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  • 14.11.2012

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 08.05.2012 – 8 K 15238/08

    1. Ergibt die Günstigerprüfung, dass der Abzug der für die Kinder zustehenden Freibeträge für den Steuerpflichtigen günstiger ist als das Kindergeld, ist für die Hinzurechnung von Kindergeld nach § 31 S. 4 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2003 allein entscheidend, ob ein Anspruch auf Kindergeld für die streitigen Zeiträume bestanden hat. Insoweit ist es daher unbeachtlich, ob Kindergeld beantragt, in welcher Höhe, wann und an wen es gezahlt worden ist, ob es zurückgeführt wird und ob der Anspruch auf die Gewährung von Kindergeld verfahrensrechtlich noch durchgesetzt werden kann.

    2. Hat der Kläger die an das FG gerichtete Klage einen Tag vor Fristende durch Einschreiben/ Einwurf zur Post gegeben, durfte er zulässigerweise auf eine Postbeförderungszeit von einem Tag vertrauen.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 8. Senat – ohne mündliche Verhandlung am 8. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … den Richter am Finanzgericht … die Richterin am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … Herr … und Herr …

    für Recht erkannt:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Tatbestand:

    Der verheiratete Kläger erzielte in den Streitjahren aus seiner Beteiligung an einer GmbH & Co. KG und Tätigkeit als Eiskonditor Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er wird mit der Klägerin zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

    Die Kläger gaben in ihren Einkommensteuererklärungen für 2005 und 2006 und den entsprechenden Anlagen Kind für ihre am 28. Dezember 1992 und 20. Februar 1998 geborenen leiblichen Kinder C. und D. an, dass diese in E. leben.

    Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2005 mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 35.563 EUR fest. Er berücksichtigte zwei Kinderfreibeträge i.H.v. 11.616 EUR und forderte die Kläger mit dem Bescheid in den Erläuterungen zum Nachweis auf, dass für die Kinder in E. kein Kindergeld oder vergleichbare Leistungen gezahlt wurden.

    Auch für 2006 wurde die Einkommensteuer mit Bescheid vom 7. Dezember 2007 ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß auf 34.761 EUR festgesetzt. Hierbei wurden ebenfalls zwei Kinderfreibeträge i.H.v. 11.616 EUR berücksichtigt, ohne dass eine Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs zur Einkommensteuer erfolgte.

    Im Rahmen des Einspruchsverfahrens zur Einkommensteuer 2004 legten die Kläger einen Bescheid der Familienkasse vom 9. Mai 2007 vor, mit dem diese den Antrag auf Kindergeld für die beiden in E. lebenden Kinder aufgrund fehlender Unterlagen abgelehnt hatte.

    Die Kläger teilten daraufhin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit, dass ein Nachweis nicht erbracht werden könne, weil sie kein Kindergeld oder ähnliche Leistungen in E. erhalten hätten und es daher nicht möglich sei, darüber einen Nachweis zu erbringen. Der Kläger habe einen Antrag auf Kindergeld bei der Familienkasse gestellt. Aus dem geführten Schriftwechsel lasse sich ebenfalls schließen, dass er keine Leistungen in E. erhalten habe.

    Der Beklagte erließ am 1. Juni 2008 Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2005 und 2006 und erhöhte die Einkommensteuerfestsetzungen um Kindergeldansprüche i.H.v. 1.848 EUR für jedes Kind auf 39.259 EUR für 2005 und 38.457 EUR für 2006.

    Zur Einspruchsbegründung verwiesen die Kläger auf ihren Einspruch gegen die Einkommensteuer bei 2004. Ihnen könne keine mangelnde Mitwirkung beim Kindergeldantrag nachgesagt werden, da sich die Bearbeitung des Antrags monatelang hingezogen und die Kindergeldkasse immer wieder andere Bescheinigungen verlangt habe, die der Kläger besorgt und eingereicht habe. Die Entscheidung der Familienkasse über die Kindergeldfestsetzung diene nicht als Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerveranlagung. Im Rahmen des Familienleistungsausgleichs werde der jeweils geltend gemachte Kinderfreibetrag oder das Kindergeld alternativ gewährt, es erfolge eine sogenannte Günstigerprüfung. Diese Prüfung könne jedoch nur erfolgen, wenn das Kindergeld auch tatsächlich ausgezahlt wurde. In den geänderten Bescheiden sei das nicht ausgezahlte Kindergeld bei der Berechnung hinzugerechnet worden. Dies stelle eine Ungleichbehandlung und Schlechterstellung gegenüber anderen Steuerpflichtigen dar, denen Kindergeld ausgezahlt wurde.

