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  • 26.04.2012

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 03.11.2011 – 6 K 1507/07

    1. Zwar kann bei einer Verletzung der Abzugspflicht der Vergütungsschuldner entweder durch Haftungsbescheid oder durch Nacherhebungsbescheid in Anspruch genommen werden. Aber auch bei dem Nacherhebungsbescheid handelt es sich materiell-rechtlich um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs. Daraus folgt, dass auch im Nacherhebungsverfahren die gesetzlichen Voraussetzungen der Haftung erfüllt sein müssen, wozu auch eine pflichtgemäße Ermessensprüfung gehört.

    2. Es ist ermessensfehlerhaft, den Schuldner von Entgelten für die einer Maschine durch Nacherhebungsbescheid für nicht angemeldete Steuerabzugsbeträge in Anspruch zu nehmen, wenn der ausländische Vergütungsgläubiger nicht mehr existiert.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 6. Senat unter Mitwirkung … und sowie der ehrenamtlichen … Richter auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 3.11.2011

    für Recht erkannt:

    Der Bescheid über den Steuerabzug bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG für 2000, 2001, 2002, 2003 vom 20.4.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.7.2007 wird aufgehoben.

    Die Revision wird zugelassen.

    Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um einen Steuerbescheid über die Festsetzung eines Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG).

    Die Klägerin betreibt unter anderem die Herstellung und den Handel von Folienschläuchen für die Landwirtschaft. Sie schloss am 1.3.1997 einen am 14.6.1998 geänderten Maschinenmietvertrag mit der amerikanischen Gesellschaft A. International Ltd. … mit Sitz in … /USA (A.) über die Nutzung einer Folienfaltmaschine und zahlte dafür an die A. Nutzungsentgelte. Am 30.6.2003 endete das Mietverhältnis, weil die Klägerin die Faltmaschine zwischenzeitlich von der A. erworben hatte. Nach Nr. 9 des Vertrages sollte die A. innerhalb der EU alle auf die Mietmaschine erhobenen Steuern zahlen. Die Mietzahlungen erfolgten ohne Steuerabzug. Sie wurden in den USA der Ertragsbesteuerung unterworfen. Die A. wurde im November 2004 an eine andere US-Firma verkauft, abgewickelt und am 7.12.2005 in den Registern der USA endgültig gelöscht.

    In der Zeit vom 13. bis 21.10.2005 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 2000 bis 2003 statt. Nach deren Auffassung unterliege die A. mit den Einkünften aus der Vermietung beweglicher Wirtschaftsgüter der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland (§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG), wobei die Einkommensteuer nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG im Wege des Steuerabzugs zu erheben sei. Die Prüfer stellten fest, dass eine Freistellungsbescheinigung des Bundesamtes für Finanzen für die Befreiung der Maschinenmieten vom Steuerabzug gemäß § 50d Abs. 3 EStG nicht vorlag, die Mietzahlungen in den vorgelegten Bilanzen der A. verbucht und der Besteuerung in den USA zugrunde gelegt wurden.

    Dem Prüfungsbericht ist weiter zu entnehmen, dass nach Auskunft des Geschäftsführers der Klägerin die Geschäftsleitung der A. nicht dazu bewegt werden konnte, noch vor der Löschung Anträge auf Erstattung der Abzugssteuern zu stellen. Die damaligen Vertreter der A. hatten erklärt, sie würden nicht mehr handeln und auch keine Ansprüche nach § 50d EStG abtreten, da die Abmeldung der Gesellschaft bereits beantragt sei.

    Mit Schreiben vom 5.3.2007 gab das Finanzamt der Klägerin im Rahmen der Anhörung nach § 91 Abgabenordnung (AO) Gelegenheit, bis zum 20.3.2007 die Steuern nachzumelden und die Steuerabzugsbeträge an die Finanzkasse zu entrichten, andernfalls werde die Steuer durch Haftungsbescheid gemäß § 50a Abs. 5 EStG in Verbindung mit § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) und § 191 AO angefordert. Die Klägerin übersandte daraufhin eine „Dokumentation” zum Nachweis, dass die Zahlungen an die A. der amerikanischen Besteuerung unterworfen wurden, und vertrat die Auffassung, dass sie keine Steueranmeldung abgeben müsse, da der Bundesrepublik Deutschland kein Schaden entstanden sei.

