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  • 13.03.2012

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 09.11.2011 – 8 K 1840/10 (Kg)

    1. Ein vom volljährigen Kind für eine Kirche mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Ausland erbrachter Missionarsdienst erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, wenn die Kirche nicht durch eine Entscheidung der zuständigen Landesbehörde als Träger eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres i. S. d. Jugendfreiwilligendienstegesetz zugelassen ist, es an der für das Programm „Jugend in Aktion” erforderlichen Bewilligung durch die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend handelnde Deutsche Nationalagentur oder durch die Europäische Kommission fehlt und wenn die Kirche auch nicht Träger für die Leistung eines Dienstes nach § 14b des Zivildienstgesetzes oder Träger für den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” ist.

    2. Die Missionarstätigkeit stellt auch keinen Freiwilligendienst aller Generationen i. S. d. § 2 Abs. 1a SGB VII dar, wenn das Kind nicht mit der Kirche eine schriftliche Vereinbarung mit Festlegungen über die Art und den zeitlichen Umfang des gemeinwohlorientierten Dienstes, den das Kind zu übernehmen verspricht, abgeschlossen hat.

    3. Ein Kind kann nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen der jeweiligen Verweisungsnorm exakt erfüllt sind. Eine analoge Anwendung des Berücksichtigungstatbestandes auf andere als die genannten Freiwilligendienste scheidet aus (Anschluss an BFH v. 18.3.2009, III R 33/07).


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 8. Senat unter Mitwirkung von Vorsitzender Richter am Finanzgericht Dr. R. Richter am Finanzgericht Dr. S. Richter am Sozialgericht K. ehrenamtlicher Richter W. ehrenamtlicher Richter Z. auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9.11.2011

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Klägerin werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Tochter der Klägerin einen Freiwilligendienst im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG leistet und der Klägerin deshalb Kindergeld für die Tochter zusteht.

    Die am … geborene Tochter der Klägerin J. S. ist Mitglied der Kirche J.. Diese Kirche hat den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts mit Sitz in F.. Ausweislich eines in S., USA, am 26.4.2010 ausgestellten, vom Präsidenten unterzeichneten Schreibens wurde J. S. als Missionarin der Kirche berufen. Das Schreiben beauftragt sie, voraussichtlich 18 Monate in der Deutsch-Österreichischen Mission M. zu arbeiten. Zur Vorbereitung möge sie sich am 30.7.2010 in der Missionarsschule in E. melden.

    J. S. besuchte v. 30.7.2010 bis zum 18.8.2010 eine Missionarsschule in E.. Vom 19.8.2010 bis zum 15.9.2010 missionierte sie in S., daran anschließend war sie bis zum 27.10.2010 in W., tätig. Danach kehrte sie bis zum 8.12.2010 nach S. zurück. Vom 8.12.2010 bis zum 25.5.2011 war St. G. ihr Einsatzort, seit dem 25.5.2011 ist dies S..

    Die Beanspruchung ihrer Tochter durch die Missionsarbeit skizziert die Klägerin wie folgt:

    6.00 UhrAufstehen, Morgentoilette, Sport
    7.00 UhrMorgenstudium
    8.00 UhrBeginn der Missionstätigkeit
    12.00 UhrMittagspause
    13.00 UhrFortsetzung der Missionstätigkeit
    18.00 UhrAbendessen und Erledigung persönlicher Angelegenheiten
    20.00 Uhradministrative Aufgaben oder Schriftstudium
    22.00 UhrBettruhe
    MontagFreier Tag zur eigenen Verfügung
    Dienstag bis SonntagTätigkeit als Missionar
    Im Rahmen der Missionstätigkeit erteilt die Tochter der Klägerin Englischunterricht, sie gestaltet Kinderfeste, sie betreibt Öffentlichkeitsarbeit, indem sie über die negativen Folgen des Drogen-, Alkohol- und Nikotinkonsums aufklärt und indem sie das Bewusstsein einer festen ehelichen Bindung als Grundlage für eine Familienpolitik verbreitet. Sie beteiligt sich an Musikkonzerten. Sie betreut außerdem ältere Personen, indem sie diese zu Gottesdiensten abholt oder gemeinsame Nachmittage mit diesen verbringt.

