05.10.2012
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 25.01.2012 – 4 K 2860/11 VM
- Die in § 26 Abs. 6 MinöStG a.F. angeordnete Doppelbesteuerung des anteiligen Dieselkraftstoffs in einem Heizöl/Dieselkraftstoff-Gemisch bei Überschreitung der in § 9 Abs. 1 Satz 1 HeizölkennzV geregelten Höchstmengen durch einen mit einem Tankfahrzeug wechselweise Dieselkraftstoff und Heizöl ausliefernden Händler rechtfertigt keinen teilweisen Erlass der Mineralölsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen.
- Die eine solche Doppelbesteuerung vermeidende Neuregelung des § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 ist nicht rückwirkend anwendbar.
Tatbestand
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin handelte von ihren Niederlassungen in A, B, C und D aus mit Dieselkraftstoff und leichtem Heizöl. In den Jahren 2000 und 2001 ließ sie durch ihre Fahrer mit ihren Tankfahrzeugen Dieselkraftstoff und Heizöl wechselweise an ihre Kunden ausliefern.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2001 zeigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin dem damaligen Hauptzollamt an, dass es nach einer von ihr durchgeführten internen Prüfung im Jahr 2000 bei der wechselweisen Abgabe von Heizöl und Dieselkraftstoff zu Überschreitungen der in § 9 Abs. 1 Satz 1 der Heizölkennzeichnungsverordnung (HeizölkennzV) geregelten Höchstmengen gekommen sei. Beamte des beklagten Hauptzollamts stellten im Rahmen einer daraufhin angeordneten Außenprüfung fest, dass mit den Tankfahrzeugen der Rechtsvorgängerin der Klägerin von ihren Niederlassungen in A, B, C und D aus im Jahr 2000 insgesamt 1.402.190 Liter und im Jahr 2001 insgesamt 330.062 Liter Gasölgemische als Kraftstoffe abgegeben worden waren (Prüfungsbericht vom 28. Juni 2002). Das beklagte Hauptzollamt setzte deshalb gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Bescheid vom 22. Mai 2003 insgesamt 665.533,41 EUR Mineralölsteuer fest.
Gegen diesen Bescheid legte die Rechtsvorgängerin der Klägerin Einspruch ein. Ferner beantragte sie, ihr 645.858,88 EUR Mineralölsteuer zu erlassen, die auf die Doppelbesteuerung des Dieselkraftstoffs entfalle. Zur Begründung machte sie geltend: Die Doppelbesteuerung des anteiligen Dieselkraftstoffs in den Gemischen sei unangemessen und laufe dem Willen des Gesetzgebers zuwider. Der Gesetzgeber habe durch die Neuregelung des § 26 Abs. 6 Satz 3 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG), die durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl I, 2778) eingefügt worden sei, anerkannt, dass die Doppelversteuerung des Dieselkraftstoffs unangemessen sei. Sie habe auch keinen Steuervorteil erzielt, weil jeweils gleich große Restmengen bei einem Wechsel der Mineralöle abgegeben worden seien. Die Steuer sei zudem durch ein abgabenrechtlich entschuldbares Verhalten entstanden, was nach Nr. 7.1.1 der Dienstvorschrift zur Anwendung der Abgabenordnung im Bereich der Zollverwaltung (AO-DV Zoll) eine Billigkeitsmaßnahme rechtfertige.
Das beklagte Hauptzollamt lehnte mit Bescheid vom 9. November 2004 einen Erlass der Steuer ab und führte aus: Der Gesetzgeber habe die zusätzliche steuerliche Belastung des Anteils an Dieselkraftstoff in Fällen unzulässiger Vermischungen gewollt. Bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung in § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG habe der Gesetzgeber nichts anderes bestimmen wollen. Die Steuer sei im Streitfall auch nicht auf Grund eines abgabenrechtlich nachteiligen Verhaltens infolge einer versehentlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften entstanden. Der Rechtsvorgängerin der Klägerin sei für andere Niederlassungen das sog. Spülverfahren bewilligt worden. Für die hier in Rede stehenden Niederlassungen sei dies nicht geschehen.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Rechtsvorgängerin der Klägerin vor:
