24.01.2012
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 23.02.2010 – 9 K 2126/07
- Die wirksame Beantragung einer schlichten Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 172 Abs. 1 AO setzt die Stellung eines bestimmten Antrages auf Änderung oder Aufhebung des zu ändernden/aufzuhebenden Steuerbescheides vor Ablauf der Klagefrist voraus. Es genügt nicht, den allgemein auf Änderung des Bescheides lautenden Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen zu konkretisieren und zu begründen.
- Der Steuerpflichtige muss einen fristgerechten Antrag auf schlichte Änderung inhaltlich zumindest insoweit konkretisieren, dass das Finanzamt erkennen kann, inwiefern er den Bescheid für fehlerhaft hält.
- Eine Erweiterung des Aufhebungs- oder Änderungsbegehrens nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ist – jedenfalls seinem betragsmäßigen Umfang nach – nicht mehr möglich.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von Änderungsbescheiden bzw. die Ablehnung von Änderungsanträgen zur Einkommensteuer 1985 und 1987 streitig.
Der Kläger lebte bis zur Trennung von seiner damaligen Ehefrau, Frau
E, im Jahre 1990 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Noch im Jahre 1990 verzog er nach G. Bei dem Kläger fand in der Zeit ab 1990 eine Steuerfahndungsprüfung statt, die auch die hier maßgebenden Veranlagungszeiträume 1985 und 1987 mit umfasste. Für 1985 wurde insbesondere eine verdeckte Gewinnausschüttung festgestellt. Zum Ergebnis der Prüfung und wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Berichts der Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt R vom 6.2.1992 verwiesen.
Der Beklagte erließ bereits während der laufenden Prüfung den Änderungsbescheid vom 15.2.1991 wegen Einkommensteuer 1985, gegen den der Kläger mit Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten vom 14.3.1991 Einspruch einlegte. Nach Abschluss der Prüfung wertete der Beklagte den Prüfungsbericht vom 6.2.1992 zeitnah aus und erließ am 13.5.1992 einen weiteren Änderungsbescheid hinsichtlich des Streitjahres 1985, mit dem er zugleich den bis dahin bestehenden Vorbehalt der Nachprüfung aufhob.
Für den Veranlagungszeitraum 1987 erging ebenfalls am 13.5.1992 ein Änderungsbescheid, mit dem die festgesetzte Einkommensteuer von …, DM auf …, DM erhöht wurde. Der dagegen eingelegte Einspruch ist am 17.5.1992 eingegangen.
Das aktuell für den Steuerfall des Klägers zuständige Finanzamt G stellte mit Schreiben vom 30.10.2003, gerichtet an den Beklagten, fest, dass in dem durch die Finanzkasse übernommenen Kontoauszug Aufzeichnungen über gewährte Aussetzungen der Vollziehung u.a. wegen Einkommensteuer 1985 bis 1988 vorhanden seien. Entsprechende Rechtsbehelfsvorgänge bzw. Verfügungen über gewährte Aussetzungen der Vollziehung seien jedoch nicht mit abgegeben. Ein am 13.5.2004 von dem Sachbearbeiter beim Finanzamt G gefertigter Vermerk hat folgenden Inhalt:
„Aus technischen Gründen ist nur eine Gesamtabgabe möglich. Bitte die Jahre ab 1996 (ESt) nicht übernehmen, die Kontoauszüge werden hier anschließend wieder aufgenommen.” Auf demselben Aktenblatt befindet sich unter dem Datum 15. Nov. 2004 der Vermerk in orangem Prüfstift: „o.K. – erl” und ein Namenszeichen. In einer Übernahmebestätigung der Finanzkasse des Beklagten wurden die Übernahmedaten am 25.11 2004 in das Speicherkonto eingestellt.
Nach Klärung von Zuständigkeitsfragen setzte der Beklagte die Bearbeitung der offenen Einsprüche im Juli 2005 fort. Im weiteren Verlauf des Verfahrens erging am 9.6.2006 ein weiterer Änderungsbescheid wegen Einkommensteuer 1985. Der Beklagte hielt an der Erfassung der von der Steuerfahndung angenommenen verdeckten Gewinnausschüttung nicht mehr fest, was zu einer Herabsetzung der Einkommensteuer 1985 führte.
Diese Änderung führte nicht zur vollständigen Erledigung des Einspruchsverfahrens, so dass der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 u.a. über die gegen die Einkommensteuerfestsetzungen für 1985 und 1987 gerichteten Einsprüche entschied. Er wies diese als unbegründet zurück. Die Entscheidung vom 9.2.2007 wurde dem damaligen Bevollmächtigten für den Kläger und der Frau E, dem Steuerberater M (nachfolgend M.), bekannt gegeben. Die Aufgabe dieser Entscheidung zur Post erfolgte ebenfalls am 9.2.2007.
Nachdem die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 ergangen war, entwickelte sich zwischen den Beteiligten ein reger Schriftverkehr. M. wandte sich mit Schreiben vom 1.3.2007 an den Beklagten, in dem sie zum Ausdruck brachte, im Auftrag von Frau E tätig zu werden. Diese habe noch einige Punkte berücksichtigt und geklärt haben wollen, ohne dazu den Klageweg zu beschreiten. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens vom 1.3.2007 wird Bezug genommen. Mit Schreiben ebenfalls vom 1.3.2007 stellte Frau E persönlich verschiedene Anträge beim Beklagten, u.a. die Aufteilung der rückständigen Steuern für 1985 bis 1988 und im Hinblick auf die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens vom 1.3.2007 wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 5.3.2007 an M. wies der Beklagte auf die Möglichkeit eines konkreten Änderungsantrages innerhalb der offenen Klagefrist hin. M. beantragte mit Schreiben vom 8.3.2007 im Auftrag seiner Mandanten die Überprüfung der Einspruchsentscheidung gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Dabei nahm M. Bezug auf das Schreiben der Frau E vom 1.3.2007 und die dort aufgeführten Punkte. Mit weiterem Schreiben vom 15.3.2007 konkretisierte M. seinen für Frau E gestellten Antrag und bat für den Kläger um einen Besprechungstermin, wobei er verschiedene Termine zwischen dem 11. und 18.4.2007 vorschlug. Auf den Inhalt dieses Schreibens wird Bezug genommen. Dazu nahm der Beklagte mit Schreiben vom 19.3.2007 Stellung und brachte seine ablehnende Haltung zum Ausdruck. Außerdem teilte die seinerzeit zuständige Sachgebietsleiterin mit, an den vorgeschlagenen Terminen für ein persönliches Gespräch an Amtsstelle zur Verfügung zu stehen.
Am 18.4. und am 14.5.2007 sprach der Kläger beim Beklagten persönlich vor, am 18.4.2007 in Begleitung von M. Er trug vor, den der X GmbH berechneten Betrag von …, DM, der 1984 versteuert worden sei, nie erhalten zu haben. Er habe die GmbH – Anteile verkauft und die Forderung (Zusatz: der …, DM) vom Käufer der Anteile niemals eingefordert. Dieser Verlust müsse in 1985 noch steuermindernd berücksichtigt werden. Im Jahre 1987 habe er seinem Arbeitgeber, der Firma S, ein Darlehen über …, DM gegeben. Dieses Geld habe er verloren. Wegen des Inhalts der Gespräche wird auf die Aktenvermerke vom 18.4. und 14.5.2007 Bezug genommen.
