01.02.2012
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 08.07.2010 – 7 K 938/2009
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Die Anschrift ist allerdings nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde sie nicht kennt. Vielmehr muss die Behörde vor der öffentlichen Zustellung gründliche und sachdienliche Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen.
Die öffentliche Zustellung ist nur das „letzte Mittel” und wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar wäre (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361; BFH-Beschluss vom 09.08.2007 V B 149/06, BFH/NV 2007, 2310).
Der Nachforschungspflicht genügt die Finanzbehörde i. d. R. durch Rückfrage beim Einwohnermeldeamt, der Polizei oder ggf. einem Bevollmächtigten (BFH-Urteile vom 15.01.1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81; vom 13.01.2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998).
Tatbestand
Streitig sind die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung.
Der Kläger wohnte zunächst mit seiner Frau und seiner am 06.12.1990 geborenen Tochter 1 am Str. A1 in A-Stadt. Die damalige Familienkasse A-Stadt versandte an diese Anschrift im Dezember 1992 ein Schreiben. Da das Schreiben nicht zugestellt werden konnte, ließ sich die Familienkasse A-Stadt vom Einwohnermeldeamt A-Stadt die aktuelle Anschrift – Str. A2 in A-Stadt – mitteilen. Auch dort konnte das Schreiben nicht zugestellt werden. Eine Nachbarin gab auf Nachfrage der Familienkasse an, der Kläger und seine Familie seien in die Road 1 in SB , USA, verzogen.
Im März 1996 meldete sich der Kläger bei der Familienkasse und gab an, er und seine Familie hätten sich lediglich in den Jahren 1993/1994 für elf Monate in den USA aufgehalten. Sie seien nun in der Str. Z in Z wohnhaft. Das Kindergeld solle auf das fortbestehende Konto xxxxxxx bei der Stadtsparkasse A-Stadt überwiesen werden. Außerdem teilte der Kläger mit, dass am 30.11.1995 seine Tochter 2 geboren sei. Daraufhin wurde die Kindergeldakte nach X abgegeben.
Am 23.12.1999 meldete die Ehefrau des Klägers den Kläger, die beiden Töchter und sich selbst beim Einwohnermeldeamt der Stadt Z ab und gab als neue Anschrift Road 2, SB , ...,USA, an. Als Nebenwohnung gab sie Str. A3 , A-Stadt an.
Vom 01.01.2000 – 31.08.2001 hielten sich der Kläger und seine Familie in den USA auf. Am 07.09.2001 meldeten sich der Kläger und seine Familie beim Einwohnermeldeamt der Stadt A-Stadt unter der Anschrift A-Straße in A-Stadt.
Mit einem routinemäßig erstellten Schreiben vom 20.10.2008 aus Anlass der Vollendung des 18. Lebensjahres der Tochter 1 forderte die Familienkasse Y den Kläger auf anzugeben, ob ein Berücksichtigungstatbestand für seine Tochter 1 vorliege. Das an die Anschrift Str. Z in Z versandte Schreiben konnte nicht zugestellt werden. Daraufhin fragte die Familienkasse Y bei der Meldebehörde der Stadtverwaltung Z nach der aktuellen Anschrift des Klägers und seiner Kinder. Die Stadt Z teilte am 13.11.2008 – ohne die bei der Abmeldung angegebene Anschrift in den Vereinigten Staaten bzw. den damals angegebenen Nebenwohnsitz in A-Stadt hinzuweisen – mit, der Kläger und seine Töchter 1 und 2 hätten sich am 24.12.1999 in die USA abgemeldet.
