18.04.2012
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 28.10.2011 – 7 K 408/10
Für Kindergeldberechtigte, die u.a. in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, ist gem. § 72 Abs. 1 EStG für die Festsetzung und Zahlung des Kindergelds die ihn beschäftigende öffentlich-rechtliche Körperschaft zuständig. Die bestehende Kindergeldfestsetzung wird durch den sachlichen Zuständigkeitswechsel nicht berührt. Die neu zuständige Familienkasse ist an die Festsetzung zunächst gebunden und muss keine erneute Festsetzung durchführen, für eine etwa erforderliche Aufhebung der Festsetzung ist sie ebenfalls zuständig.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 innerhalb der Festsetzungsfrist aufgehoben wurde.
Der Kläger bezog für die Tochter1, geb. am 12.12.1988, und Tochter2, geb. am 03.06.1993, von der Familienkasse laufend Kindergeld. Die Auszahlung des Kindergeldes ging ab dem Jahr 1996 auf den privatwirtschaftlichen Arbeitgeber über. Betreffend den Kindergeldanspruch ab Januar 1996 teilte der Kläger am 30.10.1995 der Familienkasse mit, dass voraussichtlich ab 01.01.1996 das Kindergeld von seinem Arbeitgeber ausgezahlt werde. Zur Vorlage beim Arbeitgeber benötige er deshalb eine Kindergeldbescheinigung des Arbeitsamtes.
Zum 01.10.1996 nahm der Kläger bei der A-Stadt ein Arbeitsverhältnis an. Im Antrag auf Kindergeld für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vom 10.10.1996 verneinte er die Frage unter Punkt 8 des Formulars, „Haben Sie oder Ihr Ehegatte oder eine andere Person für die eingetragenen Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten?” Im Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld vom 10.10.1996, der bei der Familienkasse einzureichen war, blieb die Frage unter Punkt 8 des Formulars, „Haben Sie oder Ihr Ehegatte oder eine andere Person für die eingetragenen Kinder seit ihrem letzten Antrag (Fragebogen) Kindergeld erhalten?”, unbeantwortet. Sowohl im Antrag auf Kindergeld als auch im erwähnten Fragebogen verneinte er die Frage unter Punkt 10, „Sind oder waren Sie, Ihr Ehegatte oder eine andere Person, zu der die eingetragenen Kinder in einem Kindschaftsverhältnis stehen, seit Ihrem letzten Antrag (Fragebogen) im öffentlichen Dienst beschäftigt?”
Nachfolgend wies die A-Stadt (Familienkasse) in den Lohn-/Gehaltsabrechnungen des Klägers Kindergeld aus.
Mit Schreiben vom 20.11.1998 teilte die Familienkasse dem Kläger mit, dass sie ab Januar 1999 wieder die Kindergeldauszahlung vornehmen werde. Das Kindergeld werde auf die der Familienkasse bekannte Bankverbindung Kontonummer 0009xxxxx, BLZ 000xxxx überwiesen. Um Überprüfung der Bankverbindung werde gebeten.
Am 10.11.2006 legte der Kläger der Familienkasse eine Schulbescheinigung vor, wonach die Schulausbildung der Tochter1 voraussichtlich im Juni 2008 enden werde.
Im Antrag auf Fortzahlung des Kindergeldes über das 18. Lebensjahr hinaus, der am 22.12.2008 bei der Familienkasse einging, kreuzte er die Frage, ob er im öffentlichen Dienst beschäftigt sei, mit „nein” an. Da nach einer Prognoseberechnung für das Jahr 2009 die Einkünfte der Tochter1, die sich seit dem 01.09.2008 in Berufsausbildung befand, den Grenzbetrag von 7.680 € überstiegen, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 26.03.2009 die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2009 auf.
Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens teilte der Kläger mit Schriftsatz vom 09.04.2009, eingegangen am 14.04.2009, der Familienkasse mit, dass das Kindergeld doppelt gezahlt worden sei. Er sei seit 01.10.1996 bei der A-Stadt beschäftigt, die von Anfang an Kindergeld gezahlt habe.
Auf Anfrage bestätigte die A-Stadt am 12.05.2009 der Familienkasse, dass der Kläger auf Antrag vom 10.10.1996 für die Tochter1 und Tochter2 bis einschließlich März bzw. April 2009 Kindergeld bezogen habe.
