05.08.2011
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 08.09.2010 – 14 K 14074/09
Erklärt ein selbstständig tätiger Ingenieur in mehreren Jahren versehentlich die an das FA abgeführte Umsatzsteuer nicht als Betriebsausgabe und lässt sich weder den Einkommensteuererklärungen noch den Umsatzsteuererklärungen entnehmen, ob und wie viel Umsatzsteuer jeweils an das FA abgeführt wurde, beruht die fehlerhafte Nichtberücksichtigung der gezahlten Umsatzsteuer nicht auf einem rein mechanischen Fehler, sondern auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung, so dass die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO ausscheidet.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 14. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. September 2010 durch den Richter am Finanzgericht … als Einzelrichter für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand:
Die Kläger streiten um die Möglichkeit der Berichtigung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide nach § 129 der Abgabenordnung – AO –.
Die Kläger sind Eheleute und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Ingenieur. Er ermittelte den Gewinn durch Überschussrechnung im Sinne des § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG –.
In den von ihm selbst erstellten Gewinnermittlungen verfuhr er jeweils so, dass er auf der Einnahmeseite die vereinnahmten Bruttoeinnahmen ansetzte, auf der Ausgabenseite die nach Kostenarten aufgeschlüsselten Ausgaben einschließlich der darin enthaltenen Vorsteuer. In der Aufstellung waren die an das Finanzamt geleisteten Umsatzsteuerzahlungen nicht als Betriebsausgaben enthalten. Wegen der näheren Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Überschussrechnungen Bezug.
Der Beklagte veranlagte die Kläger für die Streitjahre auf Basis der erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit zur Einkommensteuer, ohne den Fehler des Klägers zu bemerken und dementsprechend zu korrigieren. Die berücksichtigten Gewinne des Klägers wurden daher um die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen zu hoch angesetzt. Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre wurden bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 07. Oktober 2007 beantragte der Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide unter Hinweis auf den genannten Fehler.
Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 27. Juni 2008 ab. Die Bescheide seien zwar fehlerhaft, weil weder die im Laufe des jeweiligen Jahres geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen noch etwaige Abschlusszahlungen als Betriebsausgaben berücksichtigt worden seien. Eine Änderung der Bescheide sei jedoch im Hinblick auf deren Bestandskraft nicht mehr möglich.
Hiergegen wehrten sich die Kläger fristgerecht mit Einspruch.
Die begehrte Änderung habe auf Grundlage des § 129 AO zu erfolgen. Eine offenbare Unrichtigkeit liege vor, denn die Unrichtigkeit der Bescheide ergebe sich ohne Weiteres aus den eingereichten Einkommensteuer- und den (mit der Klageschrift in Kopie vorgelegten) Umsatzsteuererklärungen. Der Beklagte habe sich den Übertragungsfehler des Klägers zu Eigen gemacht.
Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2009 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Es liege keine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit vor, die ohne weitere Prüfung hätte erkannt werden können. Vielmehr sei im Rahmen der Prüfung der Einkommensteuererklärungen eine weitere Sachverhaltsaufklärung versäumt worden, denn die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen seien aus den eingereichten Steuererklärungen nicht ersichtlich.
Hiergegen wehren sich die Kläger mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage.
Die Unrichtigkeit der Gewinnermittlungen sei offenkundig und ohne Prüfung weiterer Unterlagen erkennbar gewesen. Es seien keinerlei Umsatzsteuerzahlungen an das Finanzamt als Betriebsausgaben aufgeführt gewesen, obgleich ersichtlich ein Umsatzsteuersoll vorlag. Der Beklagte hätte den Fehler sofort erkennen und beseitigen können.
Die Kläger beantragen,
folgende Änderungen unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2009:
Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 vom 09. August 2004 dahingehend, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit des Ehemannes zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 4.371 Euro Berücksichtigung finden;
Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 vom 30. Mai 2005 dahingehend, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit des Ehemannes zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 27.971 Euro Berücksichtigung finden;
Änderung des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 20. Juni
2006 dahingehend, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit des Ehemannes zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 15.107 Euro Berücksichtigung finden;
Änderung des Einkommensteuerbescheids 2005 vom 10. April 2007 dahingehend, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit des Ehemannes zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 17.344 Euro Berücksichtigung finden;
hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Einspruchsentscheidung fest. Der Fehler hätte nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, denn der maßgebliche Betrag ergab sich gerade nicht aus der Einkommensteuererklärung und den dazu eingereichten Anlagen. Der Veranlagungssachbearbeiter hätte vielmehr im Erhebungsbereich die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen abfragen müssen. Somit sei ein Fehler in der Sachverhaltsermittlung unterlaufen und die Anwendung von § 129 AO ausgeschlossen.
