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  • 15.11.2011

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 01.08.2011 – 3 K 2003/2009

    Ausgeschlossen ist die Zahlung von Kindergeld nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, wenn im Ausland entsprechende Leistungen gezahlt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu leisten wären. Allerdings entfaltet die Entscheidung einer ausländischen Behörde über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht für deutsche Behörden und Gerichte keine Tatbestandswirkung; eine Bindung an die Entscheidung besteht nicht.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Familienkasse verpflichtet ist, dem Kläger Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe für seinen Sohn und seine Tochter im Zeitraum Januar 2005 bis September 2009 zu bewilligen.

    Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und hat seit 16.11.2004 einen Gewerbebetrieb (Transporte, gärtnerische Dienstleistungen, Winterdienst, Maschinenwartung) angemeldet. Laut Mietvertrag vom 01.01.2005 bewohnt er seit diesem Datum eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Toilette (ca. 35m2 ) in A . Mit seiner in Polen lebenden und dort nicht berufstätigen Ehefrau hat er zwei Kinder, den am 23.09.1997 geborenen Sohn C und die am 31.07.2002 geborene Tochter B . Beide Kinder leben in Polen.

    Mit Antrag vom 11.02.2007 (Eingang am 06.06.2007 bei der Familienkasse) beantragte der Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder.

    Im Laufe des Verwaltungsverfahrens reichte der Kläger unter anderem eine Bescheinigung der polnischen Sozialversicherungsanstalt ZUS vor, aus der hervorging, dass er dort nicht versichert sei. Er wies weiter darauf hin, dass seine Ehefrau in Polen zwar Leistungen bezogen habe, aber wegen Überschreitens der Einkunftsgrenze durch seine gewerblichen Einkünfte in Deutschland mit einer Rückforderung zu rechnen sei. Aus diesem Grund beziehe seine Frau keine Leistungen mehr, um einer Rückzahlung mit Strafzinsen vorzubeugen.

    Nach den vom Kläger ebenfalls eingereichten Unterlagen hat der Kläger eine private Krankenversicherung und eine private fondsgebundene Rentenversicherung in Deutschland abgeschlossen.

    Nach Eingang der von den polnischen Behörden ausgefüllten Vordrucke E 401 und E 411 gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 27.11. 2008 vorläufig Kindergeld für die Kinder des Klägers in hälftiger Höhe des gesetzlichen Anspruchs ab Januar 2005.

    Nachdem aus dem teilweise übersetzten Vordruck E 411 vom 08.09.2008 zur Ziffer 6 nur hervorging, dass die Ehefrau des Klägers ab dem 16.11.2004 keinen Anspruch auf Familienleistungen habe, da sie in Polen nicht berufstätig gewesen sei, setzte die beklagte Familienkasse mit Bescheid vom 11.02.2009 für die Kinder des Klägers mit jeweils 77 € für den Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2008 und ab Januar 2009 mit jeweils 82 € fest.

    Die Familienkasse ging bei ihrer Entscheidung davon aus, dass der Kläger nicht unter den Art. 2 der (EWG) VO Nr. 1408/71 falle und damit wegen des Kindergeldanspruchs in Polen ein Anspruch in Deutschland nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG eigentlich ausgeschlossen sei. Unter Rückgriff auf die allgemeine Konkurrenzvorschrift des Art. 12 Abs. 2 der VO Nr. 1408/ i.V.m. Art. 7 Abs.21 der DVO Nr. 574/72 sei in solchen Fällen deutsches Kindergeld in hälftiger Höhe auszuzahlen.

    Nachfolgend reichte der Kläger den Bescheid des Gemeindesozialamts X vom 08.08.2008 mit Übersetzung ein, aus dem hervorgeht, dass der Bescheid vom 16.11.2004, mit dem der Ehefrau des Klägers polnische Familienleistungen für die zwei Kinder bewilligt wurden, aufgrund der Geltung von gesetzlichen Bestimmungen über die Koordinierung der Sozialleistungssysteme und der beruflichen Tätigkeit des Klägers seit 2004 in Deutschland aufgehoben wurde.

    Unter Hinweis auf die bereits eingereichten Unterlagen legte der Kläger am 07.03.2009 gegen den Bescheid vom 11.02.2009 der Familienkasse Einspruch ein und teilte noch mit, dass seine Ehefrau die empfangenen Familienleistungen zurückzahlen müsste.

