12.10.2012
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 24.04.2012 – 11 K 1454/09
1. Hat sich die mit der Klage ursprünglich angefochtene Aussetzung der Überlassung während des Gerichtsverfahrens durch die Freigabe der Waren erledigt, besteht das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse, wenn der Kläger auch weiterhin Waren aus China einführen möchte, bei denen die Gefahr einer Aussetzung der Überlassung wegen möglicher Rechtsschutzverletzung besteht.
2. Zollbehörden haben im Verfahren nach der Verordnung Nr. 1383/2003 nicht mehr zu prüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt, da die Entscheidung über das Vorliegen einer Verletzung von Rechten geistigen Eigentums ausschließlich den Gerichten vorbehalten ist.
3. Die Zollstelle prüft lediglich die Voraussetzungen für die Aussetzung der Überlassung nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003. Hierbei ist der Verdacht der Verletzung eines Rechts geistigen Eigentums ausreichend.
4. Das HZA ist berechtigt, die Aussetzung der Überlassung über die in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 normierte Frist hinaus aufrechtzuerhalten, wenn es über die Anhängigkeit eines Klageverfahrens wegen Geschmacksmusterverletzung informiert wird. Der Nachweis der Rechtshängigkeit der Klage ist nicht erforderlich.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 11. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 24. April 2012 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richterin … Ehrenamtlicher Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten – nunmehr im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage – über die Rechtmäßigkeit der Dauer einer Aussetzung der Überlassung von Waren im Rahmen der Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft.
Die Klägerin ist ein mittelständisches Familienunternehmen, das Bekleidungsstücke – u.a. Schuhe – und Spielwaren vertreibt. Am 13. Mai 2008 führte sie über das Zollamt X xxx Paar „Sandalen aus Kunststoff für Kinder” aus der Volksrepublik China in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft ein und meldete diese zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Im Rahmen einer beim Zollamt Flughafen des beklagten Hauptzollamts (HZA) durchgeführten Beschau hielten die kontrollierenden Beamten die Verletzung eines Geschmacksmusters in Bezug auf Schuhe der Firma B Inc., xxx, xxx, xxx (im folgenden Antragstellerin) für möglich. Das beklagte HZA setzte daher die Überlassung der Waren mit Bescheid vom 14. Mai 2008 nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (ABl. der EU Nr. L 196 vom 2. August 2003 S. 7, im Folgenden Verordnung Nr. 1383/2003) aus und unterrichtete unverzüglich sowohl den Rechtsvertreter der Antragstellerin als auch die Klägerin über die Aussetzung der Überlassung. Die Antragstellerin, die diese Mitteilung ausweislich ihrer Empfangsbestätigung am 14. Mai 2008 erhalten hatte, beantragte mit Schriftsatz vom 29. Mai 2008 Verlängerung der für die Aussetzung der Überlassung bestehenden Frist bis zum 3. Juni 2008, die das Zollamt Flughafen mit E-Mail vom gleichen Tag genehmigte.
Mit Telefax vom 30. Mai 2008 ließ die Antragstellerin beim Landgericht X Klage wegen Geschmacksmusterverletzung erheben. Die Klage wurde beim Landgericht unter dem Aktenzeichen xxx registriert, jedoch zunächst nicht an den Klagegegner zugestellt, da der Gerichtskostenvorschuss noch nicht erbracht worden war. Mit beim Zollamt X am 31. Mai 2008 eingegangenem Schreiben informierte die Antragstellerin das Zollamt über die Klageerhebung und machte dies durch Vorlage einer schriftstückbezogenen Fax-Sendebestätigung glaubhaft. Mit E-Mail vom 24. Juni 2008 übersandte die Antragstellerin einen von ihr als „Nachweis über den geleisteten Gerichtskostenvorschuss” bezeichneten Beleg (Bl. 195 der Verwaltungsakten), auf den wegen der Einzelheiten seines Inhalts verwiesen wird. Einem handschriftlichen Vermerk der zuständigen Sachbearbeiterin des HZA vom 24. Juni 2008 zufolge erkundigte sich diese am selben Tag beim Landgericht X, ob der Gerichtskostenvorschuss inzwischen eingegangen sei, was dieses verneinte. Eventuell befinde sich der Betrag noch bei der zentralen Gerichtskasse (Bl. 185 der Verwaltungsakten). Mit Datum vom 30. Juni 2008 wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass eine Zustellung der Klage nach wie vor nicht erfolgt sei. Erst mit E-Mail vom 3. Juli 2008 teilte der beim Landgericht X zuständige Richter dem HZA mit, dass am gleichen Tag die Einzahlungsnachricht der Landesoberkasse für das Hauptsacheverfahren eingegangen und die Zustellung der Klage in die Wege geleitet worden sei (Verwaltungsakten Bl. 223). Ausweislich der Zahlungsanzeige der Landesoberkasse Baden-Württemberg vom 17. Juni 2008 zum Verfahren xxx des Landgerichts X war der Gerichtskostenvorschuss bereits am 10. Juni 2008 eingezahlt und am 16. Juni 2008 gebucht worden.