Mit Bescheid vom 27.07.2009 hob die Familienkasse gemäß § 70 Abs. 2 EStG die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter1 und Tochter2 ab Januar 1999 auf und forderte gemäß § 37 Abs. 2 AO das gezahlte Kindergeld von 36.322,20 € zurück. Sie begründete dies damit, dass der Kläger im Zeitraum Januar 1999 bis April 2009 sowohl von der Familienkasse als auch von seinem Arbeitgeber Kindergeld für die beiden Kinder bezogen habe.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben.
Er bringt sinngemäß vor, die Festsetzung des Kindergeldes betreffend den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 könne nicht aufgehoben werden, weil weder eine Steuerhinterziehung noch eine grobe Fahrlässigkeit gegeben sei. Der Kläger habe die Verwirklichung des Tatbestandes weder für möglich gehalten noch diese billigend in Kauf genommen. Er habe der Familienkasse gegenüber nicht verschwiegen, dass er bei einem öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt sei. Dies sei der Familienkasse hinreichend bekannt gewesen.
Der Kläger sei seit 01.10.1996 bei der A-Stadt beschäftigt und habe von dieser Kindergeld erhalten. Ihm sei von seinem Arbeitgeber im Jahr 1996 ein vorgefertigter Antrag vorgelegt worden, den er lediglich unterschrieben habe. Auch hierin sei die Frage nach einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst verneint worden. Er sei davon ausgegangen, dass dieser Antrag korrekt ausgefüllt worden sei. Da dieser Antrag von der A-Stadt eingereicht worden sei, hätte der Familienkasse die Tatsache, dass der Kläger bei der A-Stadt beschäftigt gewesen sei, bekannt sein müssen.
Die A-Stadt sei verpflichtet gewesen, mit dem Kläger Rücksprache zu nehmen und abzuklären, wer Kindergeld auszahle. Dies sei nicht geschehen. Diese Nachlässigkeit des Personalamtes könne nicht dem Kläger angelastet werden. Bei späteren Anträgen habe der Kläger immer irrig angegeben, dass er nur noch von der Familienkasse Kindergeld erhalte. Außerdem sei zum Zeitpunkt des Arbeitgeberwechsels das Kindergeld vom vormaligen Arbeitgeber ausgezahlt worden.
Aufgrund der Überprüfung des Kindergeldes anlässlich der Volljährigkeit der Tochter1 habe er den Fragebogen ausgefüllt der Familienkasse zugesandt. Mitte März 2009 habe sein Arbeitgeber den gleichen Fragebogen an ihn gerichtet. Auf Rückfrage sei er vom Personalamt darauf hingewiesen worden, dass das Kindergeld vom Arbeitgeber ausgezahlt werde. Erst bei einer genaueren Überprüfung der Gehaltsmitteilungen habe er den doppelten Kindergeldbezug festgestellt. Die Positionen auf den Gehaltsmitteilungen seien so „versteckt”, dass sie für einen Laien, der ansonsten mit der Büroarbeit nicht vertraut sei, nicht sofort ersichtlich und nachvollziehbar seien. Der Kläger habe die Lohnabrechnungen sowie die Steuerbescheinigungen ohne weitere Kontrolle abgeheftet. Die Steuererklärungen habe ein Bekannter erstellt, dem er die Lohnsteuerbescheinigungen ohne vorherige persönliche Überprüfung übergeben habe.
Als rechtlicher Laie habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass dies seine Richtigkeit habe. Er habe deshalb der mit Schreiben vom 20.11.1998 angekündigten Auszahlung nicht widersprochen. Die Familienkasse habe damit selbst die Ursache für die Doppelzahlung gesetzt. Vom Kläger sei dies nicht zu vertreten. Er habe auf die Richtigkeit des „amtlichen” Schreibens vertrauen dürfen. Ein Organisationsverschulden der Familienkasse könne dem Kläger nicht zugerechnet werden. Er sei davon ausgegangen, dass die Wiederaufnahme der Zahlungen durch die Familienkasse in Ordnung gehe und die Zahlung des Arbeitgebers einen Lohnbestandteil darstelle. Da die Voraussetzungen für die Annahme eines Vorsatzes nicht vorlägen, betrage die Festsetzungsfrist allenfalls vier Jahre. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst den Vorgang aufgedeckt, sich an die Familienkasse gewandt und sich somit der Rückzahlung ausgesetzt habe.