    Am 20.4.2007 nahm das Finanzamt die Klägerin mit einem „Bescheid über den Steuerabzug bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG” unter Hinweis auf § 167 AO wegen unterbliebener Abgabe einer Steueranmeldung durch Steuerabzug und unter Bezugnahme auf das Zahlenwerk im Betriebsprüfungsbericht wie folgt in Anspruch:

    Jahr2000200120022003
    Vergütung(208.918 DM)106.818,08 EUR(286.430 DM)146.449,33 EUR155.173 EUR143.863 EUR
    Steuerabzug(86.034 DM)43.988,49 EUR(119.673 DM)61.187,83 EUR52.690 EUR36.467 EUR
    Solidaritätszuschlag(4.717 DM)2.411,76 EUR(6.561 DM)3.354,59 EUR2.898 EUR2.006 EUR
    Summe Steuerabzug(90.751 DM)46.400,25 EUR(126.234 DM)64.542,42 EUR55.588 EUR38.473 EUR
    Die Klägerin erhob dagegen fristgerecht Einspruch, den das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 2.7.2007 zurückwies. Dort führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, die Klägerin hätte von dem Steuerabzug nur absehen dürfen, wenn eine Freistellungsbescheinigung vorgelegen hätte, § 50d Abs. 2 EStG. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Vergütungsgläubiger seinen Erstattungsanspruch beim Bundeszentralamt für Steuern geltend mache, sei für das Steuerabzugsverfahren ohne Bedeutung. Denn der Gesetzgeber habe das Steuerabzugsverfahren nach § 50a EStG und das Erstattungsverfahren nach § 50d EStG bewusst und gewollt voneinander unabhängig gestaltet und dabei auch eine vermeintliche oder mögliche „Doppelbesteuerung” bewusst in Kauf genommen. Das Steuerabzugsverfahren sei ungeachtet der Besteuerungsregeln im Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) USA anzuwenden. Diese Verfahrensweise ergebe sich ausdrücklich aus Art. 29 des DBA.

    Die Erhebung der Abzugssteuern sei demnach nicht unbillig. Das Finanzamt sei gemäß § 50a Abs. 5 Satz 6 EStG auch nicht verpflichtet gewesen, die US-Gesellschaft noch vor dem 7.12.2005 in Anspruch zu nehmen, denn damals sei noch offen gewesen, ob die gezahlten Nutzungsentgelte nicht vorschriftsmäßig gekürzt worden seien. Außerdem sei es zweifelhaft, ob eine Nachforderung beim beschränkt Steuerpflichtigen und Amtshilfe bei nach DBA steuerfreien Einkünften überhaupt in Frage komme. Daher habe das Finanzamt ermessensgerecht von seinem Auswahlermessen dahingehend Gebrauch gemacht, die inländische zahlungsfähige Klägerin in Anspruch zu nehmen. Die Gründe dafür würden in den üblichen Schwierigkeiten bei der Zustellung von Bescheiden und sonstigen Schriftstücken sowie in der Beitreibung von Steuern im Ausland liegen. Dies gelte umso mehr, weil sich die US-Gesellschaft in Abwicklung befunden habe.

    Die Abzugssteuern seien zutreffend durch Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO festgesetzt worden, da keine Steueranmeldung im Sinne des § 150 Abs. 1 Satz 3 AO abgegeben worden sei. Das Finanzamt hätte die Abzugssteuern nach § 73g EStDV auch durch Haftungsbescheid anfordern können, was dem Erlass eines Steuerbescheids jedoch nicht entgegenstehe. Dies werde auch durch das BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 VI R 171/00, BStBl II 2004, 1087, bestätigt.

    Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, eine beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 oder 9 EStG sei im Streitfall nicht gegeben und deswegen sei ein Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG nicht durchzuführen gewesen.

    Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben liege eine Selbstbindung der Verwaltung zum Erlass eines Haftungsbescheides ausdrücklich vor. Das Finanzamt habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, da es in der Zeit zwischen dem 14.11.2005 und 7.12.2005 nicht den Steuerschuldner, das US-Unternehmen, in Anspruch genommen habe. Mangels Antragsberechtigung der Entrichtungsschuldnerin sei die Erlangung eines Erstattungs- oder Freistellungsantrages in der Zeit vom 21.10. bis 7.12.2005 nicht möglich gewesen. Da nach der Löschung der A. ein Erstattungsverfahren nicht mehr durchführbar gewesen sei, würde die nachträgliche Anwendung des § 50a Abs. 4 EStG zu einer endgültigen steuerlichen Doppelbelastung der Mietzahlungen führen. Das Finanzamt hätte die Zwangslage der Klägerin in seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen.

    Der Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt nach § 119 AO. Es sei nicht zu entnehmen, ob es sich um eine Jahressteuer oder eine Zusammenfassung mehrerer Jahre in einem Bescheid handele.

    Unter Hinweis auf die eingereichte Dokumentation über den Nachweis der Zahlungen an die A. und deren Besteuerung in den USA habe die Abzugssteuer die Höhe der in den USA durch den Zufluss der Mietzahlungen ausgelösten Ertragbesteuerung weit überschritten. Die Steuern in den USA habe die A. für das Jahr 2000 beglichen. Sie habe dort die Mietzahlungen im Jahr 2000 mit einem Steuersatz von 18,65 % versteuert, während in Deutschland der Steuerabzug 30,59 % betragen hätte. Für die Jahre 2001 bis 2004 seien aufgrund der Verluste keine Ertragssteuern ausgelöst worden. Demgegenüber hätten in Deutschland Steuerabzugsbeträge zwischen 21,11 % und 30,59 % bezahlt werden müssen. Die Höhe der Steuerforderungen sei jedenfalls im Rahmen der Ermessensbetätigung zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus dem BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2008 I B 160/08, BFH/NV 2009, 477, zur Bauabzugssteuer, und aus der Beschwerdeentscheidung des BFH im vorangegangenen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vom 18. März 2009.

    Ein Bescheid nach § 167 AO habe nicht erlassen werden können, da der Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG keine Steuer im Sinne von § 3 Abs. 1 AO sei. Er diene nicht der Erzielung von Einkünften, da § 50 d EStG die Erstattung vorsehe, sondern lediglich der Sicherung eines vermeintlichen Steueranspruches. In der getroffenen Auswahl der Vorschrift des § 167 AO anstatt § 191 AO in Verbindung mit § 73g Abs. 1 EStDV sei eine Eingriffsverschärfung zu sehen, weil eine Prüfung des Entschließungsermessens umgangen worden sei. Da bekannt gewesen sei, dass weder in den USA noch in Deutschland ein schützenswerter Steueranspruch bestanden habe, sei der Ermessensspielraum falsch ausgeübt worden. Eine Inanspruchnahme der Klägerin würde gegen die Wertungen des EStG verstoßen.

    Ferner sei nicht berücksichtigt worden, dass ein entschuldbarer Rechtsirrtum vorgelegen habe. Die Klägerin sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Zahlungen an die Vergütungsgläubigerin nicht unter den Steuerabzug nach § 50a EStG fallen würden. Dem Finanzamt seien die betreffenden Verträge seit der Einreichung der Steuererklärungen zur Veranlagung 1998 bekannt gewesen. Der Prüfer der Vorbetriebsprüfung für die Jahre 1995 bis 1999 habe den unterlassenen Steuerabzug nicht beanstandet, sondern die Richtigkeit der steuerlichen Behandlung bestätigt. Wenn bereits hier das Finanzamt das Vertragswerk unter § 50a Abs. 4 EStG und § 73d Abs. 2 EStDV eingeordnet hätte, dann wäre auch mit Sicherheit ein Freistellungs- oder Erstattungsverfahren nach § 50d EStG durchgeführt worden.

