01.02.2012
Finanzgericht München: Urteil vom 21.11.2011 – 8 K 628/08
Die britische Besteuerung nach dem Remittance-Base-Prinzip ist eine Vorzugsbesteuerung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG.
Zur Bedeutung von Verwaltungsvorschriften bei der Änderung aufgrund neuer Tatsachen.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 8. Senat des Finanzgerichts München durch … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2011 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Außensteuergesetz (AStG) unterliegt.
1. Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie wohnte bis zum Jahr 2000 in München, Xstr. …. Nach eigenen Angaben verzog sie zum Ende 2000 nach Großbritannien und hatte in den Streitjahren 2001 und 2002 in London ihren Wohnsitz, wo sie auch berufstätig war. Sie erzielte in den Streitjahren erhebliche Einkünfte unter anderem aus der Vermietung von in Deutschland und anderswo gelegenen Gebäuden, aus Geldanlagen sowie aus der Verzinsung einer Erbausgleichsforderung.
2. Die Klägerin reichte am 16. Juli 2002 (Frühleerung) beim Beklagten – dem Finanzamt (FA) – die Einkommensteuer-(ESt-)erklärung für beschränkt Steuerpflichtige für 2001 ein. Darin erklärte sie, dass sie von 1991 bis 31. Dezember 2000 unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei und die unbeschränkte Steuerpflicht zum 31. Dezember 2000 geendet habe. Ihre Einkünfte aus der Vermietung zweier Grundstücke in München (Yweg … und Zstr. …) erklärte sie mit 132.679 DM. Das FA veranlagte zunächst unter Übernahme der erklärten Beträge und setzte die ESt auf 19.746,09 EUR fest (ESt-Bescheid vom 29. Juli 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung).
Die Klägerin reichte am 22. September 2003 (Frühleerung) die entsprechende ESt-Erklärung für 2002 beim FA ein. Dieses setzte die ESt für 2002 unter Übernahme der für die beiden Objekte erklärten Vermietungseinkünfte in Höhe von 129.581 EUR auf 46.689 EUR fest (EStBescheid vom 06. Oktober 2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung).
Mit Bescheiden vom 26. März 2004 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung für beide Streitjahre auf.
3. Von 09. November 2005 bis 05. Dezember 2006 führte das FA eine Prüfung im Rahmen der Betriebsnahen Veranlagung durch, in die auch die Fachprüfung für steuerliche Auslandsbeziehungen des Bayerischen Landesamtes für Steuern eingebunden war. Die Prüfer waren der Auffassung, die Klägerin sei in den Streitjahren erweitert beschränkt steuerpflichtig gem. § 2 AStG gewesen (Bericht vom 02. Januar 2007). Daher erachteten sie neben den bereits erklärten inländischen Vermietungseinkünften weitere Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 2.965.895 DM (2001) und 518.281 EUR (2002) als der deutschen Besteuerung unterliegend. Darüber hinaus seien die ausländischen Einkünfte, die sie ebenfalls ermittelten, bei der Bestimmung des Steuersatzes zu berücksichtigen.
Die hohen Kapitalerträge resultierten im Wesentlichen daraus, dass die Klägerin von ihrem Bruder einen Ausgleichsanspruch aus der Erbschaft nach ihrem Vater ausgezahlt erhielt. Dieser wurde für die Zeit bis 28. Februar 2001 verzinst. Die Zinsen in Höhe von 2.528.553 DM wurden im Mai 2001 auf ein Bankkonto der Klägerin in Deutschland ausbezahlt. Die übrigen Kapitaleinkünfte stammen im Wesentlichen aus einem bei einer inländischen Bank unterhaltenen Depot.
4. Am 15. Februar 2007 erließ das FA unter Übernahme des Prüfungsergebnisses geänderte ESt-Bescheide für die Streitjahre.
5. Gegen diese Änderungsbescheide wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen vom 15. März 2007, die das FA mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 14. Januar 2008 als unbegründet zurückwies.
