12.08.2011
Finanzgericht Köln: Urteil vom 09.06.2011 – 13 K 3702/07
1) Die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO setzt anders als § 174 Abs. 1 bis 3 AO nicht voraus, dass die Berücksichtigung des Sachverhalts in dem einen Steuerbescheid die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen, einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt.
2) § 174 Abs. 4 AO erlaubt die Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide allerdings nicht, wenn sich die rechtliche Würdigung eines in mehren Jahren gleichförmig verwirklichten Sachverhalts ändert.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 13. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 09.06.2011 für Recht erkannt:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, die Körperschaftsteuerfestsetzung 1990 nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung – AO – zu ändern.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Der Kläger ist ein Versicherungsverein, der in den Jahren 1990 bis 1992 zunächst mit 49,3 % und später mit 100 % an der irischen Kapitalanlagegesellschaft B Inc. – im Folgenden B – beteiligt war. Das Vermögen der B bestand aus verschiedenen Wertpapieren, aus denen die B Erträge erzielte. Im Streitjahr 1990 waren die Anteile an der B in der Bilanz des Klägers unter den Bilanzposten „Beteiligung” mit 32.068.393,14 DM erfasst. Die Erträge aus der Beteiligung behandelte der Kläger nach dem „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei der Gewerbesteuer” als steuerfreie Ausschüttungen. Dem folgte der Beklagte im ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 21. Januar 1992 (geändert durch Bescheid vom 18. August 1992).
Im Anschluss an eine für die Jahre 1989 bis 1993 durchgeführte Außenprüfung folgte der Beklagte der Auffassung des Finanzamts für Konzernbetriebsprüfung C, nunmehr Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung – im Folgenden GKBp –, die in der „Zwischenschaltung” der B einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO sah, und löste den Bilanzposten „Beteiligung” gewinnmindernd auf. Stattdessen erfasste der Beklagte unter dem Konto „Sammelposten” erfolgswirksam die Wertpapiere, Debitoren, Geldkonten, Kreditoren und das Kapitalkonto der B. Die Steuerfreistellung der ausländischen Einkünfte entfiel im Streitjahr 1990 in Höhe von 2.315.911 DM, und in den darauffolgenden Jahren in Höhe von 3.536.587 DM (1991), 2.391.956 DM (1992) und 2.096.709 DM (1993). Die Anrechnung ausländischer Quellensteuer unterblieb. Die in der Gewinn und Verlust-Rechnung – GuV – der B ausgewiesenen Betriebsausgaben ließ der Beklagte nicht zum Betriebsausgabenabzug zu. Stattdessen berücksichtigte er basierend auf einem Erfahrungssatz 0,3 % der Einnahmen als Betriebsausgaben.
Dies führte zu folgenden Gewinnänderungen außerhalb der Bilanz (in DM):
1990 | 337.902 |
1991 | 522.537 |
1992 | 720.629 |
1993 | 1.358.606 |
Ausbuchung der Beteiligung B | Ausbuchungsbetrag | Gewinnänderung |
31. Dezember 1990 | 32.068.393,15 DM | ./. 32.068.393,15 |
31. Dezember 1991 | 29.015.649,28 DM | + 3.052.743,87 |
31. Dezember 1992 | 31.168.409,77 DM | ./. 2.152.760,49 |
31. Dezember 1993 | 33.256.118,81 DM | 2.096.709,04 |
31. Dezember 1990 | 26.713.009 |
31. Dezember 1991 | 28.798.037 |
31. Dezember 1992 | 30.707.075 |
31. Dezember 1993 | 31.671.178 |
1990 | + 26.713.009 |
1991 | + 2.085.028 |
1992 | + 1.909.038 |
1993 | + 964.103 |
Gegen die aufgrund der Außenprüfung erlassenen Änderungsbescheide 1990 bis 1993 vom 30. Juli 1997 legte der Kläger am 8. August 1999 Einsprüche ein, die der Beklagte am 15. Dezember 1999 als unbegründet zurückwies. Im hiergegen gerichteten Klageverfahren nahm der Kläger am 14. April 2000 die Klage gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1990 (jetziges Streitjahr) zurück, weil ihm für dieses Verfahren die Beschwer fehlte. Das weitergehende Verfahren ruhte bis zum Abschluss der beim Bundesfinanzhof – BFH – anhängigen Revisionsverfahren I R 94/97 und I R 117/97.