    Hinsichtlich der eigenen Schuld habe das Finanzamt ein Ermessen fehlerhaft überhaupt nicht ausgeübt.

    Für den Fall, dass sich aus den Steuergesetzen eine nachträgliche Entrichtungspflicht ergeben sollte, liege eine Regelungslücke vor. Aufgrund des Verhaltens der Vergütungsgläubigerin habe für die Klägerin keine Möglichkeit bestanden, ihr Vermögen zu schützen. Im vorliegenden Ausnahmefall sollte es möglich sein, die Klägerin als Entrichtungsschuldnerin in die Rechtsstellung der Steuerschuldnerin zu fingieren, um ihr die Möglichkeit zum Nachweis zu geben, dass die Vergütungen im Ansässigkeitsstaat ordnungsgemäß versteuert seien und sie sich dann auf Art. 21 Abs. 1 DBA-USA berufen könne.

    Die Durchführung des Steuerabzugsverfahrens sei unbillig. Dem Staat stünden die Einnahmen materiellrechtlich nicht zu, es würde eine endgültige ungerechtfertigte Bereicherung des deutschen Fiskus eintreten. Die Hauptschuld für den unterlassenen Steuerabzug trage das Finanzamt Bautzen. Das Finanzamt habe sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt.

    Die Klägerin beantragt den Bescheid über den Steuerabzug bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG für 2000, 2001, 2002, 2003 vom 20.4.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.7.2007 aufzuheben,

    hilfsweise die Revision zuzulassen,

    und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen,

    verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und auf den BFH-Beschluss vom 18. März 2009 und trägt ergänzend vor:

    Der Steueranspruch nach § 3 Abs. 1 AO gegen den beschränkt Steuerpflichtigen begründe sich nicht auf § 50a EStG, sondern auf § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG, und sei über das Abzugsverfahren nach § 50a EStG von der Klägerin zu erheben. Ob die Klägerin als Entrichtungsverpflichtete irrtümlicherweise davon ausgegangen sei, dass die Zahlungen an die Vergütungsgläubigerin nicht unter den Steuerabzug nach § 50a EStG fallen würden, sei unerheblich, denn dies würde nichts an der gesetzlich auferlegten Abführungspflicht ändern

    Das Finanzamt habe gegenüber der Klägerin einen Anspruch aus § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG und habe bei Erlass des Bescheides vom 20.4.2007 den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und den in § 85 AO verankerten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht verletzt. Da der Gesetzgeber die Verfahren nach §§ 50a und 50d EStG voneinander unabhängig gestaltet habe, sei es für den Vergütungsschuldner völlig unerheblich, ob der Vergütungsgläubiger das Erstattungsverfahren tatsächlich durchgeführt habe. Der Gesetzgeber habe eine vermeintliche oder mögliche Doppelbesteuerung erkannt und bewusst in Kauf genommen. Trotz der verweigerten Mitwirkung des US-Unternehmens sei die Klägerin nicht schutzlos gewesen, denn sie hätte sich den Erstattungsanspruch aus § 50d EStG abtreten lassen können. Grundsätzlich sei der Erstattungsantrag vom Vergütungsgläubiger zu stellen, dieser könne aber den Vergütungsschuldner dazu bevollmächtigen. Bis zur gesellschaftsrechtlichen Abwicklung des US-Unternehmens hätte die Klägerin dann selbst einen Freistellungsantrag stellen können.

    Die Klägerin habe sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Die behauptete Aussage des Vorbetriebsprüfers gegenüber dem Geschäftsführer habe keine bindende Wirkung. Da sie – wenn überhaupt – nur mündlich erteilt worden sei, handele es sich nur um eine unverbindliche Meinungsäußerung. Die Klägerin habe sich eigenständig über die Rechtslage und die sich daraus ergebenden Pflichten zu informieren. Wenn sie sich lediglich auf diese eine Auskunft verlassen habe, dann sei der Rechtsirrtum nicht entschuldbar. Eine frühere aufgrund einer Außenprüfung vorgenommene rechtliche Beurteilung binde das Finanzamt nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung nicht für die Zukunft. Es bestehe nach ständiger BFH-Rechtsprechung kein Vertrauenstatbestand, auf den sich die Klägerin berufen könne.

    Die Ertragsbesteuerung des US-Unternehmens für das Jahr 2000 könne der Klägerin nicht zugute kommen, da eine konkrete Abstimmung des Abzugs- und des ausländischen Besteuerungsverfahrens nicht vorgesehen sei. Nach dem DBA-USA 1989 werde das Recht eines Vertragsstaates, die Steuer im Abzugswege zu erheben, nicht berührt. Zudem bestimme § 50d Abs. 1 Satz 10 EStG ausdrücklich, dass sich der Vergütungsschuldner nicht darauf berufen könne, dass der Vergütungsgläubiger eine geringere Steuer schulde. Dass wegen der erlittenen Verluste das US-Unternehmen für die Jahre 2001 bis 2003 keine Ertragssteuer in den USA entrichtet habe, sei für die Steuerabführung in Deutschland unbeachtlich. Dies sei nur auf der zweiten Stufe beim Erstattungsverfahren durch das Bundeszentralamt für Steuern zu berücksichtigen.

    Eine Regelungslücke sei nicht ersichtlich, denn der Gesetzgeber habe es nicht unterlassen, die Handlungsfähigkeit der Klägerin als Vergütungsschuldnerin im Rahmen des Steuererstattungsverfahrens nach § 50d EStG zu regeln. Ob und in welchem Umfang von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht werde, liege letztlich im Entscheidungsbereich des Steuerschuldners. Das Erstattungsverfahren des Vergütungsgläubigers habe somit für das Steuerabzugsverfahren keinerlei Bedeutung. Damit bringe der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er eine vermeintliche als auch mögliche Doppelbesteuerung bewusst in Kauf nehme. In den vielen Fällen, in denen ausländische Unternehmen auf einen Erstattungsantrag verzichten würden, verbleibe es bei der nicht DBA-konformen und vom Gesetzgeber hingenommenen Besteuerung.

    Der abzugsverpflichtete Vergütungsschuldner dürfe die vom Gesetzgeber beabsichtigte Zweistufigkeit des Verfahrens nicht dadurch unterlaufen, dass er durch eine ungekürzte Auszahlung der Vergütung das Ergebnis des Freistellungs- oder Erstattungsverfahrens vorwegnehme. Deswegen sei der Klägerin nicht die Möglichkeit zuzubilligen, die Rechtsstellung des Vergütungsgläubigers im Nachhinein einzunehmen. Nur weil von den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten kein Gebrauch gemacht worden sei, bestehe keine Regelungslücke.

    Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und eine ungerechtfertigte Bereicherung der Bundesrepublik Deutschland würden nicht vorliegen. Dem Fiskus stehe sowohl aus materiellrechtlichen als auch formellen Gründen die Abzugssteuer aus § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG zu. Die tatsächliche Durchführbarkeit des Erstattungsverfahrens nach § 50d EStG sei keine Voraussetzung für das Abzugsverfahren nach § 50a EStG.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die übersandten Steuerakten, die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Die Akten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens 6 V 1508/07 und der Parallelverfahren 6 K 1503, 1505, 1506, 1509 und 1510/07 wurden beigezogen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 20.4.2007 ist rechtswidrig.