6. Die hiergegen eingelegte Klage begründet die Klägerin wie folgt:
Die vom FA angesetzten Beträge seien ihrer Höhe nach unstreitig. Streitig sei allerdings die Anwendung des § 2 AStG. Gleiches gelte für die daraus folgende Einbeziehung sämtlicher Einkünfte in den Progressionsvorbehalt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 AStG schon deshalb nicht erfüllt seien, weil sie in Großbritannien nicht einer niedrigen Besteuerung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG unterliege. In Großbritannien habe sie den steuerlichen Status „residence” aber nicht „domicile”. Sie sei daher dort nur mit ihren dorthin transferierten Einkünften steuerpflichtig (Remittance-Base-Besteuerung). Da sie die streitgegenständlichen Einkünfte nicht nach Großbritannien transferiert habe, seien diese dort auch nicht besteuert worden. Bei der Nichtbesteuerung von Einkünften wegen fehlenden Transfers nach Großbritannien handele es sich nicht um eine Vorzugsbesteuerung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG. Sie beruft sich für ihre Auffassung u.a. auf ein Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF), aus dem sich dies ergebe.
Einer Anwendung des § 2 Abs. 1 AStG stehe weiter entgegen, dass das Besteuerungsrecht für die streitgegenständlichen Zinsen beim Ansässigkeitsstaat (hier Großbritannien) liege.
Schließlich dürfe § 2 Abs. 1 AStG nicht angewendet werden, weil er den EU-Grundfreiheiten widerspreche. Wegen der rechtlichen Argumentation im Einzelnen wird auf das schriftsätzliche Vorbringen verwiesen.
Für den Fall, dass das Gericht ihren europarechtlichen Einwänden gegen § 2 AStG nicht folgen sollte, regt die Klägerin an, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage, ob § 2 AStG den EU-Grundfreiheiten widerspreche, zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Klägerin beantragt,
die Änderungsbescheide zur ESt 2001 und 2002 vom 15. Februar 2007 in Gestalt der EE vom 14. Januar 2008 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt unter Hinweis auf die Ausführungen in der EE vom 14. Januar 2008, die Klage abzuweisen.
Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2011 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist nicht begründet.
Das FA hat die streitigen Einkünfte zu Recht der Besteuerung nach § 2 AStG unterworfen und die ESt-Bescheide für 2001 und 2002 vom 26. März 2004 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert.
1) Nach § 2 Abs. 1 AStG ist eine natürliche Person, die – wie die Klägerin – in den letzten zehn Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht als Deutsche insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, unter weiteren sachlichen Voraussetzungen nach Maßgabe der Vorschrift 10 Jahre lang erweitert beschränkt steuerpflichtig. Da unstreitig ist, dass die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AStG erfüllt, sieht der Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab.
Auch die sachlichen Voraussetzungen der Norm sind erfüllt.
a) Die Klägerin unterliegt in ihrem Ansässigkeitsstaat Großbritannien nur einer niedrigen Besteuerung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG). Bei der Nichtbesteuerung von Zinseinkünften eines „resident” nach dem Remittance-Base-Prinzip handelt es sich um eine Vorzugsbesteuerung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG.
aa) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG liegt eine Vorzugsbesteuerung vor, wenn die Belastung der Person durch die in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer auf Grund einer gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich gemindert sein kann. Das ist im Streitfall zu bejahen: Während dauerhaft in Großbritannien Ansässige, die den Status „domiciled” und/oder „ordinary resident” erfüllen, mit ihren Einkünften – auch Zinseinkünften – auf Basis ihres Entstehens („arising”) besteuert werden, wird die Klägerin mit ihren ausländischen Zinseinkünften in Großbritannien nur dann besteuert, wenn sie dorthin überwiesen oder empfangen – „remitted” – werden. Diese Begünstigung gilt nicht allgemein, sondern kann nur von Personen gewählt werden, die nicht den Status „domiciled” bzw. „ordinary resident” erfüllen. Sie ist also vom spezifischen britischen Ansässigkeitsstatus „resident” abhängig. Darüber hinaus muss der „resident” die Wahl zur Besteuerung auf „remittance”-Basis ausdrücklich erklären. Anderenfalls wird er auf „arising”-Basis besteuert (vgl. zu alledem: HM Revenue & Customs: Residence, domicile and the remittance basis, Online-Datei, URL: www.hmrc.gov.uk/cnr/hmrc6.pdf, Tz. 5).
