die Kläger sind der Auffassung, dass die Aufwendungen für die Wohnung im Jahr 2010 im Wege der Schätzung zum Sonderausgabenabzug zuzulassen seien, da eine qualifizierte Eingangsbestätigung der zuständigen Denkmalsbehörde vorliege.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 5. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2011 dahingehend zu ändern, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von EUR 24.280 berücksichtigt werden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte ist der Meinung, dass ohne Vorlage der gesetzlich vorgeschriebenen Bescheinigung der zuständigen Denkmalbehörde ein Sonderausgabenabzug nicht möglich sei. Der Beklagte müsste anderenfalls selbst die Prüfungen vornehmen, für die die Denkmalbehörde zuständig sei. Hierzu fehle ihm die Sachkunde. Eine Schätzung der Tatbestandsvoraussetzungen sei nicht möglich.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakten sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2012 verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

    I.

    Die Kläger können im Streitjahr jedenfalls teilweise die Aufwendungen für die angeschaffte Wohnung als Sonderausgaben geltend machen. Die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des geltend gemachten Abzugsbetrags liegen derzeit zwar nicht vor. Nach § 7i Abs. 1 EStG kann der Steuerpflichtige im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9% und in den folgenden vier Jahren bis zu 7% der Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind, absetzen. Der Abzugsbetrag kann nur gewährt werden, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen durch eine Bescheinigung nach § 7i Abs. 2 EStG nachgewiesen wird. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich um einen Grundlagenbescheid, dessen verbindliche Feststellungen sich auf die Tatbestände des zum Landesrecht gehörenden Denkmalrechts beschränken, nämlich die Denkmaleigenschaft des Gebäudes, sowie darauf, ob die Aufwendungen nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind (Schmidt, EStG, 30. Auflage, § 7h Rn. 7, § 7i Rn. 7 m.w.N.). Als weitere Voraussetzung verlangt § 7i Abs. 1 Satz 6 EStG, dass die Durchführung der Baumaßnahmen mit der Denkmalbehörde abgestimmt ist. Diese Fördervoraussetzung kann jedoch nicht nur durch die Bescheinigung im Sinn von § 7i Abs. 2 Satz 1 EStG, sondern auch durch Schriftverkehr mit der zuständigen Behörde oder in sonstiger Weise belegt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. Juni 2009, BStBl II 2009, 960).

    Bei der vorliegenden, sogenannten qualifizierten Eingangsbestätigung handelt es sich um keine Bescheinigung im Sinne von § 7i Abs. 2 EStG. Wie sich bereits aus dem Wortlaut der vorgelegten Schreiben des Amts für Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt Y ergibt, wird darin nur der Eingang eines Antrags auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b EStG bestätigt, aber noch keine Entscheidung mit verbindlichem Charakter zur Höhe der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen getroffen. Dies gilt auch, nachdem die Bestätigung der Durchführung des erforderlichen Abstimmungsverfahrens nach § 7i Abs. 1 Satz 6 EStG durch die Kläger nachgewiesen wurde. Damit kann über das Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Abzugsbetrags noch nicht abschließend entschieden werden.

    Der Beklagte darf aber nicht ohne Weiteres den Ansatz des geltend gemachten Abzugsbetrags vollständig unterlassen, sondern er hat den vorläufigen Ansatz eines Abzugsbetrags im Wege der Schätzung nach § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO zu prüfen.

    Gemäß § 155 Abs. 2 AO kann ein Steuerbescheid auch dann erteilt werden, wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Macht das Finanzamt von dieser Möglichkeit Gebrauch und erlässt vor Ergehen des Grundlagenbescheids – wie im Streitfall – einen Einkommensteuerbescheid, muss es alle geltend gemachten Besteuerungsgrundlagen (also auch alle Sonderausgaben) berücksichtigen und selbst überprüfen (Klein, AO-Kommentar, 10. Aufl., § 155 Rz 41 m.w.N.). Dies folgt aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 88 Abs. 2 AO, wonach die Finanzbehörde alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen hat. Lassen sich die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Weiteres ermitteln, können die feststellungsbedürftigen Voraussetzungen nach § 162 Abs. 5 AO geschätzt werden.

    Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 20. Juli 2010, BFH/NV 2010, 2007) können nach § 162 Abs. 1 und 2 AO nur quantitative Größen, nicht aber qualitative Besteuerungsmerkmale geschätzt werden, so dass der Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO alle in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen unterliegen. Die Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO knüpft in systematischer Hinsicht nicht an die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 und 2 AO an. Deshalb können die Besteuerungsgrundlagen nicht nur der Höhe, sondern auch dem Grunde nach geschätzt werden. Schätzungsanlass ist also das Fehlen des Grundlagenbescheides (Klein, a.a.O., § 162 Rz. 55). Innerhalb der Schätzungsbefugnis hat die Finanzbehörde die Frage zu beantworten, ob sie im Streitfall die gesetzlichen Vorgaben eines Abzugsbetrags nach § 7i EStG vorläufig als gegeben ansieht. Falls sie mit seiner Schätzung von der Steuererklärung abweichen will, muss sie auch insoweit überprüfbar darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden soll (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 20. Juli 2010, a.a.O.).

    Eine solche Schätzung hat der Beklagte nicht vorgenommen, da er der Auffassung ist, dass er fachlich hierzu nicht in der Lage ist. Für die Festlegung der Höhe der Sanierungsleistungen sei allein die zuständige Behörde berufen. Das Gericht hat gemäß § 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO aber selbst die Befugnis zur Schätzung. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die bei der Schätzung von Bedeutung sind. Im Streitfall sind die wesentlichen Voraussetzungen des § 7i EStG bekannt. Durch die vorgelegten Unterlagen steht fest, dass die Kläger eine Wohnung in einem denkmalgeschützten Gebäude erworben haben, was sich jedenfalls aus dem Schreiben des Amtes für Bauordnung und Denkmalschutz der Stadt Y vom 20. April 2011 ergibt. Ferner steht fest, dass ihnen daraus Herstellungskosten für Baumaßnahmen entstanden sind, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind. Denn das Gebäude ist saniert worden und nun in einem Zustand, dass die Kläger am 7. September 2010 einziehen konnten. Derzeit noch unbekannt ist lediglich die genaue Höhe der Aufwendungen, die auf das Baudenkmal im Sinne von § 7i Abs. 1 Satz 1, 2 EStG aufgewendet wurden. Die Obergrenze des Schätzungsrahmens ergibt sich aus dem im Kaufvertrag genannten Betrag von EUR 272.000, der auch dem Antrag an die Denkmalbehörde zugrunde liegt. Davon ist ein angemessener Abschlag zu machen, da weder der Beklagte noch das Gericht über ausreichend Sachkenntnis darüber verfügen, ob alle geltend gemachten Aufwendungen – die zudem in detaillierter Form auch nicht vorgelegt wurden – tatsächlich solche im Sinne von § 7i Abs. 1 EStG sind. Dies ist gerade Gegenstand der Prüfung durch die Denkmalbehörde. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass Aufwendungen für Dach, Fenster, Fassade, Heizung, Sanitär, Treppenhaus etc. vorgenommen wurden und notwendig zur Nutzung des Gebäudes als Denkmal waren. Es erscheint daher ein Sicherheitsabschlag von 10% gerechtfertigt, um solche Aufwendungen zu erfassen, die möglicherweise nicht die Voraussetzungen des § 7i EStG erfüllen, wie sie sich etwa teilweise aus der vereinbarten Sonderausstattung ergeben.

    Folglich können im Streitjahr Sonderausgaben von 9% von EUR 244.800 (EUR 272.000 – 10%), also EUR 22.032 geltend gemacht werden. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenEStG § 10f Abs. 1 S. 1, EStG § 7i Abs. 1 S. 6, EStG § 7i Abs. 2, AO § 155 Abs. 2, AO § 162 Abs. 1, AO § 162 Abs. 2, AO § 162 Abs. 5, AO § 88 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 1 S. 1