26.07.2011
Finanzgericht München: Urteil vom 29.03.2011 – 13 K 617/10
1. Ein behindertes Kind ist erst dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht.
2. Die Frage, ob ein Anspruch auf Kindergeld für das behinderte Kind besteht, ist grundsätzlich für jeden Monat gesondert zu prüfen.
3. Hinsichtlich der zeitlichen Berücksichtigung der Einkünfte und Bezüge gilt das Zuflussprinzip; die Einnahmen sind grundsätzlich in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie tatsächlich zugeflossen sind.
4. Erhält das volljährige behinderte Kind Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld, die nicht in jedem Monat, sondern unregelmäßig anfallen, wird das Prinzip des tatsächlichen Zuflusses durchbrochen und es gilt das normative Zuflussprinzip.
5. Nachzahlungen von Arbeitslosengeld II und Einstiegsgeld nach dem SGB II müssen dem Monat des tatsächlichen Zuflusses zugerechnet werden. Für solche Nachzahlungen gilt nicht das normative Zuflussprinzip.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 13. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2011
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Streitig ist, ob der schwerbehinderte Sohn der Klägerin außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
I.
Die Klägerin ist die Mutter von [… HH] (geboren am 00. August 1984). HH ist von Geburt an schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90 % und den Merkzeichen G und B. Mit Bescheid vom 00. März 2010 hat das Versorgungsamt festgestellt, dass seit dem 00. Oktober 2009 der Grad der Behinderung 100 % beträgt. Der Klägerin wurde für HH laufend Kindergeld gewährt.
Am 31. März 2009 beendete HH sein Musikstudium. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 14. März 2009 der Beklagten – der Familienkasse (FK) – mit, dass HH ab dem 1. April 2009 eine selbständige Tätigkeit als Musiker und Diplommusiklehrer antreten wolle, und beantragte die Fortsetzung der Kindergeldzahlungen ab dem 1. April 2009.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2009 hob die FK die Zahlung des Kindergeldes für HH ab April 2009 auf. Die FK war der Auffassung, dass HH aufgrund seiner eigenen Einkünfte und Bezüge, insbesondere der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), im Stande sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde von der FK mit Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die Klage. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass der Gesamtbedarf des Kindes höher sei als seine Einkünfte und Bezüge.
In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2010 hat der Sozialmediziner Dr. [… TT] festgestellt, dass HH aufgrund seiner Behinderung nicht im Stande ist, seinen gesamten Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Nach den vorgelegten Nachweisen der Klägerin über die Einkünfte und Bezüge von HH hat die FK mit Bescheid vom 15. September 2010 der Klage für den Monat April 2009 und den Zeitraum Juni 2009 bis November 2009 entsprochen und Kindergeld in Höhe von monatlich 164 EUR festgesetzt. Die Beteiligten haben insoweit übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
In den beiden – noch streitigen – Monaten Mai 2009 und Dezember 2009 sind HH die folgenden Einnahmen zugeflossen und die folgenden Aufwendungen abgeflossen ([…]):
Mai 2009 | EUR | EUR | |
06.05. | ALG II für 04/09 und 05/09 | 1.608,74 | |
darin: | |||
Regelleistung 2 * 351,00 = 702,00 | |||
Unterkunftskosten 2 * 453,37 = 906,74 | |||
29.05. | ALG II für 06/09 | 804,37 | |
darin: | |||
Regelleistung 1 * 351,00 = 351,00 | |||
Unterkunftskosten 1 * 453,37 = 453,37 | |||
18.05. | Beitrag Berufsverband, -haftpflicht | -26,22 | |
26.05. | Fachliteratur | -17,55 | |
26.05. | Musikerunfallversicherung | -8,53 | |
Dezember 2009 | EUR | EUR | |
03.12. | Einstiegsgeld für 06/09 bis 11/09 | 897,50 | |
darin: | |||
Einstiegsgeld 5 * 179,50 = 897,50 | |||
18.12. | Einstiegsgeld für 12/09 | 179,50 | |
