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  • 28.06.2011

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 17.12.2009 – 3 K 49/09

    1. Hat der Steuerpflichtige auf eine zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der Kirchensteuer bestehende, für ihn günstige Verwaltungspraxis vertraut, nach der § 175 AO bei Erstattungsüberhängen von Kirchensteuer für eine Übergangszeit nicht anzuwenden ist, ist das FA verpflichtet, bei einer Änderung seiner Rechtsauffassung dem Steuerpflichtigen durch einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen Vertrauensschutz zu gewähren.

    2. Ein Erlass kommt jedoch nur insoweit in Betracht, als die durch die Erstattung der Kirchensteuer ausgelöste Einkommensteuernachzahlung die erstattete Kirchensteuer übersteigt.

    3. Ein Grenzsteuersatz von mehr als 100 %, zu dem es bei der Anwendung der sog. „Fünftelregelung” des § 34 Abs. 1 EStG kommen kann, kann als gesetzlich vorgesehene Folge nicht im Erlassverfahren korrigiert werden.

    4. Die allgemeine Erwartung des Steuerpflichtigen, das FA werde eine für ihn günstige Handhabung in Zukunft beibehalten, ist nicht geschützt.


    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 3. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2009 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …

    für Recht erkannt:

    1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006 wird der Beklagte verpflichtet, die in den Einkommensteuerbescheiden für 2000 und 2001 vom 23. April 2004 errechneten Nachzahlungen von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2000 und 2001 insoweit zu erlassen, als diese auf einem Erstattungsüberhang beruhen, der aufgrund des Erlassantrags der Kläger beim … kirche vom 8. Juli 2002 und dem nachfolgenden Erlass des … kirches vom 11. Juli 2002 zustande gekommen ist und diese Nachzahlungen von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag den Betrag von insgesamt 31.630,05 EUR (davon für 2000 8.685,83 EUR und für 2001 22.944,22 EUR) übersteigen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte zu 8/25, im übrigen die Kläger.

    3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet haben.

    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit die mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 2000 und 2001 vom 23. April 2004 festgesetzten Steuernachzahlungsbeträge (in Höhe von insgesamt 65.994,83 EUR), die auf dem Ansatz eines Erstattungsüberhangs von Kirchensteuer als rückwirkendem Ereignis beruhen, gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen sind.

    Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Sie gehören beide der Kirche in X an. Der Kläger bezog in den Streitjahren (2000 und 2001) u.a. Einkünfte aus der Überlassung von Aktienoptionen. Der Beklagte (das Finanzamt –FA–) besteuerte im Jahr 2000 anteilig Arbeitslohn in Höhe von 1.008.523 DM und im Jahr 2001 Arbeitslohn in Höhe von 2.647.525 DM. Es berechnete die anteilige Einkommensteuer für die genannten Einkünfte nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gleichzeitig berücksichtigte es Kirchensteuer in Höhe von 34.288 DM (für 2000) und 97.144 DM (für 2001) als Sonderausgaben.

    Gegen die Einkommensteuerbescheide für 2000 vom 8. Oktober 2001, mit dem das FA die Einkommensteuer auf 434.868 DM festsetzte, legten die Kläger ebenso Einspruch ein wie gegen den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 5. Juli 2002, mit dem das FA die Einkommensteuer auf 573.603,02 EUR (1.121.870 DM) festsetzte. Über diese Einsprüche der Kläger ist bislang noch nicht entschieden. Im Einspruchsverfahren tragen die Kläger nach Angaben des FA vor, es sei strittig, ob bereits die Einräumung von Optionsrechten durch den Arbeitgeber den Lohnzufluss bewirke oder dieser erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Optionsausübung durch den Arbeitnehmer erfolge. Das FA ließ die Einsprüche deshalb antragsgemäß ruhen.

    Mit Schreiben vom 8. Juli 2002 stellte der Steuerberater beim Rat der … kirche einen Antrag auf teilweisen Erlass der ausschließlich auf die außerordentlichen Einkünfte entfallenden Kirchensteuer. Diesem Antrag entsprach der Rat durch Bescheid vom 11. Juli 2002 für 2000 in Höhe von 8.685,83 EUR und für 2001 in Höhe von 22.944,22 EUR. Den Klägern wurde daraufhin Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 31.630,05 EUR erstattet.

    Zuvor hatte sich die Oberfinanzdirektion (OFD) gegenüber den ihr nachgeordneten Behörden in der Niederschrift zur Einkommensteuer-Dienstbesprechung I/99, S.35 ff., unter TOP 10 (nicht veröffentlicht; – nachfolgend: Niederschrift–) zur Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bei Erstattungsüberhängen wie folgt geäußert:

    „Ausgaben sind nur dann als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Steuerpflichtige dadurch endgültig belastet ist. Dabei spielt es im Grundsatz keine Rolle, ob die Erstattung in den Veranlagungszeitraum der Aufwendungen oder in einen späteren Veranlagungszeitraum fällt.

    Bei der Erstattung von Kirchensteuer bleibt es aber aus Praktikabilitätsgründen am Grundsatz der Verrechnung im Erstattungsjahr. Ergibt sich durch die Verrechnung der Erstattung mit den in diesem Jahr geleisteten Zahlungen ein Negativsaldo (Erstattung ist höher als die geleisteten Kirchensteuerzahlungen), wirkt sich das bei fortbestehender Kirchensteuerpflicht zugunsten des Steuerpflichtigen aus, weil der Negativsaldo unberücksichtigt bleibt. Nur in Ausnahmefällen ist der Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr zu kürzen. Dies ist z. B. der Fall, wenn mangels Kirchenzugehörigkeit ohne Rechtsgrund geleisteten Kirchensteuerzahlungen in einen späteren Jahr erstattet werden (BFH-Urteil vom 26.06.1996,BStBl II S. 646).”

    Entsprechend hatten die Finanzämter im Zuständigkeitsbereich der OFD unter Umständen wie denen des Streitfalls § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht angewendet. Das FA hat angegeben, sich damals ebenfalls an diese Weisung gehalten zu haben.

    Unter dem 11. Juli 2002, also dem Tag des Ergehens des Erlassbescheids der Kirche, verfügte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in einem Schreiben, das am 12. August 2002 im Bundessteuerblatt (BStBl I 2002, 667) veröffentlicht wurde, zu den Folgen der Erstattung von Sonderausgaben in einem späteren Veranlagungszeitraum (§ 10 EStG, § 175 AO) Folgendes:

    „Ist im Jahr der Erstattung der Sonderausgaben an den Steuerpflichtigen ein Ausgleich mit gleichartigen Aufwendungen nicht oder nicht in voller Höhe möglich, so ist der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung insoweit um die nachträgliche Erstattung zu mindern; ein bereits bestandskräftiger Bescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.”