Am 12. Juni 2008 ließ die Antragstellerin zusätzlich einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Klägerin stellen, dem das Landgericht X mit Beschluss vom 18. Juni 2008 (Az.: xxx) entsprach.
Bereits am 16. Mai 2008 hatte die Klägerin gegen die Aussetzung der Überlassung Einspruch eingelegt, den das HZA mit Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2009 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtete sich die am 23. März 2009, einem Montag, per Fax bei Gericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin ursprünglich die Aufhebung der Aussetzung der Überlassung begehrte. Im Laufe des vorliegenden Klageverfahrens einigte sich die Klägerin mit der Antragstellerin außergerichtlich, woraufhin diese die Klage vor dem Landgericht X zurücknahm und die Waren freigab. Daraufhin hob das HZA die Aussetzung der Überlassung auf. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit jedoch nicht für erledigt; vielmehr begehrte die Klägerin die Fortführung des Verfahrens als Fortsetzungsfeststellungsklage.
Zur Begründung trägt sie vor, die Klageänderung sei sachdienlich, da der Streitstoff im wesentlichen identisch sei und dadurch ein weiterer Prozess vermieden werde. Da sie auch in Zukunft über den Flughafen X Waren einführen wolle, bestehe Wiederholungsgefahr, dass die Zollbehörde eine Aussetzung der Überlassung anordne und diese Verfügung über die vorgesehene Frist hinaus aufrecht erhalte, obwohl der jeweilige Antragsteller kein Verfahren zur gerichtlichen Feststellung einer Rechtsverletzung eingeleitet und die fälligen Gerichtskosten bezahlt habe. Zudem habe sie ein Interesse an der Feststellung, dass die ursprüngliche Klage zulässig und begründet war, da sich hieraus eine günstigere Kostenfolge ergebe. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Fortsetzungsfeststellungsklage lägen damit vor.
Die Klage sei auch begründet. Dem Interesse des Antragstellers, Waren, die eventuell gegen Schutzrechte verstoßen, nicht in den freien Warenverkehr gelangen zu lassen, stehe das nicht minder schutzwürdige Interesse des Antragsgegners gegenüber, nicht in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Mit der Begrenzung der Frist auf maximal 20 Arbeitstage trage der Verordnungsgeber diesen widerstreitenden Interessen der Parteien Rechnung. Innerhalb der Frist müsse ein Verfahren zur Feststellung der Verletzung von Rechten geistigen Eigentums eingeleitet werden. Dies sei erst dann der Fall, wenn der Kläger den erforderlichen Gerichtskostenvorschuss entrichtet habe, so dass das Gericht auch die Zustellung der Klage bewirke. Allein das Einreichen einer Klageschrift reiche hierfür nicht aus. Indem das HZA eine Entrichtung des Gerichtskostenvorschusses 14 Tage nach Erhalt der Zahlungsaufforderung habe ausreichen lassen, sei der durch die Fristenregelung vorgenommene Interessenausgleich einseitig zu ihren, der Klägerin, Lasten aufgehoben worden.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Antrag auf Tätigwerden auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützt worden sei, an dessen Rechtsbeständigkeit erhebliche Zweifel bestünden. Mit Entscheidung vom 12. Dezember 2007 habe die Nichtigkeitsabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt dem vorliegend maßgeblichen Geschmacksmuster die erforderliche Eigenart abgesprochen und es für nichtig erklärt. Die von der Antragstellerin hiergegen erhobene Beschwerde habe nur wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Dies sei dem HZA bekannt gewesen, da sie, die Klägerin, bereits mit Schriftsatz vom 16. Mai 2008 darauf hingewiesen habe.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass das HZA die Aussetzung der Überlassung nach Ablauf der Frist gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1383/2003 zum 3. Juni 2008 hätte aufheben müssen.
Hilfsweise erklärt sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise erklärt es ebenfalls den Rechtsstreit für erledigt.
Zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage trägt es vor, es sei zweifelhaft, ob die Klägerin das erforderliche Feststellungsinteresse hinreichend substantiiert nachgewiesen habe.
Die Klage sei zudem unbegründet. Zum Zeitpunkt der Anmeldung der Waren zum freien Verkehr (13. Mai 2008) habe eine bis 1. November 2008 gültige stattgebende Entscheidung der Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz über einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin als Rechtsinhaberin auf Tätigwerden der Zollbehörden vorgelegen. Die Antragstellerin habe innerhalb der ihr verlängerten Frist beim Landgericht X Klage wegen Geschmacksmusterverletzung eingereicht und somit eine Maßnahme nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 10 der Verordnung Nr. 1383/2003 eingeleitet. Auch wenn die Klage der Klägerin erst verspätet zugestellt und das Verfahren damit auch erst später rechtshängig geworden sei, habe die Antragstellerin alle Fristen eingehalten. Die Zustellung der Klage wirke nämlich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 167 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zurück, wenn sie „demnächst” erfolge.
Zur Wahrung der Fristen des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung 1383/2003 reiche es zudem aus, dass die Klage anhängig sei. Eine Rechtshängigkeit sei nicht erforderlich. Hierfür spreche schon die sehr weite Formulierung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 durch die Wahl des Wortes „eingeleitet”. Selbst wenn es jedoch auf die Rechtshängigkeit ankomme, sei dies unschädlich, da die Zustellungsverzögerung nicht der Antragstellerin anzulasten sei.
Es sei auch nicht erkennbar, dass eine solche Ausdehnung der in der Verordnung vorgesehenen maximal 20 Arbeitstage zu einer Beschneidung schutzwürdiger Interessen der Klägerin führten. In jedem Fall, bei dem § 167 ZPO anzuwenden sei, komme es unweigerlich zu einer Fristverlängerung. Daher bestehe keinerlei Besonderheit gegenüber anderen Fällen. Der Gesetzgeber habe diese Art von Fristverlängerungen vielmehr in Kauf genommen.
Die Antragstellerin habe auch nicht ausgehend von dem von ihr angeführten Streitwert die Prozessgebühren selbst bestimmen und eine Bezahlung bewirken müssen. Schließlich könne das Gericht von den Streitwertangaben abweichen. Bei einer daraus resultierenden Nachforderung von Gerichtsgebühren wäre eine „rechtzeitige Zustellung” ebenfalls nicht erfolgt. Die Zustellung der Klageschrift sei somit „demnächst” und damit fristgerecht erfolgt.
Die jeweils zuständige Zollstelle habe lediglich zu prüfen, ob das vorgesehene Verfahren eingehalten werde. Eine Überprüfung, ob und inwieweit eine Geschmacksmusterverletzung vorliege oder nicht, sei durch die Zollbehörden nicht vorgesehen. Hierzu diene das Verfahren nach Art. 10 i. V. m. Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003.
Im Übrigen bestünden Zweifel, ob die hilfsweise Erledigungserklärung der Klägerin neben ihrem Sachantrag zulässig sei.
Mit Schriftsätzen vom 29. und 30. März 2012 haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe
Nachdem beide Beteiligte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben und die Durchführung einer solchen keine weitere Förderung des Verfahrens verspricht, hält es der Senat für sachgerecht, nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
1. Der Senat ist durch die jeweils hilfsweise abgegebenen Erledigungserklärungen der Beteiligten an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Zwar sind sich diese einig, dass sich die angefochtene Aussetzung der Überlassung erledigt hat; die Klägerin begehrt jedoch mit ihrem Hauptantrag im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage nach wie vor eine Sachentscheidung. Damit fehlt es an einer übereinstimmenden Erledigungserklärung, zumal auch das HZA die Erledigungserklärung lediglich hilfsweise abgegeben hat (BFH-Urteil vom 25. Februar 1997 VII R 8/96, BFH/NV 1997, 306; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 138 FGO Rz. 57). Der Senat hat daher in der Sache zu entscheiden.
2. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig.
Hat sich der angegriffene Verwaltungsakt vor einer Entscheidung des Gerichts erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 S. 4 FGO).