Mit Urteil vom 25. Februar 2004 I R 42/02 (BStBl II 2005, 14) entschied der BFH unter gleichzeitiger Bestätigung seiner Entscheidungen vom 19. Januar 2000 I R 94/97 (BStBl II 2001, 222) und I R 117/97 (BFH/NV 2000, 824), dass die Beteiligung einer inländischen Kapitalgesellschaft an Kapitalanlagegesellschaften im niedrig besteuerten Ausland (im dortigen Streitfall der IFSC-Gesellschaft in den Dublin-Docks) nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 42 AO ist, wenn die ausländische Gesellschaft auf eine gewisse Dauer angelegt ist und über ein Mindestmaß an personeller und sachlicher Ausstattung verfügt, die die unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sicherstellt. Nachdem das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 28. Dezember 2004, abgedruckt in BStBl I 2005, 28, zustimmend zu der Entscheidung Stellung genommen hatte, wurde das Klageverfahren für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 wieder aufgenommen und außergerichtlich in der Weise erledigt, dass die Beteiligung an der B nicht länger als rechtsmissbräuchlich angesehen wurde. Dementsprechend erließ der Beklagte am 20. Februar 2006 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO Änderungsbescheide für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992, in denen die Körperschaftsteuer um 1.658.303,12 EUR (1991) und 481.012,66 EUR (1992) herabgesetzt wurde.
Ebenfalls am 20. Februar 2006 erließ der Beklagte den im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Körperschaftsteuerbescheid 1990, mit dem er die Körperschaftsteuer um 565.971,48 EUR heraufsetzte. Die Erläuterungen enthalten den Hinweis, dass die Berichtigung gemäß § 174 Abs. 4 AO durchzuführen war, weil sich aus der Richtigstellung der irrigen Beurteilung eines einheitlichen Sachverhaltes – der Beteiligung an der B – steuerrechtliche Folgen sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Klägers in mehreren Veranlagungszeiträumen ergäben. Wegen der Einzelheiten wird auf den geänderten Körperschaftsteuerbescheid in der Rechtsbehelfsakte verwiesen.
Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Kläger am 17. März 2006 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, eine Änderung des bereits bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheids 1990 sei nach § 174 Abs. 4 AO nicht zulässig. Die Korrektur eines bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO sei an die irrige Beurteilung eines „bestimmten Sachverhalts” geknüpft. Unter einem „bestimmten Sachverhalt” seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht einzelne Tatsachen zu verstehen, sondern ein einzelner Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpfe. Einzelner Lebensvorgang sei im Streitfall die Beteiligung an der B, die abschließend in dem zu versteuernden Gewinn des Jahres 1991 als Saldo des Betriebsvermögensvergleichs zum Ausdruck komme. Daher sei konsequenterweise für die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO der Gewinn als „bestimmter Sachverhalt” anzusehen und nicht ein Sachverhaltskomplex „steuerliche Behandlung der Beteiligung an der B”.
Die Gewinnermittlung für 1991 setze an die Schlussbilanz zum 31. Dezember 1990 und die Ermittlung des Endvermögens zum 31. Dezember 1991 an. Die Aktivierung einer Gesellschaftsbeteiligung zum 31. Dezember 1991 mit einem bestimmten Wert sage jedoch nichts darüber aus, dass diese Beteiligung zum 31. Dezember des Vorjahres ebenfalls im Betriebsvermögen gewesen und mit demselben Wert anzusetzen sei. Auch sei es zumindest logisch denkbar, einen Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO zum 31. Dezember 1990 zu bejahen und zum 31. Dezember 1991 zu verneinen. Denn was in einem Veranlagungszeitraum rechtsmissbräuchlich sei, müsse nicht zwingend auch im folgenden Veranlagungszeitraum als missbräuchlich angesehen werden (periodenbezogene Besteuerung).
Nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs sei beim Betriebsvermögensvergleich im Veranlagungszeitraum 1991 das Betriebsvermögen mit den in der Schlussbilanz zum 31. Dezember 1990 ausgewiesenen Werten anzusetzen. Der formelle Bilanzenzusammenhang führe dazu, dass der zum 31. Dezember 1990 vom Beklagten angesetzte „Sammelposten” folgerichtig und ohne weitere Beurteilung des Sachverhalts bei der Gewinnermittlung des Jahres 1991 zugrunde gelegt worden sei. Eine Rückwärtsberichtigung komme nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH – GrS – vom 10. November 1997, GrS 1/96, BStBl II 1998, 83, nur in Betracht, wenn der fehlerhafte Bilanzansatz sich steuerlich noch nicht ausgewirkt habe oder wenn die auf ihm beruhenden Veranlagungen nach allgemeinen Grundsätzen noch berichtigt oder geändert werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil der fehlerhafte Bilanzansatz sich im Körperschaftsteuerbescheid 1990 bereits ausgewirkt habe. Die Regelungen über den Bilanzenzusammenhang schlössen eine Rückwärtskorrektur der Bescheide nach 1990 aus.
Der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 AO reduziere sich im Übrigen auf Fälle der Objekt-, Perioden-, Zuständigkeits- oder Subjektkollision. Der Vorgang müsse entweder in dem einen oder dem anderen Bescheid berücksichtigt werden. Das Verhältnis zwischen den Bescheiden sei zwingend alternativ. Der „andere” Bescheid müsse eine widerstreitende Steuerfestsetzung enthalten, wie sich aus dem Gesetz und seiner amtlichen Überschrift zu § 174 AO ergebe.
Jedenfalls entspreche es nicht dem Zweck der Vorschrift, einen Dauersachverhalt über seinen gesamten Zeitraum einer einheitlichen Würdigung zu unterziehen.
Im Streitfall sei der Vorgang „Beteiligung an einer irischen Kapitalanlagegesellschaft” von der Finanzverwaltung im Streitjahr 1990 schlicht falsch veranlagt worden. Dem Körperschaftsteuerbescheid 1991 liege eine Steuerbilanz mit dem Ansatz der Beteiligung an der irischen Kapitalgesellschaft zugrunde, während der Körperschaftsteuerbescheid 1990 auf dem Ansatz eines Sammelpostens beruhe. Insoweit unterliege ein Sachverhalt in zwei Veranlagungszeiträumen lediglich einer unterschiedlichen rechtlichen Würdigung, was Folge des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung sei und keine widerstreitende Steuerfestsetzung darstelle.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 30. August 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, das Finanzamt habe die „Beteiligung an der B” irrig, das bedeute falsch, steuerlich beurteilt. Nachdem die Bescheide 1991 ff. auf Antrag des Klägers zu dessen Gunsten berichtigt worden seien, habe eine Berichtigung des Körperschaftsteuerbescheids 1990 zu Lasten des Klägers nach § 174 Abs. 4 AO erfolgen müssen. Irrige Beurteilung eines Sachverhaltes bedeute, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes, den das Finanzamt der Besteuerung sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Steuerpflichtigen zugrunde lege, nachträglich als unrichtig erweise (BFH, BStBl 1996, 417). Unerheblich sei, ob der Irrtum die tatsächlichen Voraussetzungen über einen bestimmten Sachverhalt oder dessen rechtliche Beurteilung betreffe. Im Streitfall reduziere sich die falsche Beurteilung der „Beteiligung an der irischen Kapitalgesellschaft B” nicht auf einen Bilanzierungsfehler und einen unzutreffenden Gewinn, der infolge der Abschnittsbesteuerung nicht mehr korrigiert werden könne. Der Gewinn sei eine durch § 4 Abs. 1 EStG definitorisch bestimmte Besteuerungsgröße und erfülle nicht die Voraussetzungen, die an einen Sachverhalt im Sinne des § 174 AO zu stellen seien. „Bestimmter Sachverhalt” im Sinne der Vorschrift sei vielmehr ein steuererheblicher Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgerungen knüpfe, das sei im Streitfall die „Beteiligung an der irischen Kapitalanlagegesellschaft B”.
