18.04.2012
Finanzgericht Köln: Urteil vom 15.02.2012 – 10 K 3397/09
Zahlt ein Kontoführungsinstitut auf die Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamts irrtümlich einen zu hohen Betrag an das Finanzamt, so ist dieses nicht berechtigt, aufgrund eines Abrechnungsbescheids gegenüber dem Kontoführungsinstitut auf dem Mehrbetrag zu beharren. Vielmehr besteht ein Bereicherungsanspruch des Kontoführungsinstituts gegen das Finanzamt aus § 812 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 15. Februar 2012 für Recht erkannt:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte im Hinblick auf einen Anspruch der Klägerin wegen Überzahlung einen Abrechnungsbescheid erlassen durfte und ob die Klägerin einen Zahlungsanspruch vor dem Finanzgericht durchsetzen kann.
Die Klägerin steht als Kreditinstitut mit einer Firma A Ltd. in geschäftlicher Beziehung. Diese Firma schuldet dem Finanzamt Steuern.
Im Dezember 2006 eröffnete die Firma (im Folgenden Vollstreckungsschuldnerin genannt) bei der Klägerin zwei reine Guthabenkonten. Ein Dispositionskontokorrent- oder ein sonstiger Kreditrahmen wurden nicht vereinbart
Der Beklagte pfändete mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 8. April 2009 die bei der Klägerin befindlichen Guthaben der Vollstreckungsschuldnerin und zog diese ein. Der Pfändung lagen Steuerrückstände der Vollstreckungsschuldnerin in Höhe von 23.787,79 EUR zugrunde. Das Guthaben der Vollstreckungsschuldnerin auf den bei der Klägerin geführten Konten belief sich zum Zeitpunkt der Pfändung auf 2.419,72 EUR.
Aufgrund eines Irrtums der zuständigen Sachbearbeiterin überwies die Klägerin dem Beklagten den gepfändeten Betrag in voller Höhe.
Nachdem die Klägerin den Irrtum bemerkt hatte, forderte sie den Beklagten auf, den überzahlten Betrag in Höhe von 21.368,07 EUR an sie zurückzuüberweisen.
Mit Abrechnungsbescheid vom 20. Juli 2009 stellte der Beklagte fest, dass ein Erstattungsanspruch der Klägerin wegen der Steuerforderung nicht in Betracht komme, da die Steuerrückstände der Vollstreckungsschuldnerin tatsächlich bestünden.
Den gegen den Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. September 2009 als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Die Klage sei zulässig. Sie sei als Adressatin des Abrechnungsbescheids klagebefugt.
Im vorliegenden Fall sei der Erlass eines Abrechnungsbescheids ihr gegenüber nicht statthaft.
Durch die irrtümliche Überweisung sei ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden. Aus diesem habe sie gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternativ 1 BGB gegen den Beklagten einen Herausgabeanspruch auf den überzahlten Betrag.
Der Zahlungsanspruch sei vor dem Finanzgericht zu verfolgen. Gemäß § 17 Abs. 2 GVG entscheide das Gericht des zulässigen Rechtsweg den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ein Parallelverfahren vor einem ordentlichen Zivilgericht wäre für sie mit der Gefahr des Einwands der anderweitigen Rechtshängigkeit durch den Beklagten behaftet. Zudem würde es dem Grundsatz der Prozessökonomie widersprechen, von ihr die isolierte Geltendmachung des Zahlungsanspruchs zu verlangen.
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 17. September 2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 24. September 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie 21.368,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. September 2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – (dazu unter 1.). Die Klägerin hat gegen den Beklagten auch einen Anspruch auf Rückzahlung des irrtümlich gezahlten Betrags, den sie vor dem Finanzgericht geltend machen kann (dazu unter 2.).
1. Abrechnungsbescheid
Die Klage ist zulässig, da die Klägerin als Adressatin des Abrechnungsbescheids beschwert ist.
Die Klage ist auch begründet.
Der Beklagte durfte über das Erstattungsbegehren der Klägerin nicht durch Abrechnungsbescheid entscheiden.
