28.09.2011
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 10.08.2011 – 1 K 1487/07
Die Regelungen in § 10 Abs. 1 und 2 SächsKAG, wonach in Sachsen kommunale Gebühren höchstens so bemessen werden dürfen, dass die Gesamtkosten der gebührenerhebenden Einrichtung gedeckt werden, und wonach zwar bei der Gebührenbemessung die Kosten in einem mehrjährigen, maximal fünfjährigen Zeitraum berücksichtigt werden dürfen, jedoch tatsächlich zuviel vereinnahmte Gebühren „Kostenüberdeckungen”), die sich am Ende dieses mehrjährigen Bemessungszeitraumes ergeben, innerhalb der folgenden fünf Jahre durch eine entsprechend niedrigere Gebührenbemessung auszugleichen sind, berechtigen die gebührenerhebende kommunale Einrichtung (im Streitfall: Zweckverband verschiedener Städte und Gemeinden in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts) nicht, bei Anfall von Kostenüberdeckungen gewinnmindernde Rückstellungen zu bilden.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 1. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht …, des Richters am Finanzgericht …, des Richters am Finanzgericht …, des ehrenamtlichen Richters …, der ehrenamtlichen Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10. August 2011
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob für Kostenüberdeckungen im Sinne von § 10 Abs. 2 SächsKAG Rückstellungen vorgenommen werden dürfen.
Der Kläger ist ein Zweckverband verschiedener Städte und Gemeinden in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er hat die Aufgabe der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung (§ 4 Abs. 1 S. der Verbandssatzung [Bl. 15 ff. GA]). § 4 Abs. 7 der Verbandssatzung bestimmt:
„Der Verband erfüllt seine Aufgaben nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Er strebt keinen Gewinn an. Insbesondere sind Kostenüberdeckungen im Sinne von § 10 Abs. 2 des Sächsischen Kommunalabgabengesetzes (SächsKAG) … auszugleichen.”
Aus der Nachkalkulation für die Jahre 2003 bis 2006 ergaben sich Kostenüberdeckungen, die ab 2007 bei der nächsten Entgeltkalkulation entgeltmindernd (in Form von nicht kostendeckenden Entgelten) zu berücksichtigen waren. Der Kläger wies in den Bilanzen folgende Rückstellungen für Kostenüberdeckungen aus:
Zum 31. Dez. 2003: | 1.002.800 EUR |
Zum 31. Dez. 2004: | 479.300 EUR |
Zum 31. Dez. 2005: | 1.165.100 EUR |
Das Finanzamt erkannte die Rückstellungen nicht an und setzte die Körperschaftsteuer entsprechend fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2007, Bl. 126 ff. Rechtsbehelfsakte). Nach Klageerhebung wurde die Körperschaftsteuer wie folgt festgesetzt:
Jahr | Datum des Bescheids | |
2003 | 11. Jan. 2008 | 184.386 EUR |
2004 | 11. Jan. 2008 | 197.325 EUR |
2005 | 11. Jan. 2008 | 212.487 EUR |
2006 | 29. Sept. 2008 | 224.845 EUR |
Der Kläger beantragt,
die Körperschaftsteuerbescheide für 2003, 2004 und 2005 vom 11.01.2008 sowie für 2006 vom 29.09.2008 dahin zu ändern, dass die Körperschaftsteuer für alle Jahre auf EUR 0,00 festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unbegründet. Das Finanzamt hat zu Recht die Rückstellungen für Kostenüberdeckungen nicht anerkannt und den Gewinn entsprechend erhöht.
a) Nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Da diese Verpflichtung zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehört, gilt sie auch für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG, BFH-Urteil vom 19. Okt. 2005 – XI R 64/04, BFHE 211, 475 = BStBl II 2006, 371). Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine betrieblich veranlasste und in der Vergangenheit wirtschaftlich verursachte, aber dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten, sofern wahrscheinlich ist, dass die Verbindlichkeit besteht oder entstehen wird und der Steuerpflichtige in Anspruch genommen wird (BFH-Urteil BStBl II 2006, 371; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 5 Rz. 361).