Entgegen der Auffassung des Klägers setze § 174 Abs. 4 AO auch nicht voraus, dass die Berücksichtigung eines Sachverhalts in dem einen Steuerbescheid die Berücksichtigung desselben Sachverhalts in einem anderen Veranlagungszeitraum ausschließe. Der BFH verstehe § 174 Abs. 4 AO in ständiger Rechtsprechung als eine eigenständige Berichtigungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhaltes beschränkt sei (BFH, BStBl II 1998, 454 und BStBl II 1995, 264 mit weiteren Nachweisen). Denn im Gegensatz zu § 174 Abs. 1 bis Abs. 3 AO enthalte § 174 Abs. 4 AO das Merkmal, dass ein bestimmter Sachverhalt sich nur einmal auswirken dürfe, nicht. Für die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO in Verbindung mit § 174 Abs. 5 AO genüge es, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl beim Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten erfasst und dabei irrig beurteilt worden sei, ohne dass dabei die Rechtsfolgen übereinstimmen müssten (BFH, BStBl II 1988, 404). Gleiches gelte, wenn sich aus der Richtigstellung eines irrig beurteilten einheitlichen Lebensvorgangs steuerrechtliche Folgerungen zu Gunsten und zu Lasten ein und desselben Steuerpflichtigen in mehreren Veranlagungszeiträumen ergäben (BFH, BStBl II 1981, 778). Es wäre „widerstreitend” im Sinne der Überschrift zu § 174 AO, wenn der Kläger aufgrund desselben Lebenssachverhaltes in den Körperschaftsteuerbescheiden 1991 und 1992 eine Änderung zu seinen Gunsten erreichen könne, während die Berichtigung des Körperschaftsteuerbescheids 1990 aufgrund desselben Sachverhalts unterbleiben müsse.
Hiergegen hat der Kläger am 28. September 2007 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und führt ergänzend aus, der Beklagte müsse sich an seiner fehlerhaften Korrektur des Körperschaftsteuerbescheides 1990 aufgrund der Außenprüfung festhalten lassen. Er habe den Sachverhalt in seiner Körperschaftsteuererklärung richtig und der Beklagte im Anschluss an die Außenprüfung unrichtig beurteilt. Dass die Beteiligung an der B im Körperschaftsteuerbescheid 1990 nach Betriebsprüfung nunmehr anders gewürdigt werde als in dem Körperschaftsteuerbescheid 1991 rechtfertige keine Änderung des Steuerbescheids 1990.
Der Kläger beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 20. Februar 2006 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid 1990 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Der Beklagte war nicht befugt, den im Anschluss an die Bp ergangenen Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 30. Juli 1997 nach § 174 Abs. 4 AO zu Lasten des Klägers zu ändern.
Nach dieser Vorschrift können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Irrige Beurteilung eines Sachverhaltes bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes, den die Finanzbehörde sowohl der Besteuerung in dem zu Gunsten des Steuerpflichtigen geänderten als auch in einem anderen Steuerbescheid zu Grunde gelegt hat, nachträglich als unrichtig erweist. Unerheblich ist, ob der Irrtum die tatsächlichen Voraussetzungen des Vorliegens eines bestimmten Sachverhaltes betrifft oder die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts (ständige Rspr. des BFH, vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BStBl II 1997, 647 m.w.N.).
