Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 19.08.2011

    Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 07.12.2010 – 1 K 1237/07

    1. Durch die unwidersprochene Entgegennahme von Gutschriften mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer betreffend im Inland erbrachte Leistungen, hinsichtlich derer der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet, weist der im Ausland ansässige leistende Unternehmer einen höheren Steuerbetrag gesondert aus, als er nach dem UStG für den Umsatz schuldet. Ein Fall eines unberechtigten Steuerausweises i. S. d. § 14 Abs. 3 UStG liegt hingegen nicht vor.

    2. Der ausländische Unternehmer hat kein Wahlrecht, ob er die Erstattung seiner Vorsteuerbeträge im Vorsteuervergütungsverfahren oder im Veranlagungsverfahren verfolgt. Auch bei Versäumung der Antragsfrist des Vergütungsverfahrens kann er Vorsteuerbeträge, die dem Vergütungsverfahren unterliegen, nicht im Veranlagungsverfahren geltend machen.

    3. Die Regelung in § 14 Abs. 2 UStG stellt keine Abweichung vom Umsatzsteuersystem dar, sondern stellt im Gegenteil sicher, dass – völlig systemgerecht – ein Gleichgewicht zwischen entstehender Umsatzsteuer (auf Seiten des Leistungserbringers) und Vorsteuerabzugsberechtigung (auf Seiten des Leistungsempfängers) gewahrt bleibt. Dieser Gesetzeszweck steht mit dem Europarecht in Einklang.

    4. Die Festsetzung der unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG erfolgt nicht im allgemeinen Besteuerungsverfahren.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes durch den Präsidenten des Finanzgerichts … als Vorsitzenden, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2010

    für Recht erkannt:

    Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Der Rechtsstreit betrifft die Durchführung des allgemeinen Umsatzsteuer-Festsetzungsverfahrens für das Jahr 2002 im Inland für eine im Ausland ansässige Unternehmerin.

    Die Klägerin unterhält eine im Ausland ( Land C) ansässige Spedition und ist im internationalen Transportgeschäft tätig. Im Streitjahr führte sie im Inland Transportdienstleistungen aus.

    Im Juni 2003 stellte die Klägerin beim Bundesamt für Finanzen (nunmehr Bundeszentralamt für Steuern) einen Antrag auf Vorsteuervergütung für das Jahr 2002 gemäß §§ 59 ff. UStDV. Dabei wies sie darauf hin, dass sie für einen Teil der Leistungen Gutschriften mit offenem Steuerausweis erhalten habe. Das Bundesamt für Finanzen erteilte der Klägerin im Jahr 2004 den Hinweis, dass aus diesem Grund möglicherweise die Voraussetzungen für das Vergütungsverfahren nicht vorlägen, und wies auf die Möglichkeit zur Durchführung des allgemeinen Besteuerungsverfahrens hin. Da die Klägerin den Gutschriften nicht mehr widersprechen konnte, nahm sie ihren Antrag zurück.

    Im September 2005 reichte sie beim Beklagten eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr ein, in der sie sowohl die Umsätze mit offenem Steuerausweis als auch die Vorsteuerbeträge erklärte (USt, Bl. 4 ff.). Der Beklagte erließ am 1. Dezember 2005 einen Umsatzsteuerbescheid, in dem er die offen ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 2 und Abs. 3 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung in Höhe von X.XXX,XX EUR berücksichtigte, nicht jedoch die Vorsteuerbeträge in Höhe von XX.XXX,XX EUR (USt, Bl. 72).

    Hiergegen legte die Klägerin am 7. Dezember 2005 Einspruch ein (Rbh, Bl. 1), den der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 29. März 2007 als unbegründet zurückwies (Rbh, Bl. 31 ff.). Er stützte sich darauf, dass die Klägerin im Inland Umsätze erzielt habe, für welche der jeweilige Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulde. Da die Klägerin den Gutschriften mit offenem Umsatzsteuerausweis nicht widersprochen habe, habe sie sich deren Inhalt zueigen gemacht und dadurch einen unberechtigten Umsatzsteuerausweis vorgenommen. Ein Vorsteuerabzug komme daher nicht Betracht. Daran ändere nichts, dass das an sich eröffnete Vergütungsverfahren wegen Verfristung nicht mehr durchgeführt werden könne.