Außerdem habe das Kindergeld dem monatlichen Unterhalt gedient, so dass der Einwand der Entreicherung zu führen sei.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 27.07.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.02.2010 insoweit aufzuheben, als damit die Festsetzung von Kindergeld für Januar 1999 bis Dezember 2004 aufgehoben und für diesen Zeitraum das Kindergeld zurückgefordert wird. Hilfsweise beantragt er die Zulassung der Revision wegen Divergenz.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie führt sinngemäß aus, die Festsetzungsfrist betrage 10 Jahre. Dem Kläger sei aufgrund des Antrags auf Festsetzung von Kindergeld vom 15.06.1993 bekannt gewesen, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst für die Gewährung von Kindergeld bedeutsam sei, und er alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich der Kindergeldkasse bzw. der Familienkasse mitzuteilen habe. Außerdem habe er mit seiner Unterschrift versichert, das Merkblatt über Kindergeld erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Darin sei er darauf hingewiesen worden, dass die Kindergeldkasse sofort zu benachrichtigen sei, wenn der Kläger eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst für voraussichtlich mehr als 6 Monate aufnehme.
Dennoch habe der Kläger die Aufnahme einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst am 01.10.1996 nicht angezeigt. In seinem Antrag auf Kindergeld gegenüber der A-Stadt vom 10.10.1996 habe er wahrheitswidrig die Frage nach einem anderweitigen Kindergeldbezug verneint.
Auch in der Folgezeit habe er es unterlassen, die Familienkasse über seine Beschäftigung im öffentlichen Dienst zu unterrichten. Er habe dadurch Kindergeld von Familienkasse und der A-Stadt bezogen. Auch im Antrag auf Kindergeld vom 10.11.2006 habe er wahrheitswidrig den Bezug eines anderweitigen Kindergeldes und die Frage nach einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst verneint.
Entsprechend der Mitteilung der Familienkasse vom 20.11.1998 sei das Kindergeld ab Januar 1999 auf dem Konto des Klägers mit der Erläuterung „Gutschrift/Familienkasse/Kindergeldnummer/Monat + Jahr/Betrag” gutgeschrieben worden. Dem Kläger sei daher mindestens seit Januar 1999 die Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkasse bekannt gewesen. Da das Kindergeld auch in den Gehaltsabrechnungen als Zahlungsbestandteil ausgewiesen worden sei, sei ihm zudem die Auszahlung des Kindergeldes durch die A-Stadt bekannt gewesen. Auf das Bankkonto des Klägers und seiner Ehefrau, über das regelmäßig verfügt worden sei, seien die Kindergeldauszahlungen der Familienkasse und das Gehalt überwiesen worden. Dem Kläger sei daher von Anfang an die Doppelzahlung des Kindergeldes bekannt gewesen. Er habe es damit vorsätzlich unterlassen, die Familienkasse über seine Beschäftigung im öffentlichen Dienst und den dortigen Bezug von Kindergeld in Kenntnis zu setzen.
Damit habe der Kläger die Familienkasse nicht nur pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, sondern vorsätzlich falsche Angaben gemacht, die zu einer Doppelzahlung von Kindergeld geführt hätten. Dabei sei aufgrund eindeutiger Hinweise im Merkblatt davon auszugehen, dass dem Kläger seine Mitwirkungspflicht bekannt gewesen sei. Da er dieser nicht nachgekommen sei, habe er zumindest billigend in Kauf genommen, dass er einen ungerechtfertigten Steuervorteil erhalten habe.
Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Sitzungsniederschrift wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Dem Gericht liegt eine Heftung der A-Stadt betreffend Kindergeld des Klägers (Gz. ) und die Kindergeldakte KG-Nr. xxxx der Beklagten vor.
Gründe
Die Klage ist teilweise begründet.