Der Beklagte lehnte diesen mündlichen Antrag auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für 1985 und 1987 mit Bescheid vom 4.6.2007 ab. Dagegen legte M. im Auftrag des Klägers Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, um seine Anträge zu den Einspruchsentscheidungen vorbringen zu können. Er, M., sei Ende Februar 2007 plötzlich ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er habe sich einer dringend erforderlichen …operation unterziehen müssen. Nach dem Krankenhausaufenthalt habe er ab dem 1.3.2007 noch eine zweiwöchige Reha-Maßnahme absolvieren müssen. Bei Telefonaten im Vorfeld vor und innerhalb der Frist habe der Beklagte den Eindruck erweckt, dass es einer förmlichen Erwiderung vor dem Besprechungstermin nicht bedürfe. Deshalb sei keine Klage erhoben worden. Die Berufung auf die Verfristung sei deshalb treuwidrig. Da sich der Kläger innerhalb der Antragsfrist gemeldet und um einen Besprechungstermin gebeten habe, gelte die Antragsfrist als eingehalten.
Den Einspruch wies der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 26. bzw. 28.6.2007 als unbegründet zurück. Auf den Inhalt dieser Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.
Mit der sodann erhobenen Klage erstrebt der Kläger weiterhin die Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für 1985 und 1987 zu seinen Gunsten. Zur Begründung der Klage trägt er im Wesentlichen folgendes vor:
Im Jahre 1984 sei ihm ein Verlust in Höhe von …, DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit entstanden. Dem habe der Verlust einer Honorarforderung aus einem Beratervertrag zugrunde gelegen. Über den Verlust habe nach damals geltender Rechtslage erst im Abzugsjahr 1985 entschieden werden müssen. Außerdem sei der Verlust eines seinem früheren Arbeitgeber zur Sicherung seines Arbeitsplatzes gewährten Darlehens in Höhe von …, DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. In dem Betriebsprüfungsbericht sei dies ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden.
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide seien nicht rechtskräftig. Die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 sei angefochten worden. Denn mit Schreiben vom 8.3.2007 habe M., der kurz nach Zustellung der Einspruchsentscheidung völlig überraschend ins Krankenhaus eingeliefert worden sei und sich zum Ende der Klagefrist in einem Rehabilitationsaufenthalt befunden habe, um Überprüfung der Einspruchsentscheidung gebeten. Bereits mit Schreiben vom 1.3.2007 habe sich seine damalige Ehefrau gegen die Einspruchsentscheidung gewandt.
Mit seinem Vortrag, Umfang und Hintergrund der mit den Schreiben vom 1. und 8.3.2007 gestellten Anträge seien nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar und stehe einem zulässigen Antrag auf schlichte Änderung entgegen, könne der Beklagte nicht gehört werden. Bei dieser Auffassung hätte der Beklagte die Schreiben vom 1. und 8.3.2007 zwingend als Klage auslegen und den Streitfall nebst Akten dem Gericht vorlegen müssen. Im Wege der Auslegung sei davon auszugehen, dass jeweils das am weitesten reichende Rechtsmittel – im vorliegenden Fall also eine Klage – habe eingereicht werden sollen. Bei Ablehnung seines Antrags auf Feststellung der Unwirksamkeit der Einkommensteuerfestsetzungen für 1985 und 1987 müsse das Finanzgericht die Schreiben vom 1. und 8.3.2007 als fristgerecht erhobene Klage werten und die Klage als Anfechtungsklage fortsetzen.
Im Zweifelsfalle sei auch der Antrag auf schlichte Änderung mit dem Schreiben vom 8.3.2007 form- und fristgerecht eingebracht worden. Das Schreiben sei 4 Tage vor Ablauf der Klagefrist beim Beklagten eingegangen. Es habe genügend Zeit bestanden, Zweifel über die Auslegung des Schriftstückes durch Nachfragen zu beseitigen, was zwingend hätte erfolgen müssen. Warum diese Klärung unterblieben sei, ergebe sich nicht aus der Einspruchsentscheidung.
Dem Beklagten sei aus telefonischen Erläuterungen der Krankenhausaufenthalt und die Rehabilitation des M. fast während der gesamten Klagefrist bekannt gewesen. Gleichwohl sei mit ihm am 15.3.2007 ein Termin zur Erläuterung von Einwendungen gegen die Einspruchsentscheidung vereinbart worden. Aus diesem Verhalten habe M. stillschweigend schließen können, ihm werde zur Konkretisierung des Antrags auf schlichte Änderung Wiedereinsetzung und Fristverlängerung bis zu dem am 18.4.2007 vereinbarten Termin gewährt. Es verstoße jedenfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn der Beklagte mit M. innerhalb der offenen Wiedereinsetzungsfrist telefoniere und eine Terminsvereinbarung für die Zeit danach treffe und sich dann auf Fristablauf berufe. Im Übrigen rechtfertige der Fall einer unvorhersehbaren Krankheit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dies gelte auch bei Angehörigen der steuer- und rechtsberatenden Berufe.
Schließlich bleibe offen, warum der Beklagte erst in seinem mündlichen Vorbringen vom 18.4.2007 einen Änderungsantrag gesehen habe und nicht bereits in den Schreiben der M. vom 8. und 15.3.2007.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Juni 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Juni 2007 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1985 vom 9. Juni 2006 zu ändern und einen Verlust in Höhe von …, DM bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen sowie den Einkommensteuerbescheid 1987 vom 13. Mai 1992 zu ändern und weitere Werbungskosten in Höhe von …, DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, ein Antrag auf schlichte Änderung sei innerhalb der Klagefrist nicht gestellt worden. Der M. habe sich erstmals am 15.3.2007, also nach Ablauf der Klagefrist, in der Sache des Klägers an ihn, den Beklagten, gewandt. Dabei sei es nicht um den Verlustvortrag nach 1985 und um den Werbungskostenabzug 1987 gegangen, sondern um die Höhe von Zinsen und die Korrektur von Kinder- und Ausbildungsfreibeträgen. Der geschilderte Verlauf zeige, dass eine Klage nicht gewollt gewesen sei.
Hinsichtlich der nun begehrten steuerlichen Abzüge würden jegliche Nachweise fehlen. Auch in dem Steuerfahndungsbericht vom 6.2.1992 fänden sich keine Hinweise darauf.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze vom 30.7., vom 16.10. 2007, vom 21.1.2009 und vom 18.2.2010 (Klägerseite) sowie vom 15.11.2007 (Beklagter) Bezug genommen.
Dem Gericht lagen 2 Einkommensteuerakten, ein Sonderband Rechtsbehelfsverfahren, ein Band Vollstreckungsakten, 3 Hefter Grundbuchunterlagen und die Gerichtsakten zu den Verfahren …, …, … und … sowie … und … vor.
Gründe
A. Gegenstand der Klage ist die Ablehnung des Antrages auf schlichte Änderung vom 18.4.2007 mit Bescheid vom 4.6.2007 und die diese Ablehnung bestätigende Einspruchsentscheidung vom 28.6.2007. Dies ergibt sich sowohl aus der Klageschrift vom 30.7.2007 als auch aus dem Inhalt der Klagebegründung vom 16.10.2007. Diese Klage ist zulässig, aber unbegründet (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 27.10.1993 – XI R 17/93, Bundessteuerblatt –BStBl– II 1994, 439).
I. Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a der Abgabenordnung (AO) in der hier maßgebenden Fassung darf ein endgültiger Steuerbescheid nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Nach § 172 Abs. 1 Satz 3 AO gilt dies auch dann, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.
1. Die wirksame Beantragung einer schlichten Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 172 Abs. 1 AO setzt die Stellung eines bestimmten Antrages auf Änderung oder Aufhebung des zu ändernden/aufzuhebenden Steuerbescheides vor Ablauf der Klagefrist voraus. Es genügt nicht, den allgemein auf Änderung des Bescheides lautenden Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen zu konkretisieren und zu begründen.
