25.08.2011
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 19.05.2011 – 4 K 156/10
Fahrradgabeln der Unterposition 87149130 mit Ursprung in China unterliegen gemäß VO Nr. 71/97 einem Antidumpingzoll unabhängig davon, ob sie nach ihrer Einfuhr zur Montage eines Fahrrads mit Hilfsmotor (Elektro-Bike bzw. E-Bike) der Position 8711 oder eines Fahrrads ohne Motor der Position 8712 verwandt werden. Die zur Ausweitung des gemäß VO Nr. 247493 für die Einfuhr von Fahrrädern mit Ursprung in China festgesetzten Antidumpingzolls erlassene VO Nr. 71/97 ist auch vor dem Hintergrund der in der VO Nr. 88/97 gewährten Befreiungsmöglichkeiten nicht unverhältnismäßig.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Antidumpingzoll.
Die Klägerin vertreibt Fahrräder, die mit einem unterstützenden Elektromotor ausgestattet sind (sog. Elektro-Bikes oder E-Bikes), die sie durch eine in Deutschland ansässige Firma im Wege der Lohnfertigung montieren lässt. Die dafür erforderlichen Teile führt sie ein.
Mit der Zollanmeldung vom 07.05.2009 meldete die Klägerin die Einfuhr von 1.350 „Gabeln für Fahrräder, unlackiert” mit Ursprung in der VR China unter Angabe der Warennummer 8714 9130 90 0 zur Überführung in den freien Verkehr an.
Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 07.05.2009 erhob der Beklagte Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt 4.629,48 €.
Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung untersuchte Proben der Sendung und stellte mit Einreihungsgutachten vom 12.12.2010 die Warennummer 8714 9130 19 0 fest. In dem Gutachten heißt es u.a., es handele sich um Teile für Fahrzeuge der Position 8712, mit Farbe versehen (Tauchrohre schwarz lackiert), um gefederte Fahrrad-Vordergabeln mit Gewinde.
Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 04.03.2010 erhob der Beklagte Antidumpingzoll in Höhe von 7.536,18 € nach.
Am 09.04.2010 legte die Klägerin gegen die Nacherhebung Einspruch ein. Sie meint, elektrisch betriebene Fahrräder seien vom Antidumpingzoll befreit.
Mit Einspruchsentscheidung vom 02.08.2010 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Nach dem Zolltarif seien die Gabeln in die Position 8714 einzureihen, wobei nicht danach differenziert werde, ob sie in „normale” Fahrräder oder elektrisch betriebene Fahrräder eingebaut würden. Unter die Codenummer 8714 9130 19 0 einzureihende Gabeln für Fahrräder unterfielen der Verordnung (EG) Nr. 71/97 und seien mit einem Antidumpingzoll zu belegen. Befreiungsmöglichkeiten bestünden im Falle der Klägerin nicht.
Mit ihrer am 02.09.2010 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, aus Art. 1 2. Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 71/97 ergebe sich der Antidumpingzoll für Fahrradgabeln des KN-Codes 8714 9130. Auf die Befreiungsmöglichkeiten nach Art. 14 der Verordnung (EG) 88/97 könne sie sich nicht berufen. Sie lasse zwar auch Fahrräder der Position 8712 montieren, dies jedoch nur in untergeordnetem Umfang. Die Kommission habe ihr mitgeteilt, dass eine Befreiung nicht in Betracht komme und für Fahrradteile zur Produktion von elektrischen Fahrrädern kein Antidumpingzoll zu entrichten sei. Auch sonst lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vor. Die Teile würden weder an eine befreite Partei noch an einen anderen Inhaber einer Bewilligung im Sinne von Art. 291 ZK-DVO geliefert; sie - die Klägerin - beziehe auch nicht weniger als 300 gleiche Teile monatlich.
Bei den eingeführten Waren handele es sich um solche der Position 8714, die für Fahrzeuge der Position 8711 bestimmt seien. Während die für die Einfuhren von Fahrrädern geltende Antidumpingzollverordnung (EWG) Nr. 2404/93 nur Fahrräder der Position 8712 erfasse, umfasse die Ausweitungsverordnung (EG) Nr. 71/97 Fahrradteile der Position 8714 und differenziere nicht zwischen Fahrrädern der Positionen 8711, 8712 oder 8713. Damit wäre die Einfuhr von Fahrradteilen antidumpingzollpflichtig, auch wenn sie in Fahrräder eingebaut würden, die selbst keinem Antidumpingzoll unterlägen. Diese Inkongruenz könne nicht durch Auslegung beseitigt werden. Da die Verordnung Nr. 71/97 auch Teile für nicht antidumpingzollpflichtige Fahrräder dem Antidumpingzoll unterwerfe, sei sie unverhältnismäßig und damit nichtig.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 04.03.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.08.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, es treffe zu, dass Fahrräder mit Hilfsmotor der Position 8711 bei ihrer Einfuhr aus der Volksrepublik China keinem Antidumpingzoll unterlägen. Die von der Klägerin verkauften E-Bikes unterschieden sich optisch kaum von normalen Fahrrädern, für ihre Produktion könnten die gleichen Teile verwandt werden. Alle von der Verordnung Nr. 71/97 umfassten Teile könnten sowohl bei der Herstellung von konventionellen Fahrrädern als auch von Elektro-Bikes Verwendung finden. Die Verordnung Nr. 88/97 sehe die Möglichkeit einer Befreiung durch die Kommission vor, über die die Klägerin aber nicht verfüge.
Ein Band Sachakten hat vorgelegen.
Gründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
I.
Der Abgabenbescheid vom 04.03.2010 ist in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.08.2010 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.
Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Zolls ist Art. 220 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12.10.1992 (Zollkodex), wonach die mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag erfasste Zollschuld nachträglich erfasst werden kann.
Zwischen den Beteiligten im Streit ist allein die Frage, inwieweit für die eingeführten Fahrradgabeln Antidumpingzoll zu erheben ist bzw. ob die maßgebliche Antidumpingzollverordnung wirksam ist. Im Einzelnen:
Übereinstimmend und zutreffend gehen die Beteiligten zunächst davon aus, dass es sich bei den Fahrradgabeln um Waren der Unterposition 8714 9130 handelt. Von dieser Unterposition umfasst sind Teile und Zubehör für Fahrzeuge der Positionen 8711 bis 8713, andere als für Rollstühle und andere Fahrzeuge für Behinderte, Gabeln. Die in der Anmeldung angegebene Codenummer 8714 9130 90 0 setzt weiter voraus, dass es sich um andere als mit Farbe versehene oder lackierte Gabeln handelt, während lackierte Gabeln in die Codenummer 8714 9130 11 0 (mit Ursprung in China oder aus China versandt: - in Mengen unter 300 Stück pro Monat oder zur Lieferung an eine Partei in Mengen unter 300 Stück pro Monat bestimmt; oder - zur Lieferung an einen anderen Inhaber einer Bewilligung „Besondere Verwendung” oder an befreite Parteien bestimmt) oder die Codenummer 8714 9130 19 0 (andere) einzureihen sind.
Da die Waren ihren Ursprung in der Volksrepublik China haben und ausweislich des von der Klägerin nicht angefochtenen Einreihungsgutachtens lakkiert sind, und die Voraussetzungen der Codenummer 8714 9130 11 0 unstreitig nicht vorliegen, bleibt es bei der vom Beklagten angenommenen Einreihung in die Codenummer 8714 9130 19 0. Weiterer Ausführungen des Senats bedarf es dazu nicht.
Dann bleibt die Frage, inwieweit die eingeführten Fahrradgabeln dem Antidumpingzoll unterliegen.
Bei den Elektro-Bikes, für deren Montage die Klägerin die streitgegenständlichen Fahrradgabeln der Unterposition 8714 9130 eingeführt hat, handelt es sich um Fahrräder mit Hilfsmotor, andere als mit Hubkolbenverbrennungsmotor, der Position 8711. Für Fahrräder ohne Motor der Position 8712 sah Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 des Rates vom 08.09.1993 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Antidumpingzolls (VO Nr. 2474/93) zum Einfuhrzeitpunkt die Erhebung eines Antidumpingzolls vor. Fahrräder mit Hilfsmotor der Position 8711 waren von der VO Nr. 2474/93 nicht erfasst. Mit der Verordnung (EG) Nr. 71/97 des Rates vom 10.01.1997 wurde der mit der VO Nr. 2474/93 eingeführte endgültige Antidumpingzoll auf die Einfuhren bestimmter Fahrradteile aus der Volksrepublik China ausgeweitet. Aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 2. Spiegelstrich VO Nr. 71/97 (die gem. Verordnung (EG) Nr. 171/2008 des Rates vom 25.02.2008 aufrechterhalten worden ist) ergibt sich, dass zu den antidumpingzollpflichtigen Fahrradteilen auch lackierte Fahrradgabeln der Unterposition 8714 9130 gehören. Demzufolge fallen auch die streitgegenständlichen Fahrradgabeln in den Anwendungsbereich der VO Nr. 71/97, so dass für ihre Einfuhr Antidumpingzoll zu erheben war.
Eine Zollbefreiung nach der Verordnung (EG) Nr. 88/97 der Kommission vom 20.01.1997 betreffend die Genehmigung der Befreiung der Einfuhren bestimmter Fahrradteile mit Ursprung in der Volksrepublik China von dem mit der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 eingeführten und mit der Verordnung (EG) Nr. 71/97 des Rates ausgeweiteten Antidumpingzoll wurde der Klägerin nicht erteilt.
