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  • 26.04.2012

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 08.09.2011 – 6 K 501/10

    Der Aufrechnung des Umsatzsteuervergütungsanspruchs der Masse mit der Umsatzsteuerschuld aus der Neuerwerbstätigkeit der Insolvenzschuldnerin desselben Kalenderjahres steht ein Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 InsO nicht entgegen. Das Insolvenzunternehmen und das sog. Neuerwerbs-Unternehmen bilden -auch bei verschiedenen Steuernummern- keine unterschiedlichen Rechtspersönlichkeiten bzw. Steuersubjekte (entgegen Sächsisches FG v. 27.8.2008, 2 K 998/08).


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 6. Senat unter Mitwirkung von … als Vorsitzendem, … und … sowie der ehrenamtlichen Richter … und … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 8. September 2011

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird angewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Klägerin zur Last.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides.

    Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der … (Insolvenzschuldnerin). Am 15. Januar 2007 erklärte die Insolvenzverwalterin die Freigabe des von der Insolvenzschuldnerin unterhaltenen Gewerbes „Autovermietung …” Dazu erklärte die Insolvenzschuldnerin, monatlich gegenüber der Klägerin Einnahmen und Ausgaben des Neuerwerbs abzurechnen und die pfändbaren Beträge an die Klägerin abzutreten.

    Die Insolvenzschuldnerin erfüllte ihre auf den Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 4. Quartal 2008 beruhenden Zahlungsverpflichtungen nicht. Nachdem die Klägerin für die Masse eine Umsatzsteuererklärung 2008 eingereicht hatte, die einen Erstattungsbetrag von 1.261,93 Euro auswies, buchte der Beklagte den Erstattungsbetrag vollständig auf die höhere rückständige Umsatzsteuer der Insolvenzschuldnerin um und erließ am 28. Juli 2009 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2010).

    Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Beklagte nicht verrechnen dürfe. Es handele sich nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Sächsischen Finanzgerichtes bei der Masse und dem Neuerwerb um zwei verschiedene Rechtspersönlichkeiten. Der Aufrechnung stehe zudem § 96 InsO entgegen.

    Die Klägerin beantragt sinngemäß,

    den Abrechnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass festgestellt werde, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin nicht durch Verrechnung mit der Umsatzsteuerforderung des Beklagten aus den Umsatzsteuervoranmeldungen 2008 erloschen ist.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er ist der Auffassung, dass das Umsatzsteuerrecht dem Insolvenzrecht vorgehe. Danach sei bei einem Unternehmer zunächst die Umsatzsteuer mit den Vorsteuerbeträgen zu saldieren. Erst dieser Saldo stelle die Forderung im Rechtsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und der Masse bzw. dem Gemeinschuldner fest. Deswegen könnten die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 InsO nicht einschlägig sein.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten darauf verzichtet haben.

    Die Klage ist unbegründet.

    Der Beklagte hat zu Recht die Rechtmäßigkeit der „Verrechnung” des Umsatzsteuervergütungsanspruchs 2008 der Masse mit einer Umsatzsteuerschuld 2008 aus der Neuerwerbstätigkeit der Insolvenzschuldnerin im streitigen Abrechnungsbescheid festgestellt.

    Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung (Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen) liegen vor. Schuldner und Gläubiger einer Umsatzsteuerforderung oder eines Umsatzsteuervergütungsanspruchs ist ungeachtet des Zeitpunkts ihrer Entstehung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzschuldner (BFH, BFH/NV 2011, 647). Der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin mit einer früheren Erwerbstätigkeit als Einzelunternehmerin insolvent geworden ist und nunmehr erneut als Einzelunternehmerin tätig ist, führt nicht dazu, dass für das Insolvenzunternehmen und das sog. Neuerwerbs-Unternehmen unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten entstehen, bei denen jeweils unabhängig voneinander eigenständige Rechte/Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet würden.