Das Erfordernis, bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist einen bestimmten Antrag stellen zu müssen, folgt bereits aus dem Wortlaut des 2. Halbsatzes in § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO. Wenn die Änderung danach nur zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige den Antrag vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellt hat, so schließt dies ein, dass sich der Aufhebungs- oder Änderungsrahmen aus dem Antrag ergibt. Der Steuerpflichtige muss seinen fristgerechten Antrag inhaltlich zumindest insoweit konkretisieren, dass das Finanzamt erkennen kann, inwiefern er den Bescheid für fehlerhaft hält. Andernfalls ist der Antrag unwirksam. Eine Erweiterung des Aufhebungs- oder Änderungsbegehrens nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ist – jedenfalls seinem betragsmäßigen Umfang nach – nicht mehr möglich. Allein dies entspricht auch dem Gesetzeszweck. Zwar war mit der Neufassung des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO durch Artikel 1 Nr. 27 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.1985 (BGBl I S. 2436 – StBereinG 1986) beabsichtigt, die Durchführung eines förmlichen Rechtsbehelfsverfahrens in vielen Fällen zu erübrigen (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO i.d.F. des StBereinG 1986, BTDrucks 10/4513, S. 16). Anders als der Einspruch (vgl. § 367 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO) soll der Antrag auf schlichte Änderung eines Steuerbescheides die Finanzbehörde aber nicht berechtigen, den gesamten Fall wiederaufzurollen. Der Behörde soll lediglich ermöglicht werden, eine punktuelle Überprüfung des Bescheides vorzunehmen. Darum muß sie wissen, wie weit der Antrag geht (vgl. dazu insgesamt BFH-Urteil vom 27.10.1993 – XI R 17/93, a.a.O. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). An dieser Auffassung hat der BFH in seinem Urteil vom 20.12.2006 – X R 30/05, BStBl II 2007, 503, festgehalten.
2. Im Streitfall liegt ein fristgerecht und wirksam gestellter Antrag auf schlichte Änderung der Einkommensteuerbescheide für die beiden Streitjahre zugunsten des Klägers nicht vor.
a. Das Schreiben des M. vom 1.3.2007 an den Beklagten (Blatt 164 des Sonderbandes Rb-Verfahren) stellt keinen Antrag auf schlichte Änderung der Einkommensteuerbescheide 1985 und 1987 zugunsten des Klägers dar. Einerseits legt M. in diesem Schreiben ausdrücklich dar, sich im Auftrage von Frau E an den Beklagten zu wenden. Frau E wolle noch „einige Punkte” geklärt haben, „was aber nicht auf dem Klageweg sein solle”. Welche Punkte danach noch als klärungsbedürftig angesehen werden sollten, kommt in dem Schreiben vom 1.3.2007 nicht zum Ausdruck. Ein konkreter Änderungsrahmen, wie ihn die Rechtsprechung hier voraussetzt, ergibt sich aus dem Inhalt des Schreibens vom 1.3.2007 nicht. Als Antrag auf schlichte Änderung zugunsten des Klägers ist dieser danach unwirksam und zwar unabhängig davon, dass dieser Antrag nicht im Auftrage des Klägers gestellt worden ist.
b. Auch das Schreiben des M. vom 8.3.2007 (Blatt 173 des Sonderbandes Rb-Verfahren) führt die hier erforderliche Konkretisierung des Antrags nicht herbei. Mit diesem Schreiben beantragt der M. im Auftrag seiner Mandanten, also auch für den Kläger, die Überprüfung der Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO. Auch damit wird kein konkreter Lebenssachverhalt im Sinne eines konkreten Änderungsrahmens, wie ihn die vorstehend dargestellten Rechtsprechung fordert, geschildert. Gerade die Zitierung der Vorschrift des § 367 Abs. 2 Satz 1 AO weist in die entgegengesetzte Richtung, nämlich auf die Überprüfung der Sache in vollem Umfang. Der in dem Schreiben vom 8.3.2007 enthaltene Verweis auf das von Frau E persönlich verfasste Schreiben vom 1.3.2007 (Blatt 165 f des Sonderbandes Rb-Verfahren) bleibt ebenfalls ohne Einfluss auf das dargestellte Ergebnis. Denn dieser Verweis schränkt den zuvor gestellten Antrag auf Überprüfung nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO nicht ein.