Bestimmter Sachverhalt im Sinne dieser Vorschrift ist ein steuererheblicher Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerrechtliche Folgerungen knüpft (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404, m.w.N., und vom 22. Juli 1980 VIII R 114/78, BStBl II 1981, 101). Der Begriff des bestimmten Sachverhaltes ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes steuerrechtlich bedeutsames Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (vgl. BFH-Beschluss in BStBl II 1988, 404; BFH-Urteile vom 8. April 1992 X R 20013/87, BFH/NV 1993, 406, und vom 22. August 1990 I R 42/88, BStBl II 1991, 387, m.w.N.). Entscheidend ist, dass aus demselben unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten Sachverhalt andere steuerliche Folgen noch in einem anderen Steuerbescheid gegenüber dem Steuerpflichtigen zu ziehen sind (BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 54/05, BStBl II 1997, 647).
Anders als § 174 Abs. 1 bis 3 AO setzt § 174 Abs. 4 AO nicht voraus, dass die Berücksichtigung des Sachverhalts in dem einen Steuerbescheid die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt.
Der teilweise im Schrifttum vertretenen gegenteiligen Auffassung, § 174 Abs. 4 Satz 1 AO setze zwingend ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis voraus, das nur die alternative Berücksichtigung desselben Sachverhaltes erlaube (so Loose in Tipke/Kruse, AO-FGO, § 174, Rz. 42.; Brüning, Die widerstreitende Steuerfestsetzung 1989, 88 f.) folgt der Senat nicht, weil § 174 Abs. 4 AO im Gegensatz zu § 174 Abs. 1 bis 3 AO nicht das Tatbestandsmerkmal enthält, dass ein bestimmter Sachverhalt sich nur einmal auswirken darf. Auch stellte dies die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 4 AO im Prozessverfahren in das Belieben des Steuerpflichtigen, da dieser durch einen eingeschränkten Änderungsantrag eine Teilberücksichtigung des Sachverhalts im angefochtenen Bescheid herbeiführen könnte (§ 96 FGO).
Der erkennende Senat sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung. So hat der BFH in dem Sonderfall, dass ein Dritter von der Änderung eines Steuerbescheides zu Gunsten eines Steuerpflichtigen betroffen ist, § 174 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 174 Abs. 5 AO auch angewendet, um die korrespondierende steuerliche Behandlung des Sachverhaltes bei einem anderen Steuerpflichtigen zu erreichen. Dabei handelte es sich um Sachverhalte, die sich bei mehreren Steuerpflichtigen auswirkten und bei jedem zu berücksichtigen waren (BFH-Urteil in BStBl II 1981, 101 zur einheitlichen Behandlung von geleisteten Pachtzahlungen bei Pächter und Verpächter; Urteil vom 24. November 1987 IX R 158/83, BStBl II 1988, 404 zur Behandlung wiederkehrender Zahlungen als dauernde Last bei der Leistenden und als Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen bei der Empfängerin und Beschluss vom 20. April 1989 V B 153/88, BStBl II 1989, 539, zum Wegfall des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger, wenn der leistende nicht Unternehmer im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz ist).
Der Begriff des „bestimmten Sachverhalts” bedarf aber bei gleichförmig über mehrere Veranlagungszeiträume andauernden Sachverhalten einer Begrenzung/Einschränkung durch das Periodenprinzip. Ohne eine solche Einschränkung würde die Anwendung des wie vor verstandenen § 174 Abs. 4 AO in diesen Fällen eine ausufernde, die Regeln der Bestandskraft in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise (vgl. dazu z. B. Loose in T/K VW § 172 Rdnr. 2 m. w. N.) aushöhlende Änderungsbefugnis bzw. -pflicht nach sich ziehen.
Wenn ein gleichförmiger Sachverhalt über viele Veranlagungszeiträume der Besteuerung zu Grunde gelegt worden ist, und der Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum die Aufhebung eines ihn belastenden Steuerbescheides wegen der bis dahin irrigen Beurteilung des Sachverhaltes erstreitet, müssten nach der oben dargelegten Definition sämtliche bereits bestandskräftig veranlagten Jahre zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden. Selbst die Begrenzung durch die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) setzte wegen der weitgehenden Ablaufhemmung nach § 174 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AO erst sehr spät ein.
Dass dies mit dem Telos der Vorschrift nicht vereinbar ist, hat der XI. Senat des BFH im Urteil vom 10. März 1999, BStBl II 1999, 475 bereits entschieden. Im dortigen Fall hatte der Kläger aufgrund eines zu seinen Gunsten geänderten Einkommensteuerbescheides, in dem eine berufliche Tätigkeit als nicht gewerblich qualifiziert wurde, eine entsprechende Änderung des ihn belastenden Gewerbesteuermessbescheides begehrt. Der XI. Senat des BFH kam zu dem vom erkennenden Senat geteilten Ergebnis, dass § 174 Abs. 4 AO es nicht zulässt, dass die durch Rechtsbehelf erwirkte Änderung eines Bescheides zu Gunsten des Steuerpflichtigen auf bestandskräftige andere Bescheide übertragen wird.
Nach Auffassung des erkennenden Senats muss das bei gleichförmig über mehrere Veranlagungszeiträume verwirklichten Lebenssachverhalten auch für Änderungen zu Lasten des Steuerpflichtigen gelten. Ansonsten würde sich die Korrekturvorschrift in nicht zu begründender, die Bestandskraft aushöhlender Weise zu Lasten der Steuerpflichtigen auswirken. Wenn bspw. der Steuerpflichtige aufgrund eines bestimmten Sachverhalts und dessen (irriger) Beurteilung im Jahr 01 einen steuerlichen Gewinn, im Jahr 02 einen Verlust, im Jahr 03 einen Gewinn, im Jahr 04 einen Verlust und im Jahr 05 schließlich wieder einen Gewinn erzielt und der Steuerbescheid 05 zu seinen Gunsten aufgehoben wird, steht die zuvor dargestellte Rechtsprechung des XI. Senats des BFH einer Änderung der den Steuerpflichtigen belastenden (Gewinn-) Jahre 01 und 03 entgegen. Wäre das Finanzamt nach dieser Vorschrift gleichwohl befugt, die den Steuerpflichtigen begünstigenden (Verlust-) Jahre 02 und 04 zu ändern, würde das dazu führen, dass der Sachverhalt nunmehr in jedem zweiten Veranlagungszeitraum widerstreitend berücksichtigt ist. Der Senat geht dabei davon aus, dass § 174 Abs. 4 AO bei Auslegung im Lichte des Legalitätsprinzips (§ 85 AO) keine Ermessensvorschrift ist (ebenso vgl. v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 174 AO Rn. 255; von Wedelstädt in Beermann, AO/FGO, § 174 AO, Rn. 85; anderer Ansicht Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Rn. 156, 123). Er sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH zu § 174 Abs. 3 AO (vgl. Urteile vom 19. November 1985 II R 244/81, BStBl II 1986, 249 und vom 23. Februar 1989 V R 106/83, BFH/NV 1989, 688). Eine solche einseitig zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkende Korrekturberechtigung, bei der über § 174 Abs. 4 Satz 3 AO zudem der ansonsten durch Festsetzungsverjährung eintretende Änderungsschutz nur eingeschränkt wirkt, würde nach Auffassung des erkennenden Senates nicht dem Telos der Norm entsprechen. Dies gilt ebenso für die in der Literatur aufgestellten Beispiele zur geänderten Beurteilung der Unternehmereigenschaft bei vorangegangenem Vorsteuerabzug (vgl. z.B. von Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 174 AO, Rn. 104 m.w.N.).
