Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 15.02.2012

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.07.2011 – 15 K 2319/09 Kg

    - Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur für die Monatszeiträume eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG begründen, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt.


    - Ein als nicht sozialversicherungspflichtiger Selbständiger in Deutschland tätiger polnischer Staatsbürger, dessen Ehefrau für die in Polen lebenden Kinder polnische Familienleistungen bezieht, hat unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld.


    - Die Familienleistungen in Polen sind ungeachtet ihrer erheblich geringeren Höhe mit den deutschen Kindergeldansprüchen vergleichbar i. S. von § 65 EStG.


    - Der Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verstößt weder gegen gemeinschaftsrechtliche noch gegen verfassungsrechtliche Vorschriften.


    - Ein Anspruch auf hälftiges Teilkindergeld ließe sich allenfalls im Wege der Analogie aus Artikel 12 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 i. V. m. Artikel 7 Abs. 1 der DVO Nr. 574/72 herleiten, wenn aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Staaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in beiden Staaten einträte.


    Tatbestand

    Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und betrieb in der Zeit vom 15. Oktober 2004 bis 7. März 2008 im Inland ein Gewerbe (Fliesenleger; Trockenbau). Eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland bestand nicht. In Polen war der Kläger in der Zeit von Januar 2005 bis einschließlich Juni 2008 ebenfalls nicht sozialversichert. Die Ehefrau des Klägers lebt mit den beiden gemeinsamen Kindern „B”, geb. am ”...”. Februar 1994, und „Q”, geb. am ”...”. Februar 2005, in Polen. Ausweislich der Vordrucke E 411 vom 10. März 2009 war die Ehefrau vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2006 in Polen erwerbstätig und bezog in dieser Zeit polnische Familienleistungen. Für die Folgezeit ab dem 1. September 2006 hat die Ehefrau keinen neuen Antrag auf Familienleistungen in Polen gestellt.

    Mit Bescheid vom 7. Juli 2008 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 16. April 2008 auf Gewährung von Kindergeld für seine beiden Kinder ab. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG– erfülle. Mit der Ablichtung des Mietvertrages vom 4. Juni 2004 und der Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamtes vom 11. Oktober 2004 habe der Kläger einen inländischen Wohnsitz nicht nachgewiesen; auch eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers nach § 1 Abs. 2 oder 3 EStG könne nicht festgestellt werden; die Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2005 reiche hierzu nicht aus. Ob die Ehefrau bei entsprechender Antragstellung auch über den 1. September 2006 hinaus polnische Familienleistungen erhalten hätte, sei ebenfalls offen.

    Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2009) verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Klage weiter.

    Im Verlauf des Verfahrens hat die Beklagte nach weiteren Ermittlungen die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers für den Streitzeitraum 2005 bis 2007 anerkannt. Darüber hinaus hat die Beklagte auf den Einwand des Klägers, dass ausweislich des Vordrucks E 411 eine Konkurrenzlage i. S. von § 65 EStG nur im Zeitraum Juli 2004 bis August 2006 bestanden habe, am 3. Mai 2011 einen Teilabhilfebescheid für die Zeit zwischen September 2006 und Dezember 2007 erlassen; insoweit ist das Verfahren zwischenzeitlich abgetrennt und erledigt.

    Der Kläger hält die Geltendmachung des Kindergeldanspruchs für den Zeitraum Juni 2004 bis August 2006 sowie Januar bis März 2008 aufrecht. Die derzeitige Fassung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei nicht gemeinschaftskonform. Der Bundesfinanzhof –BFH– habe diese Frage erneut dem Europäischen Gerichtshof –EuGH– vorgelegt, so dass die vom BFH erwogene analoge Anwendung von § 65 Abs. 2 EStG ggf. möglich werde.

