03.05.2011
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 10.02.2011 – 7 K 592/2008
Im Falle einer bestehenden Sozialversicherungspflicht in Polen ist ein Anspruch auf Kindergeld nach dem deutschen EStG ausgeschlossen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder hat.
Der verheiratete Kläger ist mit Hauptwohnsitz in A-Stadt gemeldet. Seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder Kind 1 (geb. 27.08.1985) und Kind 2 (geb. 24.01.1995) leben in Polen.
Der Kläger meldete im Jahr 2004 in Deutschland einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb an und wurde ab dem Jahr 2004 von der deutschen Finanzverwaltung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Gleichzeitig war der Kläger durchgehend in Polen bei der XXX sozialversicherungspflichtig. Er und seine Ehefrau erzielten folgende Einkünfte:
| Einkünfte | des Klägers in Deutschland | in Polen | seiner Ehefrau in Polen |
| 2004 | 0,00 € | 3.810,23 PLN | 0,00 PLN |
| 2005 | 4.390,00 € | 1.555,64 PLN | 9.350,00 PLN |
| 2006 | 5.423,00 € | 5.828,36 PLN | 850,00 PLN |
| 2007 | 5.957,00 € | 20.730,00 PLN | 0,00 PLN |
| 2008 | 9.280,00 € | 4.000,00 PLN | 0,00 PLN |
Die Ehefrau des Klägers bezog für Kind 1 vom 01.05.2004 - 31.08.2006 und für Kind 2 vom 01.05.2004 - 31.08.2007 i. H. v. 43 PLN monatlich in Polen Kindergeld. Hinzu kamen Beihilfen zum Schuljahresbeginn i. H. v. 90 PLN pro Kind jeweils im September 2004 und September 2005 sowie i. H. v. 100 PLN für Kind 2 im September 2006. Hinzu kamen Beihilfen für Kind 1 wegen auswärtiger Unterbringung (monatlich 80 PLN) vom 01.09.2004 - 30.06.2005 bzw. Fahrgeld i. H. v. monatlich 40 PLN vom 01.09.2005 - 30.06.2006. Ab dem 01.09.2007 wurde in Polen kein Kindergeld mehr beantragt und ausgezahlt. Kind 1 war ab dem 01.10.2006 vollzeiterwerbstätig. Auf die amtlichen Umrechnungskurse wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragte am 16.12.2005 bei der beklagten Familienkasse Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19.07.2007 für die Zeit ab August 2004 mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht alle für die Entscheidung notwendigen Unterlagen vorgelegt habe. Am 17.08.2007 reichte der Kläger weitere Unterlagen ein. Mit Schreiben vom 23.08.2007 nahm die Beklagte Bezug auf die vom
Kläger eingereichten Unterlagen und teilte mit, diese reichten für eine Entscheidung über seinen Kindergeldantrag nicht aus. Er müsse u. a. noch seinen Mietvertrag, einen Nachweis über die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht, Schulbescheinigungen und eine Erklärung zu den Einkünften nachreichen.
Mit Bescheid vom 11.12.2007 lehnte die Beklagte den Antrag vom 17.08.2007 mit der Begründung ab, dass der polnische Kindergeldanspruch einen Kindergeldanspruch nach dem deutschen EStG gem. § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausschließe.
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers in Namen des Klägers mit am 14.01.2008 bei der Familienkasse eingegangenem Telefax Einspruch ein. Zur Begründung verwies er auf ein Urteil des FG Düsseldorf vom 18.10.2007 (14 K 1014/07 Kg).
Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 05.03.2008, eingegangen beim Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11.03.2008, als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/7 1 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, wonach nur das Recht eines einzigen Staates in Kindergeldsachen anwendbar sei. Im Fall des in Polen sozialversicherten Klägers sei dies das polnische Recht. Der Kläger habe daher keinen Kindergeldanspruch nach dem deutschen EStG.
Mit seiner Klage vom 11.04.2008 begehrt der Kläger Kindergeld für Kind 2 und Kind 1 für den Zeitraum von Oktober 2004 - März 2008.