    Nach den Angaben der Klägerin wird die Tochter während ihres Dienstes zusammen mit anderen Missionaren durch ein ehrenamtlich tätiges Missionsehepaar betreut. Die Betreuung findet ihren Ausdruck durch

    wöchentliche Abnahme der Kontrollberichte über die Arbeit als Missionare

    monatliche Zusammenkünfte aller Missionare aus dem Missionsfeld zwecks Schulung und Problemlösungen

    Training in der Führung von Gesprächen auf offener Straße und den Umgang mit Menschen

    Übertragung von Aufgaben und Führungsfunktionen auf die Missionare

    Einteilung der Missionare auf verschiedene Städte

    Regelung administrativer Aufgaben und Schulung bei der Übertragung dieser auf die jungen Missionare

    Kontrolle der Missionsziele

    Entlassung der Missionare aus dem Missionsfeld

    Übergabe Zeugnis und Referenzen für künftige Ausbildung

    Hilfe bei Krankheit und haushaltstypischen Fragen

    Weiterbildung in religiösen Schriften

    Kontrolle des vorgeschriebenen Tagesablaufes im schriftlichen Wochenbericht.

    Am 29.7.2010 beantragte die Klägerin für ihre Tochter J. Kindergeld. Der Antrag wurde am 9.8.2010 abgelehnt. Der Einspruch v. 22.8.2010 blieb erfolglos. In ihrer Einspruchsentscheidung v. 18.10.2010 lehnte die Beklagte es ab, den ehrenamtlichen Missionarsdienst wie ein freiwilliges soziales Jahr zu behandeln oder als Berufsausbildung zu werten. Hiergegen erhob die Klägerin am 15.11.2010 Klage.

    Die Klägerin sieht die Voraussetzungen eines Freiwilligendienstes im Sinne des Beschlusses Nr. 1719/2006/EG des Europäischen Parlaments als gegeben an. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei die Kirche J. als Träger des Jugendfreiwilligendienstes anerkannt. Ihre Tochter erhalte während ihrer Missionszeit durch das Missionsehepaar eine pädagogische Begleitung im Sinne des § 6 Abs. 2 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes. Sie verweist außerdem darauf, dass nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG auch Kinder im Freiwilligendienst aller Generationen im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB VII berücksichtigungsfähig sind. Eine Nichtberücksichtigung ihrer Tochter diskriminierte deren Missionsdienst. Es sei nicht gerechtfertigt, bei einem Freiwilligendienst im Ausland eine behördliche Zulassung zu verlangen.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidungen der Beklagten Kindergeld vom 1.7.2010 bis zum 31.10.2010 zu gewähren.

    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Die Beklagte meinte zuletzt, eine Berücksichtigung der Tochter J. nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG komme wegen des Dienstes im Ausland und mangels nachgewiesener pädagogischer Begleitung nicht in Betracht. Es liege auch kein Freiwilligendienst aller Generationen vor. Ein solcher Dienst setze insbesondere acht Wochenstunden bürgerschaftlichen Engagements über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten voraus. Dies liege bei der Tochter der Klägerin nicht vor. Die Missionstätigkeit beschränke sich nach außen im Wesentlichen auf das zufällige Ansprechen von Passanten auf offener Straße. Ihr Zweck liege in der Verbreitung einer religiösen Lehre unter Andersgläubigen.

    Auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Akten der Beklagten wird verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet. Mit ihrer ablehnenden Entscheidung v. 6.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 18.10.2010 hat die Beklagte zutreffend einen Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre Tochter J. im Zeitraum Juli bis Oktober 2010 verneint.

    I. Die Missionstätigkeit der Tochter erfüllt keinen Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG. Insbesondere liegt kein Freiwilligendienst im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG vor.