Die Besteuerung sei unangemessen, weil die Gemische von insgesamt 1.732.252 Liter doppelt mit der für Dieselkraftstoff vorgesehenen Steuer belastet würden, obwohl nur eine Menge von 51.122 Liter Heizöl vorschriftswidrig abgegeben worden sei. Die Unangemessenheit habe der Gesetzgeber erkannt. Er habe durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 eine Neuregelung eingeführt, die bei einer Anwendung auf den Streitfall zu einer um 645.858,88 EUR niedrigeren steuerlichen Belastung führen würde. Die nochmalige Besteuerung des Anteils an Dieselkraftstoff in den Gemischen gehe über den Zweck des § 26 Abs. 6 MinöStG hinaus, bei Kontrollen im Straßenverkehr festgestellte Missbräuche einer einfachen und wirksamen Besteuerung zuzuführen, um einen erzielten Steuervorteil abzuschöpfen. Bei dem von ihr angewendeten Verfahren der wechselweisen Abgabe von Heizöl und Dieselkraftstoff habe sie keine Steuervorteile erzielt, weil jeweils gleich große Restmengen abgegeben worden seien. Es habe sich auch nicht um den typischen Fall eines Heizölmissbrauchs gehandelt. Vielmehr habe sie die Versäumnisse bei der Abwicklung des Verfahrens im Rahmen einer betriebsinternen Prüfung selbst festgestellt und angezeigt. Die erneute Besteuerung des Anteils an Dieselkraftstoff in den Gemischen habe strafähnlichen Charakter, zumal sie die Steuer nicht abwälzen könne. Die Höhe der Steuer gehe über die Höhe eines Bußgeldes hinaus, das wegen Verfahrensverstößen bei der wechselweisen Abgabe von Heizöl und Dieselkraftstoff verhängt werden könne. Jedenfalls sei nach Nr. 7.1.1 der AO-DV Zoll eine Billigkeitsmaßnahme geboten, weil die Steuer durch einen entschuldbaren Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 9 HeizölkennzV entstanden sei. Die Tankwagenfahrer hätten die Vermischungsgrenzen für die Heizölrestmengen überschritten, was den Leitern der Niederlassungen zuzurechnen sei. Diese seien für die ordnungsgemäße Abwicklung der Lieferungen verantwortlich gewesen. Ihr könnten die Handlungen der Leiter der Niederlassungen nicht zugerechnet werden. Die Niederlassungen seien mehrfach durch Rundschreiben auf die Einhaltung des Verfahrens bei der wechselweisen Abgabe von Heizöl und Dieselkraftstoff hingewiesen worden. Über diese Anweisungen hätten sich die Leiter der Niederlassungen eigenmächtig hinweggesetzt.
Die Klägerin erhob in dem Verfahren 4 K 4838/08 VM Klage gegen den Steuerbescheid vom 22. Mai 2003 und entrichtete am 22. Dezember 2008 die Steuer. Der Senat wies mit Urteil vom 11. November 2009 die von der Klägerin in dem Verfahren 4 K 4838/08 VM erhobene Klage ab.
Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch gegen den Bescheid vom 9. November 2004 mit Entscheidung vom 19. Juli 2011 zurück und führte aus: Der Gesetzgeber habe den vorliegenden Sachverhalt ausdrücklich geregelt, so dass nicht angenommen werden könne, dass die Besteuerung dem Willen des Gesetzgebers widerspreche. Eine Erstattung der auf den Dieselkraftstoff entfallenden Steuer sei nach dem Gesetz nicht vorgesehen. Die durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 eingeführte Neuregelung des § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG könne nicht rückwirkend angewendet werden. Eine Billigkeitsmaßnahme sei auch nicht in Anwendung der Nr. 7.1.1 AO-DV Zoll geboten, weil keine versehentliche Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliege. Das Verbot der Vermischung von Dieselkraftstoff mit Heizöl sei keine bloße Verfahrensvorschrift.
Die Klägerin wiederholt mit ihrer Klage im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.
Die Klägerin beantragt,
1. das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheids vom 9. November 2004 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2011 zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 9. November 2004 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Nach § 227 der Abgabenordnung können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet werden. Die Unbilligkeit der Erhebung einer Steuer kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass oder einer Erstattung entgegen (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005).
Die Besteuerung der Gasölgemische ohne Rücksicht darauf, ob für den anteiligen Dieselkraftstoff bereits eine Steuer entstanden war, widerspricht nicht den Wertungen des § 26 Abs. 6 MinöStG in der in den Jahren 2000 und 2001 geltenden Fassung. Nach § 26 Abs. 6 Satz 6 MinöStG bleibt die auf Grund anderer Vorschriften für das Mineralöl entstandene Steuer unberührt. Diese Regelung hat zur Folge, dass der versteuerte Anteil an Dieselkraftstoff in einem Heizöl/Dieselkraftstoff-Gemisch nicht deswegen zu erstatten ist, weil hinsichtlich des Gemischs der darin enthaltene und bereits versteuerte Dieselkraftstoff nochmals versteuert wird (BFH, Urteil vom 16. November 1982 VII R 58/82, BFHE 137, 518).