Die Familienkasse Y hob daraufhin mit Bescheid vom 25.11.2008 die Festsetzung „des Kindergeldes” mit Wirkung ab Januar 2000 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf, da der Kläger seinen Wohnsitz nicht mehr in Deutschland gehabt habe. Das Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2000 bis Dezember 2001 i. H. v. 6.626,40 € und außerdem für den Zeitraum von Januar 2002 bis Oktober 2008 i. H. v. 25.256 € sei daher zu erstatten. Der Bescheid enthält weder Namen noch Anzahl der Kinder, für die Kindergeld gezahlt wurde. In den Räumen der Familienkasse Y wurde vom 15.12.2008 – 27.01.2009 eine Benachrichtigung für den Kläger ausgehängt, dass er, wohnhaft zuletzt unter der Anschrift Str. Z , Z , einen für ihn bestimmten Aufhebungsbescheid vom 25.11.2008, Az. F12 – xxxxxx bei der Familienkasse Y , während der Dienststunden in Empfang nehmen könne. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass durch diese öffentliche Zustellung eine Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO in Gang gesetzt werde und nach Ablauf der Frist Rechtsverluste drohten. Die tatsächliche Dauer des Aushangs wurde in den Akten vermerkt. Der Bescheid wurde zusätzlich mit der Post an die Anschrift in Z versandt und kam als unzustellbar zurück.
Am 24.04.2009 ging bei einem Servicecenter der Familienkasse ein Anruf des Klägers ein, in dem dieser als Anschrift A-Straße, A-Stadt mitteilte. Der Kläger wurde über die Übersendung der Akten an die C. und deren künftige Zuständigkeit informiert. Daraufhin gab die Familienkasse Y den Fall an die beklagte C. ab.
Am 06.05.2009 ging bei der C. ein Kindergeldantrag des Klägers für seine Töchter 1 und 2 ein. Noch am selben Tag versandte die C. den Bescheid vom 25.11.2008 an die Anschrift des Klägers in A-Stadt. Unter das Datum 25.11.2008 wurde das Datum 06.05.2009 gestempelt. In einem Aktenvermerk vom 09.06.2009 hielt die Bearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle fest, dass der Bescheid durch öffentliche Zustellung bereits bestandskräftig sei; er sei anscheinend dem Kläger am 06.05.2009 zur Kenntnisnahme zugeschickt worden sei, was an der Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung und der Bestandskraft des Bescheides nichts ändere.
Mit Schreiben vom 08.05.2009 legte der Kläger bei der Familienkasse Y Einspruch gegen den „Bescheid vom 06.05.2009” ein. Er sei am 01.01.2000 mit seiner Familie in die USA verzogen. Ab September 2001 sei er mit seiner Familie wieder in A-Stadt wohnhaft und bei seinem alten Arbeitgeber berufstätig gewesen. Der Wohnsitz sei im Jahr 2001 ordnungsgemäß umgemeldet worden. Er habe daher das Kindergeld ab September 2001 zu Recht bezogen. Außerdem seien eventuelle Rückforderungsansprüche verjährt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 09.06.2009 verwarf die C. den Einspruch des Klägers als unzulässig. Der Einspruch sei nicht fristgerecht erhoben und es sei auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Durch die öffentliche Zustellung gelte der Bescheid als am 30.12.2008 zugegangen. Die Einspruchsfrist sei daher am 29.01.2009 abgelaufen. Der Einspruch sei jedoch erst am 12.05.2009 und damit nach Fristablauf eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da der Kläger die Frist bei Beachtung der notwendigen Sorgfalt habe einhalten können. Auf die ordnungsgemäße Ummeldung bei der Meldebehörde komme es nicht an. Die Verpflichtung zur Mitteilung an die Familienkasse ergebe sich aus dem Merkblatt zum Kindergeld und sei auch ansonsten logisch und nachvollziehbar, zumal eine ähnliche Problematik schon einmal aufgetreten sei und dem Kläger habe bewusst sein müssen, dass er einen Auslandsaufenthalt der Familienkasse umgehend anzeigen müsse.
Am 22.06.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 25.11.2008 und der Einspruchsentscheidung vom 09.06.2009 sowie die Verpflichtung der Familienkasse zur Fortzahlung des Kindergeldes ab Januar 2009. Er trägt vor, seine Familie habe sich im Jahr 1999 unter Angabe der neuen Anschrift in den USA abgemeldet. Am 31.08.2001 sei die Familie nach Deutschland zurückgekehrt. Er habe dann bei seinem alten Arbeitgeber wieder eine Arbeit aufgenommen. Am 07.09.2001 habe sich die Familie zum 01.09.2001 bei der Stadt A-Stadt unter der Anschrift A-Straße zurückgemeldet. Die öffentliche Zustellung sei rechtswidrig gewesen, da die Anschrift dem Einwohnermeldeamt bekannt gewesen und daher ohne Weiteres zu ermitteln gewesen sei. Der Einspruch sei daher nicht verfristet gewesen; zumindest hätte ihm, dem Kläger, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 25.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.06.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ab Januar 2009 für 1 und 2 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.