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Juli 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2009 und des Teilabhilfebescheides vom 3. Mai 2011 zu verpflichten, Kindergeld für die beiden Kinder „B” und „Q” für die Zeiträume Juni 2004 bis August 2006 sowie Januar bis März 2008 zu gewähren.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte wendet ein, für den Monat Juni 2004 komme eine Abhilfe nicht in Betracht, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass in Polen kein Anspruch auf Familienleistungen bestanden habe. Da zudem im Zeitraum Juli 2004 bis August 2006 die Kindesmutter polnische Familienleistungen bezogen habe, sei der deutsche Kindergeldanspruch auch für diese Monate ausgeschlossen, § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Für Januar bis März 2008 hat die Beklagte den Erlass eines weiteren Teilabhilfebescheides zunächst angekündigt, dann aber vorgetragen, für 2008 keine unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers feststellen zu können; lt. Rücksprache mit dem zuständigen Finanzamt habe der Kläger keine Steuererklärung 2008 abgegeben.

    Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Kindergeldakten Bezug genommen.

    Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–.

    Gründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Die angefochtene Ablehnung der Kindergeldgewährung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 Satz 1 FGO.

    Der Kläger ist, soweit die Zeiträume in den Jahren 2004 bis 2006 betroffen sind, anspruchsberechtigt nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes –EStG–.

    Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Kindergeld, wer zwar keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, aber nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Der Kläger erfüllt – wie auch die Beteiligten zwischenzeitlich übereinstimmend annehmen – diese Voraussetzungen hinsichtlich der hier streitigen Zeiträume Juni 2004 bis August 2006. Den nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG erforderlichen Antrag hat der Kläger mit Abgabe der Einkommensteuererklärungen gestellt. Die unbeschränkte Steuerpflicht entsteht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz EStG (nur), soweit inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG vorliegen, wobei die Konjunktion „soweit” sowohl konditionale Bedeutung hat als auch ein zeitliches Moment beinhaltet mit der Folge, dass die inländischen Einkünfte den Beginn und das Ende der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG markieren (Urteile des Finanzgerichts –FG– Düsseldorf vom 16. März 2010 10 K 1829/09 Kg, Rev. BFH III R 27/10, juris; vom 27. April 2010 10 K 3402/08 Kg, Rev. BFH III R 38/10, juris). Ferner führt die Fiktionsbeschränkung entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht zu einer unberechtigten monatlichen Betrachtungsweise und Prüfung. Die Frage, ob die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG fingiert werden kann, hängt nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG von den Einkommensverhältnissen des Steuerpflichtigen im gesamten Kalenderjahr ab; nur wenn die in dieser Vorschrift genannten relativen und absoluten Einkunftsgrenzen im Kalenderjahr eingehalten werden, ist das Wahlrecht des Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 3 EStG eröffnet. Die Wirkung des ausgeübten Wahlrechts beschränkt sich sodann allerdings nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich auf die inländischen Einkünfte; eine Besteuerung des Welteinkommens und damit des gesamten Jahreseinkommens findet nicht statt (Heinicke in Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 1 Rdn. 70). Entsprechend reduziert sich auch die Kindergeldberechtigung.

    Für die weiteren noch streitigen Monate Januar bis März 2008 kann indes die Anspruchsberechtigung des Klägers nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht festgestellt werden. Dass der Kläger auch insoweit die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllt, war der Beklagten nach Rücksprache mit dem zuständigen Finanzamt nicht feststellbar; eine Einkommensteuererklärung 2008 hat der Kläger nicht abgegeben.

    Die beiden minderjährigen Kinder des Klägers sind gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG steuerlich berücksichtigungsfähig. Dass sie im streitbefangenen Zeitraum nicht in Deutschland lebten, sondern in Polen, ist nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG für die Zeit seit Mai 2004 unmaßgeblich, weil Polen seitdem Mitglied der Europäischen Union (EU) ist.

    Ob der tatbestandsmäßig dem Grunde nach vorliegende Kindergeldanspruch nach dem EStG hier durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen ist, kann vorliegend dahinstehen; der geltend gemachte inländische Kindergeldanspruch kann dem Kläger jedenfalls nicht zugesprochen werden.

    Das Kindergeld unterfällt zwar dem sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO Nr. 1408/71). Beim Kindergeld handelt es sich um eine Familienleistung i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, Bundesgesetzblatt –BGBl– I 2004, 2570).

    Deren Art. 13 ff. bestimmen, welche Rechtsvorschriften auf innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwenden sind. Die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 bezwecken damit, dass die Betroffenen grundsätzlich nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, um eine Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften und der sich daraus möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten zu vermeiden (Urteile des Europäischen Gerichtshofs –EuGH– vom 20. Mai 2008, C - 352/06, Bosmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung –HFR– 2008, 877; vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Amtsblatt der Europäischen Union 2010, Nr. C 346, 8 Rz. 40; des BFH vom 7. April 2011 III R 89/08, juris).

    Unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt und welche Rechtsfolgen sich je nach Fallkonstellation ergeben, ist in der Rechtsprechung der Finanzgerichte umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt.

    Die VO gilt grundsätzlich auch für Selbständige (Art. 1 Buchstabe a, Art. 2 und Art. 73 der VO Nr. 1408/71), die gegen mindestens ein Risiko der Sozialversicherung versichert sind. Die Mitgliedstaaten haben aber in Anhang I zu der VO den persönlichen Geltungsbereich für Selbständige i.S. von Art. 1 Buchst. a der VO näher geregelt. In Anhang I Teil I unter E. Buchstabe b) wird ausgeführt, dass wenn ein deutscher Träger für die Gewährung der Familienleistungen zuständig ist, als Selbständiger nur gilt, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- und beitragspflichtig ist oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.

    Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Der Kläger ist zwar u.a. als Fliesen- und Parkettleger selbstständig im Bundesgebiet tätig. Er ist jedoch nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB VI) sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er in die Handwerksrolle der zuständigen Handwerkskammer eingetragen sei. Er erfüllt in seiner Person auch nicht die Voraussetzungen für eine solche Eintragung. Dies setzt insbesondere den selbstständigen Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks voraus (§§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 HandwO). Der Kläger betreibt ausweislich seiner Gewerbeanmeldung jedoch ein zulassungsfreies bzw. handwerksähnliches Gewerbe i.S. von § 18 Abs. 2 HandwO i.V.m. Anlage B Abschnitt 1 und 2 zu HandwO (hinsichtlich des Trockenbaus vgl. § 1 Abs. 2 HandwO i.V.m. § 1 Abs. 7 des Übergangsgesetzes aus Anlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung der HandwO und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften –HwOuaÜG–).

    Der Kläger ist auch nicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig. Danach sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Der Kläger beschäftigt ausweislich seiner Gewerbeanmeldung zwar keinen Arbeitnehmer. Indessen ergibt sich weder aus seinem Vorbringen noch aus dem Akteninhalt, dass er auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.

    Es ist auch weder vorgetragen noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger auf Antrag versicherungspflichtig i.S. von § 4 Abs. 2 SGB VI oder in einer Versicherung der selbstständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig wäre. Entsprechend seinen eigenen Angaben in seinem Kindergeldantrag vom 14. Februar 2008 unterliegt er damit nicht der deutschen Sozialversicherung. Im streitigen Zeitraum Januar 2005 bis August 2006 war der Kläger gar nicht sozialversichert und in den weiteren hier streitbefangenen Monaten Juni bis Dezember 2004 ausschließlich in Polen.

    Welche Folgerungen sich hieraus für die Anwendung der VO Nr. 1408/71 ergeben, ist in der Rechtsprechung umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt.

    Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass die Regelung in Anhang I Teil I den allgemeinen persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ausschließt. Besteht keine inländische Sozialversicherungspflicht, ergibt sich nach dieser Auffassung bereits daraus die Anwendung des deutschen Kindergeldrechts; mangels Anwendbarkeit der VO kommt ein Ausschluss des inländischen Kindergeldanspruchs nicht in Betracht (Urteile des Hessischen FG vom 23. Mai 2007 3 K 3143/06, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2007, 1527; FG Köln vom 21. Januar 2009 14 K 2020/08, EFG 2009, 848; FG Münster vom 30. November 2009 8 K 2866/08 Kg, EFG 2010, 731; FG Düsseldorf vom 11. Januar 2010 7 K 4616/08 Kg, Rev. BFH III R 83/10, juris; des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, Rev. BFH III R 96/08, juris; und vom 31. Januar 2011 12 K 928/07, Rev. BFH III R 10/11, juris; vgl. auch Urteil des BFH vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869: Auch der Generalstaatsanwalt hat festgestellt, dass Arbeitnehmern und Selbständigen das Recht auf Export der deutschen Familienleistungen nur dann gewährt wird, wenn der Berufstätige der Solidargemeinschaft des deutschen Sozialversicherungssystems angehört). Folgt man dieser Ansicht, beurteilt sich die vorliegende Klage nach deutschem Kindergeldrecht.

    Teilweise wird dagegen die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift in Anhang I Teil I lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen darstelle und insoweit die Frage, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 anzuwenden sind, vorrangig zu prüfen sei (Urteile des FG Düsseldorf Urteil 22. Dezember 2008 10 K 404/08 Kg, EFG 2009, 497, Rev. BFH III R 5/09; vom 16. März 2010 10 K 1829/09 Kg, Rev. BFH III R 27/10, juris; vom 27. April 2010 10 K 3402/08 Kg, Rev. BFH III R 38/10, juris). Auch diese Ansicht kommt hier für den vorliegenden Sachverhalt zu der Anwendbarkeit deutschen Rechts. Denn nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe b) der VO Nr. 1408/71 gilt bei Selbständigen das Recht des Tätigkeitsstaats, mithin Deutschlands.

    Nach abweichender Auffassung ist indes der Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 bereits dann eröffnet, wenn der Antragsteller überhaupt – sei es in Deutschland oder im Ausland – der Sozialversicherung angehört hat. Er unterliegt dann gemäß dem Ausschließlichkeitsgrundsatz in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaates, dessen System der sozialen Sicherheit er angehört (Urteile des FG Düsseldorf vom 24. September 2010 16 K 4953/08 Kg, Rev. BFH III R 61/10, juris; vom 5. Oktober 2010 16 K 3718/08 Kg, juris). Nach diesen Grundsätzen würde der Kläger in der Zeit von Juni bis Dezember 2004 dem polnischen Recht unterliegen. Daraus ergäbe sich als Folge insoweit, dass der geltend gemachte Anspruch auf deutsches Kindergeld nicht in Betracht käme – auch nicht aus den Gründen des Urteils des EuGH in der Rechtssache Bosmann (Urteil vom 20. Mai 2008, C - 352/06, Höchstrichterliche Rechtsprechung –HFR– 2008, 877; keine Anwendungsbestimmung zugunsten des nationalen Rechts, vgl. hierzu im einzelnen die Urteile des FG Düsseldorf vom 27. April 2010 10 K 3402/08 Kg Rev. BFH III R 38/10, juris; vom 24. September 2010 16 K 4953/08 Kg, Rev. BFH III R 61/10, juris). Demgegenüber schiede er in der Folgezeit ab Januar 2005 (gar keine Sozialversicherungspflicht) aus dem Anwendungsbereich der VO aus, sodass deutsches Kindergeldrecht zur Anwendung käme.

    Nach der vorstehend zuletzt dargelegten Rechtsansichten ist die Klage somit bereits deshalb unbegründet, weil nicht – wie beantragt – deutsches Kindergeldrecht gilt, sondern polnisches Recht maßgebend ist. Aber auch nach den anderen Auffassungen führt die Klage nicht zum Erfolg. Denn bei fehlender Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts (sondern deutschen Rechts) beurteilt sich die Kollision zwischen inländischem Kindergeldanspruch und Anspruch auf polnische Familienleistungen nach der Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Danach wird Kindergeld nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland dem Kindergeld vergleichbare Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung hätten gewährt werden müssen.

    Derartige Leistungen (polnische Familienleistungen) hat vorliegend die Ehefrau des Klägers im hier noch offenen Zeitraum unstreitig ab Juli 2004 bezogen. Für den (einzelnen) Monat Juni 2004 liegt ein derartiger Bezug zwar nicht vor; insoweit ist indes nach den Gesamtumständen unter Berücksichtigung des Vorbringens beider Beteiligten davon auszugehen, dass eine entsprechende Leistung allein an einem fehlenden Antrag gescheitert ist (vgl. die hier entsprechend übertragbaren Gründe des Urteils des FG Münster vom 14. Dezember 2010 1 K 4131/07 Kg, EFG 2011, 718, unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 AO). Dieser Anspruch für Juni 2004 bzw. diese Zahlungen ab Juli 2004 schließen – so bereits der Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – den deutschen Kindergeldanspruch insgesamt aus. Der Ausschluss wirkt auch dann, wenn nicht der inländische Kindergeldberechtigte (hier der Kläger), sondern eine andere kindergeldberechtigte Person, zu der das Kind in einem Kindschaftsverhältnis nach § 63 Abs. 1 EStG steht (hier die Kindesmutter), die Leistung erhalten hat oder hätte erhalten können (Urteil des FG Münster vom 9. November 2010 1 K 4021/07 Kg, EFG 2011, 552).

    Die Familienleistungen in Polen sind mit den deutschen Kindergeldansprüchen vergleichbar i. S. von § 65 EStG. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die polnischen Leistungen erheblich geringer sind als das deutsche Kindergeld. Die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leistungen richtet sich nicht nach der rechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Zur Vermeidung von Doppelleistungen kommt es lediglich darauf an, ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das Kindergeld (vgl. Urteil des BFH vom 27. Oktober 2004, VIII R 104/01, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2005, 341). Die Höhe der ausländischen Leistung ist für die Vergleichbarkeit mit dem Kindergeld grundsätzlich nicht maßgebend. Denkbar ist zwar, dass bei ganz geringfügigen ausländischen Leistungen auch die funktionelle Vergleichbarkeit entfällt (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570). Dies ist jedoch bei den polnischen Familienleistungen für in Polen lebende Kinder nicht der Fall. Dabei ist zu berücksichtigten, dass der Kläger, dessen Kinder in Polen wohnen, keine geringeren Leistungen erhält als andere polnische Familien. Nach Auffassung des polnischen Gesetzgebers reichen die dort gewährten Familienleistungen für einen Ausgleich der kindbedingten Mehrbelastungen aus (Urteile des FG Düsseldorf vom 11. Januar 2010 7 K 4616/08 Kg, juris, Rev. BFH III R 83/10; vom 1. Februar 2011 10 K 1723/08 Kg, juris; des FG Baden-Württemberg vom 14. Februar 2011 10 K 91/10, juris).

    Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften stehen der nationalen Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nach Ansicht des Senates nicht entgegen. Außerhalb des Anwendungsvorrangs des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts hat ein nach der VO Nr. 1408/71 gerade nicht zuständiger Mitgliedstaat die Befugnis zu bestimmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen er in diesem Fall Familienleistungen gewähren will; ebenso muss er entscheiden dürfen, ob und wie er berücksichtigen will, dass in einem anderen Staat ein Anspruch auf eine vergleichbare Leistung besteht. Weil für den nicht zuständigen Staat (hier: die Bundesrepublik) im Hinblick auf den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) schon keine Verpflichtung besteht, in einem solchen Fall überhaupt Familienleistungen zu gewähren, liegt in § 65 EStG kein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG stehen vorliegend auch keine gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote entgegen. Der Kläger wird als in der Bundesrepublik nur kurzzeitig beschäftigter Arbeitnehmer insbesondere nicht gegenüber hier nur vorübergehend Beschäftigten diskriminiert. Denn die Situation eines nur vorübergehend im Inland tätigen Arbeitnehmers ist schon nicht vergleichbar mit der Situation eines im Inland nicht nur vorübergehend Beschäftigten. Anders als ein im Inland nicht nur vorübergehend Beschäftigter verlangt er keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt des Beschäftigungslandes, da er nach Erfüllung seiner Aufgabe in sein Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehrt (BFH in seiner – noch anhängigen – EuGH–Vorlage vom 21. Oktober 2010 III R 5/09, BFHE 231, 183, BFH/NV 2011, 360).

    Einen Verstoß der Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gegen das Grundgesetz –GG– vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen.

    Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung durch die Bestimmung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG besteht nach Ansicht des erkennenden Senates auch nicht zwischen den Besserverdienenden, bei denen die gebotene steuerliche Freistellung für ein Kind im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG regelmäßig über die Gewährung der Kinderfreibeträge erfolgt, und den geringer Verdienenden, deren Freistellung in der Regel über das Kindergeld vorgenommen wird. Zwar werden für die erste Gruppe von Steuerpflichtigen die ausländischen Leistungen gemäß § 31 Satz 6 EStG lediglich angerechnet, während bei der Festsetzung von Kindergeld die vergleichbaren ausländischen Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zur gänzlichen Versagung des inländischen Anspruchs führen können. Im Rahmen des Familienleistungsausgleichs indes ist der „Anspruch auf Kindergeld” maßgebend und sind die ausländischen Leistungen gemäß § 31 Satz 5 EStG in die Vergleichsrechnung betr. Anspruch auf Kindergeld einerseits und Auswirkung der Freibeträge andererseits einzubeziehen (vgl. hierzu Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 31 Rdn. 36 ff.; Dürr in Frotscher, EStG, § 31 Rdn. 47 ff.; Selder in Blümich, EStG, § 31 Rdn. 100 f.). In Fällen mit vorliegender Fallkonstellation wäre einerseits im Hinblick auf die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld (ggf. in voller Höhe) zu verneinen. Da zugleich die polnischen Familienleistungen eine nur geringe Höhe aufweisen, ergäbe die Vergleichsrechnung nach § 31 Satz 4 EStG typischerweise, dass auch einem geringer verdienenden Steuerpflichtigen der Kinderfreibetrag zu gewähren wäre und somit die geltend gemachte Ungleichbehandlung mit Besserverdienenden bereits aus diesem Grunde ausschiede Somit wird dem verfassungsrechtlichen Gebot, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes steuerlich frei zu stellen, im Rahmen der sog. Günstigerprüfung gemäß § 65 Absatz 1 EStG i.V.m. § 31 Satz 4 und 5 EStG Rechnung getragen; die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist sachlich gerechtfertigt. Nach dieser gesetzlichen Konzeption der §§ 31, 65 EStG entscheidet erst und nur die Höhe des Kinderfreibetrages endgültig darüber, ob den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verschonung des Existenzminimums der Kinder genügt wird; die Funktion des Kindergeldes beschränkt sich insofern auf eine als vorläufiger „Abschlag” wirkende Steuervergütung (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570; vgl. auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, EFG 2009, 264).

    Etwaige Benachteiligungen von Grenzgängern gegenüber uneingeschränkt Kindergeldberechtigten sind zudem aufgrund der anderweitigen Leistung und der Praktikabilitätsanforderungen an Kollisionsregeln bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gerechtfertigt. Zu dem Aspekt der anderweitigen sozialen Absicherung (im Ausland) treten Gründe der Einfachheit des Rechts und dessen Praktikabilität im Verwaltungsvollzug, die die Kollisionsnorm des § 65 EStG ebenfalls rechtfertigen (Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BGBl I 2004, 2570).

    Der Kläger kann auch nicht verlangen, dass das Kindergeld nach dem EStG zu seinen Gunsten zumindest in Höhe von 50% der gesetzlich bestimmten Monatsbeträge festgesetzt wird.

    Ein solcher Anspruch auf hälftiges Teilkindergeld ließe sich im Wege der Analogie allenfalls aus Artikel 12 Abs. 2 der VO Nr. 1408/71 i. V. m. Artikel 7 Abs. 1 der DVO Nr. 574/72 herleiten. Diese Analogie würde indessen voraussetzen, dass aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Staaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in den betreffenden Staaten (im Streitfall: sowohl in Deutschland als auch in Polen) gedroht hätte. Ein solche Kürzung von Familienleistungen war im Streitfall jedoch nicht zu befürchten, da die mit den gemeinsamen Kindern in Polen lebende Ehefrau des Klägers in Polen für beide Kinder jedenfalls im gesamten streitigen Zeitraum noch die ungekürzten Familienleistungen erhalten hat (vgl. Urteile des Hessisches FG vom 23. Mai 2007 3 K 3143/06, EFG 2007, 1527; des FG Baden-Württemberg vom 18. November 2008 4 K 4293/08, EFG 2007, 1527).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO.

    VorschriftenEStG § 1 Abs. 3, EStG § 31, EStG § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, EStG § 63 Abs. 1 Satz 3, EStG § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, SGB VI § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, SGB VI § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9, SGB VI § 4 Abs. 2, EG Art. 39, GG Art. 3 Abs. 1