28.10.2011
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 07.12.2010 – 6 K 1465/09
1. Eine Körperschaft des privaten Rechts ist nur dann ein Berufsverband i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 KStG, wenn sie allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder aller Angehörigen eines Berufs wahrnimmt und nicht nur Interessen einzelner Angehöriger des Berufes oder Wirtschaftszweiges (sog. Individualinteressen).
2. Gehören die Mitglieder der Körperschaft keinem abgrenzbaren Wirtschaftszweig an, fehlt es an der zielgerichteten Wahrnehmung der Interessen eines einschränkbaren Berufsbildes, so dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 KStG nicht vorliegen.
3. Gleiches gilt, wenn die Satzung der Körperschaft keine eindeutige Aussage enthält, dass nicht nur Individualinteressen vertreten werden, sondern dass ihr Wirken auch solchen Angehörigen des Berufs oder Wirtschaftszweigs zugutekommen soll, die nicht Mitglied sind.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 6. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2010 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin als steuerfreier Berufsverband nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG anerkannt werden kann.
Die Klägerin ist ein rechtsfähiger Verein; die Satzung vom … April 2005 wurde am … September 2005 ins Vereinsregister eingetragen. Mitglied des Vereins kann jede natürliche oder juristische Person des privaten und öffentlichen Rechts werden, die Hersteller von … sind. Im Streitjahr 2005 waren 55 Firmen Mitglied bei der Klägerin. Die Mitglieder der Klägerin verfolgen gemäß Ziffer 1.1 der Satzung die Mission, alle marktrelevanten Geschäftsprozesse des … vollständig und voll automatisch abwickeln zu können, …. Gemäß Ziffer 1.2 der Satzung („technische Ziele”) verfolgen die Mitglieder das Ziel, die EDV-seitige Standardisierung von Geschäftsprozessen …voranzutreiben. Insbesondere sollen Standards zur Formatierung von Datenströmen und Dateien sowie zum Aufbau von Kommunikationswegen einheitlich von allen Mitgliedern umgesetzt werden.
Gemäß Ziffer 1.3 der Satzung verfolgt die Initiative zudem marktorientierte Ziele, die im Interesse sowohl der Mitglieder wie auch ihrer Zielgruppen liegen. Dies sind beispielsweise die Schaffung von Investitions- und Entscheidungssicherheit bei den Anwendern, die Sicherung der Produktqualität …sowie die Optimierung des Entwicklungsaufwandes …, insbesondere auch in Form der Bereitstellung und Pflege von Testanlagen.
Das beklagte Finanzamt (FA) veranlagte die Klägerin im Bescheid für 2005 vom 9. Mai 2007 zur Körperschaftsteuer und setzte Körperschaftsteuer in Höhe von… EUR fest. Der Gewerbesteuermessbetrag für 2005 wurde im Bescheid vom 1. Juni 2007 auf… EUR festgesetzt, ausgehend von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von… EUR.
Dagegen legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein und beantragte, als Berufsverband gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) bzw. gemäß § 3 Nr. 10 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) von der Körperschaftsteuerbzw. Gewerbesteuerpflicht befreit zu werden. Die Klägerin stelle keine eigenen Leistungen im Sinne von kaufbaren Produkten her. Der Grundgedanke sei vielmehr die Vernetzung der Mitgliedsunternehmen zur besseren Bedienung des …. Leistungen entstünden den Projektgruppen, immer für alle Mitgliedsunternehmen und oft genug darüber hinaus. Das Gestalten von Prüfmethoden und das Bereitstellen einer Testanlage durch ein Mitgliedsunternehmen schaffe eine Relevanz für die einzuhaltenden Standards in der Prozess- und Datenkommunikation.
Die Einsprüche wurden in der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2009 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin verfolge nicht allgemeine wirtschaftliche Interessen, sondern wirtschaftliche Einzelinteressen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 24. März 2009. Die Klägerin verfolge durch ihr Mitwirken bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für den …in Kontakt mit der … und den einschlägigen Verbänden … in Deutschland allgemeine wirtschaftliche Interessen der gesamten Branche. Dies beziehe sich insbesondere auf die … und sei damit eine allgemeine, allen Marktteilnehmern und letztlich allen Kunden nützende Interessenvertretung. Die EDV-seitige Standardisierung von Geschäftsprozessen im … diene allen deutschen Herstellern von … und Anwendern im Bereich der auf …bezogenen IT-Prozesse. Dass die Klägerin neben allgemeinen wirtschaftlichen Interessen auch eigene wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder verfolge, sei unschädlich. …
Die Klägerin vertrete die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen national und international gegenüber Politik, Ministerien, Behörden, Gerichten, der Öffentlichkeit sowie insbesondere gegenüber …
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid für 2005 vom 9. Mai 2007 sowie den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag vom 1. Juni 2007 – jeweils in der Form der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2009 – dahingehend abzuändern, dass die Körperschaftsteuer sowie der Gewerbesteuermessbetrag jeweils auf 0 EUR festgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin nehme wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder wahr und verstoße somit gegen den Charakter eines steuerbefreiten Berufsverbandes.
