05.07.2013
Finanzgericht Köln: Urteil vom 08.05.2013 – 10 K 3191/12
1) Der Einspruch gegen einen Steuerbescheid gilt durch die widerspruchslose Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle
als zurückgenommen.
2) Ist eine Steuer bereits durch Steuerbescheid festgesetzt, scheidet der Erlass eines Insolvenzfeststellungsbescheides nach
§ 251 Abs. 3 AO aus.
3) Der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO verliert mit der widerspruchslosen Eintragung der Forderung in die Insolvenztabelle
seine Wirkung.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht
… ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 08.05.2013 für Recht
erkannt:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens den Körperschaftsteuerbescheid
für 2008 nach § 164 Abs. 2 AO zu ändern.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft – AG – die Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von
Beschichtungstechnologie sowie den Vertrieb von sämtlichen Dienstleistungen und Zusatzprodukten zur Beschichtungstechnologie.
Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Beschichtung von Werkzeugen als Lohnveredelung, die Herstellung und der Vertrieb von Anlagen
zu diesem Zweck sowie des damit verbundenen technischen Services. Hauptkunden sind weltweit Werkzeughersteller, die Automobil-
und Flugzeugindustrie sowie Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.
Die Klägerin entstand aus einer mit notariellem Vertrag vom 28. September 2001 beurkundeten Umwandlung. Ihr Grundkapital beträgt
3.500.000 EUR.
Durch Beschluss des Amtsgerichts C vom 1.9.2009 wurde auf Antrag der Klägerin über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet.
Weil die Klägerin für das Jahr 2008 zunächst keine Steuererklärungen vorlegte, ermittelte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen
für dieses Jahr im Schätzungswege. Hierbei ging der Beklagte von dem Zahlenmaterial aus, das die Klägerin in ihrem Antrag
auf Anpassung der Körperschaft- und Gewerbesteuervorauszahlungen ab 2008 mitgeteilt hatte. Das von der Klägerin mitgeteilte
körperschaftsteuerliche Einkommen für 2008 i.H.v. 3.117.029 EUR erhöhte der Beklagte um Zinsaufwendungen i.H.v. 500.000 EUR,
die aus seiner Sicht nicht zum Betriebsausgabenabzug zuzulassen waren. Auf dieser Grundlage setzte der Beklagte gegenüber
der Klägerin die Körperschaftsteuer für 2008 mit gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid
vom 30. Juli 2009 auf 542.554 Euro fest. Nach Abzug der von der Klägerin bereits im Vorauszahlungswege geleisteten Zahlungen
i.H.v. 458.552 EUR verblieb eine noch zu entrichtende Abschlusszahlung i.H.v. 84.002 EUR. Diesen Betrag sowie die Nachzahlung
des Solidaritätszuschlags zur Körperschaftsteuer 2008 i.H.v. 4.620,47 EUR meldete der Beklagte im Rahmen des Insolvenzverfahrens
zur Insolvenztabelle an.
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 17. August 2009 Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2008 ein. Zur Begründung
trug sie im Wesentlichen vor, für das Jahr 2008 ergebe sich, wie der dem Einspruchsschreiben beigefügten vorläufigen Gewinn-
und Verlustrechnung zu entnehmen sei, ein negatives zu versteuerndes Einkommen.
Den durch den Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungsbeträgen zur Körperschaftsteuer 2008 wurde seitens des
Insolvenzverwalters zunächst widersprochen. Nachdem der Widerspruch zurückgenommen worden war, wurde die Forderung zur Körperschaftsteuer
2008 in die Insolvenztabelle eingetragen.
Nach der Rücknahme des Widerspruchs gegen die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung wegen Körperschaftsteuer 2008 und
der sich in der Folge ergebenden Feststellung dieser Forderung im Sinne des § 178 Abs. 3 der Insolvenzordnung – InsO – hat
der Beklagte den gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2008 erhobenen Einspruch als erledigt angesehen.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts C vom … Mai 2011 nach Bestätigung
des vom Insolvenzverwalter am … Februar 2011 vorgelegten Insolvenzplans aufgehoben. Nach den Regeln dieses Insolvenzplans
wurden die seitens des Beklagten als Gläubiger der Gruppe 3 zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen, soweit diese festgestellt
worden sind, mit einer Quote von 8,43 % bedient.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 reichte die Klägerin den Jahresabschluss und die Steuererklärungen für das Kalenderjahr
2008 beim Beklagten ein. Der Beklagte wertete dieses Schreiben als Antrag auf Änderung des Körperschaftsteuerbescheids für
2008 vom 3. Juli 2009. Aus den Unterlagen ergibt sich ein körperschaftsteuerliches Einkommen von -194.175 EUR.
Der Beklagte lehnte mit Verfügung vom 29. Februar 2012 eine Änderung des Körperschaftsteuerbescheids für 2008 ab. Zur Begründung
führte er im Wesentlichen aus, dass die Forderung aus dem Körperschaftsteuerbescheid im Insolvenzverfahren widerspruchsfrei
festgestellt wurde und der Tabelleneintrag für die festgestellten Forderungen wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber allen
Beteiligten wirkt. Änderungen seien nur noch nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – hier unter den Voraussetzungen
einer Restitutionsklage – möglich. Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO sei nicht mehr möglich.
Den gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26. September 2012,
auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Entgegen der Auffassung des Beklagten sei eine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO nach Abschluss des Insolvenzverfahrens möglich.
Der Vorbehalt der Nachprüfung sei nicht durch das Insolvenzverfahren oder die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle
entfallen. Die Grundsätze des vom Beklagten zitierten Urteils des Bundesfinanzhofs vom 24. November 2011 V R 13/11 (Bundessteuerblatt
2012 II, 298) fänden keine Anwendung, da ein sog. Insolvenzfeststellungsbescheid nicht ergehe, wenn die Steuerforderung bereits
durch Bescheid festgesetzt ist. Für einen solchen gesonderten Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO bestehe kein Raum,
weil es an der Erforderlichkeit eines Feststellungsverfahrens fehle.