    Nach § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG hat der Vergütungsschuldner für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldner) den Steuerabzug vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 4 vorliegen. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die Mietzahlungen an die A., die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hatte und daher beschränkt steuerpflichtig im Sinne des § 2 Nr. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) war, als Vergütungen im Sinne des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 oder 9 EStG anzusehen sind. Denn auch wenn die Klägerin danach zum Steuerabzug verpflichtet wäre, ist die Nacherhebung der Steuerabzugsbeträge nach § 50a EStG im vorliegenden Fall rechtswidrig, weil das Finanzamt dabei in fehlerhafter Weise sein Ermessen nicht ausgeübt hat.

    Zwar kann bei einer Verletzung der Abzugspflicht der Vergütungsschuldner entweder durch Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG, § 73g EStDV in Verbindung mit § 191 Abs. 1 Satz 1 AO oder durch einen Nacherhebungsbescheid im Sinne des §§ 167 Abs. 1 Satz 1 und 150 Abs. 1 Satz 3 AO in Verbindung mit § 50a Abs. 5 EStG und § 73e Satz 2 EStDV in Anspruch genommen werden. Aber auch bei dem vom Finanzamt gewählten Nacherhebungsbescheid handelt es sich materiellrechtlich um die Geltendmachung eines Haftungsanspruches. Durch eine Steuerfestsetzung nach § 167 Abs. 1 AO soll derjenige, der die Steuer als Entrichtungsschuldner nicht angemeldet hat, in seiner Funktion als Haftungsschuldner erfasst werden. Daraus folgt, dass auch im Nacherhebungsverfahren die gesetzlichen Voraussetzungen der Haftung erfüllt sein müssen, wozu auch eine pflichtgemäße Ermessensprüfung gehört, die durch einen Bescheid nach § 167 AO nicht umgangen werden darf. Denn die Wahl des Nacherhebungsverfahrens anstelle eines Haftungsbescheids darf nicht zu einer Eingriffsverschärfung führen. Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Sie bestimmt in ihrem Absatz 1 Satz 1 in der seit 1988 geltenden Fassung des Gesetzes: „Ist eine Steuer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung anzumelden (§ 150 Abs. 1 Satz 2 AO), so ist eine Festsetzung der Steuer nach § 155 AO nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt oder der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt.” Nach der Begründung der Bundesregierung vom 23.3.1988 zum Entwurf des Steuerreformgesetzes 1990, BT-Drucks. 100/88 S. 401 f, sollte die Änderung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO, nämlich der neu aufgenommene Zusatz „oder der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt” der Verfahrensvereinfachung dienen und klarstellen, dass der Steuerpflichtige auch dann im Weg einer Steuerfestsetzung und nicht lediglich im Weg eines Haftungsbescheids in Anspruch genommen werden kann, wenn er die Steuer für Rechnung eines anderen einzubehalten hat und dies nicht oder nicht ordnungsgemäß tut. „Müsste in solchen Fällen ein Haftungsbescheid ergehen, so könnte bei nachträglicher Abgabe oder Berichtigung der Steueranmeldung der Haftungsbescheid nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 130 AO zurückgenommen werden. Eine Steueranmeldung, die nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, kann demgegenüber jederzeit nach § 164 geändert werden” BT-Drucks. a.a.O. Dem Gesetzgeber ging es also offenbar punktuell um die Lösung des Problems unzureichender Änderungsmöglichkeiten… für Haftungsbescheide. Von der Statuierung eines freien Wahlrechts der Finanzverwaltung zwischen dem Erlass eines Steuerbescheids nach § 167 AO oder eines Haftungsbescheids lässt die Gesetzesbegründung nichts erkennen, wohl aber eine Schutzfunktion zugunsten des Steuerentrichtungspflichtigen. Denn der (geschätzte) Lohnsteuerbetrag soll nach Abgabe der ausstehenden Steueranmeldung nicht unabänderlich geschuldet werden, vgl. „Zum Wahlrecht der Finanzbehörde zwischen Steuerschätzung und Haftungsbescheid bei unterbliebener Steueranmeldung” von Dr. Klaus-Dieter Drüen, Bochum, in DB 2005, 299 mit vielen weiteren Nachweisen, Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, § 167 Rz 14ff, a.A. BFH-Beschluss vom 18. März 2009 im vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