    Am 30. April 2007 hat die Klägerin Klage erhoben.

    Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die Annahme des Beklagten, die in den Gutschriften ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge seien im Sinne von § 14 Abs. 2 UStG unrichtig ausgewiesen, sei unzutreffend. Der unzutreffende Steuerausweis sei nicht durch die Klägerin, sondern durch die jeweiligen Leistungsempfänger erfolgt. Die Klägerin schulde deshalb keine Umsatzsteuer für die betreffenden Umsätze. Denn die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 UStG lägen nicht vor. Dies sei nur dann der Fall, wenn im Inland steuerbare und steuerpflichtige Umsätze erbracht worden seien. Im vorliegenden Fall sei Schuldner der Umsatzsteuer indessen der jeweilige Leistungsempfänger nach Maßgabe des § 13b UStG gewesen.

    Demgegenüber seien die Vorsteuerbeträge im Rahmen des allgemeinen Besteuerungsverfahrens in voller Höhe zu berücksichtigen. Die Durchführung des allgemeinen Besteuerungsverfahrens habe der Beklagte selbst eröffnet und müsse sich daher daran festhalten lassen. Wollte man aber dem Beklagten darin folgen, dass die Klägerin nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 UStG Schuldnerin der Umsatzsteuer sei, so müssten konsequenterweise auch die Vorsteuern berücksichtigt werden.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Änderung des Bescheides für 2002 über Umsatzsteuer vom 1. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2007 die Umsatzsteuer für 2002 in Höhe von (X.XXX,XX minus XX.XXX,XX =) minus XX.XXX,XX EUR festzusetzen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage als unbegründet abzuweisen.

    Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend im Wesentlichen aus, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 UStG. Daher sei die Umsatzsteuer zu Recht festgesetzt worden. Denn die Gutschriften gälten als Rechnungen, die unrichtig seien, weil die Leistungsempfänger die Umsatzsteuer aus den getätigten Umsätzen originär geschuldet hätten, nicht aber die Klägerin. Entgegen der Auffassung, welche die Klägerin vertrete, sei das allgemeine Veranlagungsverfahren nicht durchgeführt worden. Denn dies komme im Streitfall überhaupt nicht in Betracht. Vielmehr habe der Beklagte zur Steueranmeldung der Klägerin keine Zustimmung erteilt und den begehrten Vorsteuerabzug versagt. Es sei immer nur die Steuerschuldnerschaft der Klägerin wegen unrichtigen Steuerausweises gegangen. Diese beruhe ausschließlich auf dem unrichtigen Steuerausweis, nicht auf der regulären Besteuerung. Mangels Durchführung des allgemeinen Besteuerungsverfahrens hätten die Vorsteuerbeträge nicht berücksichtigt werden können.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten (zwei Bände; FG, Bl. 51) und die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

    Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Denn der Beklagte hat die Umsatzsteuer für das Streitjahr zu Recht auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ohne Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen festgesetzt.

    Die Klägerin schuldet die Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG (nunmehr § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG), da sie als Unternehmerin in einer Rechnung für eine sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag gesondert ausgewiesen hat, als sie nach dem UStG für den Umsatz schuldete.

    1.1 Die Klägerin ist unzweifelhaft Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG. Dies gilt ohne Zweifel ungeachtet dessen, dass sie in C und nicht im Inland ansässig ist. Denn § 2 Abs. 1 UStG, der auf Art. 4 Abs. 1 der Sechsten EG-RL (nunmehr Art. 9 Abs. 1 MehrwertSt-SystemRL) zurückgeht, unterscheidet nach den europarechtlichen Vorgaben zutreffend nicht nach dem Ansässigkeitsort des Unternehmers. Aufgrund ihrer Ansässigkeit in C ist sie ausländische Unternehmerin im Sinne von § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG.

    1.2 Die Klägerin erbrachte im Streitjahr im Inland sonstige Leistungen in Form von Transportleistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001. Demnach war sie gemäß § 14a Abs. 4 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 verpflichtet, dem Leistungsempfänger Rechnungen zu erteilen und ihn auf seine Steuerschuldnerschaft hinzuweisen. § 14a Abs. 4 Satz 3 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 sah dabei insbesondere eine Befreiung vom gesonderten Steuerausweis gemäß § 14 Abs. 1 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 vor.

