08.01.2013
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 26.09.2012 – 2 K 779/12
1. Handelt es sich bei einer Lieferung von Blutplasma um eine Ausfuhrlieferung nach § 6 UStG oder eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG, die jeweils steuerbefreit sind, so geht die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17 UStG vor. Ein Vorsteuerabzug ist somit nicht möglich.
2. Eine Selbstbindung der Verwaltung tritt nur bei solchen Verwaltungsanweisungen ein, die die Ausübung eines der Verwaltung eingeräumten Ermessens regeln.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von …, und … sowie den ehrenamtlichen Richtern … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 26. September 2012 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Vorsteuerabzug aus Blutplasmalieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet.
Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH, deren Zweck unter anderem die Sammlung, Aufbereitung, Konservierung und Verteilung von menschlichem Blut und Bestandteilen des menschlichen Blutes sowie deren Anwendung am Menschen und Abgabe an Krankenanstalten und andere öffentliche und private Einrichtungen der Gesundheitspflege für Heilzwecke sowie alle damit verbundenen ärztlichen und transfusionsmedizinischen Dienstleistungen im Rahmen des Zweckbetriebs ist.
Die Klägerin erklärte in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2001 steuerpflichtige Umsätze zu 16 % in Höhe von DM 1.909.408 sowie Vorsteuern in Höhe von DM 181.750,82. Die Jahresumsatzsteuer 2001 betrug DM 363.965,66 (EUR 186.092,69). 2002 erklärte die Klägerin EUR 707.987 steuerpflichtige Umsätze und EUR 71.759 abziehbare Vorsteuer, die Jahresumsatzsteuer 2002 betrug EUR 147.528,69. Das Finanzamt X führte für die Jahre 1998 bis 2002 eine Außenprüfung durch. In Auswertung der Prüfung änderte am 1. Februar 2007 das Finanzamt Y den Bescheid für 2001 (DM 382.910), für 2002 ergaben sich keine Änderungen. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob es jeweils auf. Dagegen legte die Klägerin am 14. Februar 2007 Einspruch ein und beantragte zusätzlich zu den bisher geltend gemachten Vorsteuerbeträgen solche aus Blutplasmalieferungen ins Ausland für 2001 in Höhe von EUR 634.476,27 und für 2002 von EUR 987.970,85.
Im Jahr 2009 überprüfte das Finanzamt X den Vorsteuerabzug aus Plasmalieferungen ins Ausland. Dabei stellte es fest, dass in den Jahren 2001 und 2002 an die Abnehmer A/B und C Blutplasma geliefert worden sei. Die Vorsteuer für 2001 betrage DM 162.805,85, so dass die Umsatzsteuer 2001 auf DM 382.110,63 festzusetzen sei. Für 2002 betrage die Vorsteuer EUR 546.821,79, woraus sich eine Umsatzsteuer für 2002 von ./. EUR 327.713,79 ergebe.
Dabei sei davon auszugehen, dass die Lieferungen an die Firma B ein Reihengeschäft sei. Die Firma in Italien beauftragte die Speditionen, welche das Blutplasma in D (Deutschland) abholten und nach Italien gebracht hätten. Die Rechnungslegung sei an eine Gesellschaft in E (USA) gelegt worden. Daher liege die bewegte Lieferung von den USA nach Italien vor, die Lieferung von Deutschland nach den USA sei die unbewegte Lieferung. Deutschland sei der Ort, an dem die unbewegte Beförderung beginne. Daher liege keine Ausfuhrbefreiung nach § 4 Nummer 1a UStG vor. Aufgrund der Steuerbefreiung von § 4 Nr. 17 UStG sei der Vorsteuerabzug zu versagen.
Ferner habe die Klägerin in den Jahren 2001 und 2002 Blutplasma an die Firma C1 in F (Deutschland) geliefert. Dieses Plasma sei zur Weiterverarbeitung an die Firma C2 in G (Österreich) geliefert worden, wobei die österreichische Firma Speditionen beauftragte und das Plasma in D (Deutschland) abgeholt habe. Die Rechnungslegung sei an die C3 in H in der Schweiz erfolgt. Teilweise sei sie an die C1 in F (Deutschland) vorgenommen worden. An die C1 sei die Lieferung nicht mit einer Umsatzsteueridentifikationsnummer abgerechnet worden. Daher liege ein Reihengeschäft vor, weil mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Geschäft abschlossen hätten. Es liege eine Versendung durch den letzten Abnehmer vor, dies sei die Firma C in G (Österreich), da diese die Spedition beauftragt habe. Die bewegte Lieferung sei daher von Deutschland nach Österreich. Die Lieferung von D nach F sei die unbewegte Lieferung, so dass der Ort der unbewegten Lieferung in Deutschland sei. Es liege die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 UStG vor, so dass der Vorsteuerabzug entfalle. Mit Einspruchsentscheidung von 24 April 2012 wies das nunmehr zuständige Finanzamt Z die Einsprüche zurück.
Die Klägerin ist der Auffassung dass ihr der Vertrauensschutz in Bezug auf den Abschnitt 204 Abs. 4 UStR zustehe. Die angefochtenen Bescheide der Außenprüfung seien vor Veröffentlichung des vom Beklagten zentral bezogenen EuGH-Urteils ergangen. Die Veröffentlichung sei parallel zum Einspruch erfolgt und sei den Handelnden zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen. Nach Veröffentlichung dieses EuGH-Urteils sei die Diskussion von 2007 bezüglich der allgemeinen Anwendbarkeit bis 2011 fraglich gewesen, da ansonsten das BMF-Schreiben nicht erst am 11. April 2011 ergangen wäre. Daher sei bis einschließlich 2007 der Abschnitt 204 Abs. 4 UStR weiter anzuwenden. Hierauf habe die Klägerin bis 2011 vertrauen können.
Im Frühjahr 2006 sei bekannt geworden, dass andere Plasmaverkäufer Vorsteuer für die Lieferung ins Ausland geltend machten. Da die Sonderbestimmungen UStR 204 Abs. 4 aus der Systematik der Gesetzgebung nicht erwartbar gewesen seien, habe erst gegen Jahresmitte 2006 geprüft werden können, ob zur weiteren Kostenentlastung der gemeinnützigen Blutbestandteile Vorsteuer aus Ausfuhren von Plasma erstattbar seien. Konzernweit sei bis Ende 2006 ermittelt worden, für welche unverjährten Jahre Vorsteuer habe in Anspruch genommen werden können. Dabei sei festgestellt worden, dass bis zum Jahr 2000 die Bedingungen in der Regel nicht erfüllt gewesen seien. Konzernweit seien für die Jahre 2002 bis 2007 erhebliche Korrekturen vorgenommen worden. Für die Jahre 2001 und 2002 sei die Beschaffung der erforderlichen Unterlagen jedoch durch Zeitablauf und aufgrund von Änderung der rechtlichen Organisationsstrukturen erschwert gewesen. Erst Mitte 2007 seien die Daten leicht nachvollziehbar vorgelegt worden, was im Unterschied zu anderen Konzerngesellschaften jedoch bisher noch zu keiner Erstattung geführt habe. Der Antrag sei noch nicht Ende 2006 gestellt worden, da anders als bei Schwestergesellschaften keine Verjährung gedroht habe.
Die Finanzverwaltung habe das Urteil des EuGH lange nicht für verbindlich angesehen. Daher sei die im Jahr 2011 nachgeschobene Interpretation des BMF schon aus zeitlichen Gründen fragwürdig und die rückwirkende Anwendung widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Über Art. 3 GG sei die Verwaltung an die Ermessensausübung durch Richtlinien selbst gebunden. Diese seien auch für die Rechtsprechung verbindlich. Bei norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften liege grundsätzlich keine Außenwirkung vor. Sie seien durch die Gerichte voll kontrollierbar. Die Gerichte seien aber durch Art. 3 GG durch den Grundsatz der Gleichmäßigkeitsbesteuerung und der möglichen Selbstbindung der Verwaltung an diese Richtlinien gebunden. Die Gerichte hätten diese anzuwenden, wie die Verwaltung sie verstanden habe. Das Vertrauen in die Gesetzgebung und die höchstrichterliche Rechtsprechung sei durch Übergangsregelungen zu schützen.
Nach § 176 Abs. 2 AO sei eine Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen nicht möglich, wenn inzwischen eine allgemeine Verwaltungsvorschrift von der Rechtsprechung als nicht mit dem Gesetz in Einklang stehend bezeichnet worden sei. Die Norm sei analog anwendbar, wenn die Steuer für einen Besteuerungszeitraum zur Zeit der Änderung der Rechtsprechung bereits festgesetzt worden sei. Dabei sei es unerheblich, ob der Steuerpflichtige bereits bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung neue Tatsachen hätte berücksichtigen müssen oder können. Hätte er das getan, würde der Vertrauensschutz eingreifen. Das Unterlassen dürfe ihn nicht schlechter stellen.
Außerhalb des § 176 AO sei die Finanzbehörde dann gebunden, wenn die Voraussetzungen einer verbindlichen Zusage vorlägen. Eine solche sei vom Finanzamt I, Außenstelle J, mit Schreiben vom 26. Februar 2009 für den aufgrund Umsatzsteuerorganschaft als Rechtsnachfolger agierenden K gGmbH in I erteilt worden. Dort sei mitgeteilt worden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die neue Rechtslage der UStR 2008 ab dem Jahr 2008 anzuwenden sei. Diesem Schreiben habe ein Antrag auf verbindliche Auskunft zu Grunde gelegen, der seitens der Finanzverwaltung als verbindliche Zusage gestaltet worden sei, da kein Rechtsraum zur Erteilung einer verbindlichen Auskunft bestanden habe.
Zudem sei die Entscheidung des EuGH auf den Streitfall nicht ohne weiteres anwendbar. Nach dem dortigen Sachverhalt habe sich der Kläger nicht auf luxemburgisches Recht für den Vorsteuerabzug in Luxemburg bei Ausfuhr berufen können, da die inländischen Umsätze in Luxemburg keinen Vorsteuerabzug eröffneten. In Deutschland sei in Bezug auf den Blutspendedienst gemäß der alten UStR sowie der Rechtsprechung ohne europäisches Recht immer Vorsteuerabzug zu gewähren. Schließlich würden andere Finanzämter in anderen OFD-Bezirken bis einschließlich 2011 im Vorsteueranmeldeverfahren den Abzug von Vorsteuern gemäß Abschnitt 204 Abs. 4 UStR akzeptieren. Es liege daher deutschlandweit keine einheitliche Regelung vor. Der Vorsteuerabzug sei bis zum 11. April 2011 zuzulassen.
Bis zum 17. Februar 2002 sei die Klägerin Lieferer, die Firma in F Kommissionär und die Firma in der Schweiz Empfänger bei Abholung durch den Auftraggeber in Österreich gewesen, die dem Empfänger zugerechnet werde, so dass eine umsatzsteuerfreie Lieferung nach § 6a UStG vorgelegen habe. Ab dem 17. Februar 2002 sei die Rechnung direkt von D (Deutschland) in die Schweiz gegangen, die Lieferung sei wie vorher erfolgt. Es liege kein Reihengeschäft vor, es gebe auch keine Rechnung der Schweizer Firma an die österreichische.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002, beide vom 1. Februar 2007, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. April 2012, dahingehend zu ändern, dass für 2001 weitere Vorsteuer von EUR 275.185 und für 2002 von EUR 538.072 gewährt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass ein Vertrauensschutz der Klägerin in Bezug auf die Selbstbindung der Verwaltung an Verwaltungsanweisungen sowie in der unzulässigen Rückwirkung von Änderungen dieser Verwaltungsanweisungen durch BMF-Schreiben nicht vorliege. Hinsichtlich der Blutplasmalieferungen ins Ausland sei keine Änderung der Festsetzung erfolgt. Vielmehr sei im Einspruchsverfahren erstmalig der Vorsteuerabzug für Blutplasmalieferungen ins Ausland geltend gemacht worden. Durch die Einsprüche seien die Festsetzungen für 2001 und 2002 nicht in formelle und materielle Bestandskraft erwachsen. Ebenso wie die nachträglich rückwirkend geltend gemachten Vorsteuern seien Rechtsprechungsänderungen bis zur Bestandskraft zugrunde zu legen. Rechtssystematisch sei die Anwendung des EuGH-Urteils vom 7. Dezember 2006 zur Vereinheitlichung des Mehrwertsteuersystems im Gemeinschaftsgebiet unabwendbar. Eine echte Rückwirkung sei im Klagefall damit nicht gegeben.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakten sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. September 2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002 sind rechtmäßig, sie entsprechen der Rechtslage. Der Beklagte hat zutreffend die Berücksichtigung weiterer Vorsteuer unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 7. Dezember 2006 (Rs. C-240/05 „Eurodental”, HFR 2007, 176, Heft 2 erschienen am 15. Februar 2007) versagt. Darin hat der EuGH verbindlich auch für Deutschland entschieden, dass ein Umsatz, der nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern innerhalb eines Mitgliedstaats von der Mehrwertsteuer befreit ist, ungeachtet der im Bestimmungsmitgliedstaat anwendbaren Mehrwertsteuerregelung kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 3 b dieser Richtlinie eröffnet, selbst wenn es sich um einen innergemeinschaftlichen Umsatz handelt. Die Richtlinie ist für alle Mitgliedsstaaten nunmehr in diesem Sinne so auszulegen, damit eine einheitliche Anwendung gewährleistet ist. Insoweit gilt der Anwendungsvorrang des Rechtes der Europäischen Union. Daher kann es auch dahinstehen, ob der Sachverhalt, der dem luxemburgischen Vorlagegericht zugrunde lag, mit dem hier vorliegenden vollständig übereinstimmt. Es kommt nicht darauf an, ob nach deutschem Recht ein Vorsteuerabzug für die streitbefangenen Umsätze gewährt worden ist. Maßgeblich ist nach dieser Entscheidung allein, wie bei einer Konkurrenz von zwei Umsatzsteuerbefreiungen zu verfahren ist.
Das Urteil mag in der Literatur kritisch aufgenommen worden sein, über dessen Anwendbarkeit besteht aber auch dort kein Zweifel (vgl. Reiß/Kraeusel/Langer, UStG-Kommentar, § 15 Rz. 398.2, wo im Übrigen nur angemerkt wird, dass nur innergemeinschaftliche Umsätze betroffen sind, nicht aber steuerfreie Ausfuhrlieferungen vorliegen, die im Streitfall nicht vorliegen). Vorliegend kommt es auch nicht darauf an, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung oder eine Lieferung in das Ausland vorliegt. Das Urteil des EuGH differenziert insoweit nicht, auch die Finanzverwaltung hat im Abschnitt 4.17.1 des UStAE geregelt, dass, wenn eine Ausfuhrlieferung nach § 6 UStG oder eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG vorliegt, die jeweils steuerbefreit sind, die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17 UStG vorgeht. Dem schließt sich der Senat an.
Der Vorsteuerabzug ist aber auch nicht aus Vertrauensschutzgründen zu gewähren. § 176 Abs. 1 AO gewährt Vertrauensschutz bei der Änderung von Steuerbescheiden. Aus § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO folgt, dass diese Vorschrift das Vertrauen des Steuerpflichtigen in eine ihm günstige Rechtsprechung als solches nicht schützt. Geschützt wird allein das Vertrauen in die Bestandskraft eines Bescheids, soweit dieser auf einer günstigen Rechtsprechung beruht (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 28. Mai 2002 – IX R 86/00, BStBl II 2002, 840). Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies auch, wenn eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Selbst wenn die Norm auf die Rechtsprechung des EuGH Anwendung finden könnte, was im Wege der Analogie denkbar erscheint, lägen ihre Voraussetzungen nicht vor. Denn die Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002 sind nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 7. Dezember 2006 geändert worden. Vielmehr wird die erneute Änderung, die die Klägerin am 14. Februar 2007 beantragte, abgelehnt. Zur Anwendung von § 176 AO käme es nur dann, wenn die Klägerin bereits vorher die streitigen Vorsteuern angemeldet und ausbezahlt bekommen hätte und mit Ergehen der EuGH-Entscheidung der Beklagte dann die Bescheide zum Nachteil der Klägerin geändert hätte. So liegt der Fall jedoch nicht.
Der Steuerpflichtige kann – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 176 AO – nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch auf Vertrauensschutz haben, wenn sich die Rechtsprechung verschärft und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat. Der auch für das Besteuerungsverfahren geltende allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im konkreten Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen angemessene Rücksicht nimmt und sich mit seinem früheren Verhalten, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er in irreparabler Weise disponiert hat, nicht in Widerspruch setzt. Er verdrängt jedoch gesetztes Recht – wie im Streitfall die Umsatzsteuerpflicht der Tätigkeit der Klägerin – nur in besonders liegenden Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in so hohem Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (Urteile des Bundesfinanzhofes vom 30. März 2011 – XI R 30/09, BStBl II 2011, 613 und vom 7. Oktober 2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865). Bei der Änderung einer langjährigen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann es das Rechtsstaatsprinzip gebieten, dass die Gerichte aus Vertrauensschutzgründen typisierende Übergangsregelungen treffen (Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 17. Dezember 2007 – GrS 2/04, BStBl II 2008, 608). Im Streitfall fehlt es an den Voraussetzungen für den Vertrauensschutz für die Klägerin. Zum einen ist die Entscheidung des EuGH bereits am 7. Dezember 2006 ergangen, die Klägerin hat ihre Änderungsanträge aber erst danach, nämlich am 14. Februar 2007 eingereicht. Die Urteile des EuGH sind ab dem Tag des Erlasses auf der Web-Seite „http://curia.europa.eu/de/content/juris/index_form.htm” einsehbar. Die Veröffentlichung erfolgte in der Amtlichen Sammlung 2006 I-11479 und in Deutschland in HFR 2007, 176. Unerheblich ist, wann die Verwaltung diese Entscheidungen umsetzt, denn sie stellen im Zeitpunkt ihres Ergehens die aktuelle Rechtslage dar. Hätte sich die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung über die Rechtslage informiert, wäre sie auf die EuGH-Entscheidung gestoßen, aus der sie den Schluss hätte ziehen müssen, dass ihr der Vorsteueranspruch nicht zusteht.
Zum anderen hat die Klägerin im Hinblick auf die Regelung in Abschnitt 204 Abs. 4 UStR offenbar gerade keine Dispositionen getroffen, die schützenswert gewesen wären. Denn sie hat die Lieferungen gerade nicht als steuerfrei behandelt, sondern so, wie sie nach der Rechtsprechung des EuGH wohl zu behandeln sind. Daher kann ihr nunmehr nicht die Umsatzsteuer erstattet werden. Auf die weiteren Fragen zum Reihengeschäft, die im Einspruchsverfahren erörtert wurden, kommt es vorliegend nicht an. Es kommt nicht darauf an, dass aus innerbetrieblichen Gründen trotz der Existenz von Abschnitt 204 Abs. 4 UStR seit 1985 die Klägerin die hier streitige Vorsteuer nicht zeitnah geltend gemacht hat. Die Rechtslage war offenkundig und allgemein bekannt. Die Klägerin hat ihre Kalkulation in den Streitjahren auch nicht in der Annahme auf höhere Vorsteuern vorgenommen, daher sind keine schützenswerten Rechtspositionen zu erkennen.
Die Änderung der UStR 204 Abs. 4 durch das BMF-Schreiben vom 14. April 2011 begründet keinen Anspruch auf die geltend gemachten Vorsteuern. Eine Selbstbindung der Verwaltung tritt nur bei solchen Verwaltungsanweisungen ein, die die Ausübung eines der Verwaltung eingeräumten Ermessens regeln. Derartige ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften können unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 26. November 2003, BFH/NV 2004, 754). Jedoch handelt es sich bei der UStR 204 Abs. 4 nicht um eine solche ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, sondern um eine norminterpretierende. Diese sind voll gerichtlich überprüfbar (Klein, AO-Kommentar, § 4 Rz. 10). Daher findet eine Bindung der UStR 204 Abs. 4 gegenüber dem Gericht nicht statt.
Die Vorsteuer ist nicht aus der Behauptung der Klägerin zu gewähren, dass andere Finanzämter anderen Steuerpflichtigen die Vorsteuern für die Jahre 2001 und 2002 zahlen würden. Abgesehen davon, dass der Senat diese Behauptung nicht überprüfen kann, gewährt Art. 3 Abs. 1 GG keine Gleichheit im Unrecht (Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77, BVerfGE 50, 166). Die Klägerin hat also keinen Anspruch auf einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, nur weil andere Steuerpflichtige solche möglicherweise erhalten haben.
Schließlich kann eine Änderung auch nicht deshalb angenommen werden, weil das Finanzamt I gegenüber dem K gGmbH mit Schreiben vom 26. Februar 2009 mitgeteilt hat, dass die neue Rechtslage aus Gründen des Vertrauensschutzes ab dem 1. Januar 2008 anzuwenden sei. Mit Schreiben vom 9. März 2012 hat dieses Finanzamt erläutert, dass die Jahre vor 2008 nicht aufgegriffen würden. Daraus folgt, dass das Finanzamt vor diesem Zeitpunkt gewährte Vorsteuer nicht zurückfordern wird. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass diese Schreiben auch für die Klägerin bestimmt sind und dass der Beklagte daran gebunden wäre, was zweifelhaft ist, ergibt schon der Wortlaut der Schreiben, dass im Streitfall eine Erstattung von Vorsteuern aus den Jahren 2001 und 2002 nicht in Betracht kommt.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil in der vorliegenden Konstellation eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes noch nicht vorliegt.