    1. Mit ihrer Missionstätigkeit absolviert J. S. kein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG). Als Religionsgemeinschaft mit dem Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ist die Kirche J. zwar zugelassener Träger eines freiwilligen sozialen Jahres im Inland (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 JFDG). Für die Zulassung als Träger des freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres im Ausland bedarf es jedoch einer Entscheidung der zuständigen Landesbehörde. Eine solche behördliche Zulassung fehlt (s. Auskunft des Hessischen Sozialministeriums v. 14.7.2011, Bl. 74 der Prozessakte). Daran scheitert die Einordnung der Missionstätigkeit von J. S. als Freiwilligendienst im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes, da die Missionstätigkeit im Zeitraum v. 1.7.2010 bis zum 31.10.2010 wie auch nachfolgend allein im Ausland stattfand.

    2. Die Tochter der Klägerin nimmt auch nicht am Programm „Jugend in Aktion” nach dem Beschluss Nr. … des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. November 2006 teil. Voraussetzung für diesen Freiwilligendienst ist die Bewilligung durch die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend handelnde Deutsche Nationalagentur oder die Bewilligung durch die Europäische Kommission (Schmidt/Loschelder, Einkommensteuergesetz, 30. Aufl. 2011, § 32 Rnr. 34 mit Hinweis auf FG M. v. 2.2.2004, 10 K 2428/02, EFG 2004, 823). An einer solchen Bewilligung fehlt es.

    3. Die Kirche J. ist weder Träger für die Leistung eines Dienstes nach § 14 b des Zivildienstgesetzes noch Träger für einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts”, so dass diese in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG angesprochenen Freiwilligendienste außer Betracht bleiben.

    4. Schließlich liegt auch kein Freiwilligendienst aller Generationen im Sinne des § 2 Absatz 1a SGB VII vor. Zwar scheint die Kirche J. als inländische juristische Person des öffentlichen Rechts in Anbetracht des vorbereitenden Unterrichts auf einer Missionarsschule und der weiteren Betreuung der Missionare durch ein Missionarsehepaar grundsätzlich als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet (§ 2 Abs. 1a Satz 2 SGB VII). Die Missionstätigkeit der Tochter der Klägerin verfehlt auch keine inhaltlichen Maßstäbe, die an einen Freiwilligendienst aller Generationen anzulegen sind. Diese können nämlich, da das Gesetz hierzu schweigt, allenfalls in der Orientierung eines solchen Dienstes auf das Gemeinwohl gesehen werden (vgl. Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 2 Rnr. 266j). Und der Senat billigt der Tochter durchaus zu, für das Gemeinwohl tätig zu sein, auch wenn ihre Missionstätigkeit im kirchlichen Auftrag stattfindet und vornehmlich kirchliche Zwecke verfolgt. Der Anerkennung steht nicht entgegen, dass der Dienst im Ausland ausgeübt wird (vgl. § 51 Abs. 2 AO).

    Allerdings fehlt es an der in § 2 Abs. 1a SGB VII vorgeschriebenen schriftlichen Vereinbarung zwischen der Kirche J. und der Tochter der Klägerin. Es liegt lediglich die schriftliche Berufung der Tochter als Missionarin durch den Präsidenten der Kirche v. 26.4.2010 vor (Bl. 45 der Prozessakte). Auf die schriftliche Annahmeerklärung des Freiwilligen kann angesichts der gesetzlichen Regelung nicht verzichtet werden. Nach dem Verständnis des Senats müsste eine schriftliche Vereinbarung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB VII außerdem Festlegungen über die Art und den zeitlichen Umfang des gemeinwohlorientierten Dienstes enthalten, den der Freiwillige zu übernehmen verspricht. Dem genügt das Berufungsschreiben v. 26.4.2010 nicht, da es ausschließlich die christlichen Ziele der Mission behandelt.

    5. Ein Kind kann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. d EStG nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen der jeweiligen Verweisungsnorm exakt erfüllt sind. Eine analoge Anwendung des Berücksichtigungstatbestandes auf andere als die genannten Freiwilligendienste scheidet aus (BFH v. 18.3.2009, III R 33/07, BStBl II 2009, 1010).

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. d, SGB VII § 2 Abs. 1a