20.09.2011
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 27.05.2011 – 9 K 5187/08
1. Ausschlaggebend für die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei der Erbringung von Bauleistungen sind nicht die Umsatzverhältnisse des Vorjahres, sondern ob der Leistungsempfänger gegenüber dem Leistenden zu erkennen gibt, dass er in seiner Rolle als Leistungsempfänger Bauleistungen i. S. d. § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG erbringt.
2. Hat der Leistungsempfänger Abschlagsrechnungen akzeptiert und die Umsatzsteuer nach § 13b UStG abgeführt, würde es dem Zweck des § 13b UStG zuwiderlaufen, wenn das FA die vom Leistungsempfänger abgeführte Umsatzsteuer wieder erstatten müsste, weil sich bei diesem zwischen Abschlagszahlung und Abnahme des Projekts die Verhältnisse so geändert haven, dass er nicht mehr als Unternehmer angesehen werden könnte, der Leistungen i. S. d. § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 1 UStG erbringt.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 9. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2011 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob sich der Kläger (Kl) als Unternehmer im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 Umsatzsteuergesetz (UStG) behandeln lassen muss.
Der Kl war im Streitjahr als Einzelunternehmer überwiegend als Bauträger tätig. Er war zugleich alleiniger Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der A Baugesellschaft mbH (im Folgenden auch: GmbH), über deren Vermögen durch Beschluss vom 18. März 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Kl beauftragte die GmbH mit den Rohbauarbeiten für ein Wohn- und Geschäftshaus auf dem Grundstück … straße in X. Für die geleisteten Arbeiten stellte die GmbH zwischen 17. April 2007 und 11. September 2007 an das Einzelunternehmen des Kl 11 Abschlagsrechnungen über insgesamt 410.000 EUR. Auf die angeforderten Abschlagszahlungen wandte sie § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG an und wies den Kl auf seine Steuerschuldnerschaft als Leistungsempfänger hin. Dieser meldete die Umsatzsteuer in seinen Voranmeldungen für die Kalendervierteljahre I bis III/2007 an.
Am 31. Oktober 2007 stellte die GmbH eine Abschlagsrechnung über 10.000 EUR, bei der sie immer noch von der Steuerschuldnerschaft des Kl ausging. Am 17. Dezember 2007 stellte sie die Schlussrechnung für den Rohbau. Anders als in den Abschlagsrechnungen forderte die GmbH vom Kl nunmehr 19 % Umsatzsteuer auf den Nettobetrag von 353.498,06 EUR. Unter Abzug der bisher geleisteten Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 420.000 EUR netto vom Bruttorechnungsbetrag in Höhe von 420.662,70 EUR errechnete sie einen noch zu zahlenden Restbetrag von 662,70 EUR. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Schlussrechnung (Umsatzsteuerakten, Bl 199) Bezug genommen.
In seiner am 12. November 2007 eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung IV/2007 machte der Kl einen Umsatzsteuer-Überschuss in Höhe von -69.066,58 EUR geltend. Davon trat er am 10. Januar 2008 einen Teilbetrag in Höhe von 60.000 EUR an die … bank … ab. In der Umsatzsteuer-Voranmeldung IV/2007 erklärte der Kl erhaltene Bauleistungen gemäß § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG in Höhe von – 42.294 EUR, woraus er insoweit eine Umsatzsteuer-Überzahlung in Höhe von – 8.035,71 EUR errechnete (Gerichtsakten Bl. 85).
Der Bekl verweigerte der Umsatzsteuer-Voranmeldung IV/2007 die Zustimmung. Stattdessen veranlasste er eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für das IV. Kalendervierteljahr 2010. Der Prüfer ermittelte, dass der Kl auch gegenüber anderen Auftragnehmern als Unternehmer im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG aufgetreten war und vertrat deshalb die Auffassung, dass dieser als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer für die für das Objekt … straße erbrachten Bauleistungen schulde. Dies gelte für die gesamte Umsatzsteuer aus der Schlussrechnung der GmbH vom 17. Dezember 2007, die der Prüfer mit 19/119 aus dem Bruttorechnungsbetrag in Höhe von 420.662,70 EUR berechnete (s. Prüfungsbericht Seite 4, Umsatzsteuerakten, Bl 29).
Am 1. April 2008 erließ der Bekl einen entsprechenden Vorauszahlungsbescheid, in dem er die Umsatzsteuer auf 9.324,26 EUR statt auf – 69.066,58 EUR festsetzte. Darin sind erhaltene Bauleistungen gemäß § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG in Höhe von 305.649 EUR enthalten, was insoweit zu einer Umsatzsteuerschuld in Höhe von 58.073,31 EUR führt.
Gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid IV/2007 legte der Kl am 15. April 2008 Einspruch ein. Die GmbH habe ihn von Anfang an zu Unrecht als Unternehmer im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG angesehen. Mit der Erstellung der Abschlagsrechnungen habe er sich nicht persönlich befasst. Erst bei der Erteilung der Schlussrechnung habe er den Fehler bemerkt.
Mit Entscheidung vom 7. Oktober 2008 wies der Bekl den Einspruch als unbegründet zurück. Der Kl und die GmbH hätten bei den insgesamt 12 Abschlagsrechnungen die Regelung des § 13b UStG angewandt und dadurch dokumentiert, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei. Insoweit habe der Kl auch eine Freistellungsbescheinigung nach § 48b Einkommensteuergesetz (EStG) für umsatzsteuerliche Zwecke eingesetzt. Das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsache, dass der Kl im Vorjahr 2006 die 10 %-Grenze des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG nicht erreicht habe und somit nicht als Bauleistender angesehen werden könne, sei nicht von Bedeutung, da durch die Verwendung der Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG Vertrauensschutz entstanden sei. Außerdem sei der Kl auch gegenüber anderen Auftragnehmern als Bauleistender im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG aufgetreten.
Am 7. November 2008 hat der Kl Klage erhoben.
Am 7. September 2009 erließ der Bekl den Umsatzsteuerjahresbescheid 2007, der zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Da der Kl bis heute keine Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 2007 abgegeben hat, wurden die Besteuerungsgrundlagen nach Maßgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen geschätzt. Der Bekl nimmt den Kl für Bauleistungen im Inland ansässiger Unternehmer (§ 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG) im Wert von 881.109 EUR als Steuerschuldner in Anspruch. Darin sind die Leistungen der A Baugesellschaft mbH für das Bauvorhaben … straße mit einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 353.498 EUR (420.662,70 EUR: 1,19) enthalten. Im Übrigen handelt es sich um Leistungen anderer Bauunternehmer, für die die Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG nicht bestritten wird.
Der Kl behauptet, die Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 UStG hätten im Streitzeitraum nicht vorgelegen. Darauf habe ihn vor Erstellung der Schlussrechnung sein neuer Berater hingewiesen, zu dem er gewechselt habe. Seine Umsätze im Jahr 2006 hätten zu 95 % nicht aus Bauleistungen bestanden. Dementsprechend sei die Schlussrechnung ohne § 13b UStG ausgestellt worden. Die Verwendung der Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG sei ohne Bedeutung. Aufgrund der Tatsache, dass er Leistungsempfänger und zugleich Geschäftsführer der GmbH gewesen sei, hätten beide Vertragsparteien gewusst, dass die Voraussetzungen des § 13b Abs.2 UStG nicht vorliegen. Im Ergebnis könne der Kl nicht an einer unrichtigen Umsatzbesteuerung festgehalten werden, nur weil er zunächst fälschlich vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 13b UStG ausgegangen sei und deshalb die Steuerbescheinigung vorgelegt habe. Schließlich habe er ja nach Erkennen der Unrichtigkeit aufgrund der Aufklärung durch seinen steuerlichen Berater die maßgebliche Schlussrechnung den Vorschriften des UStG gemäß ausgestellt. Sein Klagebegehren hat der Kl aus der Differenz der von ihm in der Umsatzsteuer-Voranmeldung IV/2007 angemeldeten Steuerschuld aus § 13b UStG (-8.035,97 EUR) und der insoweit vom Bekl im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid IV/2007 angesetzten Steuerschuld aus § 13b UStG (58.073,31 EUR) berechnet, was einer Umsatzdifferenz von 347.943 EUR entspricht.
Der Kl beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 2008 aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 7. September 2009 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 66.109 EUR gemindert wird,
hilfsweise: die Revision zuzulassen,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Bekl beantragt,
die Klage abzuweisen.