bb) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie müsste aus Vertrauensschutzgründen abweichend vom Gesetz so behandelt werden, als ob die Remittance-Base-Besteuerung für „residents” keine Vorzugsbesteuerung darstellte. Der damalige Anwendungserlass zum AStG (AEAStG 1994 vom 02. Dezember 1994, IV C 7-S 1340-20/94, dort Tz. 2.2.2) des Bundesministerums der Finanzen (BMF), auf den sich die Klägerin beruft, gibt nur wieder, was sich ohnehin aus der Auslegung des Gesetzestextes ergibt. Er stellt in Tz. 2.2.2. (dort Satz 4) lediglich klar, dass eine Besteuerungsfreiheit auf Remittance-Basis keine Vorzugsbesteuerung darstellt, wenn sie „ allgemein, ohne weitere an die Ansässigkeit anknüpfende Voraussetzungen” gewährt wird. Die Remittance-Base-Besteuerung von Zinsen ist aber gerade nicht in diesem Sinne „allgemein”. Vielmehr wird sie lediglich Personen mit dem Status „resident” gewährt, nicht aber den „domiciled”. Auch stellt der Erlass im Folgesatz unmissverständlich klar, dass „ungeachtet dessen […] auch in diesen Staaten eine gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumte Vorzugsbesteuerung nicht ausgeschlossen werden [kann]”. Davon abgesehen handelt es sich bei Tz. 2.2.2 des AEAStG 1994 um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die aufgrund ihres fehlenden Normcharakters das Gericht nicht, auch nicht aus etwaigen Gründen der Gleichbehandlung, bindet (BFH-Urteil vom 23. Oktober 2003 V R 48/01, BStBl II 2004, 196; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 4 AO, Rz. 84, m.w.N.). Derartige Vorschriften stehen stets konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung (BFH, ebenda, Rz. 40).
Im Übrigen käme ein Vertrauensschutz für die Klägerin hinsichtlich der Zinszahlung ihres im Inland ansässigen Bruders auch mangels schutzwürdiger Disposition nicht in Betracht. Sie hatte insoweit ohnehin nur die Möglichkeit, zur Besteuerung in England zu „optieren”, indem sie entweder dort die volle Besteuerung wählte oder den Bruder anwies, die Zinsen an ihrem neuen Wohnsitz in England auszubezahlen.
b) Die Klägerin hat in den Streitjahren zudem wesentliche wirtschaftliche Interessen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 AStG in Deutschland. Ihr Vermögen, dessen Erträge bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) wären, übersteigt 300.000 DM bzw. 154.000 EUR (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 Alt. 2 AStG in den jeweils für die Streitjahre geltenden Fassungen). Dies ist in Bezug auf die streitgegenständlichen Zinserträge von rd. 3 Mio DM in 2001 und rd. 500.000 EUR in 2002 zwischen den Beteiligten unstreitig. Bei diesen handelt es sich auch nicht um ausländische Einkünfte i.S.d § 2 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG i.V.m. § 34d EStG, da die Zinsschuldner nach Aktenlage ihren Wohnsitz bzw. Sitz im Inland haben.