Die von der Klägerin mit der vorliegenden Klage ursprünglich angefochtene Aussetzung der Überlassung hat sich während des Gerichtsverfahrens durch die Freigabe der Waren erledigt. Die Sachurteilsvoraussetzungen für die ursprüngliche Anfechtungsklage liegen – bis auf die mit der Erledigung entfallene akute Rechtsbeeinträchtigung – vor. Auch hat die Klägerin ein für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliches spezielles Feststellungsinteresse. Dabei genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (von Groll in Gräber, FGO, 7. Auflage, 2010, § 100 Rz. 60 m. w. N.). Da die Klägerin auch weiterhin Waren aus China einführen möchte, bei denen die Gefahr einer Aussetzung der Überlassung wegen möglicher Rechtsschutzverletzung besteht, kann sich erneut die Frage stellen, welche Anforderungen an die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1383/2003 zu stellen sind, insbesondere ob dafür bereits die Anhängigkeit einer Klage genügt.
3. Die Klage ist unbegründet. Das beklagte HZA hat zu Recht die Überlassung der Waren ausgesetzt und die Aussetzung über den 3. Juni 2008 hinaus aufrechterhalten.
a) Die Voraussetzungen für die Aussetzung der Überlassung lagen zum Zeitpunkt der Aussetzung vor.
Soweit die Klägerin unter Berufung auf die Entscheidung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt vom 12. Dezember 2007 geltend macht, es hätten erhebliche Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des maßgeblichen Gemeinschaftsgeschmacksmusters bestanden, nachdem diesem die erforderliche Eigenart abgesprochen, es für nichtig erklärt worden und der dagegen erhobenen Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg beschieden gewesen sei, ist dies für die vorliegende Entscheidung nicht relevant. Anders als noch nach der unter der Vorgänger-Verordnung für Deutschland geltenden Rechtslage, haben die Zollbehörden im Verfahren nach der Verordnung Nr. 1383/2003 nicht mehr zu prüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt (vgl. zur ehemaligen Rechtslage Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über Maßnahmen, welche das Verbringen von Waren, die bestimmte Rechte am geistigen Eigentum verletzen, in die Gemeinschaft sowie ihre Ausfuhr und Wiedereinfuhr aus der Gemeinschaft betreffen, ABl. EG Nr. L 341 vom 30. Dezember 1994, S. 8, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 241/1999 des Rates vom 25. Januar 1999, ABl. EG Nr. L 27 vom 2. Februar 1999, S. 1, und die dazu – zunächst vorläufig – ergangene Dienstvorschrift zum Schutz des geistigen Eigentums, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung – VSF – 77. Austauschlieferung vom 9. Juni 2000 SV 1204-2 und 81. Austauschlieferung vom 15. Oktober 2003 SV 1204-10, beide noch zur alten Verordnung (EG) Nr. 3295/94, jeweils Abs. 13; siehe auch Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, Vorbemerkung zu den §§ 146 bis 151 Markengesetz Rz. 6 a. E.). Die Entscheidung über das Vorliegen einer Verletzung von Rechten geistigen Eigentums bleibt in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr ausschließlich den Gerichten vorbehalten. Die Zollstelle prüft lediglich die Voraussetzungen für die Aussetzung der Überlassung nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003. Hierbei ist der Verdacht der Verletzung eines Rechts geistigen Eigentums ausreichend. Ein solcher Verdacht sowie die übrigen in Art. 9 Abs. 1 der Verordnung genannten Voraussetzungen lagen jedoch unbestritten vor.
b) Das HZA war auch berechtigt, die Aussetzung der Überlassung über die in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 normierte Frist hinaus, vorliegend also auch nach Ablauf des 3. Juni 2008 aufrecht zu erhalten.
Stellt eine Zollstelle fest, dass Waren im Verdacht stehen, ein Recht geistigen Eigentums zu verletzen, so setzt sie – unter weiteren, vorliegend unstreitig erfüllten Voraussetzungen – die Überlassung dieser Waren aus oder hält die Waren zurück (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003). Ist die Zollstelle nicht innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Eingang der Benachrichtigung von der Aussetzung der Überlassung oder von der Zurückhaltung darüber unterrichtet worden, dass ein Verfahren nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1383/2003 eingeleitet worden ist, in dem festgestellt werden soll, ob ein Recht geistigen Eigentums nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verletzt ist, oder hat sie nicht gegebenenfalls innerhalb dieser Frist die Zustimmung des Rechtsinhabers nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 erhalten, so wird die Überlassung der Waren bewilligt oder die Zurückhaltung aufgehoben, sofern alle Zollförmlichkeiten erfüllt sind. Gegebenenfalls kann diese Frist um höchstens zehn Arbeitstage verlängert werden (Art. 13 Abs. 1 der Verordnung).