    Am 20. Februar 2004 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 ein und erklärten im Mantelbogen, dass sie im Jahr 2002 Kirchensteuer in Höhe von 630 EUR gezahlt hätten und ihnen Kirchensteuer in Höhe von 31.630 EUR erstattet worden sei. Hinzu kommt der (von den Klägern nicht erklärte) Umstand, dass den Klägern durch den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 5. Juli 2002 Kirchensteuer in Höhe von 4.395,63 EUR erstattet worden war. Hieraus errechnete das FA eine Kirchensteuer Gesamterstattung von (abgerundet) 36.025 EUR. Eine vollständige Verrechnung der erstatteten Kirchensteuer mit der gezahlten Kirchensteuer des Jahres 2002 war folglich nicht möglich; es kam vielmehr zu einem sog. „Erstattungsüberhang” in Höhe von 35.395 EUR, der (nur) zu 31.630 EUR auf dem Erlass des Rats beruht.

    Entsprechend dem bereits genannten BMF-Schreiben vom 11. Juli 2002 (BStBl I 2002, 667) und in Abkehr von der verfügten und zuvor befolgten früheren Verwaltungspraxis im Geschäftsbereich der OFD (gemäß der Weisung in der Niederschrift) nahm das FA an, dass die Sonderausgaben der Jahre 2000 und 2001 rückwirkend um die nicht mit gezahlten Kirchensteuern verrechenbaren Erstattungsbeträge zu kürzen seien: Es kürzte in dem nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 23. April 2004 die Kirchensteuer des Jahres 2000 um 15.755,83 DM (8.055,83 EUR); dies führte zu einer festzusetzenden Einkommensteuer von 455.062 DM (Differenz zum Ausgangsbescheid: 20.194 DM = 10.325,03 EUR). Im Änderungsbescheid für 2001 vom gleichen Tag führte eine Kürzung der Kirchensteuer um 53.472,10 DM (27.339,80 EUR) zu einer festgesetzten Einkommensteuer von 620.915,93 EUR (1.214.406 DM; Differenz zum Ausgangsbescheid: 92.536 DM = 47.312,91 EUR). Die Gesamtnachzahlung (einschließlich darauf entfallender Kirchensteuer (!) und Solidaritätszuschlag) beträgt 65.994,83 EUR (Mehrbetrag gegenüber der Erstattung: 34.364,83 EUR; theoretischer Steuersatz: ca. 208,65%).

    Nach Ergehen der Änderungsbescheide erweiterten die Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 2004 die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2001 um Einwendungen gegen die Annahme eines rückwirkendes Ereignisses und die daraus folgende Kürzung der Sonderausgaben um den Erstattungsüberhang. Die Kürzung der Sonderausgaben sei ohne Rücksicht auf den sachlichen Zusammenhang bei den nicht begünstigten Einkünften vorgenommen worden und führe zu einer Übermaßbesteuerung. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die nicht ausgeglichenen Erstattungsbeträge hätten, wenn überhaupt, als „negative Sonderausgaben” bei den außerordentlichen Einkünften berücksichtigt werden müssen.

    Auch insoweit ruhte das Einspruchsverfahren zunächst. Parallel dazu wendeten sich die Kläger im Festsetzungsverfahren an das Finanzministerium Baden-Württemberg (FM), das mit Schreiben vom 29. April 2005 die Festsetzung für rechtmäßig hielt. Auf Anfrage des Rats vom 16. November 2004 in einem Parallelverfahren erklärte die OFD mit Schreiben vom 22. Dezember 2004, auch die rückwirkende Aufhebung des Kirchensteuererlasses durch die Landeskirche und die erneute Zahlung der Kirchensteuer würden zu keinem anderen Ergebnis führen; es müsse auch dann bei der belastenden Änderung bleiben.

    Die Kläger führten aus, dass aufgrund der zeitlichen Abläufe – das BMF Schreiben trage das Datum des Bescheides des teilweisen Erlasses der Kirchensteuer (11. Juli 2002) – der Steuerberater nicht habe wissen können, dass nach geläuterter Verwaltungsauffassung ein Fall von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen soll. Vielmehr habe er davon ausgehen können, dass die Bescheide der Vorjahre –entsprechend der in diesem Zeitpunkt bestehenden Verwaltungspraxis im Zuständigkeitsbereich der OFD–nicht geändert werden würden. Die Kläger schlugen dem FA vor, den Kirchensteuererlass der Landeskirche zurücknehmen zu lassen, ein (weiteres) rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzunehmen, die Steuerbescheide 2000 und 2001 erneut zu ändern und so zu einem Wegfall der Nachzahlungsbeträge zu kommen. Denn die Kläger hätten nicht einen Erlass erwirken wollen, der zur Konsequenz habe, dass die Einkommensteuernachzahlung höher sei als die erlassene Kirchensteuer. Das FA erwiderte darauf, dass der Vorschlag, den Kirchensteuererlass der … Landeskirche zurückzunehmen, kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstelle. Der Kirchensteuererlass sei ein Verwaltungsakt, der lediglich nach den Vorschriften der § 130, 131 AO geändert werden könne, da es sich nicht um einen Steuerbescheid handele. Eine rückwirkende Änderung sei nach § 130 AO nur bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt möglich. Hieran fehle es im Streitfall. Eine Änderung nach § 131 AO (für rechtmäßige Verwaltungsakte) sei nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Die Aufhebung des Kirchensteuererlasses durch die … Landeskirche, verbunden mit einer Zahlung der erlassenen Kirchensteuer, sei demnach als Vorgang des Zahlungsjahres zu werten und führe zu Sonderausgaben in Höhe der gezahlten Kirchensteuer im Zahlungsjahr, nicht zu einer erneuten Änderung der Steuerbescheide der Jahre 2000 und 2001.

    Den Antrag der Kläger vom 26. Juli 2005, die mit den geänderten Einkommensteuerbescheiden 2000 und 2001 vom 23. April 2004 festgesetzten Steuernachzahlungsbeträge in Höhe von 65.994,83 EUR wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, lehnte das FA am 4. August 2005 ab. Auf Vertrauensschutzfragen ging es dabei (noch) nicht ein. Die Rechtsbehelfsbelehrung holte das FA mit Schreiben vom 24. August 2005 nach.

    Den Einspruch der Kläger vom 22. September 2005 wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006 als unbegründet zurück. Die Festsetzung sei nicht sachlich unbillig. Auch das Argument, dass ein Erlass aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sei, könne nicht überzeugen. Die mit BMF-Schreiben vom 11. Juli 2002 getroffene Regelung sei für das FA bindend und in jedem betreffenden Steuerfall anzuwenden. Da keine Übergangsregelung o.ä. getroffen worden sei, sei davon auszugehen, dass der Verfasser des Schreibens die sich teilweise nachteilig ergebenden Folgen in Kauf genommen habe.

    Ihre Klage, die bei Eingang das Aktenzeichen 14 K 99/06 erhielt, begründeten die Kläger zunächst nicht. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts für das Jahr 2009 ist zum 1. Januar 2009 der 3. Senat für den Streitfall zuständig geworden; die Klage wird seither unter dem Aktenzeichen 3 K 49/09 geführt.

    Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie wiederholen in der Klagebegründung ihr bisheriges Vorbringen und tragen unter Beweisangebot vor, die Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg sei wie von ihnen mitgeteilt günstiger gewesen als die spätere Auffassung des BMF in seinem Schreiben vom 11. Juli 2002. Dem Steuerberater der Kläger sei die frühere Praxis zunächst aus seiner Zeit bei der Finanzverwaltung (bis einschließlich 1996) bekannt gewesen. In der sich anschließenden Zeit als Steuerberater habe er auf Fortbildungen und in Gesprächen immer wieder gehört, dass im Zuständigkeitsbereich der OFD bei der Kirchensteuer –anders als bei Sozialversicherungsbeiträgen o.ä.– von § 175 AO kein Gebrauch gemacht werde. Dies sei auch die von ihm wahrgenommene, insoweit gängige Veranlagungspraxis der Finanzämter (auch in vergleichbaren Parallelfällen) gewesen. Er habe die Anwendung des § 175 AO bei Kirchensteuer damals (noch) nicht erlebt, soweit kein Fall der rechtsgrundlosen Kirchensteuerzahlung vorgelegen habe.

    Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006 das FA zu verpflichten, einen Nachzahlungsbetrag von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für das Jahr 2001 in Höhe von 40.308,17 EUR sowie einen Nachzahlungsbetrag von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für das Jahr 2000 in Höhe von 11.672 EUR zu erlassen.

    Das FA beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    Es verteidigt die im Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung getroffene Ermessensentscheidung und weist auf die eingeschränkte gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Ermessensentscheidungen (§ 102 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) hin. Das Gericht dürfe außerdem Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist. Mit einer Auslegung, das FA sei aufgrund der o.g. Verwaltungsanweisung zu einem Billigkeitserlass verpflichtet, überschreite das Gericht seine Kompetenzen.

    Entsprechend einem Beweisantrag der Kläger bat der Berichterstatter das FA, eine Stellungnahme dazu vorzulegen, welche Verwaltungspraxis im Zuständigkeitsbereich der OFD damals bestand. Das FA übersandte daraufhin eine Stellungnahme der OFD nebst dem Auszug aus der Niederschrift. Die OFD vertritt im Rahmen ihrer Stellungnahme, die sich das FA zu eigen gemacht hat, die Auffassung, dass die Niederschrift nicht entscheidungserheblich sei, weil sie als interne, nicht veröffentlichte Weisung nicht geeignet sei, einen Vertrauensschutz der Kläger zu begründen. Die Frage eines treuwidrigen Verhaltens bzw. einer Billigkeitsmaßnahme stelle sich nur dann, wenn das FA den Klägern gegenüber den unzutreffenden Eindruck erweckt haben sollte, es werde von einem Rücktrag des Erstattungsüberhangs absehen. Die Kläger hätten jedoch vor dem Erlassantrag keine Anfrage an das FA zur steuerlichen Behandlung in ihrem konkreten Steuerfall gestellt. Da es sich bei Steuerfestsetzungen nicht um Ermessensentscheidungen handele, komme auch unter dem Aspekt der Selbstbindung der Verwaltung kein Vertrauensschutz durch verwaltungsinterne Dienstanweisungen in Betracht. Die Kläger könnten sich daher nicht auf die Existenz solcher Verfügungen und Ihr Vertrauen darauf berufen, zumal den steuerlich beratenen Klägern die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bekannt gewesen sein müsse. Die Interpretation des BFH-Urteils vom 26. Juni 1996 X R 73/94 (BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646) durch die OFD in der Niederschrift der Einkommensteuerdienstbesprechung als Ausnahmefall stelle sich zwar aus heutiger Sicht als unzutreffend dar. Ein Vertrauensschutz werde durch eine Missinterpretation nicht begründet.

    Im Übrigen sei es den Klägern möglich gewesen, den Antrag auf Kirchensteuererlass innerhalb der Rechtsbehelfsfrist gegen die erlassende Entscheidung noch im Jahr 2002 zurückzunehmen und die erstattete Kirchensteuer im Jahr 2002 an die … Landeskirche zurückzuzahlen. Dann wäre es auch nicht zu den Einkommensteuernachzahlungen 2000 und 2001 gekommen. Auch die hohe Belastungswirkung durch den Kirchensteuererlass rechtfertige keinen Erlass von Einkommensteuer; denn dies sei die vom Gesetzgeber beabsichtigte Folge der Einführung der Fünftelregelung gewesen. Statt dem von den Klägern angestellten Vergleich der bisher festgesetzten mit der nun festgesetzten Steuer sei jedoch die nun festgesetzten Steuer mit der –ohne Anwendung der Fünftelregelung– nach der regulären Splittingtabelle festzusetzenden Steuer zu vergleichen. Daraus ergebe sich, dass die Kläger immer noch eine beträchtliche Steuerentlastung erfahren hätten.

    Nach Durchführung einer Erörterung des Sach- und Streitstands hat die OFD ihre Stellungnahme durch Schreiben vom 21. Oktober 2009, dem sich das FA ebenfalls angeschlossen hat, ergänzt und ausgeführt, die Kläger hätten zwar mit Hilfe des Gerichts eine verwaltungsinterne Dienstanweisung in Erfahrung gebracht. Einen Vertrauenstatbestand würde diese aber nicht begründen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einer veröffentlichen Verfügung der OFD Karlsruhe vom 26. März 2003 (DStR 2003, 738). Weiter hätten die Kläger aufgrund des BFH-Urteils in BStBl II 1999, 95 mit einer Änderung der Verwaltungspraxis rechnen müssen und sich schon deshalb kein schützenswertes Vertrauen bei den Klägern bilden können. Für die Frage, ob der Bürger mit einer Änderung der Lage rechnen müsse, komme es nach der Rechtsprechung (z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 10. Juni 2009 1 BvR 571/07, HFR 2009, 921) nicht auf die subjektiven Vorstellungen der einzelnen Betroffenen und ihre individuelle Situation an, sondern darauf, ob die bisherige Situation bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppen auf ihren Fortbestand zu begründen. Bei der Nichtumsetzung eines im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlichten Urteils durch die Finanzverwaltung könne allenfalls von einer unklaren (und damit nicht vertrauensschutzfähigen) Rechtslage gesprochen werden. Die Kläger hätten über ihren Steuerberater eine verbindliche Auskunft beim FA beantragen müssen.

    Hinzu komme, dass die Kläger zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des BMF-Schreibens am 12. August 2002 noch die Möglichkeit gehabt hätten, gegen den ausgesprochenen Erlass Einspruch einzulegen und den Erlass rückgängig zu machen (gemeint wohl: ihren Erlassantrag zurückzunehmen). Ein solcher Einspruch sei damals zulässig gewesen, weil die Kläger durch den Erlass wegen der negativen Auswirkungen auf die Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2000 und 2001 beschwert gewesen seien. Die Einspruchsfrist sei insoweit auf ein Jahr verlängert und folglich noch nicht abgelaufen gewesen, weil dem Erlass keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen sei. Deshalb habe der Erlass damals noch nach § 130 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können.

