23.03.2012
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.07.2011 – 15 K 522/10 Kg
- Ein im Inland ansässiger, dort selbständig tätiger und nicht sozialversicherungspflichtiger polnischer Staatsbürger, dessen Ehefrau mit den Kindern in Polen lebt und polnische Familienleistungen bezieht, hat unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld.
- Die Familienleistungen in Polen sind ungeachtet ihrer erheblich geringeren Höhe mit den deutschen Kindergeldansprüchen vergleichbar i. S. von § 65 EStG.
- Der Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verstößt weder gegen gemeinschaftsrechtliche noch gegen verfassungsrechtliche Vorschriften.
- Ein Anspruch auf hälftiges Teilkindergeld ließe sich allenfalls im Wege der Analogie aus Artikel 12 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 i. V. m. Artikel 7 Abs. 1 der DVO Nr. 574/72 herleiten, wenn aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Staaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in beiden Staaten einträte.
- Die unzutreffende Bezeichnung des Klagegegners einer Untätigkeitsklage kann durch nicht fristgebundene Klageänderung berichtigt werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe für seine in Polen lebenden Kinder hat.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau lebt mit den beiden gemeinsamen Kindern „G”, geb. am ”...” Januar 2002, und „N”, geb. ”...” Februar 2003, in Polen. Für diese bezieht sie seit Februar 2002 („G”) bzw. seit Januar 2004 („N”) laufend polnische Familienbeihilfeleistungen in Höhe von mindestens 43 PLN monatlich pro Kind.
Der Kläger meldete zum 12. September 2006 in „H-Stadt” ein Gewerbe (u.a. Fliesenbetrieb, Trockenbau) an. Am 13. Oktober 2006 meldete er sich mit Hauptwohnsitz in „E-Stadt” an.
Am 14. März 2008 beantragte der Kläger bei der Familienkasse -FamK- „L-Stadt” die Festsetzung von Kindergeld für seine beiden Kinder „G” und „N”. Hierbei gab er an, dass er in Deutschland nicht der Sozialversicherung unterliege. Ferner erklärte er, dass seine Ehefrau in Polen weder selbstständig noch unselbstständig erwerbstätig sei.
Mit Bescheid vom 5. November 2008 lehnte die FamK „L-Stadt” den Kindergeldantrag des Klägers ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass der Kläger die angeforderten Unterlagen (u.a. die Vordrucke E 410 und E 411) nicht vorgelegt habe.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte der durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger am 19. November 2008 Einspruch ein.
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens legte er der FamK Geburtsurkunden seiner beiden Kinder vor.
Daraufhin setzte die FamK mit Bescheid vom 3. März 2009 das Kindergeld ab Oktober 2006 in Höhe des hälftigen gesetzlichen Betrages, d.h. für die beiden Kinder in Höhe von insgesamt 154,- EUR, ab Januar 2009 in Höhe von 164,- EUR fest. Zugleich wies sie darauf hin, dass dem Einspruch des Klägers damit in vollem Umfang entsprochen sei.
Am 6. April 2009 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 3. März 2009 Einspruch ein, soweit das Kindergeld lediglich in hälftiger Höhe festgesetzt worden war.
Am 13. Mai 2009 erhielt die FamK „L-Stadt” Kenntnis davon, dass der Kläger zwischenzeitlich nach „F-Stadt” umgezogen war. Daraufhin stellte sie die Kindergeldzahlungen ab Juni 2009 ein und gab den Kindergeldvorgang an die örtlich zuständige FamK „P-Stadt” ab.
Gegenüber der FamK „P-Stadt” bestellte sich am 29. Oktober 2009 unter Vorlage einer Vollmacht die Bevollmächtigte „D” als weitere Vertreterin des Klägers.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2009 wies die FamK „P-Stadt” den Einspruch des Klägers vom 6. April 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, zwar habe der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 des Einkommensteuergesetzes -EStG-. Indes bestehe für seine Kinder zugleich ein Kindergeldanspruch in Polen. Diese Kollision von Kindergeldansprüchen in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union -EU- sei anhand der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern -VO- i.V.m. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 574/72 -DVO- zu beurteilen. Eine vorrangige Leistungspflicht in Deutschland lasse sich aus Art. 76 - 79 VO i.V.m. Art. 10 DVO nicht herleiten, so dass der Anspruch in Polen den Anspruch in Deutschland nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich ausschließe. Ein solches Ergebnis sei jedoch mit dem Sinn und Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzvorschriften nicht vereinbar. Folglich sei die Anspruchskonkurrenz nach Art. 12 Abs. 2 VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DVO dahin zu lösen, dass im Rahmen des Halbteilungsverfahrens Kindergeld in Höhe von 77,- EUR pro Kind zu gewähren sei.