Nach Ansicht der Familienkasse ist die öffentliche Zustellung wirksam und die Einspruchsfrist daher nicht eingehalten. Die Behörde sei ihrer Prüfungspflicht in aller Regel gerecht geworden, wenn sie versuche, den Adressaten mit Hilfe des Einwohnermeldeamtes zu ermitteln (BFH-Urteile vom 26.06.1986 IV R 202/84, BFH/NV 1987, 98 und vom 06.06.2000 VII R 55/99, BFH/NV 2000, 560; Beschlüsse vom 17.10.1985 IV B 67/85, BFH/NV 86, 576 und vom 04.08.1992 VI B 93/92, BFH/NV 1993, 701).
Mit Bescheid vom 02.07.2009 hat die C. aufgrund des Antrags des Klägers vom 06.05.2009 Kindergeld für 1 und 2 ab Dezember 2008 festgesetzt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 90 Abs. 2 EStG einverstanden erklärt.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
I. Die Klage bezüglich des Zeitraums Januar 2000 – November 2008 ist unbegründet.
1. Klagegegenstand ist der Verwaltungsakt vom 25.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.06.2009, mit dem die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2000 aufgehoben und das für die Zeit von Januar 2000 – Oktober 2008 gezahlte Kindergeld zurückgefordert wurde. Die Kopie dieses bereits öffentlich bekannt gegebenen Bescheides wurde dem Kläger am 06.05.2009 – trotz des zusätzlich aufgestempelten Datums des Versandtages – lediglich zur Kenntnis übersandt, was für den Kläger dadurch erkennbar war, dass das Datum 25.11.2008 nicht ausgestrichen war und der Bescheid als ausstellende Behörde die Familienkasse Y bezeichnete. Wie dem Kläger bei seinem Anruf am 24.04.2009 mitgeteilt worden ist, war die Zuständigkeit dieser Familienkasse erloschen und nunmehr die C. zuständig. Auch der unveränderte Inhalt des Bescheides lässt darauf schließen, dass keine erneute Sachentscheidung getroffen wurde – die im Hinblick auf die inzwischen bekannt gewordene Anmeldung der Familie in A-Stadt im September 2001 ohne nähere Sachprüfung keine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den gesamten Streitzeitraum beinhalten hätten dürfen -, sondern allenfalls die ursprünglichen Verfügungen wiederholt wurde. Eine solche wiederholende Verfügung ist kein Verwaltungsakt (Pahlke in Pahlke/König, AO, § 118 Rn. 25 m. w. N.). Der Einspruch und die Klage sind daher rechtsschutzfreundlich dahin auszulegen, dass sie sich einzig gegen den Ausgangsverwaltungsakt vom 25.11.2008 richten.
2. Die Aufhebung der Festsetzung ab Januar 2000 und die Rückforderung des Kindergeldes für die Zeit von Januar 2000 – Oktober 2008 sind bestandskräftig.
a) Der Bescheid vom 25.11.2008 ist ein wirksamer Verwaltungsakt. Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Der Regelungsgehalt muss so vollständig, klar und eindeutig erkennbar sein, dass der Adressat sein Verhalten danach ausrichten kann (BFH-Urteil vom 03.12.1985 VII R 17/84, BStBl II 1986, 439). Grundsätzlich hat ein Bescheid über die Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung von Kindergeld die Kinder zu bezeichnen, um die es geht, insbesondere wenn der Kindergeldberechtigte mehrere Kinder hat und eventuell der Wegfall des Kindergeldanspruchs nur für das eine, gerade eine Altersgrenze überschreitende Kind im Raum steht. Im vorliegenden Fall fehlt die Bezeichnung der Kinder zwar sowohl im Bescheid vom 25.11.2008 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 09.06.2009; es lässt sich jedoch der Begründung des Bescheides, die auf den Verlust des inländischen Wohnsitzes des Klägers abstellt, entnehmen, dass die Kindergeldfestsetzung für alle Kinder aufgehoben und das entsprechende Kindergeld zurückgefordert werden sollte. Der Bescheid ist daher hinreichend bestimmt.