    1.3 Die Klägerin hat zwar keine Rechnung im Sinne von § 14 Abs. 1 UStG ausgestellt, aber Gutschriften im Sinne des § 14 Abs. 5 UStG mit offen ausgewiesenem Umsatzsteuerbetrag von den inländischen Leistungsempfängern unwidersprochen entgegengenommen. Dies ist der Ausstellung einer Rechnung gleichzusetzen.

    Denn nach § 14 Abs. 5 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 gilt als Rechnung auch eine Gutschrift, mit der ein Unternehmer über eine steuerpflichtige oder sonstige Leistung abrechnet, die an ihn ausgeführt wird. Eine Gutschrift ist danach anzuerkennen, wenn der leistende Unternehmer zum gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung berechtigt ist, zwischen dem Aussteller und dem Empfänger der Gutschrift Einverständnis darüber besteht, dass mit einer Gutschrift über die Lieferung oder Leistung abgerechnet wird, die Gutschrift die für eine Rechnung erforderlichen Angaben im Sinne des § 14 Abs. 1 und 1 a UStG enthält und sie dem leistenden Unternehmer zugeleitet worden ist.

    Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 Nr. 1 bis 4 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 liegen im Streitfall vor, und die von der Klägerin entgegengenommenen Gutschriften gelten demgemäß als Rechnung.

    1.4 Die Klägerin hat durch unwidersprochene Entgegennahme der Gutschriften mit zu Unrecht gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer einen höheren Steuerbetrag gesondert ausgewiesen, als sie nach dem UStG für den Umsatz schuldete.

    1.4.1 Da die Klägerin als Auslandsunternehmerin (§ 13b Abs. 4 Satz 1 UStG) vom Anwendungsbereich des § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG erfasst wird, schuldete für die von ihr im Inland erbrachten sonstigen Leistungen der jeweilige Leistungsempfänger gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 UStG die Umsatzsteuer. Eine Ausnahme nach § 13b Abs. 3 UStG liegt im Streitfall nicht vor, da die Klägerin keine Personenbeförderungsleistungen erbracht hat.

    Daraus folgt, dass die Klägerin für die von ihr im Inland erbrachten sonstigen Leistungen selbst keine Umsatzsteuer schuldete. Jeglicher von ihr vorgenommener offener Umsatzsteuerausweis stellte demnach einen höheren Steuerbetrag im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG dar.

    Die vom Beklagten hieraus gezogene Konsequenz – nämlich die Festsetzung der gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin – entspricht mithin der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge.

    1.4.2 Das vorstehende Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Denn hiernach (EuGH vom 17. September 1997 C-141/96, EuGHE 1997, I-5073 Rs. Langhorst) ist der Steuerpflichtige (vgl. jetzt Art. 9 Abs. 1 MehrwertSt-SystemRL), der dem in einer solchen Gutschrift ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag, der höher ist als der aufgrund von steuerpflichtigen Umsätzen geschuldete Betrag, nicht widersprochen hat, als die Person anzusehen, die diesen Betrag ausgewiesen hat und ihn deshalb im Sinne von Art. 21 Nr. 1 Buchst c der Sechsten EG-UStRL (nunmehr Art. 197 Abs. 1 Buchst. c MehrwertSt-SystemRL) schuldet (vgl. dazu auch Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c, Rz. 159). Eine andere Auslegung würde nach Auffassung des EuGH betrügerischen Handlungen oder Absprachen Vorschub leisten, die das ordnungsgemäße Funktionieren des durch die Sechste EG-UStRL geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und das mit ihm verfolgte Ziel, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung sicherzustellen, beeinträchtigen würden.

    1.4.3 Ein Fall des § 14 Abs. 3 UStG (nunmehr § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG) liegt demgegenüber nicht vor. Denn die Klägerin war gemäß § 14 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 zum gesonderten Ausweis der Steuer berechtigt.