Die Einspruchsentscheidung adressierte die FamK „P-Stadt” an die Bevollmächtigte „D” und gab sie am 10. Dezember 2009 mit einfachem Brief zur Post auf. Nach erfolgloser Zustellung gab die FamK die Einspruchsentscheidung erneut am 18. Dezember 2009 sowie - nach weiterem erfolglosen Zustellungsversuch - am 7. Januar 2010 zur Post auf.
Mit am 16. Februar 2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage gegen die FamK „L-Stadt” erhoben.
Mit der Klage verfolgt er sein Begehren auf Gewährung von Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe unter Anrechnung der bereits erhaltenen polnischen Familienleistungen weiter. Er trägt vor, er übe seit September 2006 ein Gewerbe in Deutschland aus. Der Umstand, dass seine Kinder in Polen wohnhaft seien, sei für den Anspruch auf deutsches Kindergeld unbeachtlich und rechtfertige auch nicht eine Festsetzung in lediglich hälftiger Höhe. Er habe vielmehr einen Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zu den erhaltenen polnischen Familienleistungen.
Darüber hinaus macht er in verfahrensrechtlicher Hinsicht geltend, die FamK habe über den am 6. April 2009 eingelegten Einspruch noch nicht entschieden; jedenfalls sei die Einspruchsentscheidung der Bevollmächtigten „D” nicht zugegangen.
Die FamK hat daraufhin im Laufe des Klageverfahrens die Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 erneut übersandt und angeregt, dass das Gericht diese gegenüber dem Kläger bekannt gebe. Sie hat ferner angeregt, dass der Kläger seine Klage, die mangels ihm gegenüber erfolgter Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung als nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO- zulässige Untätigkeitsklage anzusehen sei, nach Erhalt der Einspruchsentscheidung auf eine Anfechtungsklage umstellen möge.
Der Kläger beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen der FamK sowie unter Hinweis auf § 67 FGO nunmehr,
unter Aufhebung des Bescheids vom 3. März 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 die Beklagte zu verpflichten, gegenüber dem Kläger für seine beiden Kinder „G” und „N” ab Oktober 2006 Kindergeld in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung der erhaltenen polnischen Familienleistungen festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, es liege nach wirksamer Klageänderung zwar eine zulässige Klage vor. In der Sache stehe dem Kläger jedoch kein über die hälftige Kindergeldfestsetzung hinausgehender Kindergeldanspruch zu. Zur weiteren Begründung nimmt sie Bezug auf ihre Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Kindergeldakte Bezug genommen.
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist zulässig.
Die ursprünglich als Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO erhobene Klage ist - nach zwischenzeitlich erfolgter Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 gegenüber dem Kläger und entsprechender Anpassung des Klagebegehrens - nunmehr als reguläre Verpflichtungsklage zulässig.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage auch ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichendes Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO kann die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
Die Voraussetzungen von § 46 Abs. 1 FGO lagen bei Klageerhebung am 16. Februar 2010 vor. Denn die FamK hatte über den am 6. April 2009 eingelegten Einspruch des Klägers gegen den Ablehnungsbescheid vom 3. März 2009 zu diesem Zeitpunkt, mithin nach Ablauf einer Frist von mehr als sechs Monaten, ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes noch nicht entschieden. Sie hatte zwar am 10. Dezember 2009 eine Einspruchsentscheidung erlassen. Den Nachweis der - vom Kläger bestrittenen - Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung hat die FamK jedoch nicht geführt (§ 122 Abs. 2, 2. Halbs. der Abgabenordnung -AO-). Sie geht vielmehr - ebenso wie der Kläger - davon aus, dass die mehrfachen Bekanntgabeversuche gegenüber der Bevollmächtigten „D” fehlgeschlagen sind. Damit fehlte es im Zeitpunkt der Klageerhebung an einer „Entscheidung” über den Einspruch i.S. von § 46 Abs. 1 FGO, denn eine solche liegt nach der Rechtsprechung erst nach erfolgter wirksamer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gegenüber dem Einspruchsführer vor, da erst nach einer Bekanntgabe der Rechtsbehelfsentscheidung ein Interesse an einer Klage ohne Vorverfahren nicht mehr anerkannt werden kann (Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 25. Mai 1973 VI B 95/72, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFHE- 109, 303, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1973, 665).