Der zuständige Senat hat die Entscheidung des Rechtsstreits mit Beschluss vom 21. April 2009 dem Einzelrichter übertragen.
Diesem haben bei seiner Entscheidungsfindung zwei Bände die Kläger betreffende Einkommensteuerakten und ein Band Gewinnermittlungsakten vorgelegen, auf deren Inhalt wie auch auf den Inhalt der im Verfahren ausgetauschten Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet, denn der Beklagte hat die beantragte Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2005 zu Recht abgelehnt.
Die Voraussetzungen des § 129 AO sind trotz der fehlerhaft erfolgten Nichtberücksichtigung von gezahlter Umsatzsteuer als Betriebsausgabe bei Erlass der Bescheide nicht erfüllt.
Zwar ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn die Finanzbehörde offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (zutreffend BFH, Urteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2009, 946). Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde jedoch nur Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, berichtigen. Vorliegend liegt weder ein Schreib- noch ein Rechenfehler, jedoch auch keine diesen ähnliche offenbare Unrichtigkeit vor.
Zu den ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten gehört auch die versehentliche Nichtberücksichtigung von feststehenden Tatsachen. Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist, der Fehler auf bloße mechanische Versehen zurückzuführen und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter – ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht – jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist hingegen kein Fehler, der auf ein bloßes mechanisches Versehen zurückzuführen ist (zutreffend BFH, Urteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BStBl II 2009, 946).
Den Klägern ist zwar bei der Gewinnermittlung und der Erstellung der Einkommensteuererklärungen der Streitjahre insoweit eine Unrichtigkeit unterlaufen, als sie versehentlich die in den Jahren 2002 bis 2005 an das Finanzamt abgeführte Umsatzsteuer nicht als Betriebsausgaben bei den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit angesetzt haben. Ob die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausscheidet, lässt das Gericht offen. Zugunsten der Kläger wird man wohl annehmen müssen, dass sie kaum davon ausgegangen sein werden, diese Beträge nicht als Betriebsausgaben geltend machen zu können. Auf der anderen Seite waren sie steuerlich nicht beraten und haben den Fehler über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg begangen. Jedenfalls stellt dies jedoch keine vom Beklagten als eigene übernommene offenbare Unrichtigkeit dar. Denn das Gericht stimmt dem Beklagten zu, dass der zuständige Sachbearbeiter die Unrichtigkeit nicht ohne weitere Prüfung hätte erkennen können.
Denn weder den Einkommensteuererklärungen noch den Umsatzsteuererklärungen der jeweiligen Streitjahre lässt sich entnehmen, ob und wie viel Umsatzsteuer der Kläger in den Streitjahren jeweils an das Finanzamt abgeführt hat. Soweit in den Umsatzsteuererklärungen unter „Vorauszahlungssoll” und „Abschlusszahlung” Beträge angegeben sind, ergibt sich daraus nicht, dass und vor allem wann diese Beträge tatsächlich abgeführt wurden. Der Abflusszeitpunkt ist jedoch nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG für die Berücksichtigung als Betriebsausgabe maßgeblich. Entsprechende Erkenntnisse hätte der Sachbearbeiter nur durch weitere Ermittlungen, etwa im Rahmen einer computergestützten Erhebungsauskunft oder durch Nachfrage bei der Erhebungsstelle gewinnen können. Die vorliegend erfolgte fehlerhafte Nichtberücksichtigung von gezahlter Umsatzsteuer als Betriebsausgabe hatte damit ihren Grund nicht in einem rein mechanischen Fehler, sondern sie beruhte auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung – damit scheidet die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO aus (vgl. auch das zutreffende Urteil des FG Düsseldorf 8 K 2348/09 vom 06. November 2009, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2010, 544).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war mangels eines Grundes im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Insbesondere liegt bezüglich des Urteils des FG Berlin 8 K 8072/97 vom 26. August 1998 (Gerling Informationen für wirtschaftsprüfende, rechts- und steuerberatende Berufe – GI – 1999, 45) keine eine Revisionszulassung rechtfertigende Divergenzentscheidung vor. Zwar hielt der dortige Senat in einem Einzelfall, in dem der Steuerpflichtige vergessen hatte, geleistete Umsatzsteuervorauszahlungen in die einkommensteuerliche Gewinnermittlung zu übernehmen, eine Korrektur über § 129 AO für geboten. Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Tatsachenwürdigung ausgeschlossen ist, beurteilt sich jedoch stets nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles, insbesondere nach der jeweiligen Aktenlage. Somit liegt allenfalls eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen, nicht jedoch eine abweichende Auslegungen des § 129 AO vor.