    Zwar war sie hier gemäß § 14a Abs. 4 Satz 3 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 von der Verpflichtung befreit, den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag auszuweisen. Diese Bestimmung stellt aber lediglich eine Ausnahme vom Grundsatz des § 14 Abs. 1 Nr. 6 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001, wonach der Steuerbetrag anzugeben ist, dar. Es handelt sich hierbei aber gerade nicht um ein Verbot des Steuerausweises. Aus § 14 a UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 kann daher nicht hergeleitet werden, dass der Unternehmer nicht zum Steuerausweis berechtigt ist (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c, Rz. 124). Eine grundsätzliche Nichtberechtigung der Klägerin zum Ausweis der Umsatzsteuer besteht daher entgegen ihrer Ansicht nicht. Bei dem im vorliegenden Fall ausgewiesenen Steuerbetrag ist vielmehr von einem unrichtigen Steuerausweis (§ 14 Abs. 2 Satz 1 UStG) und nicht von einem unberechtigten Steuerausweis (§ 14 Abs. 3 Satz 1 UStG) auszugehen (anderer Auffassung offenbar Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl. 2009, Rz 7).

    1.5 Die angefochtene Steuerfestsetzung war auch insoweit rechtmäßig, als der Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuern nicht berücksichtigt hat. Denn eine Vergütung der von der Klägerin gezahlten Vorsteuern konnte im Streitfall ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV erfolgen.

    Die Klägerin konnte auch keinen Vorsteuerabzug im Wege der Durchführung des allgemeinen, für inländische Unternehmer geltenden Besteuerungsverfahrens erlangen. Denn dies schied im Streitfall im Hinblick auf § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV aus und wurde vom Beklagten auch nicht durchgeführt. Der Beklagte entschied hier lediglich in seinem Bescheid vom 1. Dezember 2005, dass die festgesetzte Steuer nach § 14 Abs. 2 UStG i.d.F vom 20. Dezember 2001 geschuldet wird. Dabei handelte es sich um die Festsetzung des unrichtig ausgewiesenen Mehrbetrages.

    1.5.1 Das allgemeine Besteuerungsverfahren gemäß §§ 16 und 18 Nr. 1 bis Nr. 4 UStG konnte für die Klägerin nicht durchgeführt werden. Denn die Klägerin führte nur Umsätze aus, für die gemäß § 13b UStG in der Fassung vom 20. Dezember 2001 der Leistungsempfänger die Steuer schuldete.

    Aufgrund der zwingenden Anordnung in § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG i.V.m. § 59 Abs. 1 UStDV („… ist … durchzuführen …”) ist der ausländische Unternehmer unter den in § 13b UStG genannten Voraussetzungen auf das Vorsteuervergütungsverfahren beschränkt. Denn das Vergütungsverfahren nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV und das allgemeine Besteuerungsverfahren nach § 18 Abs. 1 bis 4 UStG schließen sich gegenseitig aus. Der Unternehmer hat kein Wahlrecht, ob er die Erstattung seiner Vorsteuerbeträge in dem einen oder dem anderen Verfahren verfolgt. Er kann auch nicht bei der Versäumung der Antragsfrist des Vergütungsverfahrens, die Vorsteuerbeträge, die eigentlich dem Vergütungsverfahren unterliegen, stattdessen im Veranlagungsverfahren geltend machen (BFH vom 23. Oktober 2003 V R 48/01, BFH/NV 2004, 301; FG des Saarlandes vom 14. April 2004 1 K 277/00, EFG 2004, 1486; FG München vom 4. Februar 2010 14 K 2800/08, EFG 2010, 1267; ebenso Bülow in Vogel/Schwarz, UStG, § 13b, Rz. 125; Maunz in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 18 E, Rz. 187; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18, Rz. 603 und 729; Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 18, Rz. 127).

    1.5.2 Die Festsetzung von Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG (nunmehr § 14c Abs. 1 UStG) gegenüber der Klägerin begründet keine Abweichung von den vorstehenden Grundsätzen und eröffnet nicht die Möglichkeit, das allgemeine Besteuerungsverfahren durchzuführen.

    Denn der Schuldgrund für die Umsatzsteuer in § 14 Abs. 2 UStG ist – abweichend vom Normalfall – nicht die Erbringung von steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen, sondern ausschließlich die Ausstellung eines unrichtigen Steuerausweises. Die Regelung in § 14 Abs. 2 UStG stellt keine Abweichung vom Umsatzsteuersystem dar, sondern stellt im Gegenteil sicher, dass – völlig systemgerecht – ein Gleichgewicht zwischen entstehender Umsatzsteuer (auf Seiten des Leistungserbringers) und Vorsteuerabzugsberechtigung (auf Seiten des Leistungsempfängers) gewahrt bleibt. Dieser Gesetzeszweck steht mit dem Europarecht in Einklang (vgl. Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Sechste EG-UStRL; nunmehr Art. 203 MehrwertSt-SystemRL).

    Die Steuerschuldnerschaft aufgrund des unrichtigen Steuerausweises begründet keine Abweichung von § 59 Nr. 2 UStDV (ebenso Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 18, Rz. 150; vgl. auch BMF vom 31. Dezember 2010 IV B 9-S 7359/09/10001, 2009/0796941, BStBl I 2009, 1520, Rz. 29). Aufgrund dessen werden nämlich die getätigten Umsätze im Sinne von § 13b Abs. 1 UStG nicht zu „schädlichen Umsätzen”, welche die Durchführung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens ausgeschlossen hätten. Dies ist in dem geltenden Umsatzsteuersystem so angelegt.

    Die Festsetzung der unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG erfolgt nämlich gerade nicht im allgemeinen Besteuerungsverfahren. Dies ergibt sich aus § 18 Abs. 4b UStG, der sich ausdrücklich nicht auf § 14 Abs. 2 UStG bezieht. Darin ist eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen und keine unbewusste Gesetzeslücke, die einer Ausfüllung durch den Rechtsanwender zugänglich wäre.

    Dem Begehren der Klägerin könnte daher nur durch einen Verstoß gegen das Gesetz unter Missachtung des Art. 20 Abs. 3 GG abgeholfen werden, ohne dass hierfür eine sachliche Begründung ersichtlich wäre. Vielmehr würde erst hierdurch eine Verletzung des in § 13b UStG und in § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG i.V.m. § 59 Abs. 1 UStDV kodifizierten Systems begründet werden. Für eine Handhabung contra legem besteht gerade deshalb kein Raum, weil es dem Auslandsunternehmer nicht prinzipiell verwehrt ist, eine Vergütung der von ihm gezahlten Umsatzsteuer zu erlangen, wenn auch unter Beachtung bestimmter formeller Voraussetzungen. Wollte man gleichwohl eine Berücksichtigung der Vorsteuer in Fällen wie dem vorliegenden zulassen, würde damit die Möglichkeit eröffnet, die Form- und Verfahrensvorschriften des § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV zu umgehen. Es wäre für den Auslandsunternehmer ein Leichtes, durch nur eine einzige Rechnung mit offenem (unrichtigem) Umsatzsteuerausweis in das allgemeine Besteuerungsverfahren zu gelangen. Die genannten speziellen Vorschriften würden dann leerlaufen.

    Der Einwand, dass in Fällen wie dem vorliegenden der in § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG angesprochene Vereinfachungszweck nicht erreicht werden könne, geht fehl. Er verkennt, dass die Vereinfachung des Verfahrens keine tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens darstellt. Ob der vom Gesetzgeber intendierte Vereinfachungszweck im Einzelfall erreicht wird, ist für die Anwendung der §§ 59 ff. UStDV ohne Bedeutung. Denn die Eröffnung des allgemeinen Besteuerungsverfahrens in Fällen, in denen der Auslandsunternehmer – wie im Streitfall – eine unrichtig ausgewiesene Steuer schuldet, würde letztlich zu einer Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs von § 13b Abs. 6 UStG führen, für die es keine gesetzliche Grundlage und keinen aus dem Umsatzsteuersystem folgenden Grund gibt. Denn die Regelungen §§ 59 ff. UStDV stehen im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. EG L 44 vom 20. Februar 2008, Seite 23).

    Im Streitfall kommt es nur deshalb nicht zur Vorsteuervergütung, weil die Klägerin die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Die Überlegungen, welche die Klägerin angestellt hat, dieses für sie unbefriedigende Ergebnis zu korrigieren, sind indessen Billigkeitserwägungen, die in das Steuererhebungsverfahren gehören und im Festsetzungsverfahren grundsätzlich keine Beachtung finden können. Abgesehen davon hat sich die Klägerin selbst die Möglichkeit genommen, ihre Vorsteuer vergütet zu bekommen, indem sie ihren entsprechenden Antrag beim damaligen Bundesamt für Finanzen zurückgenommen hat. Es lag an der Klägerin selbst, ihren Antrag auf Vergütung der abziehbaren Vorsteuer beim Bundesamt für Finanzen weiterzuverfolgen. Dieser Möglichkeit hat sie sich ohne Not begeben. Denn aus dem Schriftsatz des Bundesamtes für Finanzen vom 7. Juni 2004 (USt, Bl. 19 f.) geht lediglich hervor, dass die Finanzbehörde wegen der in den Gutschriften offen ausgewiesenen Umsatzsteuer Bedenken hatte, ob das Vergütungsverfahren durchgeführt werden könne. Aus dem Schreiben folgt indessen nicht, dass die Finanzbehörde die Klägerin gedrängt hätte, ihren Antrag nach § 61 Abs. 1 UStDV zurückzunehmen. Vielmehr enthält das vorerwähnte Schreiben lediglich die Bitte um nochmalige Überprüfung (USt, Bl. 20).

    Dass der Auslandsunternehmer seinen materiell-rechtlich bestehenden Vorsteuer-Vergütungsanspruch bei Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen letztlich nicht erfolgreich geltend machen kann, ist eine in §§ 59 ff. UStDV angelegte Folge und daher hinzunehmen. Sie bedarf jedenfalls in Konstellationen wie der vorliegenden keiner Korrektur.

    1.5.3 Gegen die Ablehnung des allgemeinen Besteuerungsverfahrens und den damit einhergehenden Ausschluss des Vorsteuerabzugs bestehen keine europarechtlichen Bedenken, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 f. AEUV). Denn gemäß den europarechtlichen Vorgaben (siehe die Vorschriften der Achten Richtlinie 79/1072/EWG, der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG und der Richtlinie 2008/9/EG, Verordnung 1798/2003/EG) besteht in den Fällen mit grenzüberschreitendem Sachverhalt wie dem vorliegenden für den ausländischen Unternehmer die Möglichkeit, eine Vergütung der von ihm geleisteten Vorsteuern zu erlangen (§ 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV) bzw. unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, im allgemeinen Besteuerungsverfahren besteuert zu werden. Daher liegt keine Diskriminierung von Unternehmern vor, welche nicht in ihrem Ansässigkeitsstaat, sondern in einem anderen EU-Mitgliedstaat steuerbare und steuerpflichtige Dienstleistungen erbringen.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Denn die Rechtsfrage, ob ein Auslandsunternehmer (§ 13b Abs. 4 UStG), der ausschließlich Umsätze im Sinne von § 13b Abs. 2 UStG erbringt und deshalb seine Vorsteuer nur im Verfahren nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV vergütet erhalten kann, dessen ungeachtet seine Vorsteuer auch im allgemeinen Besteuerungsverfahren (§§ 16 Abs. 2, 18 Abs. 1 bis Abs. 4 UStG) geltend machen kann, weil er eine unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG (nunmehr § 14c Abs. 1 UStG) schuldet, ist klärungsbedürftig und klärungsfähig. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof zwar klargestellt, dass der Auslandsunternehmer nicht bei der Versäumung der Antragsfrist des Vergütungsverfahrens, die Vorsteuerbeträge, die eigentlich dem Vergütungsverfahren unterliegen, stattdessen im Veranlagungsverfahren geltend machen (BFH vom 23. Oktober 2003 V R 48/01, BFH/NV 2004, 301). Die Frage, ob dieser Grundsatz aber auch dann gilt, wenn gegenüber dem Unternehmer Umsatzsteuer aufgrund unrichtigen Steuerausweises festgesetzt wird, war – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

    VorschriftenUStG 1999 § 13b Abs. 1 Nr. 1, UStG 1999 § 13b Abs. 4, UStG 1999 § 14 Abs. 1, UStG 1999 § 14 Abs. 2, UStG 1999 § 14 Abs. 3, UStG 1999 § 14 Abs. 5, UStG 1999 § 14a Abs. 4, UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nr. 1, UStG 1999 § 18 Abs. 4b, UStG 1999 § 18 Abs. 9, UStDV 1999 § 59 Abs. 1