b) Der Bescheid vom 25.11.2008 ist dem Kläger auch wirksam bekanntgegeben worden. Die Voraussetzungen der öffentlichen Bekanntgabe nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AO i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 VwZG waren im vorliegenden Fall erfüllt. Nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AO darf ein Verwaltungsakt öffentlich bekanntgegeben werden, wenn dies durch eine Rechtsvorschrift zugelassen ist. Ab dem 01.02.2006 ergibt sich eine entsprechende Befugnis aus § 10 Abs. 1 Satz 1 VwZG.
Die formellen Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 VwZG wurden eingehalten. Die Bekanntmachung über die Möglichkeit, den Aufhebungsbescheid entgegenzunehmen, wurde in den Räumen der Familienkasse ausgehängt. Sie enthielt auch den erforderlichen Hinweis auf den drohenden Rechtsverlust.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Die Anschrift ist allerdings nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde sie nicht kennt. Vielmehr muss die Behörde vor der öffentlichen Zustellung gründliche und sachdienliche Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen (Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 10 VwZG Rn. 2). Die öffentliche Zustellung ist nur das „letzte Mittel” und wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar wäre (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361; BFH-Beschluss vom 09.08.2007 V B 149/06, BFH/NV 2007, 2310). Der Nachforschungspflicht genügt die Finanzbehörde i. d. R. durch Rückfrage beim Einwohnermeldeamt, der Polizei oder ggf. einem Bevollmächtigten (BFH-Urteile vom 15.01.1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81; vom 13.01.2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998).
Eine ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt reicht dann nicht aus, wenn die konkrete Sachverhaltsgestaltung es nahelegt, weitere Nachforschungen bei anderen Einrichtungen oder Personen vorzunehmen (BFH-Urteil vom 15.01.1991 VII R 86/89, a. a. O.; Pahlke in Pahlke/König, AO, § 122 Rn. 224). Andererseits ist bei der Bemessung der Anforderungen, die an den Umfang der Nachforschungsbemühungen zu stellen sind, auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang den Steuerpflichtigen eine Mitwirkungspflicht – hier zur Angabe seines Wohnsitzes – trifft. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Umfang der notwendigen Ermittlungen durch die Behörde und dem Verhalten des Empfängers, insbesondere wenn dieser Umzüge nicht mitteilt (Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 10 VwZG Rn. 2; offen gelassen im Urteil des BFH vom 06.06.2000 VII R 55/99, BStBl II 2000, 560). Nach § 68 Abs. 1 EStG sind Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung von Kindergeld erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen. Im Hinblick auf diese Mitteilungspflicht sind an die von der Familienkasse anzustellenden Nachforschungen keine überhöhten Anforderungen zu stellen.
Im vorliegenden Fall kannte die Familienkasse Y die Anschrift des Klägers in A-Stadt nicht. Die gebotene Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Z hat die Familienkasse eingeholt. Der Umstand, dass diese Auskunft weder die damalige Anschrift des Klägers in den USA noch seinen damaligen Zweitwohnsitz in A-Stadt umfasste, steht der Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung nicht entgegen. Die Auskunft der Stadtverwaltung Z ließ nicht erkennen, dass dort weitere Angaben vorlagen, sondern musste bei der Familienkasse den Eindruck erwecken, dass keine Anschrift angegeben worden war. Der Familienkasse waren die Anschrift in den USA und der Nebenwohnsitz daher trotz ihrer Anfrage beim Einwohnermeldeamt unbekannt. Der Umstand, dass von dritter Seite – nämlich dem Einwohnermeldeamt der Stadt Z – eine unvollständige Auskunft erteilt wurde, ist der Familienkasse nicht zuzurechnen. Darüber hinaus waren die im Jahr 1999 von der Ehefrau des Klägers gemachten Angaben zum Zeitpunkt der Auskunft seit mehreren Jahren nicht mehr aktuell. Selbst eine Nachfrage hätte daher nicht zu einer bestehenden Postanschrift geführt. Eine Weiterleitung des Briefes aus den Vereinigten Staaten nach gut sieben Jahren an die aktuelle Anschrift in A-Stadt liegt nach Überzeugung des Senats außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit.