Weil die Einkünfte der Klägerin auch die Freigrenze des § 2 Abs. 1 Satz 3 AStG übersteigen, ist sie in den Streitjahren mit allen Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz EStG erweitert beschränkt steuerpflichtig.
c) Das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Vereinigten Königreich (DBA GBR; in der in den Streitjahren gültigen Fassung) schließt das Besteuerungsrecht Deutschlands nicht aus. Nach Art. VII Abs. 1 DBA GBR werden Zinsen, die aus Quellen innerhalb eines der Gebiete – also innerhalb eines der Vertragsstaaten – von einer in dem anderen Gebiet ansässigen und damit dort steuerpflichtigen Person bezogen werden, nur in diesem anderen Gebiet besteuert. Art. II Abs. 2 DBA GBR stellt klar, dass die Freistellung der Einkünfte von der deutschen Besteuerung im Falle der „Remittance-Base-Besteuerung” nur dann greift, wenn die Einkünfte tatsächlich nach Großbritannien überwiesen oder dort empfangen worden sind. Nach h.M. – der sich der erkennende Senat anschließt – verbleibt nach der Subject-to-tax-Klausel des Art. VII Abs. 1 DBA GBR Deutschland damit das Besteuerungsrecht, wenn Zinseinkünfte – wie im Streitfall – wegen des zur Anwendung kommenden „Remittance-Base-Prinzips” in Großbritannien nicht versteuert werden (Debatin/Wassermeyer, DBA GBR, Art. II, Rz. 55).
Der Einwand der Klägerin, die Zinseinkünfte stammten nicht aus Deutschland, geht fehl. Es kann dahingestellt bleiben, ob man diesen Begriff nach deutschem Recht bestimmt und die Kriterien des § 34d Nr. 7 EStG anwendet (so BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 I R 52/83, BFHE 149, 440, BStBl II 1988, 521) oder ihn unmittelbar aus dem DBA herleitet (etwa aus Art. VI Abs. 1 DBA GBR oder Art. 11 Abs. 5 des OECD-Musterabkommens – zu dieser Auslegung des DBA USA vgl. BFH-Urteil vom 28. April 2010 I R 81/09, BFHE 229, 252, BFH/NV 2010, 1550). In beiden Fällen ist auf die Ansässigkeit des Zinsschuldners abzustellen (siehe auch BFH-Urteil vom 17. November 2010 I R 76/09, BFHE 232, 68, BFH/NV 2011, 674).
d) Die erweitert beschränkte Steuerpflicht des § 2 AStG verstößt im Kontext des Streitfalles auch nicht gegen die EU-Grundfreiheiten.
Die Klägerin beruft sich namentlich auf das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]; im Streitjahr noch Art. 12 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV]), die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV; ehemals Art. 56 EGV) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 21 AEUV; ehemals Art. 18 EGV).
aa) Soweit die Klägerin vorträgt, sie werde durch § 2 AStG insofern diskriminiert, als diese Vorschrift auf die Staatsangehörigkeit abstellt, folgt dem der Senat nicht. Die Staatsangehörigkeit als nachrangiges Kriterium ist für die Zuweisung des Besteuerungsrechts (etwa bei der Prüfung der Ansässigkeit) in den DBA üblich (vgl. etwa Art. 4 OECD-MA) und nach der Rspr. des EuGH in diesem Kontext als Differenzierungskriterium auch zulässig (vgl. EuGHUrteil vom 23. Februar 2006 C-513/03 van Hilten-van der Heijden, EuGHE I-01957). Die Berechtigung der Mitgliedstaaten, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit einseitig (oder vertraglich) festzulegen und Gebietsansässigen mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaates anders zu behandeln als Gebietsangehörige mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates, folgt aus den noch fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Vereinheitlichungs- und Harmonisierungsmaßnahmen.
Da somit die „umgekehrte Diskriminierung bzw. Behinderung” eines Inländers nach der Rechtsprechung des EuGH per se noch nicht gegen die Grundfreiheiten verstößt (EuGH-Urteile vom 14. Juli 1981 C-155/80 Oebel, EuGHE 1981, 01993, Rz. 9, m.w.N.; vom 16. Februar 1995 C-29-35/94 Aubertin, EuGHE 1995, I-00301, Rz. 13; vom 23. Oktober 1986 355/85 Driancourt, EuGHE 1986, 3231; vom 12. Mai 1998 C-336/96 Gilly, EuGHE 1998, I-2793, Rn. 30), kann die Klägerin mit ihrem Hinweis, es könne nicht sein, dass zwar sie der erweiterten beschränkten deutschen Steuerpflicht unterworfen wird, nicht aber z.B. ein Belgier oder ihr Ehemann, unterstellt diese hätten entsprechend lange in Deutschland gelebt und wären dann (mit ihr) nach Großbritannien verzogen, für ihr Begehr nichts herleiten.