    Mit Schreiben vom 13.05.2005 wies die Familienkasse die zuständige Behörde in Polen darauf hin, dass nach Auffassung der Familienkasse der Kläger nicht im Sinne des Anhangs 1 l Buchstabe D EG-VO 1408/71 in Deutschland selbständig beschäftigt sei, mit der Folge, dass volles deutsches Kindergeld in diesem Fall nur gewährt werden könne, wenn der polnische Anspruch nach nationalen Vorschriften ausgeschlossen sei. Die Familienkasse bat weiter darum, mitzuteilen, ob die Ehefrau des Klägers bei Antragstellung einen Anspruch auf polnische Familienleistungen gehabt hätte.

    Aus der am 25.09.2009 bei der Familienkasse eingegangenen Antwort (Vordruck E 001 Ziff. 9., 10.) geht hervor, dass nach Auffassung der polnischen Behörde, Deutschland verpflichtet ist, Familienleistungen zu zahlen, weil die Ehefrau des Klägers in Polen nicht erwerbstätig ist.

    Im weiteren Verfahren machte der Kläger noch deutlich, dass seiner Auffassung nach der polnische Kindergeldanspruch für den Streitzeitraum auch aufgrund Einkommensüberschreitung – wie aus den eingereichten Einkommensteuerbescheiden ersichtlich - ausgeschlossen sei.

    Mit Entscheidung vom 20.11.2009 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie hielt an ihrer Rechtsauffassung fest und begründete dies unter anderem damit, dass die zuständige polnische Behörde keine sachdienliche Aussage dazu getroffen habe, ob der Ehefrau des Klägers bei Antragstellung ein Anspruch auf polnische Familienleistungen zugestanden hätte. Der Entwurf der Einspruchsentscheidung trägt den Vermerk: „abgesandt am” und das handschriftliche zugefügte Datum „20.11.09”.

    Hiergegen richtet sich die am 24.12.2009 erhobene Klage mit der der Kläger beantragt, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 11.02.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2009 zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Kinder C und B für den Zeitraum von Januar 2005 bis September 2009 in voller gesetzlicher Höhe zu gewähren.

    Zur Zulässigkeit der Klage ist zunächst ausgeführt, dass die Einspruchsentscheidung der Familienkasse dem Kläger erst am 25.11.2009 zugegangen sei und legt dazu die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 04.06.2011 vor. Der Kläger habe am gleichen Tag den Mitarbeiter der Kanzlei, Herrn M , kontaktiert und sich mit diesem getroffen, damit ihm dieser das Schreiben übersetze. Der Mitarbeiter, der auch Übersetzer für die polnische Sprache sei und bereits in einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen für den Kläger entsprechend tätig gewesen sei, könne sich ebenfalls an den Vorgang erinnern, da er sich die Entgegennahme im Kalender notiert habe. Die Klägervertreterin weist darauf hin, dass ihr aus der anwaltlichen Praxis Fälle bekannt seien, in denen die Familienkasse zwar Bescheide erlassen habe, diese aber nicht zugegangen seien; im Übrigen habe die Post am Samstag nur eingeschränkten Betrieb und trage am Sonntag überhaupt nicht aus. Da im Streitfall erhebliche Zweifel am gesetzlich vermuteten Zugang bestünden – auch die Aufgabe zur Post am 20.11.2009 werde bezweifelt –, trage die Familienkasse insoweit die Feststellungslast.

    Die Klage sei auch begründet, denn der Kläger habe Anspruch auf Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe für seine minderjährigen Kinder. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt. Weder dem Kläger noch seiner Ehefrau hätten in Polen Familienleistungen zugestanden. Zunächst bewilligte und ausgezahlte Leistungen seien mit polnischem Verwaltungsakt aufgehoben und von der Ehefrau des Klägers zurückbezahlt worden. Des Weiteren sei die nach polnischem Recht zu beachtende Einkunftsgrenze in den Streitjahren überschritten worden, so dass auch aus diesem Grund in Polen kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestanden habe. In den Jahren 2003 und 2004 habe das Einkommen jeweils 0,00 PLN betragen.

    Abgesehen davon, dass der Kläger nicht dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/71 unterfalle, scheide eine Kürzung des Kindergeldes aufgrund EU- Vorschriften schon deshalb aus, weil ein Anspruch nur und ausschließlich nach deutschem Recht bestehe.

    Die zuständige polnische Behörde habe trotz aller Bemühungen keine Bescheinigung erteilt, dass wegen Überschreitens der Einkommensgrenze für den streitigen Zeitraum in Polen kein Anspruch auf Familienleistungen bestanden habe.