Das Verfahren wird daher - nachdem der Kläger seinen Antrag entsprechend angepasst hat - als reguläre Verpflichtungsklage fortgeführt, die als solche auch zulässig ist. Insbesondere kann angenommen werden, dass der Kläger die Klage gegen die FamK „P-Stadt” als nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO richtige Beklagte erhoben hat. Denn die ursprünglich noch gegen die FamK „L-Stadt” erhobene Klage hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. April 2011 dahin geändert, dass er den Bescheid vom 3. März 2009 „in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009” zum Klagegegenstand gemacht hat. Daher ist bei rechtsschutzgewährender Auslegung davon auszugehen, dass er die Klage auch hinsichtlich des Klagegegners geändert, nämlich gegen die FamK „P-Stadt” als die die Einspruchsentscheidung erlassende Behörde erhoben hat. Diese Klageänderung war auch gemäß § 67 Abs. 1 FGO zulässig, denn die Beklagte hat der Klageänderung ausdrücklich zugestimmt.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Ablehnung der beantragten Festsetzung des Kindergeldes über die erfolgte hälftige Festsetzung des Kindergeldes hinaus ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung.
Der Kläger hat weder nach den Vorschriften des EStG noch nach überstaatlichen europarechtlichen Vorschriften Anspruch auf Kindergeld in voller Höhe.
1. Der Kläger ist zwar dem Grunde nach kindergeldberechtigt nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 EStG.
Nach diesen Vorschriften hat ein Elternteil einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Inland einen Wohnsitz hat und sich seine Kinder im Inland oder in einem Land der EU aufhalten und dort die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor: Der Kläger hat seit Oktober 2006 einen Wohnsitz in Deutschland und seine im Streitzeitraum noch nicht volljährigen Kinder (§ 32 Abs. 3 EStG) leben in Polen, das seit Mai 2004 Mitglied der EU ist (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
2. Ob der tatbestandsmäßig mithin dem Grunde nach vorliegende Kindergeldanspruch nach dem EStG hier durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen ist, kann vorliegend dahinstehen; der geltend gemachte inländische Kindergeldanspruch kann dem Kläger jedenfalls nicht zugesprochen werden.
Das Kindergeld unterfällt zwar dem sachlichen Geltungsbereich der VO. Denn beim Kindergeld handelt es sich um eine Familienleistung i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2004, 2570).
Unter welchen Voraussetzungen ein Selbständiger dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt und welche Rechtsfolgen sich je nach Fallkonstellation ergeben, ist indes in der Rechtsprechung der Finanzgerichte umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Die VO gilt grundsätzlich auch für Selbständige (Art. 1 Buchstabe a, Art. 2 und Art. 73 der VO), die gegen mindestens ein Risiko der Sozialversicherung versichert sind. Die Mitgliedstaaten haben aber in Anhang I zu der VO den persönlichen Geltungsbereich für Selbständige i.S. von Art. 1 Buchst. a der VO näher geregelt. In Anhang I Teil I unter E Buchstabe b) wird ausgeführt, dass wenn ein deutscher Träger für die Gewährung der Familienleistungen zuständig ist, als Selbständiger nur gilt, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- und beitragspflichtig ist oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Der Kläger ist zwar u.a. als Fliesen- und Parkettleger selbstständig im Bundesgebiet tätig. Er ist jedoch nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er in die Handwerksrolle der zuständigen Handwerkskammer eingetragen sei. Er erfüllt in seiner Person auch nicht die Voraussetzungen für eine solche Eintragung. Dies setzt insbesondere den selbstständigen Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks voraus (§§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 HandwO). Der Kläger betreibt ausweislich seiner Gewerbeanmeldung jedoch ein zulassungsfreies bzw. handwerksähnliches Gewerbe i.S. von § 18 Abs. 2 HandwO i.V.m. Anlage B Abschnitt 1 und 2 zu HandwO (hinsichtlich des Trockenbaus vgl. § 1 Abs. 2 HandwO i.V.m. § 1 Abs. 7 des Übergangsgesetzes aus Anlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung der HandwO und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften -HwOuaÜG-).
Der Kläger ist auch nicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig. Danach sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Der Kläger beschäftigt ausweislich seiner Gewerbeanmeldung zwar keinen Arbeitnehmer. Indessen ergibt sich weder aus seinem Vorbringen noch aus dem Akteninhalt, dass er auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.