In den Zeitpunkten der per Abschlag abgerechneten Leistungsbezüge sei der Kl als Leistungsempfänger Steuerschuldner gewesen. Bei Abschlagszahlungen für die Erbringung von Bauleistungen entstehe die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Teilentgelt vereinnahmt worden sei. Eine nachträgliche Verlagerung auf den leistenden Unternehmer sei nicht möglich, erst recht nicht, wenn dadurch das Steueraufkommen gefährdet werde.
Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den Umsatzsteuerakten, den im Klageverfahren ausgetauschten Schriftsätzen sowie den Vorträgen in der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet.
1. In dem zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 7. September 2009 hat der Bekl die vom Kl als Leistungsempfänger gemäß § 13b UStG geschuldete Umsatzsteuer zu Recht mit 881.109 EUR angesetzt. Bei diesem Betrag handelt es sich um eine Schätzung, die auf der Grundlage der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen ergangen ist. Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO 1977 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO 1977 zugrunde gelegt werden können ( § 162 Abs. 2 AO 1977). Der Kl hat entgegen seiner Verpflichtung aus § 18 Abs.3 UStG für 2007 keine Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben. Gemäß § 18 Abs.3 UStG hat der Unternehmer für das Kalenderjahr oder für den kürzeren Besteuerungszeitraum eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben, in der er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen Gunsten ergibt, nach § 16 Abs. 1 bis 4UStG und § 17 UStG selbst zu berechnen hat (Steueranmeldung). Gemäß § 16 Abs.1 Satz 3 UStG ist bei der Berechnung der Steuer von der Summe der Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5UStG auszugehen, soweit für sie die Steuer in dem Besteuerungszeitraum entstanden und die Steuerschuldnerschaft gegeben ist. Der Unternehmer hat auch die Umsätze in die Jahressteuererklärung aufzunehmen, für die er die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schuldet.
2. a) Gemäß § 13b Abs.2 Satz 2 Umsatzsteuergesetz in der im Streitzeitraum geltenden Neufassung des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Dezember 2005 (Bundesgesetzblatt –BGBl– I, 386) schuldet in den in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG genannten Fällen der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringt. Bei den in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG genannten Fällen handelt es sich um Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Nach § 13b Abs.1 Satz 1 UStG entsteht für diese Umsätze die Steuer grundsätzlich mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats. Wird in den in den 13b Abs.1 Satz 1 UStG genannten Fällen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, entsteht gemäß 13b Abs.1 Satz 3 UStG insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
b) § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG und § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG wurden durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 29. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 3076 und BGBl I 2004, 69) in das UStG eingefügt. Für die Schaffung dieser Vorschriften gab es zunächst keine gemeinschaftsrechtliche Ermächtigung. Die Bundesregierung hat dafür gemäß Art. 27 Abs.1 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG eine Ausnahmeermächtigung beantragt, die sie durch die Entscheidung des Rates vom 30. März 2004 erhalten hat (ABl EU 04 Nr. L 94, 59 = UmsatzsteuerRundschau –UR– 2004, 219). In den Gründen für seine Entscheidung führt der Rat der Europäischen Union aus, dass die deutsche Regierung die Abweichung von dem Grundsatz der Steuerschuldnerschaft des Leistungserbringers beantragt habe, um Steuerflucht und Steuerumgehung vorzubeugen. Im Baugewerbe seien beträchtliche Mehrwertsteuer-Ausfälle festgestellt worden, die dadurch entstanden seien, dass die Mehrwertsteuer in der Rechnung ausgewiesen, jedoch nicht an den Fiskus abgeführt worden sei, während der Leistungsempfänger sein Vorsteuerabzugsrecht ausgeübt habe. Die steuerunehrlichen Wirtschaftsbeteiligten hätten nicht festgestellt werden können oder es sei bei ihrer Feststellung zur Rückforderung der Mehrwertsteuer bereits zu spät gewesen. Auch in der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Steueränderungsgesetzes 2003 und in der Gegenäußerung der Bundesregierung wird das Ziel der Regelung zum Ausdruck gebracht, den Umsatzsteuerbetrug in einem seiner Kernbereiche zu bekämpfen (Bundestagsdrucksache 15/1798, 9 und 19 zu Nr.22).
Nach Art. 199 Bstb. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 –Mehrwertsteuersystemrichtlinie– (ABl. EU Nr. L 347 S.1 ber. ABl EU Nr.L 335 S.60) können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der steuerpflichtige Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet, an den Bauleistungen einschließlich Werklieferungen bewirkt werden. Nach Art. 199 Abs.2 Mehrwertsteuersystemrichtlinie können die Mitgliedstaaten bei der Anwendung dieser Möglichkeit die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen und die Kategorien von Lieferern und Dienstleistungserbringern sowie von Erwerbern und Dienstleistungsempfängern bestimmen, für die sie von diesen Maßnahmen Gebrauch machen.