Auf die aus Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 resultierende Verpflichtung zur Überlassung der Waren kann sich die Klägerin nicht berufen.
Vorliegend wurde das HZA mit beim Zollamt X am 31. Mai 2008 – und damit innerhalb der verlängerten Frist – eingegangenem Schreiben der Antragstellerin über die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1383/2003 in Kenntnis gesetzt (Bl. 76, 77 der Verwaltungsakten). Denn bei der von ihr am 30. Mai 2008 beim Landgericht X wegen Geschmacksmusterverletzung eingereichten Klage handelt es sich um ein Verfahren im Sinne der Art. 10 und 13 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003, in dem festgestellt werden soll, ob ein Recht geistigen Eigentums nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland verletzt ist. Die Antragstellerin hat die Klageerhebung durch Vorlage einer Sendebestätigung auch glaubhaft gemacht. Die Anhängigkeit eines entsprechenden Verfahrens ist für das Aufrechterhalten der Aussetzung der Überlassung ausreichend. Mit Einreichen der Klageschrift beim Landgericht X ist dort ein Verfahren anhängig geworden. Dass die Klageschrift zunächst nicht an den Klagegegner zugestellt wurde, da der Gerichtskostenvorschuss noch nicht erbracht worden war, ist in diesem Zusammenhang unschädlich; Rechtshängigkeit ist nicht erforderlich.
Bereits der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 weist mit dem Abstellen auf die bloße Einleitung eines Verfahrens („Ist die … Zollstelle nicht … unterrichtet worden, dass ein Verfahren … eingeleitet worden ist …”) darauf hin, dass der Verordnungsgeber keine zu hohen Hürden für eine Aussetzung der Überlassung aufstellen wollte. Die bloße Unterrichtung über die Einleitung eines Verfahrens reicht aus, nicht einmal ein formeller Nachweis wie eine gerichtliche Bestätigung oder Ähnliches ist dem Wortlaut der Verordnung zufolge erforderlich. Dies ergibt sich auch aus der französischen und der englischen Sprachfassung („…n'a pas été informé qu'une procédure … a été engagée” und „…has not been notified that proceedings have been initiated …”). Es genügt die Information über die Einleitung eines Verfahrens und damit über den erste Schritt zur gerichtlichen Klärung, ob ein Schutzrecht verletzt wurde. Hierfür ist das Einreichen einer Klageschrift bei dem zuständigen Gericht ausreichend.
Die im deutschen Recht verankerte Unterscheidung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit spielt dabei keine Rolle. Hierfür spricht schon, dass die Voraussetzungen für die Aussetzung der Überlassung in einer Verordnung und damit für alle Mitgliedstaaten einheitlich und verbindlich geregelt wurden. Lediglich hinsichtlich der Frage, ob ein Recht geistigen Eigentums verletzt ist, verweist die Verordnung auf die Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates (Art. 10 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003). Würde man die im nationalen Recht eines einzelnen Mitgliedstaates geregelten besonderen Prozessvorschriften – vorliegend also die Rechtshängigkeit – zur Bedingung machen, würde dies zusätzliche, vom Verordnungsgeber nicht vorgesehene Voraussetzungen für die Aussetzung der Überlassung schaffen, die zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung führen würden. Ausdrücklich formuliertes Ziel der Verordnung ist jedoch gerade die einheitliche Anwendung der in der Verordnung vorgesehenen gemeinsamen Vorschriften (Abs. 12 der Erwägungsgründe zur Verordnung (EG) Nr. 1383/2003).
Aus dem Hinweis in Abs. 8 der Erwägungsgründe für den Erlass der Verordnung ergibt sich nichts anderes. Danach bleiben lediglich die Bestimmungen der Mitgliedstaaten über die Zuständigkeit der Justizbehörden und die Gerichtsverfahren unberührt. Eine unterschiedliche Rechtsanwendung der in der Verordnung explizit geregelten Voraussetzungen für eine Aussetzung der Überlassung resultiert daraus nicht.
Im Übrigen sprechen aber auch die Vorschriften über die Zustellung der Klageschrift im Verfahren wegen Verletzung der Rechte geistigen Eigentums gegen ein Verständnis des Art. 13 der Verordnung Nr. 1383/2003 in dem von der Klägerin vorgetragenen Sinne.