Im vorliegenden Fall darf nach Auffassung des Senats auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin letztlich selbst zur erweitert beschränkte Steuerpflicht „optiert” hatte. Hätte sie nicht in Großbritannien die Sonderbesteuerung auf Remittance-Basis gewählt, wäre sie dort in vollem Umfang steuerpflichtig gewesen. In diesem Fall hätte sich die Frage nach § 2 AStG nicht gestellt. Wenn nun die Klägerin vorträgt, sie werde durch die Folgen der von ihr letztlich gewählten Besteuerung auf Remittance-Basis i.S. des Art. 18 AEUV diskriminiert, kann dies daher nur als widersprüchlich beurteilt werden.
bb) Nach Auffassung des Senats liegt auch kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vor.
(1) Eine unmittelbare Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit ist im Streitfall schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin an der freien Wahl ihrer Kapitalanlage durch die Besteuerung inländischer Einkünfte nicht gehindert ist. In Rechnung gestellt werden muss hier auch, dass Art. 58 Abs. 1 Buchstabe a EGV sehr wohl eine Differenzierung nach Wohnort oder Kapitalanlageort erlaubt.
(2) Der Senat vermag aber auch keine mittelbare Beschränkung des Kapitalverkehrs erkennen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob faktisch lenkende Anreize durch die Besteuerung überhaupt geeignet sein können, die Kapitalverkehrsfreiheit i.S. des Art. 63 AEUV zu beeinträchtigen (vgl. Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 2 AStG, Rz. 22). Im vorliegenden Fall liegt jedenfalls kein solcher, die Klägerin diskriminierender Anreiz vor.
Dadurch, dass § 2 AStG bei Vorliegen weiterer sachlicher Voraussetzungen annähernd die gleiche Besteuerung der Einkommen für Staatsangehörige vorsieht, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt haben, wie für solche, die im Inland geblieben sind, werden weder die Erstgenannten davon abgehalten, von dem anderen Mitgliedstaat aus Investitionen im betreffenden Mitgliedstaat zu tätigen, noch die Letztgenannten davon, von dem betreffenden Mitgliedstaat aus Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat (vgl. EuGH-Urteil vom 23. Februar 2006 C-513/03 van Hilten-van der Heijden, EuGHE I-01957, Rz. 46; anders z.B. Urteile des EuGH vom 23. Oktober 2007 C-112/05 Volkswagen, EuGHE 2007 I-8995, und vom 02. Juni 2005 C-174/04, EuGHE 2005 I-4933). Davon abgesehen stellt § 2 AStG erweitert beschränkt Steuerpflichtige gegenüber den im Inland verbliebenen unbeschränkt Steuerpflichtigen insoweit besser, als die Besteuerung auf ihre im Inland erzielten Einkünfte beschränkt ist. Folge davon kann sein, dass sich einem erweitert beschränkt Steuerpflichtigen Dispositionsmöglichkeiten eröffnen, wie sie sich einem unbeschränkt Steuerpflichtigen so nicht bieten. In dieser Besserstellung des beschränkt Steuerpflichtigen gegenüber dem im Inland verbliebenen Steuerpflichtigen vermag der Senat jedoch keine diskriminierende mittelbare Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs zu sehen. Ob sich die Klägerin – wie sie vorträgt – zur Vermeidung der höheren Besteuerung in Deutschland faktisch „gezwungen” sehen kann, ihre Kapitalanlagen ins Ausland zu verlagern, kann der Senat dahingestellt sein lassen. Der Umstand, dass für einen erweitert beschränkt Steuerpflichtigen eine Kapitalanlage im Ausland möglicherweise unter Renditegesichtspunkten attraktiver sein kann, ist lediglich die Folge dessen Besserstellung gegenüber den unbeschränkt Steuerpflichtigen. Er wird dadurch aber weder gegenüber dem im Inland verbliebenen und damit unbeschränkt Steuerpflichtigen benachteiligt noch gegenüber einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen, der dort – vorbehaltlich anderer DBA-Zuweisungsregeln – mit seinem Welteinkommen steuerpflichtig ist.