3.a) Die Herstellung des Rohbaus auf dem Grundstück … straße stellt eine Bauleistung im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG dar. Da die bauausführende A Baugesellschaft mbH hierfür vom Kl in den Kalendervierteljahren II und III/2007 gezahlte Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 410.000 EUR netto vereinnahmt hat, ist gemäß § 13b Abs.1 Satz 3 UStG die Umsatzsteuer insoweit mit Ablauf der Voranmeldungszeiträume entstanden, in denen das Teilentgelt vereinnahmt worden ist. Dies waren gemäß § 18 Abs.2 UStG die Kalendervierteljahre II und III/2007. Dementsprechend hätte der Kl die Umsatzsteuer auf die Abschlagszahlungen in seiner Umsatzsteuerjahreserklärung angeben müssen.
b) Entgegen seiner Auffassung war der Kl im Streitzeitraum ein Unternehmer, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbracht hat.
Sofern nicht der Leistungsempfänger eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG vorgelegt hat (A 13b.1 Abs.12 Umsatzsteueranwendungserlass –UStAE –, im Streitzeitraum: A 182a Abs. 10 Satz 3 Umsatzsteuerrichtlinien 2005 – UStR –) wird er nach der in A 13b.1 Abs.11 UStAE (im Streitzeitraum: A 182a Abs.10 UStR) niedergelegten Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nur dann Steuerschuldner, wenn er selbst Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG nachhaltig erbringt. Letzteres soll der Fall sein, wenn er im vorangegangenen Kalenderjahr Bauleistungen im Sinne von § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG erbracht hat, deren Bemessungsgrundlage mehr als 10 % der Summe seiner Umsätze betragen hat. Da der Kl im Zeitpunkt der Vereinnahmung seiner Abschlagszahlungen durch die GmbH in den Kalendervierteljahren II und III/2007 für umsatzsteuerliche Zwecke eine gültige Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG vorgelegt hat, wäre er auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Unternehmer, der Bauleistungen im Sinne von § 13b Abs.1 Satz 1 Nr.4 UStG erbringt.
Allerdings besteht weder für die 10 %-Grenze aus A 13b.1 Abs.11/A 182a Abs.10 UStR) noch für die Ableitung der Bauunternehmereigenschaft aus der Verwendung einer Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. In beiden Fällen handelt es sich um Versuche der Finanzverwaltung, griffige Kriterien für die Bestimmung des Begriffes des Unternehmers im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG zu finden, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringt. Wie jede Auslegungsmethode müsste auch das Abstellen auf die 10 %-Grenze geeignet sein, dem Sinn und Zweck der Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG zum Durchbruch zu verhelfen.
Wie oben dargelegt, besteht der Sinn und Zweck von § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG darin, Steuerflucht und Steuerumgehung vorzubeugen. Im Interesse des Steuergläubigers soll gewährleistet werden, dass die Umsatzsteuer auch im Baugewerbe zeitnah zu dem vom Leistungsempfänger vorgenommenen Vorsteuerabzug abgeführt wird. Die zur Erreichung dieses Ziels geschaffene gesetzliche Regelung zwingt von der Zeitfolge ihrer Anwendung her betrachtet zuerst die Vertragspartner zu ihrer Auslegung. Es ist der leistende Unternehmer, der entscheiden muss, ob er in Anwendung des § 13b UStG eine Rechnung nach § 14a Abs. 5 UStG ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis erstellen darf oder ob er gemäß dem Grundsatz des § 13a Abs.1 Nr.1 UStG die Umsatzsteuer selbst schuldet und sie deshalb dem Leistungsempfänger in Rechnung stellen muss. Bei einer zu Unrecht erfolgten Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger liefe er Gefahr, die Umsatzsteuer dann doch nach § 14c UStG bezahlen zu müssen. Deshalb muss er zu seinem Schutze die Beurteilung, ob der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringt, nach Kriterien treffen dürfen, die für ihn ohne Weiteres erkennbar sind. Die Umsatzverhältnisse des Leistungsempfängers im vorangegangenen Kalenderjahr sind keine solchen. Der Senat schließt sich damit dem Urteil des Finanzgerichts – FG – Münster vom 1. September 2010 (5 K 3000/08 U, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG –2011, 278) an, gegen das unter dem Aktenzeichen V R 37/10 Revision eingelegt wurde; ebenso Stadie, in: Stadie, UStG Kommentar, 2009, § 13b Rz 47 und in Rau/Dürrwächter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 13b Rz 211, Lfg 136 Oktober 2008; Küffner/Zugmaier, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2004, 712, 713).