    Im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensbetätigung hätte das Finanzamt folgende Gesichtspunkte bei der Nacherhebung der Steuerabzugsbeträge nach § 50a EStG in die Betrachtung mit einbeziehen müssen:

    Im Streitfall besteht die besondere Konstellation, dass die A. zum Zeitpunkt des Bescheides am 20.4.2007 seit über einem Jahr nicht mehr existierte, weder veranlagt werden konnte noch überhaupt eine Steuer im Inland oder in den USA schuldete, und dass demzufolge auf deren Rechnung keine Steuer mehr von der Klägerin als Entrichtungsverpflichtete einbehalten werden konnte. Der vom Finanzamt geltend gemachte Entrichtungsanspruch ist auf die Weiterleitung einbehaltenen Vermögens eines Dritten gerichtet. Das Finanzamt hat bei der Nachforderung nicht berücksichtigt, dass die Pflicht der Klägerin, nachträglich Steuern einzubehalten, abzuziehen, anzumelden und abzuführen, ins Leere geht, wenn der Dritte – hier die A. – und deren Vermögen weggefallen sind.

    Dem deutschen Fiskus ist kein Schaden entstanden, da er keinen Anspruch auf diese Steuern hat, weder aus materiellrechtlichen Gründen, da gemäß Art. 21 Abs. 1 DBA USA vom 29.8.1989 den USA das alleinige Besteuerungsrecht für die Mieteinnahmen eines in den USA ansässigen Unternehmens zusteht und die streitigen Mietzahlungen in den USA besteuert wurden, noch aus formellen Gründen, weil ein Erstattungsantrag an das Bundeszentralamt durch die A. nicht mehr gestellt werden kann.

    Zwar sind nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Vergütungen im Sinne des § 50a EStG ungeachtet eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden, wenn danach die dem Steuerabzug aufgrund des § 50a EStG unterliegenden Einkünfte nicht besteuert werden. Diese gesetzliche Trennung der Verfahren steht aber in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erstattungsanspruch des Vergütungsgläubigers, § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG, den das Gesetz offenbar voraussetzt. Nach der Gesetzessystematik verliert der Vergütungsgläubiger trotz Steuerabzugs nicht seine Rechte auf Steuerfreistellung nach dem DBA, da ihm auf Antrag die einbehaltene und abgeführte Steuer in dem sich aus dem DBA ergebenden Umfang zu erstatten ist, BFH-Beschluss vom 28. April 2004 I R 39/04, BStBl II 2004, 878. Ebenso muss die Vorschrift des § 50d Abs. 1 Satz 4 EStG 2001 (Satz 10 EStG 2002) verstanden werden, wonach sich der Haftungsschuldner nicht auf die Rechte des Gläubigers aus dem Abkommen berufen darf, sondern auf das Freistellungsverfahren nach Absatz 2 verwiesen wird. Auch diese Regelung setzt voraus, dass diese Rechte überhaupt geltend gemacht werden können, kann also nicht eingreifen, wenn – wie im Streitfall – eine Antragstellung nach § 50d Abs. 2 EStG deswegen unmöglich ist, weil der Vergütungsgläubiger nicht mehr existiert. Nicht anders ist die Regelung in Art. 29 Abs. 1 und 2 DBA-USA zu verstehen, wonach das Recht der Bundesrepublik Deutschland zur Vornahme des Steuerabzugs durch das Abkommen nicht berührt wird, sondern die im Abzugswege erhobene Steuer auf Antrag erstattet wird. Die Mehrspurigkeit des Verfahrens sagt noch nichts darüber aus, was zu geschehen hat, wenn ein solcher Erstattungsanspruch wegen Wegfalls des Vergütungsgläubigers nicht mehr geltend gemacht werden kann.