    Zuletzt seien Praktikabilitätserwägungen der Finanzverwaltung keine Billigkeitsmaßnahme. Insoweit interpretiere der Berichterstatter den Inhalt der Niederschrift fehl. Wenn die OFD aus Praktikabilitätserwägungen auf eine Änderung von Steuerfestsetzungen verzichtet habe, habe das mit sachlicher oder persönlicher Unbilligkeit nichts zu tun. Jedenfalls aber wäre eine solche Billigkeitsregelung nach Veröffentlichung des BFH-Urteils in BStBl II 1999, 95 nicht mehr rechtmäßig gewesen; der Steuerpflichtige könne sich auch deshalb nicht darauf berufen. Zuletzt komme (auch ein Teil-)Erlass aus Gründen der „Steuergerechtigkeit” nicht in Betracht.

    Der erkennende Senat hat auf Antrag der Kläger zum Beweis der Tatsache, dass die Kläger bei Stellung des Erlassantrages vom 8. Juli 2002 darauf vertraut haben, dass das Finanzamt aufgrund der Weisung der OFD in der Einkommensteuer Dienstbesprechung I/99, Top 10, in Fällen des Kirchensteuer-Überhangs von § 175 AO keinen Gebrauch machen werde, Beweis erhoben durch Vernehmung des Steuerberaters S als Zeugen. Auf die Tonaufzeichnung der Aussage wird wegen aller Einzelheiten hingewiesen. Am 17. Dezember 2009 fand die mündliche Verhandlung vor dem Senat statt (dazu ergeht Hinweis auf das gefertigte Protokoll).

    Dem Gericht lagen bei seiner Entscheidung vor: 1 Band Gerichtsakten, 1 Rechtsbehelfsakte, 1 Einkommensteuerakte, 1 Kirchensteuerakte (in Kopie).

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist nur zum Teil begründet; im Übrigen ist sie abzuweisen. Das FA ist zwar ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Kläger trotz einer für die Kläger günstigen Weisung der OFD keinen Erlass beanspruchen können. Jedoch besteht kein Anspruch auf Erlass in der von den Klägern beantragten Höhe, weil die Kläger aufgrund der Weisung nur Anspruch auf einen Teilerlass haben und das FA den weitergehenden Erlassantrag der Kläger (jedenfalls durch im Laufe des Klageverfahrens nachgeschobene Gründe) in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt hat.

    I. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Dasselbe gilt sinngemäß für die Kirchensteuer. Die zuständigen Stellen der Kirchen erlassen –wie auch im Streitfall– oftmals (aber nicht immer) in Fällen, in denen die Tarifvergünstigung nach § 34 EStG zur Anwendung gelangt, die Kirchensteuer auf Antrag ganz oder teilweise, ohne dass jedoch ein Rechtsanspruch des Kirchensteuerpflichtigen bestünde (vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 1. Juli 2009 I R 81/08, BFHE 226, 90, BFH/NV 2009, 1908, m.w.N.).

    1. Die Unbilligkeit der Erhebung einer Steuer, an die § 227 AO die Möglichkeit eines Erlasses knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben.

    a) Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Persönliche Unbilligkeit liegt vor allem dann vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.

    b) Im Rahmen der Billigkeitsprüfung ist auch zu berücksichtigen, ob die Steuerfestsetzung, von der abgesehen werden soll, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Ein Billigkeitserlass kann daher geboten sein, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115). Allgemeine Folgen eines verfassungsgemäßen Gesetzes, die den gesetzgeberischen Planvorstellungen entsprechen und die der Gesetzgeber ersichtlich in Kauf genommen hat, vermögen einen Billigkeitserlass hingegen nicht zu rechtfertigen; denn Billigkeitsmaßnahmen dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen (BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1994 2 BvR 89/91, HFR 1995, 220). Will der Steuerpflichtige die Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen geltend machen, so muss er gegen den Festsetzungsbescheid vorgehen (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441).

    2. Die Entscheidung einer Finanzbehörde über den Erlass von Steuern, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603, zu § 131 der Reichsabgabenordnung), die durch das Gericht nur in den Grenzen des § 102 FGO auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauchs geprüft werden kann.

    3. Nur ausnahmsweise kann ein Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, nämlich dann, wenn der Ermessensspielraum der Finanzbehörde derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. „Ermessensreduzierung auf null”; ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Vorgesetzte Dienststellen können ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erlassen, die unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) von Bedeutung sein können (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816). Aufgrund des Grundsatzes der sog. „Selbstbindung der Verwaltung” ist insbesondere eine aufgrund des § 163 Abs.1 oder des § 227 Abs. 1 AO ergangene Übergangsund Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung auch von den Steuergerichten zu beachten (vgl. BFH-Beschluss vom 25.Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 417, BStBl II 1984, 751, 757; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz 86, m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dabei die Gleichbehandlung der Bürger durch ein und denselben, nicht aber eine Gleichbehandlung durch mehrere, voneinander unabhängige Hoheitsträger (BVerfG-Beschluss vom 23. November 1988 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127, 158; BFH-Urteil vom 1. Juli 2009 I R 81/08, BFHE 226, 90, BFH/NV 2009, 1908).

    a) Eine Übergangsregelung kommt z.B. in Betracht, wenn die Finanzverwaltung die Folgen einer für die Steuerpflichtigen nachteiligen Rechtsprechungsänderung abmildert (z.B. BFH-Urteil vom 26. Februar 1991 IX R 95/88, BFHE 163, 562, BStBl II 1991, 572; BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2003 X B 75/02, BFH/NV 2004, 44, m.w.N.). Übergangsregelungen dienen der Anpassung der Verwaltungspraxis an eine geänderte Rechtsauffassung, die von der bisherigen Verwaltungsübung abweicht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 87/87, BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261). Unter weiteren Voraussetzungen, die im Streitfall indes nicht vorliegen, kann sogar ein Rechtsanspruch auf eine solche Übergangsregelung bestehen (BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V B 8/06, BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405; zur neuerdings angenommenen Verpflichtung des BFH zur Schaffung von Übergangsregelungen bei Aufgabe einer langjährigen Rechtsprechung siehe BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 sowie allgemein BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2009 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248). Soweit der gebotene Vertrauensschutz nicht durch die Verwaltung im Wege einer allgemeinen Billigkeitsregelung gewährt wird, muss ihm das FA ggf. durch Einzelmaßnahmen Rechnung tragen (BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). Hat die Finanzverwaltung eine Übergangsregelung erlassen, kommt ein Erlass in Betracht, wenn es nach der bisherigen Verwaltungsauffassung zu einer abweichenden Besteuerung gekommen wäre (z.B. BFH-Urteil vom 7. Februar 2007 I R 15/06, BFHE 216, 541, BStBl II 2008, 340, unter II.2.).

    b) Keine Bindungswirkung hingegen entfalten sog. norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden sicherstellen sollen, die aber keine Bindung aller Rechtsanwender wie durch eine Rechtsverordnung erreichen können und bei unzutreffender Gesetzesauslegung das Gericht nicht binden (vgl. BFH-Urteile vom 18.März 1987 II R 135/84, BFH/NV 1988, 393; vom 28.Oktober 1980 VIII R 34/76, BFHE 132, 41, 45, BStBl II 1981, 161, 163 zu 2 c; in BFHE 116, 103, 105, BStBl II 1975, 789, 790). Der zumindest konkludente Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt vor allem dann, wenn die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610; kritisch dazu z.B. Hey, DStR 2004, 1897).