31.12. | ALG II für 01/10 | 812,21 | |
Regelleistung 1 * 359,00 = 359,00 | |||
Unterkunftskosten 1 * 453,21 =453,21 | |||
01.12.-31.12. | Honorar für Unterricht | 60,00 | |
11.12. | Auslagenersatz für Gottesdienst | 20,00 | |
08.12. | Rentenbeitrag | -32,34 | |
17.12. | Werbung (Flyer) | -233,24 | |
28.12. | Musikerunfallversicherung | -8,52 | |
28.12. | Werbung (Homepage) | -52,04 | |
31.12. | Bankgebühren | -6,45 |
Die Klägerin begründet ihre Klage, mit der sie die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Mai und Dezember 2009 begehrt, damit, dass in jedem dieser beiden Monate die finanziellen Mittel des Sohnes geringer seien als dessen Bedarf. Der monatliche Bedarf von HH betrage im Mai 2009 1.195,87 EUR und im Dezember 2009 1.211,70 EUR. Der monatliche Bedarf setze sich zusammen aus dem Grundbedarf von 640,00 EUR (1/12 von 7.680 EUR), dem Pauschbetrag für Behinderung von 102,50 EUR (1/12 von 1.230 EUR) bzw. 118,33 EUR (1/12 von 1.420 EUR) und den Unterbringungskosten von 453,37 EUR. Auf den Berücksichtigungsmonat Mai 2009 würden nur finanzielle Mittel in Form der Bezüge nach dem Arbeitslosengeld II (ALG II) mit der Regelleistung von 351,00 EUR und Unterkunftskosten in Höhe von 453,37 EUR wirtschaftlich entfallen. Alle anderen im Mai 2009 zugeflossenen Bezüge aus dem ALG II seien wirtschaftlich den Monaten April und Juni zuzurechnen. Die FK habe dagegen als Zufluss im Mai 2009 nicht nur das ALG II für diesen Monat, sondern auch die auf andere Monate entfallenden Bezüge berücksichtigt. Bei den Bezügen im Dezember 2009 dürfe nur das Einstiegsgeld gemäß § 16b SGB II für den Monat Dezember in Höhe von 179,50 EUR berücksichtigt werden. Soweit die FK auch das zugeflossene Einstiegsgeld berücksichtige, das wirtschaftlich auf die Monate Juni bis November 2009 entfalle, sei das unzutreffend. Außerdem müssten im Monat Mai 2009 höhere Betriebsausgaben abgezogen werden, als die FK bisher mit 43,77 EUR in Abzug gebracht habe. Die Betriebsausgaben seien um insgesamt 680,06 EUR höher. Miete und Nebenkosten von HH im Mai 2009 würden zur Hälfte auf Unterkunftskosten und zur Hälfte auf Betriebsausgaben entfallen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass sie und ihr Ehemann dem Sohn Darlehenszahlungen über 610,00 EUR zugewendet hätten, um den größten Teil der ausstehenden Regelleistungen aus dem ALG II zu überbrücken. Die Rückzahlung dieses Darlehens sei zum großen Teil mit 570,00 EUR zu Anfang des Monats Juli erfolgt. Damit verblieben ausgehend von der Berechnung der FK für den Monat Mai 2009 nur mehr finanzielle Mittel in Höhe von 1.059,28 EUR (2.349,34 EUR – 680,06 EUR – 610,00 EUR = 1.059,28 EUR) und folglich sei im Mai 2009 der monatliche Bedarf von HH unterschritten. Im Monat Dezember 2009 lägen die Betriebsausgaben wegen der nicht als Betriebsausgaben berücksichtigten Mietanteile um 226,61 EUR höher als die bisher vom der FK berücksichtigten Betriebsausgaben von 291,73 EUR. Außerdem sei im Dezember 2009 ein Betrag von 900,00 EUR für die Tilgung von Krediten der Eltern, die zur Bestreitung des Lebensunterhaltes gewährt worden seien, abzuziehen. Damit verblieben für den Monat Dezember 2009 ausgehend von der Berechnung der FK nur mehr finanzielle Mittel in Höhe von 478,53 EUR (1.605,14 EUR – 226,61 EUR – 900,00 EUR = 478,53 EUR), die niedriger als der Bedarf seien. Sofern auf die Einnahmen bei den Einkünften und Bezügen von HH im gesamten Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2009 abgestellt werde, würden sich sogar für jeden Monat durchschnittliche finanzielle Mittel in Höhe von nur mehr 911,71 EUR ergeben […]; damit sei der monatliche Bedarf von HH deutlich unterschritten. Im Übrigen sei bereits grundsätzlich zweifelhaft, ob die Leistungen des ALG II oder das Einstiegsgeld als Bezüge bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines volljährigen Behinderten berücksichtigt werden dürften.
Die Klägerin beantragt
den Bescheid vom 24. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2010 aufzuheben, soweit dieser die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Mai 2009 und Dezember 2009 aufhebt,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Familienkasse beantragt
die Klageabweisung,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die FK ist der Auffassung, dass die finanziellen Mittel 2.349,34 EUR im Monat Mai 2009 und 1.605,14 EUR im Monat Dezember 2009 betragen hätten. Damit lägen in diesen beiden Monaten die finanziellen Mittel des Sohnes über dem monatlichen Bedarf. Dieser Betrag sei für den Mai 2009 mit 1.195,87 EUR und für den Monat Dezember 2009 mit 1.211,54 EUR anzusetzen […]. Da HH ab Oktober 2009 ein Grad der Behinderung von 100 bescheinigt worden sei, betrage der jährliche Behindertenpauschbetrag ab diesem Zeitpunkt 1.420,00 EUR; davor, bei dem Grad der Behinderung von 90, betrage dieser 1.230,00 EUR. Die Einnahmen in den Monaten seien jeweils nach dem Prinzip des tatsächlichen Zuflusses zu bestimmen. Dem Sohn seien im Mai 2009 Bezüge aus dem ALG II als Regelleistung in Höhe von 1.053,00 EUR (3 * 351 EUR = 1.053 EUR) zugeflossen; neben der Nachzahlung für die Monate April und Mai sei auch die Zahlung für Juni im Mai 2009 auf dem Konto des Sohnes eingegangen. Außerdem seien dem Sohn im Mai 2009 weitere Bezüge aus dem ALG II als Unterkunftskosten in Höhe von 1.360,11 EUR (3 * 453,57 EUR = 1.360,11 EUR) zugeflossen; auch insoweit seien dies die Zahlungen für die drei Monate. Diesen Zuflüssen ständen Aufwendungen im Mai 2009 in Höhe von 63,77 EUR gegenüber. Im Dezember 2009 seien dem Sohn Betriebseinnahmen in Form von Honorar in Höhe von 60,00 EUR zugeflossen. Von diesen seien Betriebsausgaben in Höhe von 291,73 EUR und Rentenzahlungen als Sonderausgaben in Höhe von 32,34 EUR in Abzug zu bringen. Außerdem seien dem Sohn im Dezember 2009 Bezüge in Form von Einstiegsgeld in Höhe von 1.077,00 EUR sowie Bezüge aus dem ALG II in Form der Regelleistung in Höhe von 359,00 EUR und in Form von Unterkunftskosten in Höhe von 453,21 EUR zugeflossen; bei dem Einstiegsgeld handele es sich um die Zahlung für die Monate von Juni bis Dezember 2009. Von diesen monatlichen Bezügen sei die anteilige Kostenpauschale in Höhe von 20,00 EUR (1/9 von 180) in Abzug zu bringen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
II.
1. Das Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Revisionsverfahren Az. III R 56/10 war nicht auszusprechen, denn die FK hat ihre Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens – zulässig (vgl. Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-/FGO-Kommentar, § 74 FGO Rz. 168 [Aug. 2005] m.w.N.) – widerrufen.
2. Die Klage ist unbegründet.
2.1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht für ein volljähriges Kind unter weiteren – hier nicht streitigen – Voraussetzungen ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057, unter II.1.a, m.w.N.) ist ein behindertes Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen gesamten notwendigen Lebensunterhalt nicht mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln bestreiten kann. Der existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf), der sich an dem maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG orientiert, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 III R 50/07, BFHE 228, 17, BStBl II 2011, 38).
b) Ein Anspruch auf Kindergeld besteht nur dann, wenn die Behinderung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles in erheblichem Umfang mitursächlich dafür ist, dass das Kind nicht seinen (gesamten) Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten kann (BFH-Urteil in BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057, unter II.1.b c, m.w.N.). Dies ist zwischen den Beteiligten – nach der fachlichen Stellungnahme des TT vom 14. Mai 2010 – zu Recht nicht streitig.
c) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind erst dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht. Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist folglich anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel (die Einkünfte und Bezüge; BFH-Urteil vom 26. November 2003 VIII R 32/02, BFHE 204, 454, BStBl II 2004, 588) andererseits, zu prüfen. Bei den finanziellen Mitteln ist allerdings das Vermögen des Kindes nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 19. August 2002 VIII R 51/01, BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91; FG Köln, Urteil vom 23. Oktober 2008, 10 K 1228/07, EFG 2009, 413). Erst wenn die finanziellen Mittel des Kindes ausreichen, um seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf abzudecken, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand für das Kind entsteht, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72, unter 1.c der Gründe).
Zwischen den Beteiligten ist im Streitfall zu Recht nicht streitig, dass der Bedarf von HH (aufgerundet auf volle EUR-Beträge) im Monat Mai 2009 mit 1.196 EUR und im Monat Dezember 2009 mit 1.212 EUR anzusetzen ist.
d) Zu den dem Kind zur Verfügung stehenden Mitteln rechnen – jedenfalls dann, wenn die Eltern entweder nicht unterhaltsverpflichtet sind oder nicht in Regress genommen werden (können) – auch tatsächlich erfolgte Zahlungen der Sozialleistungsträger als Bezüge (BFH-Urteil in BFHE 204, 454, BStBl II 2004, 588; vom 17. November 2004 VIII R 22/04, BFH/NV 2005, 541; Selder, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 32 EStG Rn. 110). Hilfeleistungen der Eltern haben dagegen außer Betracht zu bleiben; sie sind weder mittelerhöhend noch bedarfsmindernd zu berücksichtigen, da ansonsten genau die Unterhaltsbeiträge der Eltern zum Ausschluss des Kindergeldanspruches führen können, die das Kindergeld abgelten soll (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 59/01, BFHE 207, 237, BStBl II 2010, 1048).
e) Die Frage, ob ein Anspruch auf Kindergeld für das behinderte Kind besteht, ist grundsätzlich für jeden Monat gesondert zu prüfen (BFH-Urteile vom 16. Dezember 2002 VIII R 65/99, BFHE 201, 195, BStBl II 2003, 593; vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248; in BFHE 207, 237, BStBl II 2010, 1048). Die Berechnung nach dem Monatsprinzip folgert der BFH (BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 34/03, BFH/NV 2004, 1094) u.a. daraus, dass die für behinderte Kinder maßgebliche Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG von der Jahresgrenzbetragsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG – anders als die Nr. 1 und 2 des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG – nicht erfasst wird und auch die Materialien zu § 32 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG nicht erkennen lassen, dass der Gesetzgeber solches beabsichtigt hätte (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 139, 155, zu § 32 Abs. 4 EStG 1996).
Hinsichtlich der zeitlichen Berücksichtigung der Einkünfte und Bezüge gilt das Zuflussprinzip (BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 76/01, 116, BStBl II 2002, 525); die Einnahmen sind grundsätzlich in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie tatsächlich zugeflossen sind. Erhält das volljährige behinderte Kind Sonderzahlungen, die nicht in jedem Monat, sondern unregelmäßig anfallen, wird das Prinzip des tatsächlichen Zuflusses durchbrochen. Jährlich anfallende Einnahmen – wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld usw. – sind nicht ausschließlich dem Monat des Zuflusses zuzuordnen, sondern auf den Zuflussmonat und die nachfolgenden elf Monate aufzuteilen (BFH-Urteil in BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248), insoweit wird von dem sog. normativen Zuflussprinzip ausgegangen.
In Fällen, in denen – wie im Streitfall – die Grundsicherung nach dem Sozialhilferecht nicht vollständig zeitgerecht ausgezahlt wird, ist in der BFH-Rechtsprechung nicht geklärt, wie die beim behinderten Kind verspätet zugeflossenen Nachzahlungen für andere Kalendermonate zu behandeln sind. Das FG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 19. Juli 2010, 10 K 10255/07 (EFG 2011, 155; dagegen Revision eingelegt, Az. des BFH: III R 56/10) die in einem Monat zugeflossenen Nachzahlungen für andere Monate den Monaten zugeordnet, auf die sie wirtschaftlich entfallen. Insoweit wurde abweichend vom tatsächlichen Zufluss rechtlich für die Nachzahlungen ebenfalls das normative Zuflussprinzip (vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – Urteil vom 18. Februar 1999 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296) für maßgeblich erachtet. Der BFH hat dagegen in einem Urteil (BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 34/03, BFH/NV 2004, 1094) eine Rentennachzahlung an ein behindertes Kind nach dem Prinzip des tatsächlichen Zuflusses vollständig im Monat des Zuflusses berücksichtigt und den Nachzahlungsbetrag nicht dem Monat zugeordnet, auf den er entfiel.
2.2. Unter Zugrundelegung der Rechtsgrundsätze aus dem BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1094 folgt nach Auffassung des erkennenden Senats für den Streitfall: In den beiden streitigen Monaten Mai 2009 und Dezember 2009 sind dem Sohn der Klägerin alle in den beiden Monaten tatsächlich zugeflossenen Einkünfte und Bezüge auch jeweils zuzurechnen.
a) Der erkennende Senat hält die Auffassung des FG Berlin-Brandenburg (in EFG 2011, 155) nicht für zutreffend. Nach Auffassung des Senats wird das tatsächliche Zuflussprinzip nur bei jährlichen Sonderzuwendungen durchbrochen. Das Urteil des FG Berlin-Brandenburg parallelisiert zu stark die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des behinderten Kindes i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG mit den Grundsätzen zur Bestimmung der maßgeblichen Einkünfte i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Diese Zuordnungsgrundsätze (neuestens BFH-Urteile vom 18. März 2009 III R 95/06, BFH/NV 2009, 1614; vom 15. Juli 2010 III R 22/09, BFH/NV 2010, 2256 m.w.N.) gelten aber nicht bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von volljährigen Behinderten, denn die maßgebliche Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wird gerade von dem Jahresgrenzbetrag in § 32 Abs. 4 Satz 2 nicht erfasst (BFH-Urteil in BStBl II 2007, 248 unter II.1.d der Entscheidungsgründe).
b) Der Senat ist im Streitfall der Auffassung, dass die Leistungsfähigkeit des volljährigen Behinderten parallel zum Sozialrecht beurteilt werden muss. Der Senat stellt deshalb im Streitfall darauf ab, wie in diesem Rechtsgebiet Nachzahlungen von Sozialleistungen zeitlich zugerechnet werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat Nachzahlungen von Arbeitslosenhilfe und Übergangsgeldern als laufende Einnahme gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 2 Abs. 2 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld Arbeitslosengeld II / Sozialgeld-Verordnung (AlgIIV vom 18. Dezember 2008, BGBl I 2008, 2780 m.W.v. 1. Januar 2009) im Zuflussmonat berücksichtigt (BSG-Urteil vom 7. Mai 2009 B 14 AS 4/08 R, ZFSH/SGB 2009, 740). Außerdem hat das BSG eine Berücksichtigung der laufenden Einnahme mangels Rechtsgrundlage auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Härte außer Betracht gelassen (BSG-Urteil vom 21. Dezember 2009 B 14 AS 46/08 R, Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht – info also – 2010, 90). Nach diesen Grundsätzen ist der Senat der Auffassung, dass auch die Nachzahlungen von ALG II und Einstiegsgeld im Streitfall nach dem tatsächlichen Zufluss zugeordnet werden müssen.
2.3. Nach dieser Maßgabe hat die FK der Klägerin zu Recht für Mai und Dezember 2009 kein Kindergeld gewährt.
a) Für den Monat Mai 2009 ergeben sich finanzielle Mittel für HH von 2.349,34 EUR. Der Senat stellt auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen im Mai 2009 ab.
aa) Die Leistungen des ALG II sind von der FK zutreffend als Bezüge behandelt worden. Der Begriff der „Bezüge” wird in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendet, ohne im Gesetz näher definiert zu werden. Der BFH hat darunter solche Einnahmen verstanden, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare Einnahmen oder im Einzelnen für steuerfrei erklärte Einnahmen (BFH-Urteile vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684, m.w.N.; vom 14. Mai 2002 VIII R 57/00, BFHE 199, 194, BStBl II 2002, 746; in BFHE 204, 454, BStBl II 2004, 588). Demgemäß steht der Qualifizierung einer Sozialleistung als Bezug i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht entgegen, dass sie gewährt wird, weil der Anspruchsberechtigte außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Der BFH hat deshalb auch die Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) den Bezügen zugeordnet (BFH-Urteil in BFHE 204, 454, BStBl II 2004, 588). Deshalb hat der Senat auch keine Zweifel daran, dass die Einordnung von Leistungen zur Sicherstellung des Unterhalts nach Maßgabe des SGB II (z.B. ALG II) oder des SGB XII (z.B. Hilfe zum Lebensunterhalt oder Eingliederungshilfe) als Bezüge in 63.4.2.3.1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DAFamEStG, BStBl I 2009, 1030) zutreffend ist (ebenso BFH-Urteil vom 15. Juli 2010 III R 22/09, BFH/NV 2010, 2256 unter II.4.a der Entscheidungsgründe). Ein Tatbestand, der die Zurechnung als Bezüge ausschließen würde, ist aus den vorgelegten Bescheiden nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgetragen.
bb) Von den zugeflossenen Bezügen aus den Zahlungen des ALG II für die Monate April, Mai und Juni 2009 in Höhe von 1.053,00 EUR für Regelleistung und 1.360,11 EUR für Unterkunftskosten ist die anteilige (monatliche) Kostenpauschale in Höhe von 20,00 EUR (1/9 von 180,00 EUR; gemäß 63.4.1.2 Abs. 3 DAFamEStG, BStBl I 2009, 1030, R 32.10 Abs. 3 Einkommensteuerrichtlinien – EStR – 2009) in Abzug zu bringen. Daneben hat der Kläger noch Einkünfte aus seiner selbständigen Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) als Musiker in Höhe eine Verlustes von 43,77 EUR erzielt. Dieser monatliche Verlust setzt sich aus den Betriebsausgaben für den Berufsverband in Höhe von 26,22 EUR und für Fachliteratur in Höhe von 17,55 EUR zusammen.
cc) Die von der Klägerin zusätzlich als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit geltend gemachten Aufwendungen für die Miete und Nebenkosten in Höhe von 680,06 EUR sind dagegen nicht gemäß § 4 Abs. 4 EStG zum Abzug zuzulassen. Der Begriff der Einkünfte ist i.S. des § 2 Abs. 2 EStG zu verstehen und als Betriebsausgaben sind nur solche Aufwendungen zum Abzug zuzulassen, die nach den einkommensteuerlichen Regeln abzugsfähig sind. Im Streitfall steht dem Abzug der Aufwendungen für die Miete und Nebenkosten von HHs Wohnung § 12 Nr. 1 EStG entgegen. Denn Aufwendungen für die eigene Wohnung können bei der Einkommensteuer grundsätzlich nicht abgezogen werden, weil es sich bei diesen Aufwendungen regelmäßig um solche der privaten Lebensführung i.S. des § 12 Nr. 1 EStG handelt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der fragliche Raum so gut wie ausschließlich zu beruflichen Zwecken genutzt wird (BFH-Urteil vom 6. März 2008 VI R 3/05, BFH/NV 2008, 1314 m.w.N.). Die Klägerin will diese Miet- und Nebenkostenzahlungen zur Hälfte als Unterkunftskosten und zur Hälfte als Betriebsausgaben abziehen. Die Klägerin hat ind er mündlichen Verhandlung erklärt, dass nicht einzelne Teile der Wohnung ausschließlich privat und andere Teile ausschließlich betrieblich genutzt werden, sondern die ganze Wohnung sowohl betrieblich wie privat. Werden aber die betrieblich genutzten Teile nicht nur unerheblich auch privat mitbenutzt, ist für diese Aufwendungen der Abzug als Betriebsausgaben gemäß § 12 Nr. 1 EStG ausgeschlossen.
Ebenso ist der Abzug der Aufwendungen für die Musikerunfallversicherung über 8,53 EUR bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit als Betriebsausgaben gemäß § 12 Nr. 1 EStG (Schmidt/Drenseck, EStG, 29. Aufl. 2010, § 12 Rz. 3 m.w.N.) ausgeschlossen.
dd) Nach den oben ausgeführten Rechtsgrundsätzen sind auch die Darlehenszahlungen der Eltern an HH ebenso wenig wie die Rückzahlungen bei der Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Die Rückzahlungen von HH in Höhe von 610 EUR sind deshalb nicht in Abzug zu bringen. Damit bleiben sowohl die Auszahlungen der Eltern an HH am 1. April über 300,00 EUR, am 30. April über 50,00 EUR und am 1. Mai über 310,00 EUR als auch die Rückzahlung von HH an die Eltern am 8. Mai über 50,00 EUR […] bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit von HH unberücksichtigt.
ee) Damit ergeben sich folgende finanzielle Mittel im Mai 2009:
Mai 2009 | Bezüge | EUR |
06.05. | ALG II für 04/09 und 05/09 | 1.608,74 |
29.05. | ALG II für 06/09 | 804,37 |
31.05. | Kostenpauschale für Bezüge | -20,00 |
Summe der Bezüge | ||
Mai 2009 | Einkünfte | EUR |
18.05. | Beitrag Berufsverband, -haftpflicht | -26,22 |
26.05. | Fachliteratur | -17,55 |
Summe der Einkünfte | -43,77 |
Damit sind offensichtlich die finanziellen Mittel im Mai 2009 höher als der zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitige Bedarf für HH von 1.196 EUR.
b) Auch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Monat Dezember 2009 ist rechtmäßig.
aa) Im Monat Dezember 2009 standen HH finanzielle Mittel von 1.605,14 EUR zur Verfügung; der Senat stellt auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen ab.
bb) Das Einstiegsgeld gemäß § 16b SGB II, das mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 auf monatlich 179,50 EUR festgesetzt wurde (FG-Akte Bl 24), wurde von der FK zu Recht als Bezüge behandelt. Da das Einstiegsgeld eine Leistung neben dem ALG II ist, bestehen nach den o.g. Grundsätzen (unter II.3.a.aa der Entscheidungsgründe) zur Beurteilung von Bezügen keine Zweifel, dass auch das Einstiegsgeld unter die Bezüge fällt.
cc) HH sind im Dezember 2009 Bezüge in Höhe 1.889,21 EUR zugeflossen. Davon ist die anteilige Kostenpauschale in Abzug zu bringen. Alle im Dezember 2009 zugeflossenen Einstiegsgelder sind nach dem tatsächlichen Zufluss vollständig dem Monat Dezember 2009 zuzuordnen. Der Senat sieht auch bei dieser Sozialleistung keinen Anlass, abweichend vom tatsächlichen Zufluss nach dem Prinzip des normativen Zuflusses die Nachzahlungen für die Monate Juni bis November 2009 anderen Monaten zuzurechnen. Außerdem sind die im Dezember 2009 zugeflossenen Leistungen nach dem ALG II als Bezüge zu berücksichtigen.
dd) Außerdem sind bei HH im Dezember 2009 Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Betriebseinnahmen in Höhe von 80,00 EUR stehen Betriebsausgaben in Höhe von 344,07 EUR gegenüber. Hinsichtlich der fehlenden Berücksichtigungsmöglichkeit der weiter geltend gemachten Betriebsausgaben wegen der Aufwendungen für Miete und Nebenkosten gilt das bereits oben (unter II.4.a.cc der Entscheidungsgründe) Ausgeführte.
ee) Im Übrigen können auch die Darlehenszahlungen zwischen HH und seinen Eltern im Dezember 2009 nicht bei der Beurteilung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden (vgl. oben die Ausführungen unter II.4.a.dd der Entscheidungsgründe).
ff) Somit ergeben sich im Dezember 2009 folgende finanzielle Mittel bei HH:
Dezember 2009 | Bezüge | EUR | |
03.12. | Einstiegsgeld für 06/09 bis 11/09 | 897,50 | |
18.12. | Einstiegsgeld für 12/09 | 179,50 | |
31.12. | ALG II für 01/10 | 812,21 | |
31.05. | Kostenpauschale für Bezüge | -20,00 | |
Summe Bezüge | 1.869,21 | ||
Dezember 2009 | Einkünfte | EUR | EUR |
01.12.-31.12. | Honorar für Unterricht | 60,00 | |
11.12. | Auslagenersatz für Gottesdienst | 20,00 | |
Auslagenersatz | -20,00 | ||
08.12. | Rentenbeitrag | -32,34 | |
17.12. | Werbung (Flyer) | -233,24 | |
28.12. | Werbung (Homepage) | -52,04 | |
31.12. | Bankgebühren | -6,45 | |
Summen | 80,00 | ||
-344,07 | |||
Summe Einkünfte | -264,07 |
Damit sind offensichtlich die finanziellen Mittel im Dezember 2009 höher als der zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitige Bedarf für HH von 1.212 EUR.
2.4. Zu Recht hat die Klägerin ihre ursprünglichen weitergehenden Klageanträge mit Schreiben vom 22. November 2010 eingeschränkt und nur mehr das Begehren weiter verfolgt, eine Kindergeldfestsetzung für Mai und Dezember 2009 zu erreichen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).