    Der Beklagte wies die Rechtsbehelfe mit der am 21. August 2008 gefertigten Einspruchsentscheidung, die nach einem Datumstempel vom 28. August 2008 mit einfachem Brief zur Post aufgeben wurde, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Es sei der bestehende Kindergeldanspruch i.H.v. zweimal 1.848 EUR bei der Einkommensteuer zu Recht hinzugerechnet worden. Gemäß § 31 EStG werde die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG bewirkt. Sei der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöhe sich die unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld. Der Gesetzgeber stelle hier ausdrücklich auf den Anspruch ab, unabhängig davon, ob ein Antrag gestellt wurde oder eine Zahlung erfolgt sei. Laut dem übersandten Schreiben der Familienkasse vom 9. Mai 2007 hätte es aufgrund fehlender Unterlagen nicht zur Auszahlung von Kindergeld kommen können. Aber auch ein Anspruch auf Kindergeld, dessen Festsetzung aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht erfolgt ist, sei zu berücksichtigen.

    Die Kläger wenden sich mit der am 2. Oktober 2008 erhobenen Klage gegen die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2008, die ihrem steuerlichen Berater nach ihrem Vortrag erst am Dienstag, 2. September 2008 zugegangen sei. Sie rügen die Gegenrechnung der Ansprüche auf Kindergeld und vertreten nach rechtlichem Hinweis des Gerichts die Auffassung, dass die Familienkasse das Kindergeld für die betreffenden Jahre 2004 bis 2006 nicht ausgezahlt, sondern den Sachverhalt geprüft habe. Dies sei als Indiz zu werten, dass zumindest zum damaligen Zeitpunkt von einem Anspruch auf Kindergeld nicht mit Sicherheit ausgegangen werden konnte. Der Kläger sei als Laie der Meinung gewesen, keinen Anspruch zu haben, und habe seine Mitwirkung in der Angelegenheit eingestellt. Die Gesetzeslage nach § 31 EStG stelle auf den tatsächlich bestehenden Anspruch und nicht auf einen vermuteten Anspruch oder einen eventuell nicht auszuschließenden Anspruch ab. Aufgrund der von der Familienkasse erteilten Negativbescheinigung für 2004 habe das Finanzamt für das Veranlagungsjahr 2004 von einer Gegenrechnung des nicht gezahlten Kindergeldes abgesehen. Dem Kindergeldbescheid komme hinsichtlich der Höhe des bezogenen Kindergeldes für das Finanzamt Bindungswirkung zu. Demnach sei die Negativbescheinigung für das Jahr 2004 richtig vom Finanzamt berücksichtigt worden. Die Negativbescheinigungen für die Jahre 2005 und 2006 seien nachgereicht worden. Auch für diese Jahre sei durch die Familienkasse nicht abschließend prüfbar, ob ein Anspruch bestehe, weshalb kein Kindergeld ausgezahlt worden sei. Zum heutigen Zeitpunkt sei der Sachverhalt rückwirkend insoweit geklärt, als den Klägern als EU-Bürger der Anspruch zugestanden hätte und insofern auch die in den Steuererklärungen ab 2004 geltend gemachten Kinderfreibeträge anzusetzen seien. Die Negativbescheide 2005 und 2006 seien zu berücksichtigen und die Steuerbescheide für die Jahre entsprechend zu korrigieren, da sie aufgrund der Gegenrechnung von zum damaligen Zeitpunkt nicht geklärten Ansprüchen und deshalb gezahlten Kindergeld rechtswidrig seien.

    Die Kläger beantragen sinngemäß,

    die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 vom 1. Juli 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2008 mit der Maßgabe zu ändern, dass bei der Berechnung der Steuern Ansprüche auf Kindergeld für zwei Kinder in Höhe von jeweils 1.848 EUR außer Ansatz bleiben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er hält die Klage für unzulässig, dass sie nicht innerhalb der Klagefrist, welche mit Ablauf des 1. Oktober 2008 endete, eingereicht worden sei.

    In der Sache seien die Ausführungen der Kläger nicht geeignet, die angefochtene Festsetzung zu ändern. Nach § 31 Satz 4 EStG erhöhe sich die unter Berücksichtigung des Abzuges der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld, wenn der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger ist, als der Anspruch auf Kindergeld. Ob Kindergeld gezahlt worden ist oder nicht, oder ob es – wie im Streitfall – aus verfahrensrechtlichen Gründen wegen mangelnder Mitwirkung nicht festgesetzt wurde, sei im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 15. Dezember 2006 (VII B 7/06) unbeachtlich. Die Kläger räumten selbst ein, dass der Sachverhalt rückwirkend insoweit geklärt sei, als ihnen, den Klägern, als EU-Bürger der Anspruch auf Kindergeld zugestanden habe. Bescheide über die Festsetzung des Kindergeldes seien mangels gesetzlicher Regelung keine Verwaltungsakte, denen im Verhältnis zu Einkommensteuerbescheiden eine Bindungswirkung zukomme. Ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung komme die Annahme eines Grundlagenbescheides nur dort in Betracht, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag. Die Finanzbehörde könne aber die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld aufgrund eigener Sachkunde prüfen.