Die Neuregelung in § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG, die durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 eingefügt worden ist, ist erst am 30. Juli 2002 in Kraft getreten (Art. 8 Abs. 1 des vorgenannten Gesetzes) und daher im Streitfall noch nicht anwendbar. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 14/8711, S. 6) ergibt sich, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung geltende Rechtslage unverändert bestehen bleiben sollte (vgl. BFH, Beschluss vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825). Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Neuregelung in § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG nicht für rückwirkend anwendbar zu erklären, ist im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit sowie die Erfordernisse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung hinzunehmen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 825).
Gegen die „Doppelversteuerung” des anteilmäßig weit überwiegenden Dieselkraftstoffs, die dadurch eintritt, dass durch die Vermischung eine Steuerschuld für das gesamte Gemisch entsteht, bestehen grundsätzlich auch keine verfassungsrechtlichen, eine Billigkeitsmaßnahme gebietende Bedenken (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Dezember 1994 2 BvR 89/91, HFR 1995, 220). Anders als die Klägerin meint, rechtfertigt im Streitfall ein gesetzlicher Überhang der generalisierenden gesetzlichen Regelung keine Billigkeitsmaßnahme. Der Sachverhalt, der dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in HFR 1995, 220 zugrunde lag, unterscheidet sich von dem Streitfall dadurch, dass dort die Steuer durch eine Aufnahme der Ware in das Steuerlager der Abnehmerin entstanden war und bezahlt worden ist. Unbeschadet dessen hat der Gesetzgeber durch die Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 ausdrücklich entschieden, dass die gesetzliche Neuregelung des § 26 Abs. 6 Satz 3 MinöStG nicht rückwirkend angewendet werden soll. Diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers kann nicht durch eine Billigkeitsmaßnahme korrigiert werden (vgl. BFH, Urteil vom 9. September 1994 III R 17/93, BFHE 175, 395, BStBl II 1995, 8). Die Klägerin hat auch nicht geltend gemacht, durch die Besteuerung einer existenzbedrohenden Belastung ausgesetzt gewesen zu sein. Die mögliche Existenzbedrohung kleinerer und mittlerer Unternehmen war indessen ausschlaggebend für die Wertung des Gesetzgebers, dass die bisherige Rechtslage zu unverhältnismäßig hohen Steuerfolgen führen könne (BT-Drucksache 14/8711, S. 6).
Nach der gesetzlichen Regelung des § 26 Abs. 6 MinöStG in der in den Jahren 2000 und 2001 anzuwendenden Fassung kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin aus den unzulässigen Vermischungen einen Steuervorteil erzielt hat. Entscheidend ist nach § 26 Abs. 6 Satz 1 MinöStG allein, dass die Klägerin die unzulässigen Gasölgemische als Kraftstoffe abgegeben hat. In welchem Umfang unzulässige Vermischungen aufgetreten sind, ist für die Besteuerung unerheblich. Der Besteuerungstatbestand des § 26 Abs. 6 Satz 1 MinöStG beschränkt sich auch nicht nur auf unzulässige Gemische, die im Rahmen von Kontrollen im Straßenverkehr festgestellt wurden. Es war zwar ein Hauptanliegen des Gesetzgebers, dass Gemische von gekennzeichnetem Heizöl und Dieselkraftstoff eindeutig und zügig vor allem im Anschluss an Verkehrskontrollen besteuert werden sollten (vgl. BFH, Urteil vom 4. Dezember 1990 VII R 52/88, BFHE 162, 531). Der Anwendungsbereich der Bestimmung erfasste jedoch auch Sachverhalte, in denen unzulässige Vermischungen erst nachträglich im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt wurden. Hierzu gehören insbesondere unzulässige Vermischungen, die durch Restmengen in den Rohrleitungen, Armaturen und im Abgabeschlauch von Transportmitteln entstanden sind (§ 26 Abs. 6 Satz 3 in der Fassung des Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 23. Juli 2002). Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung betont hat, ihre Rechtsvorgängerin habe die unzulässigen Vermischungen von sich aus angezeigt, kann dies allein eine Billigkeitsmaßnahme nicht rechtfertigen. Das rechtstreue Verhalten der Rechtsvorgängerin der Klägerin könnte allenfalls im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme aus persönlichen Gründen zu berücksichtigen sein, um die es im Streitfall indes nicht geht.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift der Nr. 7.1.1 AO-DV Zoll berufen. Das scheitert schon daran, dass die aufgetretenen Vermischungen nicht als entschuldbar angesehen werden können. Die Klägerin hat mit ihrem Einspruch selbst vorgetragen, dass sich die Leiter der in Rede stehenden Niederlassungen eigenmächtig über die ihnen erteilten Anweisungen hinweggesetzt hätten. Die Klägerin muss sich als Rechtsnachfolgerin der Geschäftsherrin des Unternehmens das Handeln der Leiter der Niederlassungen zurechnen lassen (vgl. bereits das Senatsurteil vom 11. November 2009 - 4 K 4838/08 VM -, dort Seite 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.