Der einzige Umstand, der für die Familienkasse nach der Kindergeldakte auf A-Stadt als Wohnort hingedeutet hätte, war, dass die Familie beim Umzug nach Z in den 1990er Jahren um Zahlung des Kindergeldes auf das in A-Stadt unverändert fortbestehende Konto gebeten hatte. Es ist aber nicht anzunehmen, dass die Bank einer Behörde, die dabei war, dem Kunden einen finanziell belastenden Bescheid zuzustellen, Auskunft über dessen Anschrift erteilt hätte. Außerdem wäre es höchst spekulativ gewesen, nach mehreren Zwischenstationen in X und im Ausland allein wegen der Kontoverbindung auf eine Rückkehr in das Stadtgebiet A-Stadt zu schließen. Der Kläger hätte nach – der für die Familienkasse unbekannten – Rückkehr aus den USA überall im Bundesgebiet seinen Wohnsitz nehmen können.
Eine Verpflichtung zu Ermittlungen über das Finanzamt bestand ebenfalls nicht. Zwar wäre das Finanzamt nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zur Mitteilung der Anschrift befugt gewesen, da auch die Aufhebung der Festsetzung und die Rückforderung von Kindergeld eine Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) und damit ein Verwaltungsverfahren in Steuersachen gem. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO betreffen. Es war aber nicht erkennbar, dass der Kläger überhaupt im Inland steuerlich erfasst war; die Familienkasse musste vielmehr von einem Verbleib der Familie in den Vereinigten Staaten ausgehen. Es kann daher dahinstehen, ob eine entsprechende Anfrage unter den damaligen Umständen bei einem Finanzamt des Freistaates X zu einer zutreffenden Auskunft über einen in einem im Freistaat Bayern erfassten Steuerpflichtigen geführt hätte.
Auch Ermittlungen bei einem Arbeitgeber lagen im vorliegenden Fall nicht nahe. Derartige Ermittlungen sind nur bei Vorliegen entsprechender Hinweise notwendig (BFH-Beschluss vom 17.10.1985 IV B 67/85, BFH/NV 1986, 576). Die Familienkasse wusste nicht, dass sich der Kläger überhaupt im Inland aufhielt. Erst recht nicht war von der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses auszugehen. Ein konkreter Arbeitgeber ist in der Kindergeldakte nicht – auch nicht für die Zeit vor dem Aufenthalt in den USA in den Jahren 2000/2001 – enthalten. Nachforschungen nach einem Arbeitgeber, um dort die Anschrift des Klägers zu erfahren, waren daher nicht geboten.
Die bloße Länge des Rückforderungszeitraums stellt keinen Umstand dar, der weitere Nachforschungen geboten hätte. Selbstverständlich wird die Behörde in Fällen mit hohen Rückforderungsbeträgen den vorhandenen Hinweisen besonders gründlich nachgehen. Die Höhe des Rückforderungsbetrages ist jedoch kein Umstand, der Hinweis darauf gibt, wo weitere Nachforschungen vorgenommen werden könnten.
Es lagen daher keine erheblichen Umstände, die den Anstoß für weitere Nachforschungen hätten sein müssen, vor. Die Nachfrage beim Einwohnermeldeamt war daher ausreichend.
Außerdem müsste, selbst wenn das Wissen des Einwohnermeldeamtes der Stadt Z der Familienkasse zuzurechnen oder die Kontoverbindung als Anlass für Nachforschungen in A-Stadt anzusehen wären – was der Senat beides verneint –, ein infolgedessen evtl. anzunehmendes Unterlassen der Behörde mit einer eventuellen Pflichtverletzung des Bescheidempfängers abgewogen werden.