    Dem Gericht haben die vom Beklagten für die Kläger zur Steuernummer … geführten Einkommensteuer Akten (Bd. II) vorgelegen.

    Entscheidungsgründe:

    Das Gericht durfte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

    Die Klage ist zulässig.

    Gemäß § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Klage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Nach diesen Voraussetzungen ist die Klage verspätet erhoben worden. Denn gemäß § 122 Abs. 2 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben; es sei denn, er ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Die am 28. August 2008 zur Post gegebene Einspruchsentscheidung ist am 1. September 2008 bekannt gegeben worden. Denn der dritte Tag nach Aufgabe zur Post (31. August 2008) war ein Sonntag, so dass gemäß § 108 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch die Frist zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes nach § 122 Abs. 2 AO erst am nächsten Werktag, d.h. am Montag, den 1. September 2008 endete (zur Anwendung des § 108 Abs. 3 AO im Rahmen des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO siehe BFH, Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BStBl II 2003, 898). Für den behaupteten verspäteten Zugang am 2. September 2008 reicht der bloße Hinweis auf den Eingangsstempel nicht aus. Die Kläger haben die Dreitagesvermutung allein dadurch nicht erschüttert. Deshalb endete die Klagefrist gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am Mittwoch 1. Oktober 2008. Sie ist durch die erst am 2. Oktober 2008 eingegangene Klageschrift nicht gewahrt worden.

    Den Klägern ist aber auch ohne ausdrücklichen Antrag nach § 56 Abs.1 und 2 Satz 3 und 4 FGO von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren, weil die Rechtshandlung, die Klageerhebung, innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist und die Prozessbevollmächtigte die Klage nach dem vorliegenden Briefumschlag, am Dienstag, 30. September 2008 per Einschreiben/ Einwurf zur Post gegeben hat. Die Kläger durften nach Auffassung des Senats auf eine Postbeförderungszeit von einem Tag vertrauen (vgl. hierzu BGH vom 20.05.2009, IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379), wodurch sie die Klagefrist gewahrt hätten und somit die Frist ohne ihnen zuzurechnendes Verschulden verstrichen ist.

    Die Klage ist aber unbegründet. Die Kläger sind durch die streitige Hinzurechnung des Kindergeldes im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2005 und 2006 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    Der Beklagte hat zu Recht nach § 31 Satz 4 EStG auf die tarifliche Einkommensteuer Kindergeld i.H.v. 1.848 EUR für jedes Kind hinzugerechnet. Denn ist nach dieser Vorschrift – wie vorliegend – der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld.

    Diese im Gegensatz zu der bis zum Jahr 2003 geltenden gesetzliche Regelung durch das StÄndG vom 15. Dezember 2003 geänderte Fassung des Gesetzes stellt nicht mehr auf die Festsetzung und tatsächliche Zahlung des Kindergeldes, sondern aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und mit Rücksicht auf den bis zur Verjährungsgrenze möglichen Kindergeldanspruch maßgebend auf den Anspruch auf Gewährung von Kindergeld ab. Auf Grund dessen kommt es nicht darauf an, ob Kindergeld beantragt wird, in welcher Höhe, wann und an wen es gezahlt worden ist, ob es zurückgeführt wird und ob der Anspruch verfahrensrechtlich noch durchgesetzt werden kann (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 31 Rz. 11 und FG Düsseldorf, Urteil vom 21.01.2010, 14 K 2364/08 E, EFG 2010, 650-651).

    Den Klägern stand als EU-Bürger ein Anspruch auf Kindergeld für ihre unter 18 Jahre alten Söhne zu. Dies wird von den Klägern auch nicht bestritten. Da der Ansatz der Kinderfreibeträge für die Kläger günstiger ist, lagen für das Streitjahr die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Hinzurechnung vor.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Der Senat hat die Revision unter Berücksichtigung der beim Bundesfinanzhof zum Az. V R 59/10 anhängigen Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 21. Januar 2010, 14 K 2364/08 E (a.a.O.) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

    VorschriftenFGO § 47 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 2