Hinzu kommt, dass das Schreiben des M. vom 8.3.2007 ergangen ist, nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 5.3.2007 auf die Möglichkeit der Beantragung der punktuellen Änderung eines Einkommensteuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen innerhalb der noch offenen Klagefrist hingewiesen und anheimgestellt hat, einen entsprechenden Antrag konkret zu stellen. Gleichwohl wurden von dem M. als Steuerberater keine Merkmale zur Konkretisierung seines Antrages vorgebracht. Aus diesen Gründen ist auch das Schreiben vom 8.3.2007 als Antrag auf schlichte Änderung zugunsten des Klägers unwirksam.
c. Zu Recht hat der Beklagte in dem in der Besprechung vom 18.4.2007 Vorgetragenen einen Antrag auf schlichte Änderung des Klägers im Sinne der dargestellten Rechtsprechung gesehen. Denn dem Inhalt des Gesprächsvermerks vom 18.4.2007 (Blatt 190 des Sonderbandes Rb-Verfahren) lassen sich erstmals zwei konkrete Sachverhalte im Sinne einer Punktänderung entnehmen. Dieser Antrag ist jedoch erst nach Ablauf der Klagefrist und damit verspätet beim Beklagten angebracht worden.
Die Klagefrist wurde mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 in Lauf gesetzt. Die Aufgabe dieser Einspruchsentscheidung zur Post ist am 9.2.2007, einem Freitag, erfolgt, so dass sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tage danach, dem Montag, dem 12.2.2007, als bekannt gegeben gilt. Die Klagefrist beträgt gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Monat. Die Klagefrist endete gemäß § 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 12.3.2007, ebenfalls einem Montag. Der Antrag auf schlichte Änderung zugunsten des Klägers ist jedoch erst am 18.4.2007 beim Beklagten angebracht worden, mithin nach Ablauf der Klagefrist.
Zu Recht hat der Beklagte auch die mit Schreiben vom 5.6.2007 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Stellung des Antrages auf schlichte Änderung abgelehnt.
Maßgebend ist hier die im § 172 Abs. 1 Satz 3 AO festgelegte Antragsfrist, mithin eine im Steuerverfahrensrecht wurzelnde Frist. Danach bestimmt sich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 110 Abs. 1 AO dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gemäß § 110 Abs. 2 AO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Auch diese Antragfrist wurde im Streitfall versäumt.
Zur Entschuldigung des Versäumnisses der Antragsfrist beruft sich der Kläger auf den Krankenhaus- und auswärtigen Rehabilitationsaufenthalt seines Bevollmächtigten, Herrn M. Nach dessen Darstellung in dem Schriftsatz vom 5.6.2007 hat der Krankenhausaufenthalt bis zum 1.3.2007 gedauert. Unter Einbeziehung der anschließenden Rehabilitation von 2 Wochen war das Hindernis der krankheitsbedingten Abwesenheit des M. von seiner Steuerberaterkanzlei am 15.3.2007, einem Donnerstag, beendet. Für die Rückkehr des M. in seine Kanzlei am 15.3.2007 spricht auch sein Schreiben vom selben Tag an den Beklagten (Blatt 174 des Sonderbandes Rb-Verfahren), das dort per Fax ebenfalls am 15.3.2007 eingegangen ist. Die im § 110 Abs. 2 Satz 1 AO bestimmte Monatsfrist begann gemäß § 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 16.3.2007 und endete mit Ablauf des 15.4.2007, einem Sonntag. Gemäß § 108 Abs. 3 AO endete die Frist mit Ablauf des nachfolgenden Montags, des 16.4.2007. Der mit Schreiben des M. vom 5.6.2007 gestellte
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist per Telefax erst am 6.6.2007, mithin verspätet, beim Beklagten eingegangen. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO wurde ausweislich der vorliegenden Akten nicht gestellt.