    4. Zudem kann eine Steuerforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn sie im Widerspruch steht zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung, der Steuerpflichtige wegen dieses bisherigen Verhaltens der Verwaltung auf ein entsprechendes künftiges Verhalten vertraut hat und vertrauen durfte und dieses Vertrauen des Steuerpflichtigen schutzwürdig ist, weil es für ihn Grundlage von nicht mehr rückgängig zu machenden Vermögensdispositionen geworden ist (z.B. BFH-Urteil vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, m.w.N.). Ob schutzwürdiges Vertrauen im Einzelfall vorliegt, hängt zum einen davon ab, ob der Steuerpflichtige überhaupt einen Anlass hatte, auf eine für ihn günstige Rechtsprechung oder Rechtsauffassung zu vertrauen, und zum anderen davon, dass feststeht, dass der Steuerpflichtige tatsächlich auf den Fortbestand der für ihn günstigen Rechtsauffassung vertraut und entsprechende Dispositionen getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 1987 II R 120/85, BFH/NV 1989, 80).

    II. Gemessen daran hat das FA den beantragten Erlass zu Unrecht komplett versagt.

    1. Der erkennende Senat ist zunächst der Auffassung, dass das FA zu Recht den Erlass der Einkommensteuernachzahlung insoweit abgelehnt hat, als diese nicht auf einem Erstattungsüberhang beruht, der durch den Erlassantrag vom 8. Juli 2002 veranlasst ist, sondern durch den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 5. Juli 2002. Insoweit fehlt es an einer Disposition der Kläger, wegen der sie Vertrauensschutz begehren könnten. Die allgemeine, aber nicht betätigte Hoffnung der Kläger, das FA werde eine für die Kläger günstige Handhabung (Nichtanwendung des § 175 AO bei Erstattungsüberhängen von Kirchensteuer) auch in Zukunft beibehalten, ist nicht geschützt.

    Dies wird von den Klägern nach einem Hinweis des Gerichts und einer entsprechenden Beschränkung des bezifferten Klageantrags auch nicht (mehr) geltend gemacht.

    2. Der erkennende Senat schließt sich weiter der Auffassung des FG Nürnberg an, dass auch ein Grenzsteuersatz von mehr als 100%, zu dem es nicht nur im Streitfall, sondern auch sonst bei Anwendung der sog. „Fünftelregelung” (§ 34 Abs. 1 EStG) kommen kann (vgl. z.B. auch Senatsurteil vom 26. April 2007 3 K 60/07, EFG 2008, 625, zur Günstigerprüfung), als gesetzlich vorgesehene Folge der Fünftelregelung nicht im Erlassverfahren korrigiert werden kann (Urteil des FG Nürnberg vom 28. November 2007 III 230/2005, juris, nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig). Allein eine Steuerbelastung von mehr als 100% führt danach nicht zu einer Verpflichtung des FA zu dem beantragten Erlass. Etwaige verfassungsrechtliche Zweifel an den möglichen konfiskatorischen steuerrechtlichen Folgen der Anwendung der Fünftelregelung (vgl. Senatsurteil in EFG 2008, 625, m.w.N.) sind vielmehr im Steuerfestsetzungsverfahren zu klären (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441).

    3. Zu Unrecht hat das FA jedoch den Erlass insoweit vollständig abgelehnt, als es den Klägern keinen Vertrauensschutz im Hinblick auf die ihnen bekannte, im Geschäftsbereich der OFD aufgrund einer Weisung bestehende Verwaltungspraxis gewährt hat.

    a) Die Kläger haben am 8. Juli 2002 eine Disposition getroffen, indem sie einen Antrag auf Erlass von Kirchensteuer gestellt haben. Ihnen war dabei weiter bewusst, dass dies zu einem sog. „Erstattungsüberhang” führen wird. Dem Steuerberater der Kläger war nämlich nach seiner Aussage, auf deren Aufzeichnung vollumfänglich verwiesen wird und an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, bei Antragstellung bewusst, dass aufgrund der Größenordnung des zu erlassenden Betrages sowie der beruflichen Veränderungen des Klägers, die der Zeuge in seiner Aussage geschildert hat, die Erstattung die Kirchensteuerzahlungen voraussichtlich übersteigen wird. Entscheidend ist zwar erst die Erstattung der Kirchensteuer im Erstattungsjahr (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/04, BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058); die Nichtverrechenbarkeit konkretisiert sich erst durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids des Erstattungsjahres (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 X R 4/09, juris). Das die Erstattung auslösende Moment ist aber der Erlassantrag der Kläger.

    b) Die Kläger haben bei ihrer Disposition, dem Erlassantrag, auf die ihnen bekannte Auffassung der Finanzverwaltung vertraut, dass der Erstattungsüberhang im Geschäftsbereich der OFD keine Folgeänderung wegen eines rückwirkenden Ereignisses nach sich zieht. Der erkennende Senat ist aufgrund der Aussage des Zeugen S nämlich weiter davon überzeugt, dass die Kläger (und der Zeuge) bei Antragstellung darauf vertraut haben, dass der mutmaßliche Erstattungsüberhang zugunsten der Kläger untergehen wird, so wie dies von der Finanzverwaltung (vor dem 11. Juli 2002) im Geschäftsbereich der OFD bei der Kirchensteuer immer gehandhabt wurde. Zwar hatten sie diese Erkenntnis nicht aus einer schriftlichen Veröffentlichung der OFD gewonnen; es entsprach aber nichtsdestotrotz der Vorgehensweise im Geschäftsbereich der OFD und war dem Steuerberater der Kläger als praktizierte Verwaltungspraxis aus seiner früheren Tätigkeit bei der Finanzverwaltung, aus Gesprächen mit Kollegen sowie aus mehreren eigenen ähnlichen, wenn auch betragsmäßig „kleineren” Fällen bekannt. Dass der Zeuge diese Parallelverfahren in der mündlichen Verhandlung nicht mehr namentlich benennen konnte, gibt angesichts der mittlerweile verstrichenen Zeit und der vom Zeugen geschilderten Schwierigkeiten aufgrund seines zwischenzeitlichen Kanzleiwechsels zu Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben keinen Anlass. Gleiches gilt für die –wegen der Nichtentbindung von der Schweigepflicht durch die Kläger– unterbliebene Vorlage von angeblichen Unterlagen zu einem vom FA als existierend unterstellten Haftpflichtverfahren.