Im vorliegenden Fall wäre der Kläger gem. § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet gewesen, der Familienkasse die Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland und seine Rückkehr ins Inland mitzuteilen. Wäre der Kläger dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte ihm die Familienkasse den Bescheid problemlos zustellen können. Dem Kläger musste diese Verpflichtung nicht nur aufgrund des Merkblattes zum Kindergeld, das ihm ausgehändigt worden war, sondern sogar aufgrund eigener Erfahrung aufgrund der Einstellung der Kindergeldzahlung im Jahr 1996 bewusst sein. Schon damals hatten der Kläger und seine Familien ihren Wohnsitz für einige Zeit ins Ausland verlegt. Die Familienkasse hatte den Kläger nicht erreichen können und daraufhin die Kindergeldzahlung eingestellt. Der Kläger muss den Zusammenhang zwischen der Kindergeldberechtigung und dem Wohnsitz im Inland ebenso erkannt haben wie das Fehlen einer automatischen Mitteilung der Wohnsitzverlegung vom Einwohnermeldeamt an die Familienkasse. Dieses Wissen muss nur drei Jahre später beim erneuten Umzug in die Vereinigten Staaten von Amerika beim Kläger noch präsent gewesen sein. Es drängt sich durchaus der Verdacht auf, dass der Kläger bei der Wohnsitzverlegung Ende 1999 die Familienkasse bewusst über den Wegfall des inländischen Wohnsitzes im Unklaren gelassen hat, um sich den Vorteil der Kindergeldzahlung zu verschaffen. Selbst wenn der Kläger die Abmeldung während der Vorbereitung des Umzugs die Abmeldung bei der Familienkasse vergessen haben sollte, hätte er zumindest bei bzw. nach der Rückkehr im Laufe der folgenden sieben Jahre beim Blick auf seinen Kontoauszug feststellen müssen, dass er immer noch Kindergeld bezog. Da dem Kläger aufgrund der früheren Einstellung der Kindergeldzahlung bewusst sein musste, dass er erst wieder ab der Rückkehr kindergeldberechtigt war, musste sich ihm die Notwendigkeit, sich unverzüglich mit der Familienkasse in Verbindung zu setzen, aufdrängen. Das Schweigen des Klägers gegenüber der Familienkasse ist nur so zu erklären, dass er nicht das Risiko eingehen wollte, nach dem Umständen seiner Wohnsitznahme in A-Stadt gefragt zu werden, um den zwischenzeitlichen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika zu verheimlichen.
Selbst wenn die Familienkasse – entgegen der Auffassung des Senats – nicht allen Hinweisen nachgegangen wäre, würde die Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge dennoch zu dem Ergebnis führen, dass die öffentliche Zustellung gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZG wirksam war.
Die öffentliche Zustellung war daher ordnungsgemäß.
c) Die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO wurde versäumt.
Die Einspruchsfrist beträgt gem. § 355 Abs. 1 Satz 1 AO einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Im Fall der öffentlichen Zustellung gilt gem. § 10 Satz 6 VwZG das Dokument als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung zwei Wochen verstrichen sind. Die Bekanntmachung erfolgte am 15.12.2008. Der Bescheid gilt daher mit Ablauf des 29.12.2008 als zugegangen. Die Einspruchsfrist endete daher gem. § 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 29.01.2008. Der am 12.05.2009 eingegangene Einspruch vom 08.05.2009 war daher verspätet.
Die Übersendung des öffentlich bekannt gegebenen Bescheids am 06.05.2009 zur Kenntnisnahme (s.o. I.1.) hat nicht erneut eine Einspruchsfrist ausgelöst.
3. Dem Kläger war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO) und – außer bei höherer Gewalt – spätestens innerhalb eines Jahres nach Ende der versäumten Frist zu stellen (§ 110 Abs. 3 AO). Die Verhinderung bzw. Fristversäumung ist unverschuldet, wenn die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen des Falles zuzumutende Sorgfalt beachtet wurde (BFH-Urteil vom 04.03.1993 XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056; BFH II R 6/91, BFH/NV 1994, 440). Die Fristversäumnis darf weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht worden sein. Beurteilungsmaßstab ist der subjektive Verschuldensbegriff, der die individuellen Fähigkeiten des Beteiligten, insbesondere seine Vorbildung, Möglichkeiten und Erfahrungen und die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt (Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 AO Rn. 12; Pahlke in Pahlke/König, AO, § 110 Rn. 27). Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die nach den besonderen Umständen und den persönlichen Verhältnissen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wird. Bereits einfache Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung aus (BFH-Beschlüsse vom 07.10.2003 IX B 79/03, BFH/NV 2004, 11; vom 22.04.2002 IX B 181/01, BFH/NV 2004, 526).
Gemessen an diesem Maßstab traf den Kläger Verschulden, da er aufgrund des Merkblattes zum Kindergeld und seiner Erfahrungen mit den vergeblichen Zustellversuchen der Familienkasse bei seinem Auslandsaufenthalt Mitte der 90er Jahre wissen konnte und musste, dass er der Familienkasse seine Wohnsitzverlegung ins Ausland und die Rückkehr ins Inland hätte mitteilen müssen. Durch die unterbliebene Mitteilung der Anschrift bei Rückkehr aus dem Ausland befand sich die Familienkasse in Unkenntnis seiner Anschrift und griff zum Mittel der öffentlichen Zustellung, infolge derer der Kläger die Einspruchsfrist versäumte.
Das Verschulden des Klägers wird nicht durch ein Verschulden der Familienkasse oder gar der Stadtverwaltung Z aufgehoben. Eine Fristversäumung ist i. d. R. unverschuldet, wenn sie durch Verfahrensfehler der Finanzbehörde verursacht wurde (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.05.1991 2 BvR 215/90, NJW 1991, 2076). Dieser Rechtsgedanke hat beispielsweise in § 126 Abs. 3 und § 356 Abs. 1 FGO Ausdruck gefunden. Die Familienkasse hat jedoch ordnungsgemäß zugestellt.
Daher schließt bereits jedes mitursächliche Verschulden des Steuerpflichtigen – auch beim Hinzutreten von ihm nicht verschuldeter Umstände – die Wiedereinsetzung aus. Dies gilt nach der h. M. in der Literatur zwar nicht, wenn auch die Finanzbehörde ein Mitverschulden trifft (Tipke a. a. O., § 110 AO Rn. 19; Pahlke, a. a. O. § 110 Rn. 37). Nach Auffassung des BFH hebt jedoch nicht einmal ein Mitverschulden der handelnden Finanzbehörde das Verschulden des Steuerpflichtigen auf (BFH-Beschluss vom 29.05.2000 III B 11/00, BFH/NV 2001, 209), erst recht nicht das Verschulden anderer (Finanz) Behörden, die beispielsweise durch verzögerte Weiterleitung des Einspruchs zur Fristversäumung beigetragen haben (BFH-Urteil vom 19.12.2000 VII R 7/99, BStBl II 2001, 158). Die unvollständige Auskunft der Stadtverwaltung Z , die einem anderen Rechtsträger zuzurechnen ist, kann daher das Verschulden des Klägers nicht aufheben.
Eine neue Überprüfung in der Sache ist daher nicht möglich. Die Klage erweist sich bezüglich des Zeitraums als Januar 2000 – Oktober 2008 ohne erneute Sachprüfung als unbegründet.
II. Der Klageantrag, die Familienkasse zur Zahlung des Kindergeldes ab Januar 2009 zu verpflichten, ist unzulässig. Es fehlt an der nach § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Klagebefugnis. Nach § 40 Abs. 2 FGO ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die angefochtenen Verwaltungsakte entfalten Bindungswirkung lediglich bis zum Monat der Bekanntgabe, also bis November 2008. Für die Zeit ab Dezember 2009 ist bereits Kindergeld gewährt. Für die Zeit ab Januar 2009 fehlt es daher an der Klagebefugnis.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.