Es ist auch weder vorgetragen noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger auf Antrag versicherungspflichtig i.S. von § 4 Abs. 2 SGB VI oder in einer Versicherung der selbstständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig wäre. Entsprechend seinen eigenen Angaben in seinem Kindergeldantrag vom 14. Februar 2008 unterliegt er damit nicht der deutschen Sozialversicherung.
Welche Folgerungen sich hieraus für die Anwendung der VO ergeben, ist in der Rechtsprechung umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass die Regelung in Anhang I Teil I den allge-meinen persönlichen Anwendungsbereich der VO ausschließt. Besteht keine inländische Sozialversicherungspflicht, ergibt sich nach dieser Auffassung bereits daraus die Anwendung des deutschen Kindergeldrechts; mangels Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs der VO kommt ein Ausschluss des inländischen Kindergeldanspruchs durch diese nicht in Betracht (Urteile des Hessischen FG vom 23. Mai 2007 3 K 3143/06, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2007, 1527; FG Köln vom 21. Januar 2009 14 K 2020/08, EFG 2009, 848; FG Münster vom 30. November 2009 8 K 2866/08 Kg, EFG 2010, 731; FG Düsseldorf vom 11. Januar 2010 7 K 4616/08 Kg, Rev. BFH III R 83/10, juris; des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, Rev. BFH III R 96/08, juris; und vom 31. Januar 2011 12 K 928/07, Rev. BFH III R 10/11, juris; vgl. auch Urteil des BFH vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869: Auch der Generalstaatsanwalt hat festgestellt, dass Arbeitnehmern und Selbständigen das Recht auf Export der deutschen Familienleistungen nur dann gewährt wird, wenn der Berufstätige der Solidargemeinschaft des deutschen Sozialversicherungssystems angehört. Folgt man dieser Ansicht, beurteilt sich die vorliegende Klage nach deutschem Kindergeldrecht.
Teilweise wird dagegen die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift in Anhang I Teil I lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen darstelle und insoweit die Frage, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. der VO anzuwenden sind, vorrangig zu prüfen sei (Urteile des FG Düsseldorf Urteil 22. Dezember 2008 10 K 404/08 Kg, EFG 2009, 497, Rev. BFH III R 5/09; vom 16. März 2010 10 K 1829/09 Kg, Rev. BFH III R 27/10, juris; vom 27. April 2010 10 K 3402/08 Kg, Rev. BFH III R 38/10, juris). Auch diese Ansicht kommt für den vorliegenden Sachverhalt zu der Anwendbarkeit deutschen Rechts. Denn nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe b) der VO Nr. 1408/71 gilt bei Selbständigen das Recht des Tätigkeitsstaats, mithin Deutschlands.
Nach abweichender Auffassung ist indes der Anwendungsbereich der VO bereits dann eröffnet, wenn der Antragsteller überhaupt - sei es in Deutschland oder im Ausland - der Sozialversicherung angehört hat. Er unterliegt dann gemäß dem Ausschließlichkeitsgrundsatz in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO den Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaates, dessen System der sozialen Sicherheit er angehört (Urteile des FG Düsseldorf vom 24. September 2010 16 K 4953/08 Kg, Rev. BFH III R 61/10, juris; vom 5. Oktober 2010 16 K 3718/08 Kg, juris).
Nach diesen Grundsätzen unterläge der Kläger, wenn er im Streitzeitraum in Polen sozialversicherungspflichtig gewesen wäre, polnischem Recht, so dass der geltend gemachte Anspruch auf deutsches Kindergeld bereits aus diesem Grund nicht in Betracht käme - auch nicht aus den Gründen des Urteils des EuGH in der Rechtssache Bosmann (Urteil vom 20. Mai 2008, C - 352/06, Höchstrichterliche Rechtsprechung -HFR- 2008, 877; keine Anwendungsbestimmung zugunsten des nationalen Rechts, vgl. hierzu im einzelnen die Urteile des FG Düsseldorf vom 27. April 2010 10 K 3402/08 Kg Rev. BFH III R 38/10, juris; vom 24. September 2010 16 K 4953/08 Kg, Rev. BFH III R 61/10, juris). Demgegenüber schiede der Kläger für den Fall, dass er auch in Polen nicht sozialversicherungspflichtig wäre, aus dem Anwendungsbereich der VO aus, sodass - wie nach den ersten beiden Rechtsansichten - deutsches Kindergeldrecht zur Anwendung käme.