    c) Die Niederschrift ist insoweit auch eine taugliche Vertrauensgrundlage.

    aa) Bei der Weisung in der Niederschrift der OFD handelt es sich um eine anlässlich einer Rechtsprechungsänderung verfügte Übergangsregelung und keine norminterpretierende Verwaltungsanweisung. Die OFD hat in der Niederschrift verfügt, dass aus „Praktikabilitätsgründen” wie angewiesen zu verfahren sei und „zugunsten der Steuerpflichtigen” ein Negativsaldo „unberücksichtigt” bleibe. Nur in den (damals) vom BFH entschiedenen Ausnahmefällen (vgl. dazu auch die nur sehr eingegrenzten Ausführungen in H 101 EStR 2001) hat die OFD der zutreffenden Rechtsanwendung Vorrang vor Praktikabilitätserwägungen zugunsten der Steuerpflichtigen eingeräumt. Der Senat wertet die Verfügung deshalb als unbefristeten partiellen Nichtanwendungserlass der OFD zugunsten der Steuerpflichtigen im Billigkeitswege, von dem sich die OFD –ebenfalls (nur) im Billigkeitsverfahren– nicht ohne erneute Übergangsregelung lösen kann, wenn der Steuerpflichtige in Kenntnis der und im Vertrauen auf die Regelung disponiert hat.

    bb) Ohne Erfolg wendet das FA –der OFD folgend– dagegen ein, das Gericht dürfe ermessensleitende Verwaltungsanweisungen der Finanzverwaltung nicht selbst auslegen. Diese Aussage trifft zwar abstrakt zu (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460). Allerdings geht es darum im Streitfall gar nicht. Das Gericht will nicht die Niederschrift auf Fälle anwenden, die von ihr nach Auffassung des FA nicht umfasst wären. Sowohl die Auslegung der Niederschrift als auch die Auslegung des BMF-Schreibens vom 11. Juli 2002 ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dass unter Umständen wie denen des Streitfalls vor Ergehen des BMF-Schreibens vom 11. Juli 2002 gemäß dem Inhalt der Niederschrift kein Änderungsbescheid ergangen wäre, wurde vom FA nicht in Abrede gestellt, sondern im Erörterungstermin auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt. Ebenfalls bestätigt wurde, dass das FA aufgrund der Weisung im Streitfall von § 175 AO keinen Gebrauch gemacht hätte. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist „nur” die Frage, ob FA und OFD nach Ergehen des BMF-Schreibens einfach ignorieren dürfen, dass vorher eine andere Verwaltungspraxis existiert hat, oder ob unter den (singulären und so nicht wiederholbaren) Umständen des Streitfalls die genannte Niederschrift als Übergangsregelung eine taugliche Vertrauensgrundlage ist. Wie eine Verwaltungsanweisung zu werten ist, unterliegt indes gerichtlicher Beurteilung (siehe z.B. BFH-Urteil vom 7. November 1996 IV R 69/95, BFHE 182, 56, BStBl II 1997, 245).

    cc) Soweit das FA für seine abweichende Rechtsauffassung unter Bezugnahme auf die Ausführungen der OFD weiter geltend macht, dass es sich um eine verwaltungsinterne, nur für den Dienstgebrach bestimmte Weisung gehandelt habe, und dagegen einwendet, die Kläger hätten mit Hilfe des Gerichts den Inhalt einer innerdienstlichen Weisung in Erfahrung gebracht, greift dieser Einwand in dreifacher Hinsicht nicht durch: Erstens ist die Verwaltungspraxis als ein tatsächlich geübtes Verhalten eine Tatsache, deren Feststellung dem FG obliegt (BFH-Urteil vom 26. Februar 1991 IX R 95/88, BFHE 163, 562, BStBl II 1991, 572). Zweitens kannte der Steuerberater der Kläger zur Überzeugung des Senats zwar wohl nicht den genauen Wortlaut, aber sehr wohl den Inhalt der Verfügung in diesem Punkt ohnehin. Und drittens widerspricht die OFD mit diesem Einwand dem Inhalt ihrer eigenen Übersendungsschreiben der Niederschriften zu den Dienstbesprechungen, in denen sie immer wieder betont hat, dass keine Bedenken bestehen, gegenüber Steuerpflichtigen und Steuerberatern inhaltlich auf die Niederschrift Bezug zu nehmen (so z.B. das Übersendungsschreiben zur Dienstbesprechung Lohnsteuer/Arbeitnehmerveranlagung Frühjahr 1999 vom 18. Oktober 1999) oder formuliert, auf die Niederschrift könne gegenüber Steuerpflichtigen und deren steuerlichen Beratern Bezug genommen werden, dabei sei der entscheidungserhebliche Inhalt der Bezugsstelle wiederzugeben oder ein Auszug der Niederschrift zu überlassen, damit der Steuerpflichtige die Argumente der Finanzverwaltung für die getroffene Entscheidung kenne (so z.B. das Übersendungsschreiben vom 26. November 1998 zur Besprechung aktueller Einkommensteuerfragen mit den Hauptsachgebietsleitern für Einkommensteuer vom 10. November 1998).

    Dies beweist, dass der Inhalt von Niederschriften der Dienstbesprechungen –jedenfalls damals– kein Geheimwissen, sondern –auch und gerade seitens der OFD– dazu bestimmt war, im Geschäftsbereich der OFD von den Finanzämtern bekanntgemacht zu werden. Daran hatte die OFD ein ureigenes Interesse, weil die Befolgung der in der Niederschrift niedergelegten OFD-Auffassung durch Steuerpflichtige und Beraterschaft die Arbeit der Finanzämter erleichtert und zu weniger Rechtsbehelfsverfahren führt.

    Bei dieser Ausgangslage die Kläger und ihren Berater, die auf die Auffassung der OFD nachgewiesenermaßen vertraut und ihr entsprechend disponiert haben, später mit dem Hinweis, auf den Inhalt der eigenen Niederschriften dürfe nicht vertraut werden, auch im Erlassverfahren im Regen stehen zu lassen, erscheint dem Senat sachlich unbillig. Vielmehr ist das FA aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung durch die Niederschrift im Streitfall gehalten, der früheren Auffassung der OFD in der Niederschrift im Billigkeitsverfahren dadurch Rechnung zu tragen, dass es den Klägern, die im Vertrauen auf die frühere Verwaltungspraxis disponiert haben, Vertrauensschutz gewährt.