cc) Eine Beschränkung der Wohnsitznahme oder Arbeitsaufnahme bzw. Niederlassung in England ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Wegzug der Klägerin wurde durch § 2 AStG nicht erschwert. Wäre sie in Deutschland verblieben, wäre sie unbeschränkt steuerpflichtig geblieben mit der Folge einer letztlich umfangreicheren Besteuerung. Wäre sie in einen anderen, niedrig besteuernden Staat gezogen, so wäre sie – vorbehaltlich anderer DBA-Zuweisungsregeln – ebenfalls erweitert beschränkt steuerpflichtig geblieben (§ 2 AStG).
dd) Davon abgesehen ist der Senat der Auffassung, dass dann, wenn die vorstehend abgelehnte Beschränkung der Grundfreiheiten durch § 2 AStG bejaht würde, eine solche jedenfalls sachlich gerechtfertigt ist. Die Grundfreiheiten sind vorrangig als Gleichheitsrechte auszulegen. Ihre Funktion ist es, den gemeinsamen Binnenmarkt zu verwirklichen und hierzu etwa Freizügigkeit zu garantieren (Präambel des EUV). Im Kontext der Besteuerung bedeutet dies, dass – solange und soweit die Kompetenz zur Festlegung des Besteuerungssubstrats wie des Tarifs bei den Mitgliedstaaten verbleibt – die Besteuerung den Binnenmarkt nicht durch überschießende Lenkungseffekte verzerren darf.
In diesem Zusammenhang muss nach Auffassung des Senats bei der Prüfung, ob eine Verletzung der EU-Grundfreiheiten vorliegt bzw. ob eine solche gerechtfertigt ist, vorab grundsätzlich in Rechnung gestellt werden, dass aufgrund der mit den EU-Mitgliedsstaaten flächendeckend abgeschlossenen DBA das Besteuerungsrecht umfassend zwischen diesen aufgeteilt ist. So bleibt für die erweitert beschränkte Steuerpflicht des § 2 AStG nur noch insoweit Raum, als spezifische Vorzugsbesteuerungen oder niedrige Besteuerungen aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Harmonisierungsprozesses noch bestehen. Im Verhältnis der EU-Mitgliedsstaaten beschränkt sie sich somit – bezogen auf den Streitfall – darauf, im Zusammenwirken mit der Zuweisung des Besteuerungsrechts in den DBA, eine „Keinmal-Besteuerung” bestimmter Einkunftsteile zu vermeiden und Lücken zu schließen, die aufgrund des derzeitigen Harmonisierungsstandes noch zu „weißen Einkünften” führen können. § 2 AStG vermeidet damit letztlich Verzerrungen des Binnenmarktes (vgl. zur Verzerrung durch „weiße Einkünfte” die Ziff. 5 und 6 der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 03. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen [ABl. L 157, S. 38]). Regelungen, die wie § 2 AStG im Zusammenspiel mit den DBA der Vermeidung „Weißer Einkünfte” dienen, widersprechen aber jedenfalls nicht den anerkannten Grundsätzen der Aufteilung der Besteuerung durch DBA. Sie sind daher nach Auffassung des Senats grundsätzlich gerechtfertigt (EuGHUrteil vom 13. Dezember 2005 C-446/03 Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837, Rz. 47).
e) Da gegen die Steuerberechnung gem. § 2 AStG als solche keine Einwendungen erhoben werden, sieht der Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab.
2) Das FA war nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auch zu einer Änderung der Bescheide berechtigt. Die tatsächlichen Umstände, die der Klägerin in Großbritannien zum Status „resident” anstelle von „domiciled” verhalfen, traten erst im Rahmen der Außenprüfung zu Tage. Gleiches gilt für die erzielten Zinserträge. Da dem FA diese Umstände ursprünglich nicht bekannt waren, hatte es bei der Erstveranlagung auch keinen Anlass, eine etwaige Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 AStG zu prüfen.