I. Die Beklagte hat zu Unrecht eine Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 aufgehoben.
1. Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Diese Regelung bedeutet auch, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 18.12.1998 VI B 215/98, BStBl II 1999, 231). Das Kindergeld wird gem. § 70 Abs. 1 EStG von den Familienkassen festgesetzt. Im Zeitraum von 1996 bis 1998 war durch § 73 EStG in der damals gültigen Fassung die Auszahlung des von der Familienkasse festgesetzten Kindergelds für Arbeitnehmer auf deren Arbeitgeber verlagert, wenn diese der Privatwirtschaft angehören; hierzu wurde von der Familienkasse eine Bescheinigung über die Festsetzung und die Höhe des auszuzahlenden Kindergelds zur Vorlage beim Arbeitgeber erstellt. Nach der Aufhebung dieser Regelung durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 vom 19.12.1998 (BGBl I 1998, 3779) oblag die Auszahlung des Kindergelds wieder - wie zuvor - der Familienkasse. Für Kindergeldberechtigte, die u.a. in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, ist (und war bereits während des gesamten streitigen Zeitraums) gem. § 72 Abs. 1 EStG für die Festsetzung und Zahlung des Kindergelds die ihn beschäftigende öffentlich-rechtliche Körperschaft zuständig.
Die bestehende Kindergeldfestsetzung wird durch den sachlichen Zuständigkeitswechsel nicht berührt. Nach zutreffender Rechtsauffassung, der sich der Senat anschließt, ist die neu zuständige Familienkasse an die Festsetzung zunächst gebunden und muss keine erneute Festsetzung durchführen, für eine etwa erforderliche Aufhebung der Festsetzung ist sie ebenfalls zuständig (vgl. Helmke/Bauer, Steuerlicher Familienleistungsausgleich A I. Kommentierung zu § 67 EStG Rz. 4; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 72 EStG Anm. 32; Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen vom 06.10.2009, 12 K 113/09, EFG 2010,382 m.w.N.; Tz. 72.3.1 Abs. 3 S. 5 DA-FamEStG, BStBl I 2009, 1030 - zuletzt i. d. geänd. Fassung vom 12.07.2011, BStBl. I 2011, 21 ff.; a.A. Treiber in Blümich, Einkommensteuer/Körperschaftsteuer/Gewerbesteuer, § 72 EStG Rz. 66; Bundeszentralamt für Steuern, Schreiben vom 15.07.2011, St II 2 – S 2479-PB/11/00001 2011/653478, BStBl. I 2011, 734).
Daraus folgt für den Streitfall, dass eine – erneute – Antragstellung und eine Kindergeldfestsetzung beim Wechsel der sachlichen Zuständigkeit verfahrensrechtlich weder erforderlich noch geboten war. Der Kläger ist seit 01.10.1996 als Arbeiter der A-Stadt im öffentlichen Dienst beschäftigt. Seit diesem Zeitpunkt ist die A-Stadt als Familienkasse des öffentlichen Rechts allein für die Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld sachlich zuständig. Eine Zuständigkeit der Beklagten war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben, die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung stand nach dem Zuständigkeitswechsel nicht mehr zu ihrer Disposition. Rechtsgrund für die in den Lohn-/Gehaltsabrechnung des Klägers ausgewiesenen Kindergeldzahlungen war bzw. ist die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung. Die Voraussetzungen für den dieser Kindergeldfestsetzung zu Grunde liegenden Kindergeldanspruch bestanden im strittigen Zeitraum unstreitig fort. Soweit die A-Stadt dennoch eine weitere – konkludent oder auf erneuten Antrag hin – Kindergeldfestsetzung vornahm, ist diese und nicht die die zuerst ergangene, aufzuheben. Für eine solche Aufhebung besteht jedoch keine Zuständigkeit der Beklagten.
2. Nach Auffassung des Senats lag der Kindergeldauszahlung ab 01.01.1999 durch die Beklagte keine Kindergeldfestsetzung zu Grunde.
Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG wird das Kindergeld von der Familienkasse durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. Ein entsprechender Bescheid kann gemäß § 119 Abs. 2 AO schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Im Streitfall kommt der Erlass eines Bescheids in anderer Weise in Betracht, da kein förmlicher Bescheid ergangen ist. Eine entsprechende Entscheidung, die die begrifflichen Merkmale eines Verwaltungsakts (§ 118 Satz 1 AO) erfüllt, muss gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG a.F. nicht in der Form (und mit dem Inhalt) eines Steuerbescheids (§ 157 AO) ergehen, wenn dem Antrag des Anspruchsberechtigten entsprochen wird. Damit hat der Gesetzgeber zwar für diesen Fall auf eine schriftliche Bescheiderteilung verzichtet, um das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren der Kindergeldauszahlung im Interesse der Bürger und der Verwaltung beibehalten zu können (BT-Drucksache 13/1558 S. 161); dies enthebt aber nicht von dem Erfordernis der Festsetzung des Kindergeldes durch Bescheid. Für diesen Bescheid (Verwaltungsakt) gelten statt der für Steuerbescheide konkretisierten und spezialisierten Regeln des § 157 AO die allgemeinen Regeln der §§ 118 ff. AO, nach denen gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 AO der Verwaltungsakt auch in sonstiger Weise erlassen werden kann.
Sieht die Familienkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab, so setzt sie das Kindergeld – in der Regel – in anderer Weise (d.h. formlos) fest. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld tatsächlich aus, so ist in der Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des Auszahlungsbetrags grundsätzlich die Festsetzung zu sehen. Der Verwaltungsakt ergeht durch konkludentes Verhalten, in dem Entscheidung der Familienkasse und Ausführung zusammenfallen.
Die – erstmalige – Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes ist dabei nicht ein bloßer Realakt, sondern sie bringt zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf das beantragte Kindergeld (die Steuervergütung) als der sachlogischen Voraussetzung für die Auszahlung der beantragten Geldleistung zum Ausdruck. Denn der objektivierte Erklärungsinhalt einer Auszahlung als Kindergeld ist die Erklärung der Behörde, dass das Kindergeld in jener Höhe ausgezahlt wird (vgl. FG Rheinland-Pfalz vom 24.04.1998 4 K 1755/97, juris; FG Münster vom 05.11.2009 11 K 4246/08 Kg, EFG 2010, 489; FG des Saarlandes vom 26.05.2010 2 K 1593/08, EFG 2011, 254).
Im Streitfall sieht der Senat in der Auszahlung des Kindergeldes ab 01.01.1999 durch die Beklagte keine – konkludente – Kindergeldfestsetzung, sondern einen bloßen Realakt.
Ursprünglich setzte die Beklagte für die Tochter1 und Tochter2 Kindergeld fest. Vor dem Wechsel des Klägers in den öffentlichen Dienst wurde das Kindergeld gemäß § 73 Abs. 1 EStG a.F. vom privaten Arbeitgeber als Zahlstelle für die Familienkasse an den Kläger ausgezahlt. Grundlage für diese Auszahlung des Kindergeldes durch den Arbeitgeber war eine Kindergeldbescheinigung der Familienkasse (Arbeitgeberbescheinigung), die vom Kindergeldberechtigten dem privaten Arbeitgeber vorzulegen war. Mit der Erstellung der Arbeitgeberbescheinigung nahm die Familienkasse eine konkludente Festsetzung des Kindergeldes i.S. des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. vor. Als der Kläger zum 01.10.1996 in den öffentlichen Dienst eintrat, ging gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG die Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes auf den öffentlichen Arbeitgeber als Familienkasse i.S. des § 72 Abs. 1 Satz 2 EStG über (s.o. I.1.).
Die Beklagte hat nach Auffassung des Senats mit der Auszahlung des Kindergeldes ab 01.01.1999 keine erneute Regelung i.S. des § 118 AO getroffen. Denn ungeachtet der vorstehend dargelegten sachlichen Unzuständigkeit, hat sie infolge der gesetzlichen Änderung des Auszahlungsverfahrens zum 01.01.1999 erkennbar nur die Auszahlung des Kindergeldes wieder aufnehmen wollen, ohne dabei eine Kindergeldfestsetzung erneut vorzunehmen. Das der Auszahlung vorangegangene Schreiben der Familienkasse vom 20.11.1998 an den Kläger kann nicht als Verwaltungsakt qualifiziert werden. Es enthält lediglich die Mitteilung, dass das Kindergeld, das derzeit vom Arbeitgeber ausgezahlt werde, ab Januar 1999 von der Familienkasse überwiesen werde. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt der Kindergeldakte der Beklagten. Vor diesem Hintergrund besteht für den Senat kein Anhaltspunkt, auf einen Willen der Beklagten, mit der ab 01.01.1999 beginnenden Auszahlung des Kindergeldes – konkludent - gegenüber dem Kläger erneut eine Kindergeldfestsetzung vorzunehmen, zu schließen. Dies gilt nach Auffassung des Senats unabhängig davon, dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, unverändert von der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten ausgegangen ist, denn auch aus Sicht des Zahlungsempfängers ist trotz irriger Annahme der Zuständigkeit ein Wille der Beklagten zur erneuten Kindergeldfestsetzung durch Aufnahme der Auszahlung ab 01.01.1999 weder festzustellen noch hat der Kläger behauptet, eine solche zugleich mit der Auszahlung angenommen zu haben.
Im Übrigen gilt Gleiches hinsichtlich der von der Beklagten erstellten und dem Kläger übersandten Arbeitgeberbescheinigungen. Zum einen ist nicht erkennbar, dass die Beklagte selbst davon ausging, mit diesen Arbeitgeberbescheinigungen jeweils Kindergeld erneut festzusetzen. Zum anderen ergibt sich auch aus dem Inhalt dieser Arbeitgeberbescheinigung nicht, dass damit nicht nur eine Bescheinigung des Kindergeldanspruchs, sondern auch eine Festsetzung erfolgen soll.
Da es danach an einer Kindergeldfestsetzung durch die Beklagte ab 01.01.1999 fehlt, konnte sie eine solche auch nicht aufheben. Eine der sachlichen Zuständigkeit der A-Stadt unterstehende Kindergeldfestsetzung durfte die Beklagte nicht aufheben. Der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind insoweit rechtswidrig und in dem vom Kläger beantragten Umfang aufzuheben.
II. Der von der Familienkasse erlassene Rückforderungsbescheid hält nur hinsichtlich der Zahlungen für den Zeitraum ab Januar 2004 einer rechtlichen Überprüfung stand.
Die Rückforderung der Zahlungen der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2005 bis April 2009 ist zwischen den Beteiligten nicht strittig.
1. Nach § 37 Abs. 2 AO ist eine Steuervergütung (hier: Kindergeld, vgl. § 31 Satz 3 EStG), die ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, von demjenigen, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, zurückzuzahlen. Die Vorschrift gilt sowohl für den Erstattungsanspruch des Kindergeldberechtigten gegenüber der Familienkasse als auch für den umgekehrten Fall der Rückforderung einer rechtsgrundlos geleisteten Kindergeldzahlung durch die Familienkasse. Die Norm ist Ausdruck eines allgemein herrschenden Prinzips, dass derjenige, der vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit unberechtigt etwas erhalten hat, grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen (vgl. BFH-Urteil vom 06.02.1990 VII R 97/88, BStBl II 1990, 671). Nach der Rechtsprechung des BFH stellen auch Leistungen in der irrtümlichen Annahme, dass der zugrunde liegende Steuerbescheid wirksam ist (BFH-Beschluss vom 29.07.1998 II R 64/95, BFH/NV 1998, 1455) oder Leistungen in Unkenntnis von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen (BFH-Urteil vom 06.02.1990 VII R 97/88, BStBl II 1990, 671; BFH-Urteil vom 01.03.1990 VII R 103/88, BStBl II 1990, 520) oder in Unkenntnis von Abtretungen (BFH-Urteil vom 13.03.1997 VII R 39/96, BStBl II 1997, 522) jeweils Leistungen ohne Rechtsgrund dar. Denn der Zweck der Leistung bestimmt den rechtlichen Grund mit.
Wie vorstehend dargelegt, erfolgte im Streitfall die (Doppel-) Zahlung des Kindergeldes durch die Beklagte in den Monaten ab Januar 1999 bis April 2009 ohne eine entsprechende Festsetzung des Kindergelds und damit ohne rechtlichen Grund. Nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 66 Abs. 1 EStG bestand nur Anspruch auf einmalige Zahlung des Kindergeldes pro Monat in gesetzlicher Höhe. Mit der Zahlung des Kindergelds durch den öffentlichen Arbeitgeber erlosch der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§§ 47, 224 AO). Der Rückforderungsanspruch durch die Beklagte konnte unmittelbar auf § 37 Abs. 2 S. 1 AO gestützt werden (vgl. auch BFH-Beschluss vom 31.03.2005, III B 189/04, BFH/NV 2005,1305). Rückzahlungsverpflichteter ist der Kläger als Leistungsempfänger (§ 37 Abs. 2 S. 1 AO).
2. Dem Rückforderungsanspruch steht nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Verwirkung setzt voraus, dass sich der – hier zur Rückerstattung gemäß § 37 Abs. 2 AO – Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs jedoch grundsätzlich nicht aus. Hinzu kommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (zum Ganzen vgl. BFH-Urteile vom 14.10.2003 VIII R 56/01, BStBl II 2004, 123; und vom 15.06.2004 VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153; Finanzgericht München, Urteil vom 06.10.2010 10 K 925/09, EFG 2011, 402). Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem Verhalten der beklagten Familienkasse, welches für den Kläger bei objektiver Auslegung den eindeutigen Schluss zuließ, dass ihm das für die Kinder zu Unrecht gezahlte Kindergeld belassen werde.
3. Auch bereicherungsrechtliche Grundsätze nach den §§ 812 ff. BGB stehen der Rückforderung nicht entgegen. Sie finden nach zutreffender Rechtsauffassung mangels entsprechender Bezugnahme in der Abgabenordnung keine - auch keine analoge -Anwendung (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 37 AO Tz.102 m.w.N.). Nach dem Systemwechsel des Kindergelds greift auch der sozialrechtliche Vertrauensschutzgedanke nicht mehr (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O. Tz. 121a).
4. Für den auf die Kindergeldzahlungen vor Januar 2004 entfallenden Teil des Rückforderungsbetrags ist aber Zahlungsverjährung eingetreten.
Rückforderungsansprüche nach § 37 Abs. 2 AO verjähren nach Maßgabe der §§ 228 ff. AO (sog. Zahlungsverjährung, vgl. BFH-Urteile vom 09.07.1996 VII R 136/95, BFH/NV 1997, 10; vom 29.07.1998 II R 64/95, BFH/NV 1998, 1455; vom 07.02.2002 VII R 33/01, BStBl II 2002, 447). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 169 Abs. 1 Satz 1 AO. Ein Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 Abs. 1 AO). Für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gilt nach § 228 S. 1 AO eine besondere Zahlungsverjährung.
Die Zahlungsverjährung gemäß § 228 Satz 2 AO begann im Streitfall jeweils mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die unberechtigten Kindergeldzahlungen erfolgten (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Fehlt es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, so wird der Anspruch nach § 220 Abs. 2 AO mit seiner Entstehung fällig. Der Rückforderungsanspruch entsteht damit bei einer Doppelzahlung bereits mit der ungerechtfertigten Auszahlung und wird zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. z.B. Kruse in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 37 AO Tz. 122, § 229 AO Tz. 1c). Die besonderen Voraussetzungen des § 229 Abs. 1 Satz 2 AO greifen vorliegend nicht ein.
Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO). Sie gilt unabhängig davon, ob die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden ist (vgl. Kruse in Tipke/ Kruse, AO-FGO, § 228 AO Rz. 2; Ruban in Hüschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 228 AO Rz. 8). Folglich ist es für die Berechnung der Verjährungsfrist unerheblich, ob der Kläger eine Mitteilungspflicht hinsichtlich seines Wechsels in den öffentlichen Dienst oder der Doppelzahlungen hatte und ob er diese bei Berücksichtigung der erforderlichen Sorgfalt hätte erfüllen können bzw. bewusst verletzt hat. Weiterer Feststellungen oder einer Beweisaufnahme hierzu bedurfte es deshalb nicht.
Anhaltspunkte für Hemmungs- oder Unterbrechungstatbestände (vgl. §§ 230, 231 AO) sind nicht ersichtlich.
Im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheids am 27.07.2009 war der Rückforderungsanspruch der Beklagten für die Zahlungen ab Januar 2004 bis Dezember 2004 noch nicht verjährt. Denn diese Ansprüche entstanden mit den Zahlungen im Jahr 2004, so dass die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2004 begann und mit Ablauf des Jahres 2009 endete.
Der Rückforderungsanspruch ist somit verjährt, soweit er sich auf Kindergeldzahlungen für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2003 bezieht. Deshalb ist der Rückforderungsbetrag von 36.322,20 € auf 19.236 € herabzusetzen (§ 100 Abs. 2 S. 1 FGO). Das Gericht hat dabei die zutreffenden Rundungsbeträge bei der Umrechnung von DM auf € berücksichtigt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).