Dabei geht das Gericht der Frage, ob es dem M. vor Antritt des Krankenhausaufenthaltes zuzumuten war, Vorsorge für seine Vertretung während seiner Abwesenheit von der Kanzlei zu treffen, nicht weiter nach. Vielmehr geht der Senat auf Grund verschiedener Anhaltspunkte davon aus, dass M. dem Beklagten seinen Krankenhausaufenthalt mitgeteilt hatte (vgl. dazu insbesondere den Inhalt des Schreibens des Beklagten vom 5.3.2007 – Blatt 171 des Sonderbandes Rb-Verfahren). Außer Acht lässt der Senat dabei auch, dass M. bereits am 1.3.2007 und erneut am 8.3.2007 in der Lage war, sich schriftlich an den Beklagten zu wenden.
Soweit der Kläger sich auf die Vereinbarung des Besprechungstermins zum 18.4.2007 beruft, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn zu dem Zeitpunkt, zu dem M. mit Schreiben vom 15.3.2007 um einen Besprechungstermin unter Angabe von Terminsvorschlägen gebeten hat, war die Antragsfrist – wie oben ausgeführt – bereits abgelaufen. Schon zu diesem Zeitpunkt konnte der Antrag auf schlichte Änderung nicht mehr fristgerecht gestellt werden. Als Steuerberater musste dem M. als Empfänger der Einspruchsentscheidung mit Rechtsbehelfsbelehrung der Fristablauf ebenso klar sein wie der Umstand, dass der Vereinbarung eines Besprechungstermins kein fristwahrender Charakter zukommt. Jedenfalls kann in dem Eingehen des Beklagten auf den Wunsch des Klägers nach einem Besprechungstermin nicht die Gewährung von Wiedereinsetzung gesehen werden. Auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ergibt sich insoweit für den Streitfall nichts anderes. Insbesondere hat der Kläger offen gelassen, durch welches konkrete Verhalten der Beklagte bei dem M. den Eindruck erweckt haben könnte, eine förmliche Erwiderung vor dem Besprechungstermin bedürfe es nicht.
Der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 18.2.2010, wonach Frau … im Schreiben vom 19.3.2007 mitgeteilt habe, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht erforderlich, trifft nicht zu. Vielmehr hat der Beklagte dort seine Auffassung dargelegt, es sei „keine Frist versäumt worden, für die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte”.
Schließlich bleibt ohne Auswirkung auf das Verfahrensergebnis, dass sich die beim Beklagten für den Streitfall zuständige Sachgebietsleiterin möglicherweise zeitweilig in einem Irrtum über Voraussetzungen des Antrags auf schlichte Änderung befunden haben mag. Denn als Angehöriger der steuerberatenden Berufe, der einen Antrag auf schlichte Änderung zugunsten seines Mandanten zu stellen beabsichtigte, hätte sich der M. über die dafür maßgebenden Voraussetzungen selbst kundig machen müssen, zumal das Urteil des BFH vom 27.10.1993 – XI R 17/93 seit langem bekannt war.
II. Soweit der Kläger sich im Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18.2.2010 auf eine schriftliche Zusage einer schlichten Änderung nach § 172 AO beruft, ist sein Vortrag ohne Grundlage. Die vorliegenden Akten weisen keine derartige Zusage auf. Offen lässt der Kläger insoweit bereits, in welchem Schreiben des Beklagten er eine derartige Zusage erblickt. Im Schreiben des Beklagten vom 5.3.2007 wird – als Antwort auf das Schreiben des M. vom 1.3.2007, mit dem diese die Absicht der Klärung „einiger Punkte” für Frau E außerhalb des Klagewegs ankündigt – nur auf die Möglichkeit eines Antrags auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 2 AO hingewiesen. Die Zusage einer bestimmten Änderung der Einkommensteuerbescheide enthält dieses Schreiben nicht.