In einem Besteuerungssystem, das auf einer periodenbezogenen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen basiert und dessen periodenbezogene Steuerfestsetzungen selbst im Falle der Fehlerhaftigkeit über die Regelungen der Bestandskraft sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil der Besteuerungsparteien vor Änderungen geschützt sind, muss nach Auffassung des erkennenden Senats daher auch das Tatbestandsmerkmal „bestimmter Sachverhalt” in § 174 Abs. 4 AO eine einschränkende, periodenbezogene Definition erfahren. Das hat zur Folge, dass ein gleichförmig verwirklichter Lebenssachverhalt im Veranlagungszeitraum 01 nicht aus sich heraus zugleich als „bestimmter Sachverhalt” i.S.d. § 174 Abs. 4 im Veranlagungszeitraum 02 anzusehen ist.
Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, ist als „bestimmter Sachverhalt” i.S.d. § 174 Abs. 4 AO das Halten der Beteiligung an der B und die damit einhergehende Erzielung von Einnahmen zu sehen. Der Auffassung des Klägers, „bestimmter Sachverhalt” i.S.d. Vorschrift sei der Gewinn, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Bei dem Gewinn handelt es sich um eine definitorische Größe und nicht um einen tatsächlichen Lebensvorgang. Der in dem Halten der Beteiligung im Jahr 1991 verwirklichte Lebenssachverhalt ist bei einer den Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO einschränkenden Betrachtung der Vorschrift aber nicht zugleich auch der „bestimmte Sachverhalt” des Veranlagungszeitraums 1990. Das hat zur Folge, dass der Beklagte nicht befugt war, den Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 30. Juli 2007 zu Lasten des Klägers zu ändern.
Der Senat kann bei dieser Entscheidung offen lassen, ob die Annahme eines Missbrauchs in 1990 nicht schon deshalb irrig war, weil hierdurch eine höhere Steuer angefallen ist als ohne die angeblich missbräuchliche Gestaltung angefallen wäre. Zumindest im Veranlagungszeitraum 1990 diente die Gestaltung daher nicht der Steuerminderung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 27. Juli 1999 VIII R 79/98, BFH/NV 2000, 188, Tz. 3a).
Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH im Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95 ab. In diesem Urteil betont der BFH unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Großen Senats – GrS – vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751, 767 im Einklang mit der vom erkennenden Senat im vorliegenden Streitfall vertretenen Auffassung, dass i.d.R. alle für die Entstehung eines Steueranspruchs bedeutsamen Tatsachen innerhalb eines Veranlagungszeitraums vorliegen und deshalb in jedem Veranlagungszeitraum gesondert geprüft werden müssen. Davon abweichend beurteilt der BFH in der genannten Entscheidung jedoch solche Tatsachen, die einer Ausdehnung des Beurteilungszeitraums bedürfen (im dortigen Streitfall die sich erst über mehrere Veranlagungszeiträume zeigende Gewinnerzielungsabsicht).
Der erkennende Senat lässt es dahinstehen, ob er sich dieser Auffassung des BFH uneingeschränkt anschließen könnte. Im vorliegenden Rechtsstreit ist das entscheidungsunerheblich. Denn das Halten einer Gesellschaftsbeteiligung ist keine Tatsache, die durch Elemente der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit geprägt ist, so dass ein wesentlicher Unterschied in den zu betrachtenden Lebenssachverhalten besteht. Der erkennende Senat ist jedoch der Auffassung, dass die vorgenannte Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH auf Sachverhalte beschränkt bleiben muss, die durch Elemente der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit geprägt sind, um so einer ausufernden Aufweichung der Bestandskraft entgegen zu wirken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 AO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 155 FGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 AO eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide erlaubt, wenn sich die rechtliche Würdigung eines in mehreren Jahren gleichförmig verwirklichten Sachverhalts ändert, einer höchstrichterl