05.07.2012
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 30.08.2010 – 7 K 817/09 Kg
- Einem polnischen Arbeitnehmer steht für die Dauer seiner Beschäftigung in Deutschland kein Kindergeld auf der Grundlage der VO (EWG) 1408/71 zu, wenn er während dieser Tätigkeit im Inland nicht gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert war.
- Ein Anspruch nach deutschem Recht wird durch die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, wenn für die in Polen wohnhaften Kinder polnische Familienleistungen gewährt wurden.
Tatbestand
Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Polen. Sie beantragte am 16.10.2008 für ihren in Polen lebenden Sohn B (geb. 1998) bei der Beklagten Kindergeld. Sie gab u.a. an in der Zeit von Juli bis September 2005 und 2006 in der Bundesrepublik Deutschland sozialversicherungspflichtig nicht selbständig tätig gewesen zu sein und in der Zeit von Mai 2004 bis August 2007 polnische Familienleistungen erhalten zu haben. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 8.11.und 21.12.2007 setzte das Finanzamt die geschuldete Einkommensteuer für die Jahre 2005 und 2006 jeweils auf 0 EUR fest. Ausweislich einer Lohnsteuerbescheinigung führte der Arbeitgeber im Jahre 2005 einen Arbeitnehmeranteil an der gesetzlichen Rentenversicherung für die Klägerin ab. Für das Kalenderjahr 2006 wurden keine Sozialversicherungsabgaben in Deutschland gezahlt. Nach einer weiteren Bescheinigung einer polnischen Behörde hatte die Klägerin in dem streitigen Zeitraum Juli und August 2006 monatlich 43 PLN und im September 2006 64 PLN Kindergeld in Polen erhalten. Mit Bescheid vom 17.11.2008 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Juli bis September 2006 ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 19.12.2008 Einspruch, den die Beklagte mit Bescheid vom 26.1.2009 als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin hat am 2.3.2009 Klage erhoben. Sie trägt vor, sie erfülle unstreitig die Voraussetzungen für die Gewährung von deutschem Kindergeld nach §§ 62 ff EStG. Es käme nicht darauf an, dass sie in dem fraglichen Zeitraum auch in Polen Kindergeld erhalten habe, da § 65 EStG, der in einem derartigen Fall den Bezug deutschen Kindergeldes ausschließe, nicht eingreife. Diese Vorschrift werde durch die VO (EWG) 1408/71 verdrängt und sei überdies gemeinschaftswidrig. Durch die europäischen Sozialvorschriften könnten deutsche Recht nicht verkürzt werden. Im übrigen sei es selbstverständlich, dass auf einen EU-Bürger in Deutschland deutsches Recht Anwendung finde. Zudem werde auf eine Entscheidung des 15. Senates verwiesen (Az.: 15 K 4375/07 Kg), der ein identischer Sachverhalt zu Grund lag.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.1.2009 die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld in Höhe von 462 EUR nebst Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Klägerin unterliege der Ausnahmevorschrift des Art. 17 VO (EWG), da in dem fraglichen Zeitraum die Sozialversicherungsbeiträge in Polen abgeführt wurden. Nach deutschem Recht stehe ihr kein Kindergeld zu, weil dieses durch die polnischen Kindergeldleistungen nach § 65 EStG ausgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Kindergeldakte.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 17.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.1.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht für den Zeitraum ihrer Saisonarbeitnehmertätigkeit in Deutschland von Juli bis September 2006 kein deutsches Kindergeld zu.
Zwar dürfte die Klägerin für den fraglichen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen eines deutschen Kindergeldanspruchs nach §§ 62 ff. EStG erfüllen. Indes bedarf dies keiner weiteren Vertiefung, weil ein derartiger Anspruch jedenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 EStG ausgeschlossen ist. Hiernach wird Kindergeld nicht gezahlt für Kinder, für die im Ausland dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistungen gezahlt werden oder bei rechtzeitiger Antragstellung zu zahlen ist.
Diese Vorschrift wird nicht durch die europarechtlichen Sozialvorschriften verdrängt. Die VO (EWG) 1408/71 ist nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus Anhang I zur VO (EWG) 1408/71 Abschnitt I. Buchst. E. Nach Buchst. a) dieser Vorschrift gilt als Arbeitnehmer i.S. des Artikel 1 Buchst.a) Ziff. ii) der Verordnung u.a., wenn ein deutscher Träger der zuständige Träger von Familienleistungen gem. Titel III Kapitel 7 der Verordnung ist, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist. Die Voraussetzungen dieser Einschränkung des persönlichen Geltungsbereiches der Verordnung sind erfüllt, da sich Titel III Kapitel 7 auf Familienleistungen bezieht, zu denen insbesondere das Kindergeld gehört. Nach Art. 73 VO (EWG) 1408/71 hat ein Arbeitnehmer für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnen. Die Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereiches für den Bezug von Kindergeld hat somit die Folge, dass Arbeitnehmer aus EU-Ländern trotz ihrer Beschäftigung in Deutschland nur dann auch deutsches Kindergeld erhalten, wenn sie hier gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert sind. Da der Arbeitgeber ausweislich der vorliegenden Lohnsteuerbescheinigung für das Streitjahr 2006 die Sozialversicherungsbeiträge nach Polen abgeführt hat, ist davon auszugehen, dass die Klägerin nicht in Deutschland für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert war.
Die Voraussetzungen für den Ausschluss des deutschen Kindergeldes nach § 65 Abs.1 Satz 1 Nr.2 EStG sind erfüllt, da die Klägerin in dem streitigen Zeitraum dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistungen in Polen erhalten hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.