Wollte man für die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 10, 13 der Verordnung auf die Rechtshängigkeit abstellen und damit die Fristeinhaltung von der Zustellung der Klageschrift an den Klagegegner abhängig machen, könnte die Frist des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 nur in den wenigsten Fällen eingehalten werden. Selbst wenn die Antragstellerin die Gerichtskosten selbst berechnet und mit Einreichen der Klageschrift eingezahlt hätte, wäre mit einer Zustellung der Klage innerhalb der Frist nicht zu rechnen gewesen. Vorliegend betrug allein der Zeitraum zwischen Einzahlung (10. Juni 2008) und Buchung (16. Juni 2008) 6 Tage. Weitere 17 Tage vergingen, bis der zuständige Richter Kenntnis von der Zahlung erhielt und die Zustellung veranlasste, die frühestens am nächsten Tag hätte erfolgen können. Nach diesem Zeitraum von insgesamt 24 Tagen wäre die Frist auch bei Selbstberechnung und unverzüglicher Entrichtung der Gerichtskosten längst abgelaufen gewesen.
Zwar ist das Entrichten des Gerichtskostenvorschusses keine zwingende Voraussetzung für die Zustellung; denn in § 12 des Gerichtskostengesetzes – GKG – heißt es lediglich, eine Zustellung der Klage solle nicht erfolgen, bevor der Gerichtskostenvorschuss entrichtet wurde. Gleichwohl liegt es im Ermessen des zuständigen Richters, ob er die Zustellung veranlasst oder nicht (s. a. Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl. § 12 GKG Rz. 2). Selbst wenn die Antragsteller in einem Verfahren im Rahmen einer Aussetzung der Überlassung eine Ausnahme nach § 14 Nr. 3 b GKG geltend machen würden, wonach § 12 GKG nicht gilt, wenn eine Verzögerung dem Antragsteller einen nicht oder nur schwer zu ersetzenden Schaden bringen würde, hinge die Zustellung der Klage von den Verfahrensabläufen des Gerichts ab. Damit ist sie der Einflussnahme durch die jeweiligen Antragsteller entzogen. Nach dem Regelungszweck der Verordnung Nr. 1383/2003 zielen die Vorschriften aber gerade auf den Schutz der Rechteinhaber ab (vgl. Abs: 2 der Erwägungsgründe). Die Einhaltung der Frist und damit auch die Freigabe der Waren von gerichtsinternen Abläufen und dem Ermessen der zuständigen Richter abhängig zu machen, würde demnach dem Regelungszweck der Verordnung widersprechen.
Der Hinweis auf § 167 ZPO, wonach in den Fällen, in denen durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung eintritt, wenn die Zustellung demnächst erfolgt, geht insoweit fehl. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit kann vorliegend der rückwirkende Eintritt der Rechtshängigkeit für die Fristeinhaltung nicht maßgeblich sein. Denn anders als z. B. in Fällen der in § 167 ZPO explizit genannten Verjährung ist vorliegend an den fruchtlosen Fristablauf die unmittelbare Überlassung der Waren geknüpft. Diese Entscheidung hat typischerweise den Eingang der Waren in den Warenverkehr der Europäischen Gemeinschaft zur Folge. Dieser könnte bei rückwirkender Rechtshängigkeit nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Rückwirkung der Rechtshängigkeit liefe damit ins Leere.
Da die Antragstellerin die zuständige Zollbehörde noch innerhalb der verlängerten Frist über die Einleitung eines Verfahrens i. S. d. Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 informiert hat, kommt es auf den – im Übrigen erst nach Ablauf der Frist – beim LG X gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht mehr an.
c) Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine einseitige, unangemessene Interessensbeeinträchtigung berufen. Denn im Rahmen des Art. 13 der Verordnung Nr. 1383/2003 ist für eine Interessenabwägung kein Raum. Im Übrigen enthält die Verordnung durchaus auch Regelungen, die die berechtigten Interessen der Wareneinführer im Fall einer unberechtigten Aussetzung der Überlassung schützen (vgl. z. B. Art. 6 Abs. 1 mit der Erklärung über die Haftungsübernahme).
Das beklagte HZA hat die Aufhebung der Aussetzung der Überlassung der Waren somit zu Recht abgelehnt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1 und 143 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.