31.05.2013
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 07.03.2013 – 12 K 3560/12 AO
- Hat das Finanzamt in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich - sich aus § 143 Abs. 1 InsO (Insolvenzanfechtung) ergebenden,
bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung Steuerbeträge an die Insolvenzmasse erstattet, ist die Rückforderung dieser Beträge
nicht durch Verwaltungsakt, sondern im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen.
- Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses kann nicht unter Hinweis auf § 37 Abs.
2 AO verlangt werden.
Tatbestand
Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der B GmbH (GmbH). Die von der GmbH für März 2009 und April 2009
angemeldeten Lohnsteuerbeträge hatte der Beklagte aufgrund einer erteilten Lastschrift zu den Fälligkeitsterminen eingezogen.
Auf Antrag der GmbH vom 9.6.2009 wurde am 1.9.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger focht als Insolvenzverwalter
die Lohnsteuerzahlungen an. Der Beklagte erstattete deswegen die vereinnahmten Beträge zur Insolvenzmasse. Nach erneuter Überprüfung
des Sachverhaltes gelangte der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen
hätten und deswegen die Insolvenzmasse keinen Erstattungsanspruch gem. § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) gehabt habe. Mit
auf § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestütztem Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 forderte er den Kläger zur Rückzahlung
der an die Insolvenzmasse erstatteten Beträge auf. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 23.8.2012)
trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage unter anderem vor:
Der Beklagte habe den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt festsetzen dürfen, weil es sich nicht um einen öffentlich
rechtlichen Anspruch handele. So wie der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aus § 143 InsO auf Erstattung anfechtbarer Zahlungen
vor den ordentlichen Gerichten verfolgen müsse, müsse der Beklagte die Rückgewähr des zur Erfüllung eines solchen Anspruches
Geleisteten im Wege des Zivilrechts geltend machen. Für den Rechtsweg könne es keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter
seinen Anspruch aktiv verfolge oder ob er sich gegen die (unberechtigte) Rückforderung des Finanzamtes wehre.
Der Kläger beantragt,
den Rückforderungsbescheid vom 15. 4 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er unter anderem vor:
Die Rückforderung sei zu Recht auf § 37 Abs. 2 AO gestützt worden. Es seien (Lohn-) Steuern ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt
worden, denn eine Verpflichtung aus§ 143 Abs. 1 InsO habe nie bestanden.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt.
Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt
oder zurückgezahlt worden, besteht gegenüber dem Leistungsempfänger gem. § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch. Gleiches
gilt, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.
Erstattung im Sinne von § 37 AO bedeutet die Rückzahlung von ohne rechtlichen Grund zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
gezahlter/zurückgezahlter Geldbeträge durch den Leistungsempfänger an denjenigen, auf dessen Rechnung die Leistung bewirkt
worden war (Drüen in Tipke/Kruse, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung Kommentar, § 37 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
Kommentar zur AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung § 37 AO, Rz. 22). Der Erstattungsanspruch bezweckt den Ausgleich ungerechtfertigter
Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16).
Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruches ist die vorherige Erfüllung eines Zahlungs – oder Rückzahlungsanspruches
aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund oder nach späterem Wegfall des rechtlichen Grunds. (Drüen in Tipke/Kruse,
§ 37 AO Rz. 16).
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht nicht schon allein deshalb, weil eine Vermögensverschiebung zwischen
einem Finanzamt und einer Privatperson erfolgt ist und dafür ein rechtlicher Grund nicht bestanden hat oder später fortgefallen
ist. Die Vorschrift dient nicht dazu, Erstattungsansprüche ungeachtet des konkreten Lebenssachverhaltes in das öffentliche
Recht zu transformieren (Krumm, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP – 2012, 959). § 37 Abs. 2 AO ist vielmehr eine für
das Steuerrecht spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruches und setzt
demgemäß voraus, dass es sich um die Korrektur einer Vermögensverschiebung handelt, die gerade aufgrund der öffentlich rechtlichen
Beziehung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde erfolgt ist (Krumm, ZIP 2012, 959). Dementsprechend ist die Behörde
berechtigt, die Zahlung an einen nicht Empfangsberechtigten, die zur Begleichung einer steuerlichen Verbindlichkeit geleistet
wurde, nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern, weil sie zur Erfüllung eines vermeintlichen Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnisses
geleistet wurde (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24).
Der Erstattungsanspruch ist deswegen dem öffentlichen Recht zuzuordnen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses
kann hingegen nicht unter Hinweis auf§ 37 Abs. 2 AO verlangt werden, sondern ist im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen und
nach § 812 BGB zu korrigieren (Schmieszek in Beermann Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
Nebengesetze § 37 AO, Rz. 41.1 und 62; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung Kommentar
§ 37 AO, Rz. 20 und 24).
Der Beklagte hat den mit dem angefochtenen Bescheid geforderten Betrag nicht zuvor an den Kläger zur Erfüllung eines Anspruches
aus dem Steuerschuldverhältnis zurückgezahlt. Die Erstattung erfolgte in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich -
sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden, bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung. Dies schließt die Rückforderung der solchermaßen
erstatteten Beträge durch Verwaltungsakt aus (s.o.). Der Beklagte ist verpflichtet, etwaige Ansprüche vor den Zivilgerichten
durchzusetzen (s.o.).
Der Beklagte hat dem Kläger das Geld nicht zur Korrektur ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen
Steuerrecht nicht übereinstimmen, zurückgezahlt. Nach materiellem Steuerrecht war er nämlich berechtigt, das von der GmbH
gezahlte Geld zu behalten. Die GmbH hatte die vom Beklagten erstatteten Beträge aufgrund von Steuerfestsetzungen bezahlt.
Der steuerrechtliche Grund für das Behaltendürfen dieser Zahlungen war weder im Zeitpunkt der Erstattung seitens des Beklagten
noch ist er später entfallen, denn die diesen Zahlungen zugrunde liegenden Steuerbescheide sind nicht aufgehoben oder geändert
worden (vgl. § 124 AO). Die Steuerbescheide sind insbesondere nicht wegen der seitens des Klägers erklärten Insolvenzanfechtung
unwirksam, weil lediglich die gläubigerbenachteiligende Zahlung angefochten wird, wodurch die Bestandskraft der der Leistung
zugrunde liegenden Verwaltungsakte nicht berührt wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH- vom 5. September 2012,
VII B 95/12, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 854; Krumm ZIP 2012, 959). Rechtsgrund der Zahlung war allein die Befolgung
der sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden Verpflichtung. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des VII. Senates
des BFH, der der Senat folgt, um einen originär gesetzlichen, zivilrechtlichen Anspruch und nicht um einen Erstattungsanspruch
aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im
BFH- Beschluss vom 5. September 2012 (VII B 95/12, BStBl II 2012, 854) Bezug genommen. Da mit der Zahlung an den Insolvenzverwalter
kein Anspruch auf eine Steuererstattung, sondern eine zivilrechtliche Forderung beglichen wurde, kann das zum Ausgleich Geleistete
vom Beklagten später nicht nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden, weil es am Tatbestand einer vorhergehenden, durch §
37 Abs. 2 AO zu korrigierenden Vermögensverschiebung im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses fehlt (Krumm, ZIP 2012, 959;
ernstlich zweifelhaft, ob eine Rückforderung des Finanzamtes auf § 37 Abs. 2 AO gestützt werden kann: BFH- Beschluss vom 27.
September 2012, VII B 190/11, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV 2012, 106).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen.