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  • 23.08.2012

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 17.04.2012 – 3 K 178/11

    Wird dem FA erst nachträglich bekannt, dass die aus dem steuerlichen Einlagekonto nach § 27 KStG zugeflossenen Zahlungen die gezahlten Anschaffungskosten überstiegen haben, so dass der Steuerpflichtige einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG erzielt hat, ist das FA zur Änderung des Einkommensteuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt, wenn die unter Mitwirkung einer Steuerberatungsgesellschaft angefertigte Steuererklärung in der betreffenden Zeile 22 der Anlage GSE keine Angaben enthält und der Erklärung lediglich eine Steuerbescheinigung über Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto beiliegt.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 3. Senat unter Mitwirkung des der Richterin am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … der ehrenamtlichen Richter … und … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 17.04.2012

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, den Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 2006 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zu ändern.

    Der Kläger ist verheiratet und wurde im Streitjahr 2006 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Notarvertrag vom 23. Januar 2003 erwarb er 70 Prozent der Anteile an der … GmbH (nachfolgend: M GmbH) zu einem Kaufpreis von 0,70 EUR von deren Muttergesellschaft B GmbH. Der Nominalwert betrug 179.000 EUR. Der Erwerb erfolgte im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens der M GmbH. Der Insolvenzverwalter der M GmbH hatte dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft der M GmbH – der Veräußerin der Anteile – zum Erhalt des Unternehmens der M GmbH vorgeschlagen, die Geschäftsanteile der M GmbH kostenlos auf die neuen Gesellschafter zu übertragen, da die Anteile „sicherlich derzeit keinen Wert” hätten. Im Anschluss an den Erwerb der Anteile, unter anderem durch den Kläger, wurde eine Kapitalerhöhung vorgenommen, an der der Kläger mit 31.000 EUR beteiligt war.

    Im Streitjahr 2006 erhielt der Kläger Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagenkonto der M GmbH in Höhe von 1.400.000 EUR. In der unter Mitwirkung einer Steuerberatungsgesellschaft angefertigten Steuererklärung des Klägers vom 1. Oktober 2007 wurden keine Angaben zu dieser von der M GmbH erhaltenen Ausschüttung gemacht; insbesondere erfolgten diesbezüglich weder Eintragungen in den vorgelegten Anlagen GSE und KAP, noch wurde eine Gewinnermittlung vorgelegt. Es war in der Anlage GSE nur ein Gewinn aus Mitunternehmerschaft in Höhe von 2.459 EUR erklärt worden.

    Der Steuererklärung war unter anderem eine Steuerbescheinigung der M GmbH vom 8. September 2006 beigefügt. Darin wurde bescheinigt, dass an diesem Tag für das Jahr 2005 an den Kläger 1.400.000 EUR Leistungen aus dem steuerlichen Einlagenkonto (§ 27 KStG) bezahlt worden seien (vgl. Blatt 4 der Einkommensteuerakte 2006).

    Der Beklagte (nachfolgend: das Finanzamt – FA –) setzte mit Bescheid vom 7. Januar 2008 die Einkommensteuer 2006 auf 69.765 EUR fest. Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb wurden hierbei entsprechend der eingereichten Anlage GSE lediglich in Höhe von 2.459 EUR festgesetzt.

    Nach Durchführung einer Betriebsprüfung durch das FA im Dezember 2009 gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Kläger durch die Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagenkonto im Jahr 2006 einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von 1.368.999 EUR erzielt habe. Der Kläger habe zwar nur einen geringen Kaufpreis in Höhe von 0,70 EUR für den Erwerb der Anteile aufgewendet, gleichwohl sei der von einer dritten Person, dem Verwalter, erfolgte Erwerb der Beteiligung ein voll entgeltlicher Vorgang gewesen, die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers könnten deshalb nicht wie bei einem unentgeltlichen Erwerb gewinnmindernd angesetzt werden. Es sei bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns neben den Kosten für den Erwerb von 0,70 EUR auch der Aufwand für die geleistete Kapitalerhöhung von 31.000 EUR abzuziehen. Der Veräußerungsgewinn von 1.368.999 EUR sei nach dem Halbeinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Buchstabe c EStG zur Hälfte steuerbefreit, mithin sei ein Gewinn von 684.499 EUR zu versteuern (vgl. den Bericht über die Betriebsprüfung vom 11. Juni 2010, Blatt 18 f. der Prüfungsakte).

    Die Veranlagungsstelle des FA schloss sich der Ansicht der Prüfung an und erhöhte mit Änderungsbescheid vom 8. Juli 2010 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO die Einkommensteuer 2006. Es wurde nunmehr bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb zusätzlich ein Veräußerungsgewinn von 684.499 EUR erfasst. Die Einkommensteuer 2006 erhöhte sich dadurch auf 357.249 EUR (vgl. Blatt 43 der Einkommensteuerakte 2006).

    Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers vom 10. August 2010 wurde mit Einspruchsentscheidung des FA vom 21. Januar 2011 zurückgewiesen. In seinen Gründen führte das FA aus, dass die Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig sei, da das FA durch die Vorlage der Steuerbescheinigung und die Kenntnis über eine vorgenommene Ausschüttung von dem steuerrelevanten Sachverhalt noch keine Kenntnis erlangt habe, da diese Angaben für eine entsprechende Beurteilung noch nicht ausreichend gewesen seien. Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagenkonto führten grundsätzlich nicht zu Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Nur ausnahmsweise käme es zu Einkünften in Form eines Gewinns nach § 17 Abs. 4 EStG, soweit die Ausschüttungen die Anschaffungskosten überstiegen. Für die Annahme eines solchen Ausnahmefalles seien jedoch weitere Angaben erforderlich. Dies seien vor allem die Höhe der Anschaffungskosten, die Höhe und die Zusammensetzung des steuerlichen Einlagekontos der Kapitalgesellschaft und im Streitfall die Angaben der Umstände, die für die Beurteilung der Frage entscheidend gewesen seien, ob der Erwerb entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt sei. Hierbei handele es sich um Tatsachen im Sinne von § 173 AO, die dem zuständigen Bearbeiter im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung am 17. Dezember 2007 nicht bekannt gewesen seien. Den Vertrag über den Erwerb des Anteils an der M GmbH habe der Kläger erstmalig am 5. März 2008 im Rahmen der Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen 2007 vorgelegt. Damit sei durch den Änderungsbescheid nicht lediglich eine andere rechtliche Würdigung umgesetzt worden. Es habe vielmehr eine Neubeurteilung des Sachverhaltes aufgrund der nachträglich bekannt gewordenen Umstände vorgenommen werden müssen.

    Auch könne dem Bearbeiter des FA nicht vorgeworfen werden, dass er seine Ermittlungspflicht verletzt habe. Selbst wenn dies angenommen würde, überwöge die Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers, da dieser keine weiteren Angaben in seiner Steuererklärung gemacht habe.

    Gegen die Einspruchsentscheidung vom 21. Januar 2011 hat der Kläger am 1. Februar 2011 Klage erhoben. Er trägt vor, entgegen der Auffassung des FA sei der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 7. Januar 2008 nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO änderbar. Unstreitig sei, dass die Tatsache der an ihn erfolgten Auszahlung aus dem steuerlichen Einlagenkonto und damit das Vorliegen von Einnahmen aus einer Veräußerung nach § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von 1.400.000 EUR dem FA bei der Erstellung des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 7. Januar 2008 bekannt gewesen sei, da eine allen Formerfordernissen entsprechende Steuerbescheinigung vorgelegen habe. Soweit sich das FA zur Stützung seiner Auffassung auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG beziehe, könne dem nicht gefolgt werden. Dort sei nur geregelt, dass Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagenkonto nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen führten.

    Unabhängig davon stehe der Ermittlungspflichtverletzung des FA keine überwiegende Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers gegenüber. Es seien lediglich Angaben zu den Anschaffungskosten der Beteiligung und damit zu Tatsachen, die zu einer niedrigeren Steuer führten, unterblieben. Es sei dem FA unbenommen geblieben, einen Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG in Höhe der bekannten Auszahlung und damit des bekannten Veräußerungserlöses unter Abzug von Anschaffungskosten von 0 EUR festzustellen oder aber Ermittlungen zur Höhe der abzuziehenden Anschaffungskosten vorzunehmen.