Nach der vorstehend zuletzt dargelegten Rechtsansicht wäre die Klage bei bestehender Sozialversicherungspflicht des Klägers in Polen bereits deshalb unbegründet, weil nicht - wie beantragt - deutsches Kindergeldrecht zur Anwendung kommen könnte, sondern polnisches Recht maßgebend wäre. Aber auch soweit nach allen o.g. Rechtsansichten deutsches Kindergeldrecht vorliegend zugrundezulegen wäre, führte die Klage nicht zum Erfolg. Denn bei fehlender Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts (sondern deutschen Rechts) beurteilt sich die Kollision zwischen inländischem Kindergeldanspruch und Anspruch auf polnische Familienleistungen nach der Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Danach wird Kindergeld nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland dem Kindergeld vergleichbare Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung hätten gewährt werden müssen.
Die Voraussetzungen von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG liegen im Streitfall vor. Denn derartige Leistungen (polnische Familienbeihilfe) hat vorliegend die Ehefrau des Klägers in Höhe von (mindestens) 43 PLN monatlich pro Kind im streitigen Zeitraum (bis Dezember 2009, d.h. dem Monat des Erlasses der Einspruchsentscheidung) bezogen. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht, wenn man vorliegend auf den Zeitraum bis zum Monat der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gegenüber dem Kläger abstellte (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 09.12.2009 7 K 248/04, juris), da nach dessen Vorbringen angenommen werden kann, dass seine Ehefrau die polnischen Familienleistungen für die minderjährigen Kinder weiterhin bezieht.
Der Bezug dieser polnischen Familienleistungen schließt - so bereits der Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG - den deutschen Kindergeldanspruch insgesamt aus. Der Ausschluss wirkt auch dann, wenn nicht der inländische Kindergeldberechtigte (hier der Kläger), sondern eine andere kindergeldberechtigte Person, zu der das Kind in einem Kindschaftsverhältnis nach § 63 Abs. 1 EStG steht (hier die Kindesmutter), die Leistung erhalten hat oder hätte erhalten können (Urteil des FG Münster vom 9. November 2010 1 K 4021/07 Kg, EFG 2011, 552).
Die Familienleistungen in Polen sind mit den deutschen Kindergeldansprüchen auch vergleichbar i. S. von § 65 EStG. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die polnischen Leistungen erheblich geringer sind als das deutsche Kindergeld. Die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leistungen richtet sich nicht nach der rechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Zur Vermeidung von Doppelleistungen kommt es lediglich darauf an, ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das Kindergeld (vgl. Urteil des BFH vom 27. Oktober 2004, VIII R 104/01, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2005, 341). Die Höhe der ausländischen Leistung ist für die Vergleichbarkeit mit dem Kindergeld grundsätzlich nicht maßgebend. Denkbar ist zwar, dass bei ganz geringfügigen ausländischen Leistungen auch die funktionelle Vergleichbarkeit entfällt (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570). Dies ist jedoch bei den polnischen Familienleistungen für in Polen lebende Kinder nicht der Fall. Dabei ist zu berücksichtigten, dass der Kläger, dessen Kinder in Polen wohnen, keine geringeren Leistungen erhält als andere polnische Familien. Nach Auffassung des polnischen Gesetzgebers reichen die dort gewährten Familienleistungen für einen Ausgleich der kindbedingten Mehrbelastungen aus (Urteile des FG Düsseldorf vom 11. Januar 2010 7 K 4616/08 Kg, juris, Rev. BFH III R 83/10; vom 1. Februar 2011 10 K 1723/08 Kg, juris; des FG Baden-Württemberg vom 14. Februar 2011 10 K 91/10, juris).
Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften stehen der nationalen Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nach Ansicht des Senates nicht entgegen. Außerhalb des Anwendungsvorrangs des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts hat ein nach der VO gerade nicht zuständiger Mitgliedstaat die Befugnis zu bestimmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen er in diesem Fall Familienleistungen gewähren will; ebenso muss er entscheiden dürfen, ob und wie er berücksichtigen will, dass in einem anderen Staat ein Anspruch auf eine vergleichbare Leistung besteht.
Einen Verstoß der Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gegen das Grundge-setz -GG- vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen.
Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung durch die Bestimmung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG besteht nach Ansicht des erkennenden Senates auch nicht zwischen den Besserverdienenden, bei denen die gebotene steuerliche Freistellung für ein Kind im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG regelmäßig über die Gewährung der Kinderfreibeträge erfolgt, und den geringer Verdienenden, deren Freistellung in der Regel über das Kindergeld vorgenommen wird. Zwar werden für die erste Gruppe von Steuerpflichtigen die ausländischen Leistungen gemäß § 31 Satz 6 EStG lediglich angerechnet, während bei der Festsetzung von Kindergeld die vergleichbaren ausländischen Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zur gänzlichen Versagung des inländischen Anspruchs führen können. Im Rahmen des Familienleistungsausgleichs indes ist der „Anspruch auf Kindergeld” maßgebend und sind die ausländischen Leistungen gemäß § 31 Satz 5 EStG in die Vergleichsrechnung betr. Anspruch auf Kindergeld einerseits und Auswirkung der Freibeträge andererseits einzubeziehen (vgl. hierzu Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 31 Rdn. 36 ff.; Dürr in Frotscher, EStG, § 31 Rdn. 47 ff.; Selder in Blümich, EStG, § 31 Rdn. 100 f.). In Fällen mit vorliegender Fallkonstellation wäre im Hinblick auf die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld (ggf. in voller Höhe) zu verneinen. Da zugleich die polnischen Familienleistungen eine nur geringe Höhe aufweisen, ergäbe die Vergleichsrechnung nach § 31 Satz 4 EStG typischerweise, dass auch einem geringer verdienenden Steuerpflichtigen der Kinderfreibetrag zu gewähren wäre und somit die geltend gemachte Ungleichbehandlung mit Besserverdienenden bereits aus diesem Grunde ausschiede Somit wird dem verfassungsrechtlichen Gebot, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes steuerlich frei zu stellen, im Rahmen der sog. Günstigerprüfung gemäß § 65 Absatz 1 EStG i.V.m. § 31 Satz 4 und 5 EStG Rechnung getragen; die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist sachlich gerechtfertigt. Nach dieser gesetzlichen Konzeption der §§ 31, 65 EStG entscheidet erst und nur die Höhe des Kinderfreibetrages endgültig darüber, ob den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verschonung des Existenzminimums der Kinder genügt wird; die Funktion des Kindergeldes beschränkt sich insofern auf eine als vorläufiger „Abschlag” wirkende Steuervergütung (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570; vgl. auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, EFG 2009, 264).
Etwaige Benachteiligungen von Grenzgängern gegenüber uneingeschränkt Kindergeldberechtigten sind zudem aufgrund der anderweitigen Leistung und der Praktikabilitätsanforderungen an Kollisionsregeln bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gerechtfertigt. Zu dem Aspekt der anderweitigen sozialen Absicherung (im Ausland) treten Gründe der Einfachheit des Rechts und dessen Praktikabilität im Verwaltungsvollzug, die die Kollisionsnorm des § 65 EStG ebenfalls rechtfertigen (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570).
Der Senat hat schließlich auch Zweifel, ob er sich der Auffassung der FamK anschließen könnte, die dem Kläger im Wege einer Analogie aus Art. 12 Abs. 2 VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DVO einen Anspruch auf hälftiges Teilkindergeld zugesprochen hat. Denn ein solcher Anspruch könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Mitgliedstaaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in den betreffenden Staaten (im Streitfall: sowohl in Deutschland als auch in Polen) drohte. Eine solche Kürzung von Familienleistungen ist im Streitfall jedoch nicht zu befürchten, da die mit den beiden gemeinsamen Kindern in Polen lebende Ehefrau des Klägers für beide Kinder im gesamten Zeitraum die ungekürzten Familienleistungen erhalten hat (vgl. Urteile des Hessisches FG vom 23. Mai 2007 3 K 3143/06, EFG 2007, 1527; des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, EFG 2007, 1527).
Letztlich kann die Frage einer drohenden Leistungskürzung in Polen aber dahinstehen, da der Kläger die ihn begünstigende hälftige Festsetzung des Kindergeldes durch die FamK nicht angegriffen hat. Ihm geht es mithin nur um die Zuerkennung des Teils des deutschen Kindergeldes, das die FamK zu Recht abgelehnt hat. Dem Senat ist es gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verwehrt, über den insoweit eingeschränkten Klageantrag hinauszugehen. Es bleibt daher bei der von der FamK vorgenommenen Festsetzung des Kindergeldes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO.