17.07.2012
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 11.05.2010 – 2 K 535/10
1. Der Insolvenzschuldner hat auch dann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nur ein Unternehmen im umsatzsteuerlichen Sinne, wenn er mehrere unterschiedliche unternehmerische Tätigkeiten ausübt, die teil der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegen und teils zum insolvenzfreien Vermögen gehören.
2. Hat der Insolvenzschuldner eine unternehmerische Tätigkeit, für die er lediglich die Verfügungsbefugnis verloren hat, weil insoweit das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und hat er zudem mit Genehmigung des Insolvenzverwalters während des Insolvenzverfahrens eine weitere unternehmerische Tätigkeit aufgenommen, so kann die Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG für dieses aus mehreren unternehmerischen Tätigkeiten bestehende Unternehmen nur einheitlich in Anspruch genommen werden; über die Inanspruchnahme entscheidet der Insolvenzverwalter.
3. Hat der Insolvenzverwalter durch die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen nicht von § 19 UStG Gebrauch gemacht, kann der Insolvenzschuldner also nicht für die von ihm während des Insolvenzverfahrens aufgenommene, vom Insolvenzverwalter genehmigte zusätzliche unternehmerische Tätigkeit die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von …, … und … sowie … den ehrenamtlichen Richtern … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 11. Mai 2011 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Insolvenzverwalter für neuerworbenes Vermögen auf die Kleinunternehmerregelung für die Umsatzsteuer verzichten kann.
Der Kläger ist auf dem Gebiet des Maler- und Fußbodenlegerhandwerks tätig. Über sein Vermögen eröffnete am 20. Mai 2003 das Amtsgericht … unter dem Aktenzeichen … IN …/02 das Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter … gab unter der Steuernummer …/…/…7 jährlich Umsatzsteuererklärungen ab. Seit dem 1. April 2006 erzielt der Kläger steuerpflichtige Umsätze aus einer Maler- und Fußbodenlegerfirma. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung gab der Kläger am 7. Juli 2006 an, von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen zu wollen. Der Kläger erhob in der Folgezeit in seinen Rechnungen keine Umsatzsteuer.
Der steuerliche Vertreter des Klägers teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 6. März 2007 mit, dass der Kläger ab dem Jahr 2007 auf die Kleinunternehmerregelung verzichte. Der Kläger reichte am 14. April 2008 die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2006 (Umsatzsteuer EUR 9,34) und am 23. April 2008 die für 2007 (Umsatzsteuer ./. EUR 1.343,27) unter der Steuernummer …/…/…4 ein. Für das Jahr 2006 begehrte er die Anwendung der Kleinunternehmerregelung, für 2007 erklärte teilweise steuerfreie Umsätze in Höhe von EUR 3.013 aus diesem Grund. Mit Bescheiden vom 25. Februar 2009 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer 2006 auf EUR 1.044,43 und für 2007 auf ./. EUR 862,19 fest, wobei er jeweils den Regelsteuersatz anwendete. Am 14. Mai 2009 erließ der Beklagte des Weiteren einen vom Kläger beantragten Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2006 und 2007, in dem er feststellte, dass die Umsatzsteuer 2006 EUR 1.044,43 betrug und die Umsatzsteuer 2007 noch in Höhe von EUR 481,08 fällig war, weil jeweils kein Kleinunternehmen vorgelegen habe. Die gegen alle Bescheide eingelegten Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 5. März 2010 als unbegründet zurück.
Hinsichtlich des Umsatzsteuerbescheides 2007 und des Abrechnungsbescheides nahm der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurück.
Der Kläger macht geltend, dass der Insolvenzverwalter nicht für das insolvenzfreie Vermögen auf die Kleinunternehmerregelung verzichtet habe, weil ihm hierfür gar keine Befugnis zugestanden habe. Ferner sei fraglich, ob Umsatzsteuerklärungen mit Umsätzen von jeweils EUR 0 einen Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung darstellten. Verrechnungen zwischen den beiden Vermögensmassen wären ohnehin nicht zulässig, daher sei kein sachlicher Grund ersichtlich, warum für das insolvenzfreie Vermögen die Anwendung der Kleinunternehmerregelung ausscheiden solle. Für die Vorrangigkeit einer Verzichtserklärung des Insolvenzverwalters fehle jeder gesetzliche Anhaltspunkt. Auch sei bedenklich, dass der Beklagte erst nach Einreichung der Jahressteuererklärung seine Rechtsauffassung dem Kläger mitgeteilt habe, so dass der Kläger mehrere Monate auf die Erhebung der Umsatzsteuer verzichtet habe.
Es liege hier eine sog. unechte Freigabe von Insolvenzvermögen vor, d.h. der Insolvenzverwalter habe zwar dem Kläger die Tätigkeit erlaubt, fordere aber über die Einnahmen eine Abrechnung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 25. Februar 2009, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2010, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Insolvenzverwalter seit Verfahrensbeginn auf die Kleinunternehmerregelung verzichtet habe. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe auf die Unternehmereigenschaft des Insolvenzschuldners keinen Einfluss. Dieser sei lediglich in seinem Verwaltungs- und Verfügungsrecht beschränkt. Daher seien dem unternehmerischen Bereich alle Umsätze zuzurechnen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt würden, unabhängig davon, ob diese der Insolvenzverwalter oder der Insolvenzschuldner begründe. Verwalter und Schuldner betrieben dasselbe Unternehmen, auch wenn verschiedene Steuernummern vergeben würden. Auch die Kleinunternehmerregelung könne nur einheitlich angewandt werden. Ein Verzicht müsse nicht ausdrücklich ausgeübt werden, sondern auch durch schlüssiges Verhalten. Der Insolvenzverwalter habe jährlich Umsatzsteuerklärungen abgegeben, die in den Jahren 2005 und 2007 auch Umsätze enthalten hätten.
Für 2007 sei vom Kläger ohnehin auf die Kleinunternehmerregelung verzichtet worden, so dass die Klage insoweit unbegründet sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakten sowie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Der Umsatzsteuerbescheid des Jahres 2006 ist rechtmäßig.
1. Unternehmer, deren Gesamtumsatz im Vorjahr EUR 17.500 nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr EUR 50.000 voraussichtlich nicht übersteigen wird, werden völlig aus der Besteuerung herausgenommen. Durch § 19 Abs. 2 UStG erhält der unter § 19 Abs. 1 UStG fallende Unternehmer die Möglichkeit, auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG zu verzichten. Der Verzicht auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG kann nur einheitlich für alle Umsätze eines ganzen Unternehmens, also nicht beschränkt auf bestimmte Betriebe des Unternehmers, abgegeben werden. Das folgt aus dem umsatzsteuerlichen Grundsatz der Einheit des Unternehmens. § 19 Abs. 2 UStG schreibt für die Verzichtserklärung keine bestimmte Form vor. Es genügt daher jede Willenserklärung des Unternehmers gegenüber dem Finanzamt, die eindeutig erkennen lässt, dass er auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. Diese Willenserklärung kann auch konkludent erfolgen (Vogel/Schwarz, UStG-Kommentar, § 19, Rn. 66).
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat zur Folge, dass das Vermögen des Schuldners in zwei Teilmassen aufgeteilt wird, die einem unterschiedlichen Rechtsregime unterworfen sind. Dazu gehört insbesondere, dass der Schuldner über die Insolvenzmasse nicht mehr verfügen und aus der Insolvenzmasse zu befriedigende Forderungen nicht mehr begründen kann (§ 80 Abs. 1 InsO) und dass seine Gläubiger weder wegen vor noch wegen während des Verfahrens begründeter Forderungen in die Insolvenzmasse vollstrecken können (§ 89 Abs. 1 InsO, Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 1. September 2010 – VII R 35/08, BFH/NV 2011, 88). Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) und daher nur eine nachhaltige Tätigkeit zur Einnahmeerzielung (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG, Urteil des Bundesfinanzhofes vom 27. Januar 2011 – V R 21/09, BFH/NV 2011, 949).
Die von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfassten Verbindlichkeiten können nicht nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden. Sie können vielmehr auch in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Als Verwertung der Masse ist auch die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände anzusehen. Zur Insolvenzmasse gehört das Vermögen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens und das während des Verfahrens Erlangte . Nicht zur Insolvenzmasse gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, unterliegen die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung (§ 811 Nr. 5 ZPO); sie fallen deshalb auch nicht in die Insolvenzmasse. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 7. April 2005 – V R 5/04, BStBl II 2005, 848).
Nach diesen Grundsätzen ist grundsätzlich der Kläger im Rahmen seines alten Unternehmens weiter tätig, entweder mit seiner Arbeitskraft oder auch mit Teilen des bisherigen und nun freigegebenen Vermögens. Damit liegt weiterhin ein Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG vor. D.h. der Kläger hat zum einen eine unternehmerische Tätigkeit aus dem Unternehmen, für welches er lediglich die Verfügungsbefugnis verloren hat, weil insoweit das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Zum anderen hat er eine weitere unternehmerische Tätigkeit, die er seit 2006 mit Genehmigung des Insolvenzverwalters ausübt. Für die Auffassung des Beklagten spricht die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur Frage der Insolvenzbefangenheit von Umsatzsteuervergütungsanprüchen aus einer Tätigkeit mit Hilfe unpfändbarer Gegenstände (Urteil vom 1. September 2010 – VII R 25/09, BFH/NV 2011, 647). Danach sind gemäß …. § 35 Abs. 1 InsO die Umsatzsteuervergütungsansprüche von der Insolvenzmasse umfasst. Daraus ist zu schließen, dass es der Insolvenzverwalter ist, der über die Steuerpflicht von Umsätzen nach § 19 UStG entscheidet. Des Weiteren kann nach Auffassung des Senates für ein Unternehmen, auch wenn es aus mehreren unternehmerischen Tätigkeiten besteht, die Kleinunternehmerregelung nur einheitlich in Anspruch genommen werden. Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter durch die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen nicht von § 19 UStG Gebrauch gemacht, daher konnte der Kläger daneben nicht für eine der beiden unternehmerischen Tätigkeiten als Kleinunternehmer auftreten.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei Insolvenzmasse und freigegebenem Vermögen weitgehend davon ausgegangen wird, dass verfahrensrechtlich zwei Steuernummern vergeben werden. Daraus könnte zu schließen sein, dass die Behandlung des Verzichtes jeweils unterschiedlich vorgenommen werden könnte. Ferner ist hier nach dem Vortrag des Klägers die Leistung ohne unpfändbares Vermögen erbracht worden, nämlich nur durch die Arbeitsleistung des Klägers. In einem solchen Fall handelt der Gemeinschuldner außerhalb der Masse. Soweit er nun in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, es habe nur eine sogenannte modifizierte Freigabe vorgelegen (vgl. hierzu z. B. Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Mai 2010 – 1 K 2014/06, EFG 2010, 1568), setzt er sich mit seinem eigenen Vortrag in Widerspruch. Des Weiteren erscheint in dieser Situation, wenn der Insolvenzverwalter eine Abrechnung über die Einkünfte fordert, erst Recht von einem einheitlichen Unternehmen auszugehen zu sein. Aber auch bei einer ausschließlichen Tätigkeit im insolvenzfreien Bereich ist in Ermangelung spezieller gesetzlicher Regelungen am Grundsatz des § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG festzuhalten, der vom einheitlichen Unternehmen ausgeht. Dies gilt auch im Insolvenzverfahren.
2. Soweit der Kläger geltend macht, dass der Beklagte erst bei Einreichung der Jahressteuererklärung für 2006 die Nichtanwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung geltend gemacht habe, woraus ihm ein Schaden entstanden sei, weil er die Umsatzsteuer nicht eingenommen habe, macht er Vertrauensschutzgründe geltend. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er unwiderrufbar disponiert. Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann indes nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 9. August 1989 – I R 181/85, BStBl II 1989, 990). Im Streitfall ist das Vertrauen des Klägers nicht schutzwürdig. Zwar hat er gegenüber dem Beklagten bei der Anmeldung des Unternehmens mitgeteilt, dass er von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen wird. Er hat aber keinen Kontakt mit dem Insolvenzverwalter aufgenommen, ob dieser seinerseits von der Regelung Gebrauch macht oder nicht. Schließlich handelt es sich umsatzsteuerlich weiterhin um ein Unternehmen. Ferner hätte er eine entsprechende Auskunft auch vom Beklagten erhalten können. Daher genügt die bloße Mitteilung in der Anmeldung des Unternehmens nicht, um hier einen Vertrauensschutz zu begründen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, 136 Abs. 2 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO zuzulassen.