Laut Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung verfolge die Klägerin das Ziel, alle marktrelevanten … vollständig und voll automatisch abwickeln zu können, unabhängig von den jeweils eingesetzten EDV-Systemen. Diese Zielsetzung erfülle nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als steuerbefreiter Berufsverband. Das Tätigkeitsfeld betreffe die Koordination von technischen Gegebenheiten der in der Satzung angesprochenen Unternehmen, in deren ausschließlichem Interesse die Klägerin tätig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Finanzamt vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschriften über den Erörterungstermin vom 27. Mai 2010 bzw. den Verhandlungstermin vom 7. Dezember 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG sind u.a. Berufsverbände ohne öffentlichrechtlichen Charakter von der Körperschaftsteuer befreit, wenn ihr Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Von der Gewerbesteuer befreit sind Körperschaften oder Personenvereinigungen, deren Hauptzweck die Verwaltung des Vermögens für einen nichtrechtsfähigen Berufsverband im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes ist, wenn ihre Erträge im Wesentlichen aus dieser Vermögensverwaltung herrühren und ausschließlich dem Berufsverband zufließen, § 3 Nr. 10 GewStG.
Das KStG enthält keine Definition des Begriffs „Berufsverband”. § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 KStG lässt jedoch erkennen, dass eine Körperschaft des privaten Rechts nur dann ein Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG ist, wenn sie allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Berufsverband im Sinne des Steuerrechts ein Zusammenschluss natürlicher Personen oder Unternehmen, der allgemeine, aus der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit erwachsende ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt (s. BFH-Urteile vom 22. Juli 1952 I 44/52 U, BStBl III 1952, 221; vom 17. Mai 1966 III 190/64, BStBl III 1966, 525; vom 15. Juli 1966 III 179/64, BStBl III 1966, 638; vom 29. August 1973 I R 234/71, BStBl II 1974, 60; vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BStBl II 1990, 550; vom 4. Juni 2003 I R 45/02, BStBl II 2003, 891). Es müssen wirtschaftliche Interessen aller Angehörigen des Berufs oder Wirtschaftszweiges wahrgenommen werden und nicht nur Interessen einzelner Angehöriger des Berufs oder Wirtschaftszweiges (sog. Individualinteressen) vertreten werden (s. BFH-Urteile vom 29. November 1967 I 67/65, BStBl II 1968, 236; vom 19. März 1975 I R 137/73, BStBl II 1975, 722; BFH-Urteil vom 4. Juni 2003 I R 45/02, BStBl II 2003, 891).
2. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
a) Die Klägerin ist kein Berufsverband i.S.d. KStG, da sie nach der Überzeugung des Senats keine Interessen eines abgrenzbaren Wirtschaftszweigs oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt. Gemäß Nr. 4.1 ihrer Satzung kann Mitglied des Vereins jede natürliche oder juristische Person des privaten und öffentlichen Rechts werden, die Hersteller von Software für …, Dienstleister auf dem Sektor … oder Anwender der vorgenannten Software ist. Dies bezieht die Klägerin ausweislich ihrer tatsächlichen Geschäftsführung auf IT-Hersteller, Beratungsunternehmer, …dienstleister, … und Lieferanten. Damit fehlt es an der zielgerichteten Wahrnehmung der Interessen eines einschränkbaren Berufsbildes bzw. Wirtschaftszweiges.
b) Nr. 1.2 sowie 1.3 der Satzung der Klägerin lässt die eindeutige Aussage vermissen, dass nicht nur Individualinteressen vertreten werden.
aa) Die persönliche Freistellung der Berufsverbände von der Steuerpflicht beruht auf der gesetzespolitischen Anerkennung ihres Wirkens als eines Wirkens im Interesse der Allgemeinheit. Sie geht deshalb notwendig verloren, wenn neben der Wahrnehmung der allgemeinen wirtschaftlichen und allen Angehörigen des Zusammenschlusses eigentümlichen Interessen oder an deren Stelle die Wahrnehmung der besonderen geschäftlichen Interessen der einzelnen Mitglieder tritt, selbst wenn sämtliche Mitglieder an ihr interessiert sind und sie wünschen (BFH-Urteil vom 29. August 1973 I R 234/71, BStBl II 1974, 60; vom 26. April 1954 I 110/53 U, BStBl III 1954, 204.)
bb) Gemäß Nr. 1.2 Satz 3 der Satzung widmet sich die Initiative „vornehmlich der Förderung von existierenden Standards und deren Umsetzung in die Produkte der Mitglieder”. Lt. Nr. 1.3 Satz 1 verfolgt die Initiative „…marktorientierte Ziele, die im Interesse sowohl der Mitglieder wie auch ihrer Zielgruppen liegen”. Daraus ist nicht erkennbar, dass das Wirken des Vereins auch solchen Angehörigen des Berufs oder Wirtschaftszweiges zugutekommen soll, die nicht Mitglied sind.
Die Wahrung der Interessen der Mitglieder darf aber nicht „in erster Linie” erfolgen, also jedenfalls nicht das vorrangige Ziel der Körperschaft sein. Doch macht die Satzung immerhin nicht deutlich, dass es den Organen der Klägerin verwehrt ist, vorrangig im gewerblichen Interesse der Mitglieder tätig zu werden. Schließt die Satzung eine solche Zielrichtung nicht aus, so ist für eine Steuerbefreiung kein Raum (ebenso BFH-Urteil vom 6. Oktober 2009 I R 55/08, BStBl II 2010, 335 zur Gemeinnützigkeit).
c) Auch in der tatsächlichen Umsetzung der satzungsmäßig festgelegten Ziele bedient die Klägerin vorwiegend die Individualinteressen ihrer Mitglieder. …
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).