    Für unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten spricht nicht die Vergabe unterschiedlicher Steuernummern. Wenn die Insolvenzschuldnerin für den Tätigkeitszeitraum des insolvent gewordenen Unternehmens von der Finanzverwaltung mit einer anderen Steuernummer geführt wird als für den Zeitraum des sog. Neuerwerbs, so hat dies nur verwaltungsinterne Gründe. Es berührt ihre Rechtspersönlichkeit nicht. Es ist die Insolvenzschuldnerin, die als natürliche Person gemäß § 1 BGB rechtsfähig ist. Als solche ist sie bis zu ihrem Tod Träger von Rechten und Pflichten bzw. kann in ihrer Person Rechte begründen und Verbindlichkeiten eingehen. Eine „Firma” oder ein „Gewerbebetrieb” besitzt im Gegensatz zu natürlichen Personen (§ 1 BGB) und juristischen Personen (§§ 21ff. BGB) keine Rechtsfähigkeit oder Teilrechtsfähigkeit wie z.B. Personengesellschaften (§ 124 HGB) und können damit auch nicht Gläubiger oder Schuldner sein. Ein Unternehmer im Sinne des § 2 UStG verliert demgemäß seine umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Er ist lediglich in seinem Verwaltungs- oder Verfügungsrecht beschränkt (§ 80 InsO). Umsatzsteuerliche Vorgänge, die der Insolvenzverwalter auslöst, sind dem insolventen Unternehmer als eigene Umsätze zuzurechnen. Neben diesen Umsätzen mit der Insolvenzmasse (§§ 35 Abs. 1, 55 Abs. 1 Ziffer 1 InsO), für die der Insolvenzverwalter anstelle des Gemeinschuldners gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verfügungsmacht ausübt, kann der Schuldner selbst auch Umsätze vornehmen. Das ist dann der Fall, wenn – wie vorliegend – der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 InsO i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO das „neue” Unternehmen aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat. In diesem Fall wird neben der Steuernummer, unter der die Insolvenzforderungen aus dem alten Unternehmen nach § 38 InsO angemeldet sind und der Steuernummer, die die Umsatzsteuer erfasst, die als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO insbesondere durch Handlungen des Insolvenzverwalters zu behandeln sind, noch eine dritte Steuernummer erteilt. Die Erfassung der Umsatzsteuer auf verschiedenen Steuernummern erfolgt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Geltendmachung und der Qualität von Forderungen (Insolvenzforderung, Masseverbindlichkeit oder Zurechnung zum insolvenzfreien Vermögen), der zutreffenden Bekanntgabe von Verwaltungsakten sowie der Überprüfung von Aufrechnungsmöglichkeiten. Unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten oder Steuersubjekte entstehen hierdurch nicht. Der Auffassung des 2. Senats des Sächsischen Finanzgerichts in seiner Entscheidung vom 27. August 2008 (2 K 998/08), dass es sich bei dem Neuerwerb und der Masse um zwei verschiedene (umsatzsteuerliche) Steuersubjekte handele, vermag der Senat nicht zu folgen.

    Eine Verrechnung steht auch § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Der Beklagte ist mit seiner vorliegend in Rede stehende Forderung gegen den Insolvenzschuldner jedoch nicht Insolvenzgläubiger, da die Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der freigegebenen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin entstanden ist. Deswegen besteht auch die Gefahr der Vorabbefriedigung eines Insolvenzgläubiger wegen seiner angemeldeten Forderung, wovor § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO u.a. schützen soll, nicht.

    Ebenfalls ist § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht einschlägig. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu befriedigen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet. Diese Vorschrift ist nach Sinn und Zweck nur in den Fällen anwendbar, in denen der Schuldner mit dem Gläubiger kontrahiert (vgl. Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 96 Rdnr. 14) und dadurch eine Forderung des Gläubigers entsteht. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Der Umsatzsteueranspruch des Beklagten ist nicht durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen entstanden, denen sich der Beklagte angesichts des Risikos, als Gläubiger nahezu rechtlos gestellt zu werden (vgl. Braun, Kommentar zu Insolvenzordnung, § 96 Rdnr. 14), was als unbefriedigend angesehen wird (vgl. BFH, BStBl. II 2010, 758), hätte enthalten können, sondern kraft Gesetzes.

    Sofern der Auffassung zu folgen sein sollte, dass eine Verrechnungslage ausscheide, weil umsatzsteuerlich kein anderes Unternehmen entstanden sei und es sich deshalb nicht um eine „Aufrechnung” im Sinne zweier gegenläufiger Ansprüche handele, da der Saldo der unselbständigen Besteuerungsgrundlagen (berechneter Umsatzsteuer und abgesetzte Vorsteuer) nur einen Anspruch im Steuerschuldverhältnis darstelle, der in eine Steuerschuld oder einen Vergütungsanspruch münde (BFH, BStBl. II 2010, 758), durfte der Beklagte nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG von der Umsatzsteuer (der Insolvenzschuldnerin) den Vorsteuerbetrag (der Masse) absetzen. Dementsprechend begegnete es keinen Bedenken, wenn der Beklagte zunächst für die Steuernummer der Masse und des Neuerwerbs getrennt den Saldo aus berechneter Umsatzsteuer und Vorsteuerbeträgen ermittelt und das Ergebnis miteinander saldiert. Denn zu diesem Ergebnis wäre der Beklagte auch gelangt, wenn er die berechnete Umsatzsteuer der Masse und des Neuerwerbs addiert und davon die Summe der Vorsteuerbeträge der Masse und des Neuerwerbs abgesetzt hätte.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision war nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.

    VorschriftenUStG § 2, UStG § 16 Abs. 2 S. 1, InsO § 35 Abs. 2, InsO § 295 Abs. 2, InsO § 55, InsO § 96 Abs. 1, InsO § 80