Verletze die bestandskräftige Steuerfestsetzung materielles Steuerrecht, so bewirke die Bestandskraft, dass eine Änderung
dieser Festsetzung nur dann in Betracht komme, wenn eine Korrekturvorschrift einschlägig sei. Dies sei im Streitfall § 164
Abs. 2 AO. Der Änderung stehe auch nicht Treu und Glauben entgegen.
Wegen der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 27. November 2012 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Körperschaftsteuerbescheids für 2008 die Körperschaftsteuer auf 0,00 Euro
herabzusetzen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Die Ablehnung der Änderung des Körperschaftsteuerbescheids für 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht
in ihren Rechten, vgl. § 101 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –. Es gibt keine Vorschrift, nach der der Körperschaftsteuerbescheid
2008 geändert werden könnte.
1. Eine Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung 1977 – AO – scheidet aus. Nach dieser Vorschrift
können Steuerbescheide zu Gunsten des Steuerpflichtigen u.a. geändert werden, soweit die Finanzbehörde einem Einspruch abhilft.
Der von der Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2008 eingelegte Einspruch gilt nach Auffassung des Senats jedoch
durch die widerspruchslose Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle als zurückgenommen (im Ergebnis ebenso, wenn auch
mit der Begründung, dass sich der Rechtsbehelf in der Hauptsache erledigt habe, Bundesfinanzhof – BFH –, Beschlüsse vom 23.6.2008
VIII B 12/08, BFH/NV 2008, 1691, vom 10.11.2010 IV B 11/09, BFH/NV 2011, 649).
Die hiergegen vom X. Senat des Bundesfinanzhofs erhobenen Bedenken (Beschluss vom 17.7.2012 X S 24/12, BFH/NV 2012, 1638)
greifen nicht durch. Das Finanzgericht Nürnberg (Urteil vom 17.12.2012 2 K 1825/12, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG
– 2013, 722) weist zutreffend darauf hin, dass keine Gefahr besteht, dass durch die Fortsetzung des Verfahrens eine Masseverbindlichkeit
begründet werden könnte. § 6 Abs. 1 Nr. 5 des Gerichtskostengesetzes bestimmt, dass die Verfahrensgebühr für ein Verfahren
vor dem Finanzgericht bereits bei Beginn des Verfahrens fällig wird. Hieraus kann deshalb kein Bedenken hergeleitet werden,
dass sich durch die widerspruchslose Eintragung der Steuerforderung in die Insolvenztabelle irgendwelche Nachteile zulasten
der Insolvenzmasse ergeben könnten, so dass eine konkludente Rücknahme des Rechtsbehelfs bzw. Erledigung der Hauptsache nicht
angenommen werden könnte. Was für das Klageverfahren vor dem Finanzgericht gilt, gilt gleichermaßen für das außergerichtliche
Einspruchsverfahren.
2. Der Anwendbarkeit des § 130 AO steht bereits entgegen, dass ein wirksamer Körperschaftsteuerbescheid erlassen worden ist.
Ist die Steuer bereits durch Steuerbescheid festgesetzt, scheidet der Erlass eines sog. Insolvenzfeststellungsbescheids nach
§ 251 Abs. 3 AO aus. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob er der sehr bedenklichen Rechtsprechung des V. Senats des Bundesfinanzhofs
(siehe Urteile vom 24.11.2011 V R 13/11, BStBl II 2012, 298 und vom 6.12.2012 V R 1/12) folgen könnte, mit der der Bundesfinanzhof
die Bestimmung der Insolvenzordnung unterläuft, wonach die Eintragung einer Forderung in die Insolvenztabelle mangels Widerspruchs
des Insolvenzverwalters, der Insolvenzgläubiger und des Insolvenzschuldners wie ein rechtskräftiges Urteil wirkt (§ 178 Abs.
1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 InsO).
Außerdem waren in den vom V. Senat entschiedenen Fällen vorher keine Steuerfestsetzungen ergangen. Auch dies spricht gegen
die Übertragung der vom V. Senat aufgestellten Grundsätze auf den Streitfall.
3. Letztlich scheidet entgegen der Auffassung der Klägerin auch eine Änderung des Körperschaftsteuerbescheids nach § 164 Abs.
2 AO aus. Der Vorbehalt der Nachprüfung verliert mit der widerspruchslosen Eintragung der Forderung in die Insolvenztabelle
seine Wirkung.
Das Insolvenzverfahren und das Steuerfestsetzungsverfahren sind nicht aufeinander abgestimmt. Da das Insolvenzverfahren das
speziellere Verfahren ist, gehen die dortigen Regelungen im Zweifelsfall den Regelungen des Steuerverfahrens vor. Dies bedeutet,
dass eine mangels Widerspruchs wie ein rechtskräftiges Urteil wirkende Eintragung einer Steuerforderung nur noch nach den
Regeln geändert werden kann, die für die Änderung eines rechtskräftigen Urteils gelten.
Dass die Voraussetzungen einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage nach §§ 579, 580 der Zivilprozessordnung nicht vorliegen,
ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf auch keiner näheren Begründung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu in der Hoffnung, dass die unterschiedliche
Rechtsprechung des IV., V. und VIII. Senats über die Wirkungen der widerspruchslosen Eintragung einer Steuerforderung, hinsichtlich
derer vorher eine Steuerfestsetzung erfolgt ist, zusammengeführt und geklärt wird, unter welchen Voraussetzungen eine Steuerfestsetzung
nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geändert werden kann.