    In Beantwortung des Schreibens des Gerichts vom 11.01.2011 hat der Kläger mitgeteilt, dass sich die Überschreitung der Einkommensgrenze in Polen mit hinreichender Sicherheit aus den vorgelegten deutschen Einkommensteuerbescheiden ergebe. Sämtliche Unterhaltszahlungen, Werbungskosten oder weitere Ausgaben seien in den Bescheiden nach geltendem Recht berücksichtigt worden.

    Die beklagte Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.

    Weder der Kläger noch seine Ehefrau würden in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/71 fallen. Die Entscheidung der polnischen Behörde, die davon ausgehe, dass Deutschland aufgrund der hier ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Klägers für die Gewährung der Familienleistungen zuständig sei, sei daher unzutreffend; eine Bindung der Familienkasse bestehe insoweit nicht. Um einen völligen Leistungsausschluss zu verhindern, werde zugunsten des Klägers die Auffangregelung des Art. 12 VO (EWG) 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) 574/72 angewandt und die Hälfte der in Deutschland vorgesehenen Leistungen gewährt. Es sei nicht Aufgabe der beklagten Familienkasse, zu prüfen und zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den Bezug polnischer Familienleistungen gegeben seien.

    Mit Schreiben des Gerichts vom 11.01.2011 wurde dem Kläger unter Hinweis auf die möglicherweise zu prüfenden polnischen Rechtsvorschriften aufgefordert, Angaben zum Familieneinkommen für den Zeitraum 2003 bis 2008 zu machen. Danach sollten alle Einnahmen sowie die abzusetzenden Beträge für Unterhaltszahlungen an Dritte, Werbungskosten, geschuldete Einkommensteuer sowie Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeträge angegeben und geeignete Nachweise vorgelegt werden.

    Auf Aufforderung des Gerichts hat der Kläger seine neue ladungsfähige Anschrift in der s - Straße in A mitgeteilt.

    Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO) und sich ebenfalls mit einer Entscheidung durch den zum Berichterstatter bestellten Richters anstelle des Senats einverstanden erklärt (§ 79a Abs. 3 FGO).

    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die Einkommensteuerakte des Finanzamts A und die dem Gericht vorliegende Kindergeldakte Az.: zzz Bezug genommen.

    Gründe

    Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

    1. Die Klage wurde fristgerecht beim Finanzgericht erhoben. Nach § 47 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung – AO – mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Den Zugang der Einspruchsentscheidung hat im Zweifel die Behörde nachzuweisen. Bestreitet der Betroffene nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern lediglich den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraumes des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass eine anderer Geschehensablauf als der typische – Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post – ernstlich in Betracht zu ziehen ist. An diese Substantiierung sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Behörde trifft, nicht zu Lasten des Betroffenen umgekehrt wird (vgl. Beschluss vom 31.03.2008 III B 151/07, BFH/NV 2008, 1335 m.w.N.).

    Nach diesen Grundsätzen bestehen auf Seiten des Gerichts erhebliche Zweifel, daran, dass die Einspruchsentscheidung vom 20.11.2009 dem Kläger innerhalb der Dreitagesfrist (am 23.11.2009) zugegangen ist; es ist vielmehr substantiiert und glaubhaft vorgetragen, dass dieser die Entscheidung erst am 25.11.2009 erhalten hat. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger selbst der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist, ist der Vortrag, dass er den polnisch und deutsch sprechenden Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten direkt bei Erhalt des Schreibens kontaktiert hat, für das Gericht überzeugend. Weiter ist dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt, dass es vereinzelt zur verzögerten Weiterbeförderung von Postsendungen durch den privaten Postdienstleister, dessen Dienste sich die Familienkasse bedient gekommen ist und die Aufgabe an einem Freitag erfolgte, sind die präzisen und nachvollziehbaren Angaben des Klägers zum verspäteten Erhalt der Sendung für das Gericht glaubhaft.

    2. Die Klage ist teilweise begründet, denn dem Kläger steht Kindergeld für den Zeitraum September 2006 bis August 2009 für seine Kinder C und B in voller Höhe zu.

    Im Streitfall ist ausschließlich das deutsche Kindergeldrecht anwendbar. Der Kläger fällt als selbstständiger Gewerbetreibender nicht in den Geltungsbereich der Verordnung EWG 1408/71, da er in Deutschland lediglich privat freiwillig versichert ist, nicht aber entsprechend Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Buchstabe a Nr. i VO EWG gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (so auch Gerichtsbescheid des FG Baden-Württemberg 12 K 928/07 vom 31.11.2011, juris-Datenbank m.w.N.). Auch die Ehefrau des Klägers ist in Polen nicht erwerbstätig und fällt somit ebenfalls nicht in den Geltungsbereich der Verordnung.

    Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für nach §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 32 Abs. 1 EStG berücksichtigungsfähige Kinder, für Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Kläger hat seit Januar 2005 einen Wohnsitz in Deutschland. Beide Kinder, für die der Kläger Kindergeld begehrt, sind jeweils unter achtzehn Jahre alt und haben ihren Aufenthalt in Polen, das seit Mai 2004 Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist. Die Kinder des Klägers sind im streitigen Zeitraum somit berücksichtigungsfähig für das Kindergeld.

    Dem Anspruch des Klägers auf Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe (§ 66 Einkommensteuergesetz – EStG) steht jedoch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG teilweise entgegen.

    3. Ausgeschlossen ist die Zahlung von Kindergeld nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur, wenn im Ausland entsprechende Leistungen gezahlt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu leisten wären. In Polen wurden nach den Angaben der polnischen Sozialversicherungsanstalt ZUS ab dem 01.05.2004 an Familienleistungen eingeführt („Sozialversicherung in Polen – Informationen, Fakten” Ziff. 5.1”): Familiengeld, Betreuungsleistung sowie Unterstützungsleistungen für die Geburt eines Kindes. Dem Kindergeld ist dabei nur das Familiengeld vergleichbar, da dieses allgemein und regelmäßig gezahlt wird.

    In den vorliegenden Unterlagen (Vordrucke E 411) ist von den polnischen Behörden bescheinigt, dass die Ehefrau des Klägers im streitigen Zeitraum keine Familienleistungen bezogen hat. Zur Begründung ist angegeben, dass diese in Polen nicht erwerbstätig sei; also sei Deutschland verpflichtet, die Familienleistungen zu zahlen. Aus dem Bescheid vom 08.08.2008 des Gemeindesozialamts X ist weiter ersichtlich, dass der Bewilligungsbescheid für Kindergeld vom 14.06.2004 für die Kinder B und C aufgehoben wurde. In der Begründung wird dazu sinngemäß ausgeführt, dass die Aufhebung erfolgt, weil durch die Tätigkeit des Klägers im Ausland ein Anspruch auf Familienleistungen in einem anderen Staat erworben worden sei. Die bezogenen Leistungen wurden von der Ehefrau des Klägers zurückgezahlt.

    Allerdings entfaltet die Entscheidung einer ausländischen Behörde über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht für deutsche Behörden und Gerichte keine Tatbestandswirkung; eine Bindung an die Entscheidung besteht nicht (vgl. BFH-Urteil vom 13.08.2002 VIII R 54/00, BStBl II 2002, 869). Ausweislich der Begründung der Aufhebungsentscheidung erfolgte die Aufhebung im Rahmen der Zuständigkeit für die Koordinierung mit der Beteiligung der Volksrepublik Polen der sozialen Leistungen bei Personen, die sich auf dem EU-Gebiet und in der Schweiz aufhalten. Die polnische Behörde ist bei ihrer Entscheidung offensichtlich davon ausgegangen, dass Deutschland aufgrund der gewerblichen Tätigkeit des Klägers hier vorrangig für die Gewährung von Kindergeld zuständig ist. Diese Rechtsauffassung ist – wie bereits oben ausgeführt – nicht zutreffend, da weder der Kläger noch seine Ehefrau in den Geltungsbereich der VO (EWG) 1408/71 fallen; ein Ausschluss des polnischen Kindergeldanspruchs aufgrund europarechtlicher Regelungen ist nicht gegeben.

    4. Nach Auffassung des Gerichts muss das Finanzgericht anhand der vom Kläger im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht mitzuteilenden Tatsachen und der von ihm zu beschaffenden Beweismittel (§ 90 Abs. 2 AO) gegebenenfalls den Inhalt des ausländischen Rechts selbst ermitteln (§ 293 ZPO i.V.m. 155 FGO). Dies gilt auch vor dem Hintergrund der besonderen Mitwirkungspflichten des Anspruchstellers bei Auslandssachverhalten, wenn wie im Streitfall Bemühungen des Klägers scheitern, eine Bescheinigung einer ausländischen Behörde mit dem für den deutschen Kindergeldanspruch erforderlichen Inhalt zu erhalten. Für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt der Kläger nach allgemeinen Regeln die Feststellungslast.

    Der Inhalt der polnischen Regelungen über Familienleistungen ergibt sich aus dem Gesetz vom 28. November 2003, Gesetzblatt Nr. 228/2003 Pos. 2255. Danach ist Voraussetzung für die Gewährung von Familiengeld, dass das Familieneinkommen pro Kopf 504 PLN nicht übersteigt (bzw. 583 PLN soweit ein Kind behindert ist).

    Beihilfezeitraum für die Festsetzung von Familienleistungen in Polen ist nach Art. 3 Abs. 10 des Gesetzes über polnische Familienleistungen der Zeitraum vom 01.09. bis 31.08. des nachfolgenden Jahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgesetzt wird. Maßgeblich ist nicht das Familieneinkommen im Zeitraum des Beihilfezeitraumes, sondern nach Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht.

    Im Streitfall sind für den Zeitraum Januar 2005 bis September 2009 daher die durchschnittlichen Familieneinkünfte in den Jahren 2003 bis 2007 maßgeblich. Für die Jahre 2003 und 2004 hat der Kläger angegeben, dass jeweils keine Einkünfte erzielt wurden. Nach den polnischen Vorschriften hätte die Familie des Klägers somit für den Beihilfezeitraum 01.09.2004 bis 31.08.2005 und für den Zeitraum 01.09.2005 bis 31.08.2006 nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls einen Anspruch auf Familienleistungen in Polen gehabt. Die Familienkasse hat insoweit zu Recht die Bewilligung von Kindergeld versagt, da bei entsprechender Antragstellung für die Kinder polnische Familienleistungen richtigerweise hätten gewährt werden müssen (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

    Für den Beihilfezeitraum September 2009 bis 31.08.2010 sind die Einkommensverhältnisse des Kalenderjahres 2008 entscheidend. Der Aufforderung des Gerichts vom 11.01.2011, das Familieneinkommen für die Jahre 2003 bis 2008 darzulegen und durch geeignete Unterlagen zu belegen, ist der Kläger bezogen auf 2008 nur insoweit nachgekommen, als er auf den Einkommensteuerbescheid für 2008 verwiesen hat. Bei dem vorliegenden Bescheid für 2008 vom 19.02.2010 des Finanzamts A handelt es sich um einen Schätzungsbescheid. Laut Einkommensteuerakte des Finanzamts A wurde auch keine Steuererklärung für 2008 mehr nachgereicht. Nach Auffassung des Gerichts ist ein geschätzter Einkommensteuerbescheid nicht geeignet, die Einkünfte des Klägers für das Jahr 2008 zu belegen. Dass das Gericht die Höhe des Familieneinkommens nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kann, geht zu Lasten des Klägers. Die Familienkasse hat insoweit auch zu Recht die Bewilligung von Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe für den Monat September 2009 abgelehnt.

    5. Anderes gilt für den übrigen streitigen Zeitraum von September 2006 bis August 2009. Für die Ermittlung der Einkommensverhältnisse des Klägers und seiner Ehefrau können die Einkommensteuerbescheide für 2005 bis 2007 des Finanzamts A herangezogen werden.

    Der Betrag von 504 Zloty (PLN) entspricht für das Jahr 2005 einem Betrag von 125,37 DM (durchschnittlicher Umrechnungskurs 4,02 PLN für 1 €; Gesamtübersicht über die Umsatzsteuerumrechnungskurse 2005, BStBl I 2006, 236), für das Jahr 2006 einem Betrag von 129,23 € (durchschnittlicher Umrechnungskurs 3,90 PLN für 1 €; Gesamtübersicht über die Umsatzsteuerumrechnungskurse 2006, BStBl I 2007, 126) und für das Jahr 2007 einem Betrag von 133,33 € (durchschnittlicher Umrechnungskurs 3,78 PLN für 1 €; Gesamtübersicht über die Umsatzsteuerumrechnungskurse 2007, BStBl I 2008, 289). Bezogen auf eine vierköpfige Familie ergeben sich damit Jahreswerte für 2005 in Höhe von 6.017,76 €, für 2006 in Höhe von 6.203,04 € und für 2007 in Höhe von 6.399,84 €.

    Demgegenüber hatte der Kläger in 2005 ein zu versteuerndes Einkommen laut Einkommensteuerbescheid des Finanzamts A vom 30.04.2007 in Höhe von 13.863 €. Tatsächlich ist das Familieneinkommen noch höher anzusetzen, da Unterhaltsleistungen an die Ehefrau des Klägers im Gesamtbetrag von 3.864 € vom Finanzamt in Abzug gebracht wurden, die zusätzlich zum Familieneinkommen zählen. Setzt man von diesem Betrag die zu zahlenden Steuern in Höhe von 1.261 € ab ist der Grenzbetrag in Höhe von 6.017,76 € so erheblich überschritten, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass eine Bewilligung von Familienleistungen für den Beihilfezeitraum September 2006 bis August 2007 nach polnischem Recht ausgeschlossen war. Entsprechendes gilt für den Beihilfezeitraum September 2007 bis August 2008 und September 2008 bis August 2009. Laut Einkommensteuerbescheid für 2006 des Finanzamts vom 25.07.2007 hatte der Kläger ein zu versteuerndes Einkommen von 18.450 €, auf das 510 € an Einkommensteuer zu zahlen waren; selbst wenn man die vom Finanzamt nicht anerkannten Werbungskosten für doppelten Haushalt und Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte berücksichtigen würde, ist der Grenzbetrag in Höhe von 6.203,04 € für 2006 erheblich überschritten. Laut Einkommensteuerbescheid vom 11.02.2009 des Finanzamts für 2007 hatte der Kläger im Jahr 2007 ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 16.575 € auf das 192 € Steuern zu zahlen waren, so dass auch für dieses Jahr der maßgebliche Grenzbetrag in Höhe von 6.399,84 € erheblich überschritten war.

    Das Gericht ist daher überzeugt, dass für die Beihilfezeiträume September 2006 bis August 2009 nach polnischem Recht ein Anspruch auf Familienleistungen ausgeschlossen war. Für diesen Zeitraum hatte der Kläger Anspruch auf Kindergeld in voller gesetzlicher Höhe; § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kommt nicht zur Anwendung.

    6. Der nach nationalem Recht gegebene Anspruch ist auch nicht nach den Regelungen in Art. 76 Verordnung (EWG)Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 bzw. Art. 10 Abs. 1a Verordnung (EWG) 574/71 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) 1908/71 bzw. nach Art. 12 Abs. 2 Verordnung (EWG9 i.V.m. Art.7 Abs. 1 Verordnung (EWG) 574/71 zu kürzen. Wie bereits oben unter 2. ausgeführt, unterliegt der Kläger als lediglich freiwillig privat versicherter Gewerbetreibender nicht dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/71. Unabhängig vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/72 sind aber auch die sachlichen Voraussetzungen für eine Kürzung des inländischen Kindergeldanspruches nicht erfüllt, da die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt sind. Wie bereits unter 5. ausgeführt, besteht für die Kinder des Klägers im Zeitraum September 2006 bis August 2009 aufgrund der Höhe des Familieneinkommens kein Anspruch auf Familienleistungen in Polen. Eine möglicherweise zu berücksichtigende Konkurrenzsituation zwischen Ansprüchen auf Familienleistungen/Kindergeld zwischen zwei Staaten stellt sich somit nicht. Aus dem gleichen Grund lässt sich die Festsetzung des Kindergeldes nur in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes nicht auf Art 12 Abs. 2 Verordnung (EWG) 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EWG) 574/72 stützen, da mangels Anspruch des Klägers oder seiner Ehefrau auf polnische Familienleistungen keine Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten eingreifen, nach denen die geschuldeten Leistungen gegenseitig gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden können (vgl. auch Urteile des Finanzgerichts Düsseldorf vom 22.01.2008 10 K 1462/07 Kg EFG 2008, 695 rkr., vom 16.04.2008 9 K 1664/07 Kg, EFG 2008,1468; Revision eingelegt – Az. des BFH: III R 36/08 - sowie des Finanzgerichts Münster vom 30.11.2009 8 K 2866/08 Kg, EFG 2010, 731 rkr.). Im Streitfall besteht – wie oben dargelegt – nur ein Anspruch nach deutschem Recht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

    Das Gericht lässt die Revision im Hinblick auf die Vielzahl der beim BFH anhängigen Verfahren zu ähnlich gelagerten Fallkonstellationen (III R 10/11, III R 36/08, III R 40/08, III R 41/08, III R 32/10, III R 34/10, III R 10/11) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu.

    VorschriftenEStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AO § 90 Abs. 2