    Auf die Frage, welchen Eindruck es wohl auf Steuerpflichtige macht, wenn die Finanzverwaltung –selbst im Billigkeitsverfahren– nicht mehr bereit ist, zu ihren eigenen früheren Äußerungen und ihrer früheren ständigen Verwaltungspraxis zu stehen, sie aber umgekehrt von den Steuerpflichtigen wie selbstverständlich (und auch völlig zu Recht) erwartet, dass diese sich an ihre früheren Aussagen halten, kommt es nicht an.

    dd) Weiter kommt –entgegen der Auffassung des FA– dem BFH-Urteil vom 28. Mai 1998 X R 7/96 (BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95) keine vertrauenszerstörende Wirkung zu. Dies folgt schon daraus, dass es im Jahr 1998, also vor der Dienstbesprechung, ergangen ist. Weiter erfolgte die Übersendung der Niederschrift an die Finanzämter erst nach dem 10. März 1999, dem Datum der Veröffentlichung des Bundessteuerblatts II, in dem das BFH-Urteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 abgedruckt war. Dies ergibt sich zweifelsfrei und zwanglos daraus, dass das genannte BFH-Urteil in der Niederschrift unter TOP 10 bereits zitiert ist und besprochen wird. Die OFD hat zuletzt ihre Weisung in Kenntnis der Veröffentlichung erlassen und für weitere drei Jahre unverändert gelassen. Das FA hat die Weisung weitere drei Jahre befolgt.

    ee) Unschädlich ist zudem, dass ein Rechtsanspruch der Kläger auf die von der OFD verfügte Übergangsregelung nicht bestand, weil die Rechtslage zuvor unklar war und das BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 73/94 (BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646) keine Klarheit gebracht hatte.

    Nach der vom FA angeführten Rechtsprechung ist schützenswertes Vertrauen, das die Pflicht zum Erlass einer Übergangsregelung auslöst, nur dann gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien (BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418; BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2003 X B 75/02, BFH/NV 2004, 44). Schützenswertes nachhaltiges Vertrauen in den Fortbestand der früheren Rechtsauffassung ist nur dann und solange gegeben, als die Steuerpflichtigen nicht mit einer Änderung rechnen oder ihnen zumindest Zweifel hätten kommen müssen (BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78, BFHE 127, 476, 479 f., BStBl II 1979, 455, 457). Ein Anlass, auf einen Rechtszustand zu vertrauen, ist zu verneinen, wenn die Rechtslage unklar oder verworren war (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1982 IV R 85/79, BFHE 135, 311, 313, BStBl II 1982, 397, 399).

    Von dem her bestand auch nach Auffassung des Senats sicherlich keine Verpflichtung, eine Übergangsregelung in Form der Niederschrift zu schaffen. Darum geht es im Streitfall aber nicht. Die Kläger begehren nicht, dass für sie eine Übergangsregelung geschaffen wird; sie begehren vielmehr, dass eine bestehende Übergangsregelung auf sie angewendet wird, weil sie noch unter Geltung einer alten Regelung disponiert haben, bevor diese durch eine neue, andere, für sie nachteilige Regelung ersetzt wurde.

    ff) Dem beantragten Erlass dem Grunde nach steht auch nicht etwa die Rechtsprechung des BVerfG und des BFH entgegen, wonach Übergangsregelungen nicht im Belieben der Finanzverwaltung stehen, sondern durch § 163 und § 227 AO 1977 als Rechtsgrundlage gedeckt sein müssen, weil sonst das ebenfalls aus Art. 20 GG abzuleitende verfassungsmäßige Recht der Rechtsprechung auf Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt wäre (z.B. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, m.w.N.), und es der Verwaltung insbesondere verwehrt ist, Steuerbefreiungen nach eigenen Vorstellungen zu bewirken (BFH-Urteil in BFHE 182, 56, BStBl II 1997, 245, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

    Eine solche Situation liegt im Streitfall nicht vor, weil die Verwaltungsanweisung (als –wie unter aa dargelegt– partieller Nichtanwendungserlass zugunsten der Steuerpflichtigen) Reaktion auf die BFH-Urteile in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646 und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 war. Die Entscheidung der OFD, in einer –wie unter ee dargelegt– unklaren rechtlichen Situation die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung nur auf die bereits entschiedenen und nicht darüber hinaus anzuwenden und ansonsten noch für eine nicht genau bestimmte Übergangszeit bei der früheren, für die Steuerpflichtigen günstigeren Verwaltungsübung zu bleiben, war von §§ 163, 227 AO gedeckt.

    gg) Der Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung ist außerdem nicht deshalb ausgeschlossen, weil andere Oberfinanzdirektionen für ihren Bezirk keine vergleichbare Regelung vorgesehen haben. Insoweit kommt es zwar zu einer Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen im Bundesgebiet, die aber letztlich aus der föderalen Struktur der Finanzverwaltung (Art. 108 GG) herrührt. Vielmehr haben die Kläger Anspruch auf Gleichbehandlung mit den übrigen Steuerpflichtigen im Geschäftsbereich der OFD, bei denen es –aufgrund der Weisung in der Niederschrift– zuvor nicht zu Änderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gekommen ist. Insoweit steht den Klägern und der genannten Vergleichsgruppe derselbe grundrechtsverpflichtete Hoheitsträger gegenüber, der in seinem Machtbereich eine Gleichbehandlung gewährleisten muss.

    hh) Das FA wendet zuletzt ohne Erfolg ein, dass die Kläger den Erlassantrag unmittelbar nach Ergehen des BMF-Schreibens noch hätten zurücknehmen können.

    Der Senat kann dabei offen lassen, ob die Grundsätze von Treu und Glauben diesem Einwand des FA entgegen stehen, weil in früheren Stellungnahmen der OFD und des FM auf das Angebot der Kläger und des Rats, solche Erlasse rückgängig zu machen, erwidert wurde, eine Rücknahme der Erlasse als begünstigende Verwaltungsakte sei nicht möglich oder führe nicht zum Wegfall des Erstattungsüberhangs, sondern nur zu neuen Sonderausgaben im Zahlungsjahr. Auch bedarf keiner Entscheidung durch den Senat, ob der Erlass tatsächlich mit steuerlicher Rückwirkung hätte im Jahr 2002 oder 2003 rückgängig gemacht werden können. Diese Frage kann dahinstehen, weil die Kläger aufgrund der tatbestandlichen Struktur des rückwirkenden Ereignisses bei Erstattungsüberhängen erst bei Ergehen der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2002 im Jahr 2004 erkennen konnten, dass das FA ihnen keinen Vertrauensschutz gewähren wird. Dass Vertrauensschutz versagt werden wird, ergab sich nicht aus dem BMF-Schreiben vom 11. Juli 2002 (BStBl I 2002, 667): Das BMF hat nicht verfügt, auf welche Fälle das Schreiben anzuwenden ist; der sonst anzutreffende Zusatz, die Grundsätze seien in allen offen Fällen anzuwenden, fehlt vielmehr. Erst der Einkommensteuerbescheid für das Erstattungsjahr 2002 vom 8. April 2004 konkretisierte den Erstattungsüberhang. Schlussendlich zeigten dann die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 und 2001 vom 23. April 2004, dass die Niederschrift auch in Altfällen von der Finanzverwaltung nicht mehr angewendet wird.