Das gilt auch hinsichtlich des Schreibens des Beklagten vom 19.3.2007. Dort wird zwar auf Seite 3 davon ausgegangen, dass eine Möglichkeit der Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 2 AO seinerzeit noch bestanden habe. Damit hat der Beklagte eine Rechtsmeinung geäußert, aber keine ihn bindende Zusage auf Änderung der streitigen Steuerbescheide erteilt. Eine derartige Zusage war dem Beklagten im März 2007 auch noch gar nicht möglich, weil der Kläger sein Änderungsbegehren seinerzeit weder zahlenmäßig noch unter Angabe eines bestimmten Lebenssachverhalts näher dargelegt hat.
Dass der Beklagte im weiteren Verlauf des Verfahrens von einer schlichten Änderung zugunsten des Klägers abgerückt ist, ergibt sich klar aus dem Gang des Verfahrens und dem Inhalt der vorliegenden Akten. Ein erst durch Beweisaufnahme zu klärender Sachverhalt existiert damit nicht. Dem Antrag des Klägers auf Vernehmung des M. und der seinerzeit beim Beklagten für den Streitfall zuständigen Sachgebietsleiterin, Frau …, als Zeuginnen war deshalb nicht zu folgen. Im Übrigen hat der Kläger trotz des Verlaufs der mündlichen Verhandlung nicht auf dem Beweisantrag bestanden (vgl. § 155 FGO in Verbindung mit § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung).
B. Soweit der Kläger die Schreiben vom 1. und 8.3.2007 als (Anfechtungs-) Klage, gerichtet gegen die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007, auslegt, kann auch dem nicht gefolgt werden. Dagegen spricht schon der Wortlaut des Schreibens des M. vom 1.3.2007. Danach sollten noch einige Punkte geklärt werden, „was aber nicht auf dem Klageweg sein sollte”. Im weiteren Text wird beantragt, „die Klärung dieser Punkte noch zuzulassen, bevor der Gang zum FG erforderlich wird ….”. Diese beiden Textpassagen verdeutlichen, dass eine Klage gerade nicht gewollt war und stehen einer Auslegung als Klage schon dem Wortlaut nach entgegen.
Auch aus dem Wortlaut des Schreibens des M. vom 8.3.2007 ergibt sich nichts, was auf den Willen des Klägers hindeuten könnte, eine Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 9.2.2007 erheben zu wollen. Zwar kommt das Begehren auf umfängliche Überprüfung der Einspruchsentscheidung in diesem Schreiben zum Ausdruck. Von einem Steuerberater, der eine Einspruchsentscheidung mit entsprechender Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegeben worden ist, ist aber zu erwarten, dass er klar und deutlich zum Ausdruck bringt, wenn er eine Klage erheben will. Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem in einem erst eine Woche zurückliegenden Schreiben der gegenteilige Wille klar zum Ausdruck gebracht worden ist.
C. Schließlich führt die Berufung des Klägers auf den Grundsatz von Treu und Glauben im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Zwar mag das Verhalten des Beklagten, die Einspruchsentscheidung bereits im Februar 2007 zu erlassen, als nicht absprachegemäß erscheinen. Eine nach Treu und Glauben geschützte Rechtsposition des Klägers auf Nichterlass der Einspruchsentscheidung vermag das Gericht jedoch nicht zu erkennen. Als Steuerberater musste der damalige Bevollmächtigte auch nach Ergehen der aus seiner Sicht verfrühten Einspruchsentscheidung erkennen, welche Maßnahmen zur Wahrung der Rechte des Klägers erforderlich waren.
D. Da eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre bereits verfahrensrechtlich ausscheidet, war auf die materielle Rechtslage nicht weiter einzugehen.
E. Die Kosten des Verfahrens waren dem Kläger aufzuerlegen, weil seine Klage ohne Erfolg geblieben ist (§ 135 Abs. 1 FGO).