b) Nach § 10 Abs. 1 S. 1 SächsKAG dürfen die Gebühren höchstens so bemessen werden, dass die Gesamtkosten der Einrichtung gedeckt werden. Gem. Abs. 2 S. 1 dieser Vorschrift können bei der Gebührenbemessung die Kosten in einem mehrjährigen Zeitraum berücksichtigt werden, der jedoch höchstens fünf Jahre umfassen soll. Kostenüberdeckungen, die sich am Ende des Bemessungszeitraumes ergeben, sind innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen (§ 10 Abs. 2 S. 2 SächsKAG).
c) Die Pflicht aus § 10 Abs. 2 S. 2 SächsKAG begründet keine Verpflichtung gegenüber den Kunden des Klägers. Wegen des periodenübergreifenden Ausgleichs mindern die in der Vergangenheit zuviel vereinnahmten Gebühren die Gebühren in der Zukunft. In den Genuss der Gebührenminderung kommen nur die Kunden, deren Vertrag über das Ende des Bemessungszeitraums hinaus besteht. Endet der Vertrag mit dem Ende des Bemessungszeitraums, ist der Kläger nicht zum Ausgleich verpflichtet. Dagegen profitieren Neukunden von den geminderten Gebühren, ohne dass sie zuvor die höheren Gebühren bezahlt haben. Deswegen meint der Kläger, die Pflicht bestehe gegenüber den „Anschlussnehmern als Solidargemeinschaft” (Bl. 4 GA). Da die Kostenüberdeckungen jedoch auch dann auszugleichen wären, wenn nach dem Ende des Bemessungszeitraums der Kläger nur Neukunden hätte, kann nicht von einer Verpflichtung gegenüber anderen gesprochen werden.
d) Rückstellbar sind auch öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 5 Rz. 363). Dies setzt voraus, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist (BFH-Urteil vom 25. März 2004 – IV R 35/02, BFHE 206, 25 = BStBl II 2006, 644). Die Verpflichtung muss auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums zielen. Diese Voraussetzungen werden regelmäßig bei Erlass einer behördlichen Verfügung oder bei Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung vorliegen. Jedoch kann auch eine Verpflichtung, die sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen ergibt, zur Bildung einer Rückstellung führen. Dies setzt allerdings einen entsprechend konkreten Gesetzesbefehl voraus. Zudem ist für die Rückstellung erforderlich, dass an ihre Verletzung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich „der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann” (BFH-Urteil BStBl II 2006, 644). Wie bei privatrechtlichen Verbindlichkeiten, so kann auch die ernstliche Erwartung einer Inanspruchnahme aus öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nicht schematisch aufgrund einzelner vorgegebener Kriterien beurteilt werden. Sie ist vielmehr zutreffend nur anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BFH-Urteil vom 25. März 2004 – IV R 35/02, BFHE 206, 25 = BStBl II 2006, 644). Ob danach hier eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegeben ist, für die eine Rückstellung gebildet werden kann, bedarf keiner Entscheidung, da § 5 Abs. 2a EStG der Bildung von Rückstellungen in den Streitjahren entgegensteht.
e) Nach § 5 Abs. 2a EStG sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Verbindlichkeiten, die nur aus künftigen Gewinnanteilen zu tilgen sind, dürfen mangels wirtschaftlicher Verursachung weder in der Handelsbilanz noch in der Steuerbilanz ausgewiesen werden (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 – VIII R 8/01, BFHE 199, 198 = BStBl II 2002, 532). Wegen seines eindeutigen Wortlauts kann § 5 Abs. 2a EStG nicht so ausgelegt werden, dass die Belange des Klägers berücksichtigt werden, denn die Auslegung findet ihre Grenze im Wortsinn einer Vorschrift (BFH-Urteile vom 14. Mai 1974 – VIII R 95/72, BFHE 112, 546 = BStBl II 1974, 572; vom 18. Jan. 2011 – X R 13/10, BFH/NV 2011, 974 Tz. 16).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).