    Für das Jahr 2004 geht das FA indes selbst zu Recht davon aus, dass der Erlass nicht mehr rückgängig zu machen war.

    III. Der Senat hat erwogen, es bei den unter I. und II. ausgeführten Erwägungen zu belassen, den Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, über den Erlassantrag der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Der Senat ist indes der Auffassung, dass er aufgrund der im Laufe des Klageverfahrens vom FA ergänzend vorgebrachten Argumente die Klage –nicht trotz, sondern gerade wegen § 102 FGO– zum Teil abweisen muss (und darf). Das FA hat den beantragten Vollerlass nämlich insoweit zu Recht teilweise abgelehnt, als der Anspruch der Kläger auf Gewährung von Vertrauensschutz nicht so weit reicht, dass die gesamten auf dem Erlassantrag beruhenden Nachzahlungen, die die Kläger im Antrag beziffert haben, erlassen werden müssten.

    1. Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gewährung von Vertrauensschutz geht nicht so weit wie die Kläger meinen. Zu Unrecht begehren die Kläger im Ergebnis mit dem Antrag auf Vollerlass, dass eine für sie günstige Lage völlig unverändert fortgelten soll.

    Damit überspannen die Kläger den Anspruch auf Gewährung von Vertrauensschutz. Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist nämlich (auch) im Steuerrecht nicht geschützt; insbesondere dann, wenn die beeinträchtigte Rechtsposition auf staatlicher Gewährung beruht, geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Steuerpflichtigen vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17). Eine Disposition, die unter geänderten Umständen im Ergebnis nicht mehr rückgängig zu machen ist, soll geschützt werden, um nachteilige steuerrechtliche Folgen abzuwenden, nicht um steuerrechtliche Freiräume in alle Zeit offen zu halten.

    2. Die Kläger machen selbst geltend, wenn sie am 8. Juli 2002 gewusst hätten, dass das FA den Erstattungsüberhang (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH und der Auffassung des BMF vom 11. Juli 2002) als rückwirkendes Ereignis ansehen und im Festsetzungsverfahren einen Änderungsbescheid erlassen wird, hätten sie den Erlassantrag beim Rat der … kirche nicht gestellt. Durch die Gewährung von Vertrauensschutz sind die Kläger nicht schlechter zu stellen als sie stehen würden, wenn sie den Antrag nicht gestellt hätten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

    Von dem her ist das Ermessen des FA „nur” insoweit auf null reduziert, als der Nachzahlungsbetrag von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag die insgesamt erstattete Kirchensteuer (31.630,05 EUR) übersteigt; für den darunter liegenden Teilbetrag hat das Gericht die Entscheidung des FA, den beantragten Erlass abzulehnen, wegen § 102 Satz 1 FGO zu respektieren und zu bestätigen.

    3. Soweit das FA insoweit seine Erwägungen im Laufe des Klageverfahrens ergänzt hat, ist dies gemäß § 102 Satz 2 FGO zulässig. Es liegt hier kein Fall vor, in dem das FA Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals angestellt, Ermessensgründe ausgewechselt oder vollständig nachholt hätte, was nicht zulässig wäre (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 II R 2/07, BFHE 222, 68, BStBl II 2008, 897, m.w.N.), sondern das FA ist der Frage, ob Vertrauensschutz zu gewähren ist, bereits in der Einspruchsentscheidung ansatzweise nachgegangen. Seine Ermessenserwägungen hat es im Klageverfahren vertieft, auf den Inhalt der Niederschrift und ihre Bedeutung für den Erlassantrag der Kläger verbreitert sowie insgesamt weiter verdeutlicht.

    IV. Abzuweisen wäre die Klage auch insoweit gewesen, als das Klagebegehren der Kläger möglicherweise zunächst auch auf einen Erlass von Kirchensteuer gerichtet gewesen sein könnte. Hierfür ist das FA nämlich nicht zuständig; zudem haben die Kläger den beantragten Erlass vom zuständigen Rat nach Aktenlage bereits erhalten (Erlassantrag vom 8. November 2006, Bescheid des Rats vom 20. November 2006, beides abgeheftet in der vom Gericht kopierten Kirchensteuerakte). Allerdings haben die Kläger auf Nachfrage klargestellt, dass mit der Klage kein Erlass von Kirchensteuer begehrt wird. Das Vorbringen der Kläger lässt diese Auslegung auch zu. Deshalb muss darüber nicht entschieden werden.

    Zur Vermeidung weiteren Streits ergeht dazu der beiläufige Hinweis, dass das Entstehen eines weiteren Erstattungsüberhangs aufgrund des Erlassantrags vom 8. November 2006 und Erlasses vom 11. November 2006 nicht dazu führen würde, dass das FA zusätzlich entstehende Nachzahlungsbeträge ebenfalls erlassen müsste; denn am 8. November 2006 kannten die Kläger die Rechtsauffassung des FA bereits zur Genüge.

    V. Die Berechnung der zu erlassenden Teilbeträge Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2000 und 2001 wird dem FA übertragen (§ 101 Satz 2 FGO).

    VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Der erkennende Senat geht bei überschlägiger Berechnung von zu erlassenden Beträgen von insgesamt 12.969 EUR für 2001 und 3.617 EUR für 2000 aus, die in Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag aufzuteilen sind. Bei einem überschlägig zu erlassenden Gesamtbetrag von 16.586 EUR bei einem beantragten Gesamterlass in Höhe 51.980 EUR ergibt sich ein Obsiegen der Kläger von ca. 8/25 und ein Unterliegen von 17/25.

    VII. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO, § 708 Nr. 11, §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

    VIII. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine Zulassungsgründe vorliegen.

    1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Erlass von Steuern ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (z.B. BFH-Urteile vom 27. September 2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176; vom 21. Juni 2006 XI R 29/05, BFH/NV 2006, 1833) und grundsätzlich einer Verallgemeinerung nicht zugänglich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Juni 2005 IX B 192/03, BFH/NV 2005, 1490; vom 9. Dezember 1997 V B 71/97, BFH/NV 1998, 877).

    2. Der Senat weicht auch nicht vom Urteil des FG Nürnberg vom 28. November 2007 III 230/2005 (juris) oder von der Rechtsprechung des BVerfG oder BFH ab. Er wendet vielmehr deren Grundsätze auf den von ihm zu entscheidenden Einzelfall an.

    IX. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig erklärt, weil die Kläger die Hilfe eines Bevollmächtigten zur Beurteilung der Rechtslage und zur Vertretung für unentbehrlich halten durften.

    VorschriftenAO § 227, AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, EStG § 10, EStG § 34, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20