Entgegen dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entfällt die Rechtserheblichkeit der neuen Tatsachen im Streitfall nicht deswegen, weil das FA auch bei Kenntnis der vorgenannten Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen als der tatsächlich getroffenen Entscheidung gekommen wäre (vgl. BFH Beschluss vom 23.11.1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; Urteil vom 12. Mai 2009 IX R 45/08, BFHE 225, 299, BStBl II 2009, 891). Wie die Finanzbehörde bei Kenntnis der Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und der die Finanzbehörden bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2006 III R 31/06, BFH/NV 2007, 392). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Sachverhalt vom FA zutreffend gewürdigt worden wäre (BFH-Urteil vom 11. Februar 2010 VI R 65/08, BFHE 228, 421, BStBl II 2010, 628).
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit” gegeben, dass das FA bei Kenntnis aller Tatsachen ebenso entschieden hätte. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klammerzusatz „(z.B. in Großbritannien)” in dem von der Klägerin herangezogenen Satz in Tz. 2.2.2 des AEAStG 1994 bei flüchtigem Lesen auch so verstanden werden kann, jegliche Besteuerung in Großbritannien nach dem Remittance-Base-Prinzip stelle nach Auffassung des Anwendungserlasses keine Vorzugsbesteuerung dar. Allerdings rückt der folgende Satz „Ungeachtet dessen kann jedoch auch in diesen Staaten eine gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumte Vorzugsbesteuerung nicht ausgeschlossen werden” eine derartige Auslegung wieder ins Ungefähre und mahnt letztlich eine Einzelfallprüfung an. Aus dem Text des Erlasses kann daher nichts entnommen werden, war für oder gegen die eine oder andere mutmaßliche Entscheidung des FA bei Kenntnis aller Umstände spräche. Die Literatur sieht und sah überwiegend in der Remittance-Base-Besteuerung der Residents eine erhebliche Vorzugsbesteuerung (vgl. Nachweise bei Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 2 AStG, Rz. 230). Die Verwaltung hat in der Neufassung des AEAStG (BMF-Schreiben vom 14. Mai 2004 IV B 4 – 11/04, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004) einen neuen Absatz aufgenommen, der nunmehr zweifelsfrei die Remittance-Base-Besteuerung von Residents in Großbritannien als Vorzugsbesteuerung kennzeichnet. Der Senat vermag anders als das FG Düsseldorf (Urteil vom 20. April 2010 9 K 1639/06 E, Juris) aus der Hinzufügung dieses Absatzes nicht abzuleiten, dass die Verwaltung vorher der Auffassung gewesen wäre, die Remittance-Base-Besteuerung jeglicher Art sei in Großbritannien von vorneherein keine Vorzugsbesteuerung. Bereits in einer Verfügung vom 21. Mai 2002 (Der Betrieb, 2002, 1192) – und damit knapp 2 Jahre vor Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Streitfall – hat die OFD Münster auf die beabsichtigte Überarbeitung des Erlasses hingewiesen und erkennen lassen, dass sie schon zum damaligen Zeitpunkt von einer Vorzugsbesteuerung ausgeht. Rechtsprechung zur Streitfrage aus der Zeit vor Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung existiert nicht. Unter diesen Umständen kann nicht davon gesprochen werden, dass das FA bei von Anfang an vorhandener Kenntnis aller Umstände „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” keine andere Entscheidung getroffen hätte.
II. Die Sache ist entscheidungsreif. Das Gericht sieht von einer Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV ab, weil es eine Entscheidung des EuGH über die von der Klägerin aufgeworfenen Frage eines etwaigen EU-Grundfreiheitenverstoßes durch § 2 AStG nicht für erforderlich hält. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Auslegung der Grundfreiheiten durch den EuGH im hier entscheidenden Kontext ausreichend konkret und zweifelsfrei, um abschließend entscheiden zu können.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
IV. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).