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass die VO Nr. 71/97 unverhältnismäßig ist. Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass die Einfuhr von Fahrrädern mit Hilfsmotor - im Gegensatz zu Fahrrädern mit konventionellem Antrieb - mit Ursprung in der Volksrepublik China keinem Antidumpingzoll unterliegt, während die Einfuhr bestimmter Fahrradteile, die zur Montage eines Fahrrads mit Hilfsmotor verwandt werden, antidumpingzollpflichtig ist, da die VO Nr. 71/97 Waren der KN-Codes 8714 91 bis 8741 99 umfasst und diese KN-Codes Teile für Fahrzeuge der Positionen 8711 und 8712 beschreiben. Dies hält der Senat indes nicht für problematisch.
Der Unionsgesetzgeber hat die VO Nr. 71/97 erlassen, um eine Umgehung der VO Nr. 247493 durch die Einfuhr von Teilen, die ihren Ursprung in der Volksrepublik China haben und zur Montage von Fahrrädern in der Gemeinschaft verwendet werden, zu vermeiden (1. Erwägungsgrund der VO Nr. 71/97). Vor diesem gesetzgeberischen Hintergrund ist es konsequent, alle relevanten Fahrradteile in den Geltungsbereich der Verordnung einzubeziehen, sofern sie zur Montage von Fahrrädern verwandt werden können, deren Einfuhr antidumpingzollpflichtig ist. Dass die von der Klägerin angeführten Fahrradgabeln nicht nur in Elektro-Bikes der Position 8711, sondern auch in konventionell angetriebene Fahrräder der Position 8712 eingebaut werden können, steht zur Überzeugung des Senats fest. Im Verkaufsprospekt der Klägerin (herunterzuladen über ihre Homepage) sind die Elektro-Bikes abgebildet, die sich jedenfalls im vorderen Teil optisch in keiner Weise von herkömmlichen Fahrrädern unterscheiden. Dies bestreitet auch die Klägerin nicht. Von daher wäre es dem Unionsgesetzgeber zwar theoretisch möglich, den Anwendungsbereich der VO Nr. 71/97 auf wesentliche Fahrradteile für Fahrzeuge der Position 8711 zu begrenzen, praktisch würde dies jedoch, da man den Teilen ihren künftigen Verwendungszweck nicht ansieht, zu erheblichen Überprüfungsschwierigkeiten und letztlich Umgehungsmöglichkeiten führen.
Dass dadurch auch Fahrradteile, deren Einfuhr bezogen auf diesen Verwendungszweck keine Umgehung der VO Nr. 2474/93 darstellt, antidumpingzollpflichtig werden, hat der Unionsgesetzgeber gesehen und daher Befreiungsmöglichkeiten geschaffen. Bereits in Art. 13 Abs. 4 der Grundverordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern ist geregelt, dass Waren, denen eine Bescheinigung der Zollbehörden beiliegt, aus der hervorgeht, dass die Einfuhr der Waren keine Umgehung darstellt, nicht mit Zöllen belegt werden. Nach Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 384/96 wird die Umgehung als eine Veränderung des Handels zwischen den Drittländern und der Gemeinschaft definiert, die sich aus einer Praxis, einem Fertigungsprozess oder einer Arbeit ergibt, für die es außer der Einführung des Zolls keine hinreichende Begründung oder wirtschaftliche Rechtfertigung gibt. Ausgefüllt wird dies durch Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 VO Nr. 71/97 sowie - wie bereits dargelegt - durch die VO Nr. 88/97. Darin werden die Befreiungsvoraussetzungen, das Verfahren zum Erhalt einer Befreiung sowie Kontrollmöglichkeiten näher geregelt. Die Erteilung der Befreiung und die Überprüfung der Verwendung obliegen dabei der Kommission. Inwieweit der Klägerin oder dem Betrieb, der die Fahrräder im Auftrag der Klägerin fertigt, eine Befreiung erteilt werden kann oder hätte erteilt werden müssen, hat der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden.
Das vom Unionsgesetzgeber gewählte System einer weitreichenden Ausweitung der Antidumpingzollverordnung Nr. 2474/93 durch die VO Nr. 71/97 mit Befreiungsmöglichkeiten in der VO Nr. 88/97 für Einfuhren, mit denen der Antidumpingzoll nicht umgangen wird, sieht der Senat als vom Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers gedeckt an und hält es nicht für unverhältnismäßig. Er sieht daher auch von der von der Klägerin angeregten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ab.
Die Voraussetzungen für ein Nacherhebungsverbot gemäß Art. 220 Abs. 2 lit. b) Zollkodex liegen nicht vor. Da der ursprüngliche Einfuhrabgabenbescheid vom 07.05.2009 ohne Überprüfung aufgrund der Anmeldung erging, fehlt es schon an einem aktiven Irrtum der Zollverwaltung.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.