    Der vorliegende Streitfall ist durch die untypische Fallgestaltung gekennzeichnet, dass das vom Gesetzgeber vorgesehene System des Abzugs-, Erstattungs- und Freistellungsverfahrens ausfällt, obwohl die Klägerin alles veranlasst hat, um die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 50d EStG zu schaffen. Die Weigerung der A., die die Mietzahlungen ungeschmälert bezogen hat, in den wenigen Wochen vor ihrer Löschung entsprechende Anträge zu stellen, kann der Klägerin nicht in dem Sinne angelastet werden, dass diese die Steuerabzugsbeträge nunmehr in voller Höhe endgültig selbst tragen muss. Die Außergewöhnlichkeit dieses speziell gelagerten Falles hat das Finanzamt bei der Nachforderung nicht bedacht.

    Die Klägerin hat ausführlich dargelegt, warum aus ihrer Sicht eine beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 oder 9 EStG im Streitfall nicht eingreife und deswegen ein Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG nicht durchzuführen gewesen sei. Da der unterlassene Steuerabzug in der Vorbetriebsprüfung nicht beanstandet worden war, hat sie sich in ihrer Rechtsauffassung bekräftigt gefühlt und auch in den Folgejahren den Steuerabzug nicht vorgenommen. Darin ist ein entschuldbarer Rechtsirrtum zu sehen, der die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 50a Abs. 5 EStG ausschließen kann, so auch BFH-Urteil vom 20. Juli 1988 I R 61/85, BStBl II 1989, 99, mit weiteren Nachweisen. Im Übrigen hätte bei rechtzeitigem Hinweis des Finanzamts, dem der Maschinenmietvertrag seit der Veranlagung 1998 vorgelegen hatte, auf die Steuerabzugspflicht das vom Gesetzgeber vorgesehene Abzugs-, Erstattungs- und Freistellungsverfahren durchgeführt werden können. Das sich daraus ergebende Mitverschulden hat das Finanzamt ignoriert.

    Bei der Ermessensausübung hätte das Finanzamt ebenfalls berücksichtigen müssen, „dass die Höhe der Abzugssteuer die Höhe der in den USA durch den Zufluss der Nutzungsentgelte ausgelösten Ertragsbesteuerung übersteigt” (BFH-Beschluss vom 18. März 2009 unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2008 a.a.O.). Nach der vorgelegten Dokumentation (Anlage 8 der Klageschrift mit den weiteren Anlagen) hat die Klägerin unwidersprochen im Einzelnen dargelegt, dass die A. in den USA im Jahr 2000 auf die eingegangenen Mieteinnahmen bezahlten Steuern niedriger waren als die entsprechenden Steuerabzugsbeträge in Deutschland. Nach dem BFH-Beschluss vom 18. März 2009 I B 160/08, der zur Bauabzugssteuer nach §§ 48ff EStG ergangen ist, sind die dortigen Regeln in systematischer Hinsicht mit den Vorschriften §§ 50a Abs. 4 und 50d EStG vergleichbar. Der BFH hält es für erforderlich, die Erkenntnisse über die steuerlichen Verhältnisse des Steuerschuldners mit einzubeziehen und – insbesondere wenn der Haftungsbetrag die Steuerschuldner übersteigen würde – dies im Rahmen der Ermessensbetätigung zu berücksichtigen. Dies hat das Finanzamt unterlassen.

    Der Bescheid vom 20.4.2007 ist in vollem Umfang rechtswidrig, weil der Beklagte das Ermessen nicht ausgeübt hat (sogenannter Ermessensausfall). Weder in diesem Bescheid noch in der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung ging das Finanzamt davon aus, überhaupt einen Entscheidungsspielraum zu haben und Erwägungen dazu anstellen zu müssen, ob und in welcher Höhe die Steuerabzugsbeträge nachzufordern seien.

    Die Revision wird zugelassen, § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 und Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 Satz 1 ZPO.

    VorschriftenEStG § 49 Abs. 1 Nr. 9, EStG § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3, EStG § 50a Abs. 5, EStDV § 73g, AO § 167, AO § 5