Nach § 218 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung 1977 – AO – entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Abs. 1 betreffen, durch Verwaltungsakt. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, da es sich nicht um eine Streitigkeit über einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO handelt. § 37 Abs. 2 AO betrifft den Fall, dass eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden ist. Im Streitfall geht es nicht darum, ob auf eine Steuerschuld gezahlt worden ist. Die Steuerschuld existiert unstreitig in der gepfändeten Höhe. Die Klägerin hat vielmehr auf eine nicht existierende Forderung der Vollstreckungsschuldnerin ihr gegenüber geleistet. Zur Geltendmachung der gepfändeten Forderung des Vollstreckungsschuldners wäre der Zivilrechtsweg gegeben. Dieser ist damit auch für den Vollstreckungsgläubiger gegeben (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 315 AO, Tz. 3 (Stand Januar 2010)). Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten aufgrund der Überzahlung einen Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB.
Der Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 28. September 1999 VII B 35/99, (BFH/NV 2000, 305) ist im Streitfall nicht einschlägig, da es in diesem Fall um ein Einkommensteuererstattungsguthaben des Vollstreckungsschuldners ging und damit um die Zahlung einer Steuer ohne rechtlichen Grund. Aus demselben Grund ist auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22.11.2011 VII R 27/11 nicht einschlägig.
2. Zahlungsanspruch
a) Auch für den Zahlungsanspruch ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten eröffnet. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsstreit gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten. Nach Abs. 2 der vorgenannten Vorschrift sind Abgabenangelegenheiten alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten. Wie der Senat oben ausgeführt hat, ist im Streitfall zwar das Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Vollstreckungsschuldnerin maßgeblich. Dies gilt nicht nur für die Frage, welche Möglichkeiten das Finanzamt hat, sondern auch für die Frage in welchem Verfahren und vor welchem Gericht die Klägerin ihre Ansprüche geltend machen muss.
Die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges folgt aber aus § 17 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG –. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. § 17 Abs. 2 GVG eröffnet dem Gericht des zulässigen Rechtswegs eine rechtswegüberschreitende Sachkompetenz, wenn es sich um einen einheitlichen prozessualen Anspruch handelt. Werden im Wege der Klagehäufung mehrere selbständige Ansprüche gemeinsam geltend gemacht, so muss die Voraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs grundsätzlich für jeden Anspruch getrennt geprüft werden (vgl. Lückemann in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 17 GVG, Rn. 6). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedoch nicht für den Fall, dass der Beklagte den Streit durch Erlass eines Abrechnungsbescheids vor das Finanzgericht gebracht hat. In diesem Fall handelt es sich in Bezug auf die Anfechtung des Abrechnungsbescheids und den Zahlungsanspruch, über dessen Bestehen bzw. Nichtbestehen durch den Abrechnungsbescheid entschieden werden sollte, nicht um selbständige, sondern zusammenhängende Ansprüche. Dann entspricht es Sinn und Zweck des § 17 GVG, hierüber einheitlich zu entscheiden. Dies kann nur das Finanzgericht, da für die Anfechtung des Abrechnungsbescheids nur der Finanzrechtsweg eröffnet ist.
b) Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung des irrtümlich gezahlten Betrags aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
Besteht die gepfändete Forderung nicht, steht dem Drittschuldner, der an den Gläubiger geleistet hat, der Anspruch gegen den Gläubiger unmittelbar zu (Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.6.2002 IX ZR 242/01, Entscheidungen des BGH in Zivilsachen – BGHZ – 151, 127 = NJW 2002, 2871; Stöber in Zöller, a.a.O., § 836 ZPO, Rn 7).
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 818 Abs. 1 und 4, 291, 247 Abs. 1 BGB.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen zu, ob der Beklagte bei Überzahlung des Drittschuldners über den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch durch Abrechnungsbescheid entscheiden darf und ob der Rechtsweg zu den Finanzgerichten für eine entsprechende Zahlungsklage des Drittschuldners gegen die Finanzbehörde eröffnet ist.