    Der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 8. Juli 2010 wurde aus im Klageverfahren nicht streitigen Gründen am 27. September 2011 von dem FA gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    den zuletzt am 27. September 2011 geänderten Einkommensteuerbescheid 2006 dahingehend zu ändern, dass keine Einkünfte aus Veräußerungsgewinn in Höhe von 684.499 EUR angesetzt werden.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es hält unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 21. Januar 2011 an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 7. Januar 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen hätten.

    Wegen weiterer Sachverhaltseinzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die dem Gericht vorliegenden Akten verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugestimmt.

    Entscheidungsgründe

    I. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten einer Entscheidung nach § 90 Abs. 2 FGO zugestimmt haben.

    II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Das FA war berechtigt, den (bestandskräftigen) Einkommensteuerbescheid des Streitjahres 2006 vom 7. Januar 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, denn ihm sind nachträglich Tatsachen bekannt geworden, die zu einer höheren Steuer führen (1). Eine Verletzung der Ermittlungspflichten steht dem nicht entgegen (2.).

    Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Tatsache ist „neu”, wenn sie das Finanzamt bei abschließender Zeichnung des entsprechenden Eingabewertbogens noch nicht kannte. Eine Tatsache gilt allerdings dann nicht als „neu”, wenn sie dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 88 AO) nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Da § 173 AO nach seinem rechtlichen Gehalt keine Fehlerberichtigungsvorschrift ist, rechtfertigt nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln eine Änderung nach dieser Vorschrift, nicht hingegen ein nachträglich erkannter Rechtsfehler (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, nicht hingegen rechtliche Erwägungen, müssen für eine auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Korrektur maßgeblich sein (Urteil des BFH vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853).

    Für die Frage der Neuheit einer Tatsache kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalles organisatorisch berufenen Dienststelle an (Urteile des BFH vom 1. Dezember 1967 VI 379/65, BFHE 90, 485, 492, BStBl II 1968, 145, 148, und vom 23. März 1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (Urteil des BFH vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492 m.w.N.).

    1. Hiervon ausgehend sind dem FA neue Tatsachen, die zu einer höheren Steuer führen, nachträglich bekannt geworden.

    Aus den Akten des FA war für den Sachbearbeiter des FA nicht ersichtlich, dass der Kläger im Streitjahr 2006 einen Veräußerungsgewinn im Sinne von § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 EStG erzielt hat. Es fehlte insoweit an entsprechenden Eintragungen in den Steuererklärungsformularen, insbesondere der Anlage GSE. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger zusammen mit seiner Steuererklärung eine Bescheinigung der M GmbH vorlegte, aus der ein Zufluss von Leistungen aus dem steuerlichen Einlagenkonto (§ 27 KStG) hervorging. Denn auch diese Bescheinigung gibt letztendlich keinen Aufschluss über einen etwaigen Veräußerungsgewinn im Sinne von § 17 Abs. 4 EStG. Nach der seit dem Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Vorschrift des § 17 Abs. 4 EStG stellt zwar die Ausschüttung bzw. Rückzahlung von Eigenkapital auch außerhalb einer Liquidation oder Kapitalherabsetzung einen eigenständigen Veräußerungsvorgang im Sinne des § 17 EStG dar. Die Einlagenrückgewähr führt dabei unmittelbar zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn, unabhängig davon, ob die Beteiligung als solche veräußert wird (vgl. Gosch, in: Kirchhof, Kommentar zum EStG, 9. Auflage 2010, § 17 Rn. 136). Dieser Veräußerungsgewinn ermittelt sich aufgrund der Verweisung des § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG nach der Vorschrift des § 17 Abs. 2 Abs. 1 Satz 1 EStG. Veräußerungsgewinn ist danach der Betrag, um den der Veräußerungspreis (bzw. die Ausschüttung oder Rückzahlung) nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt.