Der Wortlaut des § 13b Abs.2 Satz 2 UStG verlangt für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger lediglich, dass dieser Unternehmer ist, der Leistungen § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG „erbringt”. Dabei spricht der Wortlaut der Vorschrift („erbringt”) mehr dafür, auf die im Zeitpunkt der Steuerentstehung gegebenen Unternehmensverhältnisse statt auf Umsatzrelationen der Vergangenheit abzustellen. Der Anwendungsbereich des § 13b UStG wird nicht zu weit ausgedehnt, wenn er auch Personen umfasst, die wie der Kl nur gelegentlich Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringen. Es genügt daher, wenn der leistende Unternehmer erkennen kann, dass dies beim Leistungsempfänger der Fall ist (ebenso FG Münster vom 1. September 2010, a.a.O.).
c) Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass der Leistungsempfänger und der Geschäftsführer des leistenden Unternehmers ein und dieselbe Person ist, nämlich der Kl. Niemand kannte im Zeitpunkt der Vereinnahmung der Abschlagszahlungen durch die GmbH seine eigene unternehmerische Tätigkeit besser als er selbst. Wenn er zu erkennen gab, dass er in seiner Rolle als Leistungsempfänger Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringe, muss er sich die Umkehr der Steuerschuldnerschaft gefallen lassen. Auch wenn er behauptet, dass die Abschlagsrechnungen der GmbH ohne sein Zutun geschrieben worden seien, so hat er sie in seiner Rolle als Leistungsempfänger doch gebilligt und dementsprechend die Umsatzsteuer nach § 13b UStG abgeführt.
d) Nach den obigen Ausführungen kommt es nicht darauf an, ob der Kl in seiner Rolle als Geschäftsführer der GmbH erst vor Erstellung der Schlussrechnung für das Bauvorhaben … straße erkannt hat, dass im Jahr 2006 95 % seiner Umsätze nicht aus Bauleistungen bestanden haben. Ausschlaggebend waren wegen 13b Abs.1 Satz 3 UStG ausschließlich die Verhältnisse, als die GmbH die Zahlungen aus den in den Voranmeldungszeiträumen II. und III. Kalendervierteljahr 2007 erstellten 11 Abschlagsrechnungen mit einer Summe von 410.000 EUR netto vereinnahmt hat. Die Regelung über die Entstehung der Steuer für vereinnahmte Anzahlungen nach § 13b Abs.1 Satz 3 UStG enthält wie § 13 Abs. 1 Nr.I Buchst. a Satz 4 UStG einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand (s. dazu das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21. Juni 2001 V R 68/00, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 195, 446, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2002, 255). Es würde dem Zweck der Einbeziehung von Bauunternehmern in den Anwendungsbereich des § 13b UStG krass zuwiderlaufen, wenn das Finanzamt im Wege des § 13b UStG geleistete Umsatzsteuer wieder erstatten müsste, weil sich beim Leistungsempfänger zwischen der Vornahme von Abschlagszahlungen und der Abnahme des Projekts die Verhältnisse so geändert haben, dass er nicht mehr als Unternehmer angesehen werden könnte, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG erbringt. Die 410.000 EUR betragende Summe der in den Voranmeldungszeiträumen II. und III. Kalendervierteljahr 2007 erstellten II Abschlagsrechnungen war höher als das Gesamtentgelt, das die GmbH in der Schlussrechnung vom 17. Dezember 2007 mit 353.498,06 EUR (100/119 × 423.628,10 EUR) in Rechnung stellte. Es war daher rechtens, dass der Bekl im Umsatzsteuerbescheid des Kl vom 7. September 2009 die Umsätze aus dem Bauvorhaben … straße mit 353.498 EUR als 13b-Umsätze erfasst hat.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO zugelassen. Es handelt sich um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung, da der Senat gegen den UStAE bzw. die UStR entschieden hat.