    Im Streitfall ließen sich den Akten, der Steuererklärung oder sonstigen Unterlagen die Höhe der Anschaffungskosten zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens nicht entnehmen. Es war damit bereits dem Grunde nach nicht zu ersehen, dass die Ausschüttung von Einlagen einen Veräußerungsgewinn darstellen konnte und damit in die Einkommensteuerpflicht gewachsen war. Denn nur wenn – und soweit – die vorgenommene Ausschüttung aus dem Einlagenkonto nach § 27 KStG die Kosten, die der Kläger für den Erwerb und die Erhaltung dieser Beteiligung aufgewendet hat, übersteigen, so übersteigt auch der Veräußerungspreis die Anschaffungskosten und kann damit ein Veräußerungsgewinn entstehen. Der Kläger hatte dem FA mit der Steuererklärung keine Angaben über die Höhe der Anschaffungskosten gemacht. Nach Lage der Akten war im maßgeblichen Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung für den Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 2006 nicht bekannt, dass der Veräußerungspreis die Anschaffungskosten des Klägers überstieg. Das FA konnte in Übereinstimmung mit der – durch Nichtausfüllung der Zeile 22 der Anlage GSE nur so zu verstehenden – Erklärung des Klägers also davon ausgehen, dass dem Kläger im Jahr 2006 zwar Zahlungen aus dem Einlagenkonto in Höhe von 1.400.000 EUR zugeflossen waren, gleichwohl kein Veräußerungsgewinn in Zeile 22 der Anlage GSE anzugeben war.

    Dem FA ist mithin die steuerrelevante Tatsache, dass die aus dem Einlagenkonto zugeflossenen Zahlungen die gezahlten Anschaffungskosten überstiegen haben, erst mit Ermittlung der entsprechenden Unterlagen im Rahmen der Außenprüfung und mithin nach Ergehen des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 2006 vom 7. Januar 2008 bekannt geworden.

    2. Das FA war auch nicht nach Treu und Glauben gehindert, den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 7. Januar 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

    a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist weitere Voraussetzung für eine Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen, dass die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht (§ 88 AO) beruht, sofern der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat, also z.B. bei Abgabe einer Steuererklärung die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich dem Finanzamt zur Prüfung unterbreitet hat (vgl. Beschlüsse des BFH vom 24. Oktober 1990 – II B 3/90 –, BFH/NV 1991, 576 m.w.N. und vom 24. März 2004 – X B 110/03 –, BFH/NV 2004, 1070). Dabei muss die Finanzbehörde – falls sie von der Möglichkeit einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung keinen Gebrauch macht – allen offenkundigen Zweifelsfragen, also Zweifeln, die sich ohne weiteres aufdrängen, nachgehen (vgl. Beschluss des BFH vom 24. Oktober 1990 – II B 3/90 –, a.a.O.). Denn der Steuerpflichtige, der seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat, kann sich bei einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung darauf verlassen, dass eine abschließende Prüfung durch die Finanzbehörde erfolgt ist. Eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ist in diesem Fall auch dann nicht zulässig, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des für ihn günstigen Bescheids nicht schützenswert wäre, weil er dessen Rechtswidrigkeit kannte oder kennen musste (vgl. Urteil des BFH vom 13. November 1985 – II R 208/82 –, BStBl. II 1986, 241).

    b) Im vorliegenden Fall war dem FA die Änderung des streitigen Bescheides auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auch unter diesen Gesichtspunkten nicht verwehrt.

    aa) Zwar hat das FA weitergehende, konkrete Nachfragen und Ermittlungen danach, ob die Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nach § 27 KStG sich wegen § 17 Abs. 4 EStG steuerlich auswirken könnten, nicht vorgenommen. Jedoch hat der Kläger seiner Mitwirkungspflicht ebenfalls nicht voll genügt. Es fehlt im Streitfall an der von der Rechtsprechung geforderten Richtigkeit, Vollständigkeit und Deutlichkeit der Sachverhaltsschilderung durch den Kläger.

    So ist die Tatsache des Vorliegens von Einkünften wegen der Erzielung eines Veräußerungsgewinns durch Ausschüttung von Einlagen über den Wert der Anschaffungskosten hinaus gemäß § 17 Abs. 4 EStG weder aus der Einkommensteuererklärung selbst noch aus den der Steuererklärung beigefügten Unterlagen ersichtlich, obwohl sie zu den steuerlich bedeutsamten Sachverhalten gehört und auch in Zeile 22 der Anlage GSE abgefragt worden war. Die bloße Einreichung der Steuerbescheinigung der leistenden Körperschaft allein ermöglicht es, entgegen der Auffassung des Klägers nicht dem FA, die Kenntnis von dem Veräußerungsgewinn zu unterstellen. Es musste sich dem FA auch sonst nicht aufdrängen, dass die im Jahr 2006 erhaltene Einlagenrückgewähr die Summe der ab dem Jahr 2003 für Erwerb und Erhaltung der Anteile geleisteten Anschaffungskosten überstieg und mithin die Anlage GSE, die unter Mitwirkung einer Steuerberatungsgesellschaft angefertigt worden war, unzutreffend ausgefüllt gewesen sein musste.

    Bei der Ermittlung eines Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 2 EStG handelt es sich zudem um eine Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art (vgl. Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 30. Auflage 2011, § 17 Rn. 131, 238), die auf das punktuelle Ereignis der Einlagenrückgewähr vorzunehmen ist. Anders als dies regelmäßig bei laufend bezogenen Einkünften der Fall sein kann, ist bei der auf das punktuelle Ereignis einer Einlagenrückgewähr bezogenen Kenntnis über einen Mittelzufluss nicht auf das Vorhandensein eines Gewinns zu schließen.

    bb) Selbst wenn man insoweit trotz des weiten Einschätzungsspielraums der Finanzverwaltung bei der Aufklärung von einerseits ungenau und unzutreffend oder andererseits widerspruchsfrei und ohne erkennbare Fehlerhaftigkeit dargestellten Steuersachverhalten Anlass für eine weitere Aufklärung sehen wollte, ergäbe sich daraus kein rechtliches Hindernis für eine Berücksichtigung der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache, weil die Unvollständigkeit der Erklärung des Klägers, insbesondere die Nichtangabe des besteuerungsrelevanten Sachverhalts in der Einkommensteuererklärung 2006, ein etwaiges Verschulden des Finanzamtes wegen unterlassener Aufklärung überwiegt.

    Eine unterbliebene oder nur unvollständige Steuererklärung steht nur dann einer Änderungsveranlagung wegen „neuer Tatsachen” entgegen, wenn die ergänzungsbedürftigen Angaben des Steuerpflichtigen nach ihrem Erklärungsinhalt bereits auf einen steuerlich relevanten Sachverhalt schließen lassen (vgl. Urteil des BFH vom 15. November 1974 VI R 58/72, BFHE 114, 318, BStBl II 1975, 369; vgl. auch Beschluss des BFH vom 24. März 2004, a.a.O.).

    So verhielt es sich vorliegend nicht: Dass empfangene Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto gemäß § 27 KStG einen Veräußerungsgewinn des Empfängers begründen, ist nicht zwingend, vielmehr allenfalls möglich. Ermittlungen in diese Richtung bedarf es dann, wenn bestimmte Umstände des Einzelfalls das Vorliegen einer entsprechenden Differenz nahelegen, wovon im Streitfall nach den durch den Kläger beziehungsweise seine Steuerberatungsgesellschaft eingereichten Unterlagen nicht auszugehen war.

    3. Die in der Sache vorgenommene Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2006 durch Bejahung eines Veräußerungsgewinns in Höhe der Ausschüttung von Einlagen abzüglich der Anschaffungskosten für den (entgeltlichen) Erwerb und die Kapitalerhöhung entspricht dem Gesetz und wurde auch von dem Kläger in dem Klageverfahren nicht weiter angegriffen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt gemäß § 105 Abs. 5 FGO insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der in dieser Sache ergangenen Einspruchsentscheidung vom 21. Januar 2011.

    III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

    VorschriftenAO § 173 Abs. 1 Nr. 1, AO § 88, EStG § 17 Abs. 4, KStG § 27