Er ist der Ansicht, dass seinem Kindergeldanspruch Art 13 VO Nr. 1408/71 nicht entgegenstehe. Er als Selbständiger falle bereits nicht in den Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71, so dass deren Art. 13 auf ihn nicht anwendbar sei. Diese Vorschrift regele nur, in welchem Staat ein Beschäftigter ggf. sozialversicherungspflichtig sei, und wolle eine doppelte Sozialversicherungspflicht verhindern. Die Kollisionsregelung könne aber nicht umgekehrt zu einem Tatbestandsmerkmal gemacht werden. Jedenfalls seit der Entscheidung des EuGH vom 20.05.2008 (Rs. C-352/06 Bosmann) stehe fest, dass die Frage, nach welchem Recht sich die Gewährung von Kindergeld richte, nicht zwingend dem Ergebnis der Qualifizierung des Beschäftigungslandes im Sinne der Art. 13 ff. VO Nr. 1408/71 entsprechen müsse. Die Verordnung habe nicht den Zweck, Ansprüche nach inländischem Recht auszuschließen. Die bisher angenommene „Sperrwirkung” sei vom EuGH ausdrücklich für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt worden. Inzwischen hätten sich das Finanzgericht Düsseldorf (Urteil vom 31.07.2008 15 K 4375/07 Kg), das Hessische Finanzgericht, das Niedersächsische Finanzgericht und das Finanzgericht Köln (Urteil vom 21.01.2009 14 K 1793/08) der Rechtsauffassung des EuGH angeschlossen. Das Bundeszentralamt für Steuern habe am 20.05.2008 eine entsprechende Dienstanweisung zur Umsetzung des Bosmann-Urteils erlassen. Sein, des Klägers, Anspruch bestimme sich daher allein nach dem deutschen EStG, dessen Voraussetzungen erfüllt seien.
Der Kläger ist weiter der Ansicht, sein deutscher Kindergeldanspruch sei nicht durch einen polnischen Kindergeldanspruch ausgeschlossen. In Polen habe kein Anspruch auf Kindergeld bestanden, da die maßgebliche Einkommensgrenze i. H. v. 504 PLN pro Familienangehörigem (also bei vier Familienangehörigen 2.016 PLN) überschritten sei, wie sich aus seiner Einkommensteuerakte ergebe. Soweit bis September 2007 Kindergeldzahlungen in Polen erfolgt seien, sei dies irrelevant, da es auf den Anspruch und nicht auf die tatsächlichen Zahlungen ankomme. Die ab September 2007 fehlende Antragstellung in Polen hindere nicht die Prüfung, ob ein Anspruch bestanden habe. Es habe keine Verpflichtung zur Antragstellung bestanden. Anders als in Deutschland, wo Kindergeld steuerrechtlich auch für die Vergangenheit festgesetzt werden könne, sei eine Gewährung in Polen nur für die Zukunft möglich. Die theoretische Frage, ob in der Vergangenheit ein Anspruch auf Sozialleistungen bestanden habe, werde nicht geprüft. Bei offensichtlicher Überschreitung der Einkommensgrenze werde üblicherweise kein Antrag gestellt. Das Verfahren sei vergleichbar mit dem deutschen BAföG. Auch dort müsse kein aussichtsloser Antrag gestellt werden, um die Nichterfüllung der Vorschriften in Zukunft nachweisen zu können. Der Kläger weist darauf hin, dass mehrere Finanzgerichte die deutschen Familienkassen zur selbständigen Prüfung des polnischen Rechts, insbesondere der Einkommensgrenze, verpflichtet hätten (FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 11.06.2008 5 K 2208/07, EFG 2009, 194; FG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 12.02.2009 10 K 10563/06, EFG 2009, 941).
Selbst bei Bestehen eines Kindergeldanspruchs in Polen könne § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG den deutschen Kindergeldanspruch nicht ausschließen, da diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen die verbindliche Zuweisung durch die VO 1408/71 gemeinschaftsrechtswidrig sei. Diese Auffassung teile auch der BFH, der dem EuGH in diesem Zusammenhang die Frage einer Teilgewährung des Kindergeldes vorgelegt habe. Jene Frage stelle sich aber nur, wenn ein Anspruch nicht bereits an § 65 EStG scheitere. Für das Bestehen eines solchen Anspruchs sei die Beklagte aufgrund der Natur des § 65 EStG als rechtsvernichtender Einrede beweispflichtig. Die Feststellungslast liege nach steuerrechtlichen Grundsätzen beim Steuergläubiger. Auch sei die Beklagte zur Aufklärung verpflichtet, da ihr europarechtlich ein entsprechender Informationsaustausch offenstehe. Diese Vorgaben seien auch im innerstaatlichen Verfahrensrecht zu beachten. Das Risiko der Nichtaufklärbarkeit dürfe daher nicht ihm, dem Kläger, aufgebürdet werden; er sei seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 11.12.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2008 die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für die Kinder Kind 2 und Kind 1 i. H. v. jeweils 154 € zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass deutsches Recht wegen Art. 13 VO 1408/71 nicht zur Anwendung komme und der Kläger allein den polnischen Rechtsvorschriften unterliege. Außerdem scheitere andernfalls ein Anspruch des Klägers nach deutschem Recht an § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG, da in Polen Anspruch auf Familienleistungen bestanden habe. Sie, die Beklagte, prüfe ausschließlich, ob die Voraussetzungen für den Bezug von deutschem Kindergeld erfüllt seien. Sie verfüge weder über die für die Prüfung von polnischen Familienleistungen erforderlichen Kenntnisse im polnischen Recht (z. B. Ermittlung des Familieneinkommens, Abzugsmöglichkeiten etc.) noch sei sie für die Entscheidung über solche Ansprüche zuständig. Wenn die polnische Behörde mangels Antragstellung keine Auskunft geben könne, müsse dies zu Lasten des Klägers gehen. Der Klagezeitraum umfasse nur die Zeit bis März 2008, also bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
Im Übrigen wird auf die dem Senat vorliegende Kindergeldakte, die Einkommensteuerakten des Klägers für die Jahre 2004 - 2008 und die im Verfahren eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Auf den Inhalt der während des Klageverfahrens eingereichten Schriftsätze, der dem Senat vorliegenden Kindergeldakte und der Einkommensteuerakte für die Jahre 2004 - 2008 einschließlich Bilanzakte des Klägers wird Bezug genommen.
Gründe
Der Senat kann gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klage ist unbegründet.
Streitzeitraum ist die Zeit von Oktober 2004 - März 2008, also dem Monat, in dem die Einspruchsentscheidung bekanntgegeben wurde. Dies ergibt sich aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Bescheid vom 19.07.2007 ist nicht bestandskräftig geworden, da die Beklagte auf die vom Kläger eingereichten Unterlagen hin mit Schreiben vom 23.08.2007 zu erkennen gegeben hat, dass sie an der Ablehnung des Kindergeldantrags zunächst nicht festhalten wollte.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht.
1. Die Anwendbarkeit des deutschen EStG wird durch Art. 13 VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen.
Die VO Nr. 1408/71 ist auf den Kläger anwendbar. Der Kläger wird zwar nicht aufgrund seiner selbständig in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten Tätigkeit erfasst, da er hier nicht sozialversicherungspflichtig ist und daher durch den Vorbehalt in Anhang I Buchst. E zur VO Nr. 1408/71 aus dem Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/7 1 ausgenommen wird. Er unterfällt der VO Nr. 1408/71 jedoch aufgrund seiner in Polen ausgeübten sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchst. a VO Nr. 1408/71.
Aus Art. 13 VO Nr. 1408/71 ergibt sich ein Ausschluss von den Kindergeldvorschriften nach dem deutschen EStG.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bilden die Vorschriften der VO Nr. 1408/7 1 ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (z. B. EuGH-Urteile Ten Holder in Slg. 1986, 1821; vom 10.07.1986 C-60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365 Rz 14; vom 11.11.2004 C-372/02, Adanez-Vega, Slg. 2004, I-10761 Rz 18; vom 26.01.2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rz 21).
bb) Dem folgend geht auch der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Person, die nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/7 1 den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, auch dann keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld hat, wenn sie an sich die Voraussetzungen der §§ 62 ff. EStG erfüllt (z. B. BFH-Urteile vom 13.08.2002 VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1508, und VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588; vom 24.03.2006 III R 41/05, BStBl II 2008, 369).
Den Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer, für den - wie hier für den in Polen sozialversicherten Kläger - die VO Nr. 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt, hat der EuGH auch in seinem Urteil Bosmann in Slg. 2008, I-3827 erneut betont. Der EuGH hielt es dann zwar nicht (mehr) für ausgeschlossen, dass die Bundesrepublik auch als nicht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zuständiger Staat Kindergeld gewähren könne und wies darauf hin, dass die Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 im Licht des Art. 42 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) auszulegen seien, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern solle. Daraus ergebe sich, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürften, weil sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hätten (EuGH-Urteil Bosmann in Slg. 2008, I-3827 Rz 29). Diese Auslegung der VO Nr. 1408/71 durch den EuGH in der Sache Bosmann ist jedoch schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG) aufgrund der vereinbarten Übergangsregelung im Verhältnis zu Polen im Streitzeitraum noch nicht zum Tragen kommt.
cc) Außerdem lässt sich dem Urteil des EuGH im Fall Bosmann - auch nach Ansicht des BFH - nicht entnehmen, dass ein nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 nicht zuständiger Mitgliedstaat nun generell einem Wanderarbeitnehmer Familienleistungen nach seinem nationalen Recht gewähren kann, d. h. unabhängig davon, ob der Wanderarbeitnehmer dadurch, dass er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, einen Rechtsnachteil erleidet (Vorlagebeschluss des BFH vom 21.10.2010 III R 5/09, juris). Der Kläger hat - anders als Frau Bosmann - infolge der Ausübung dieses Rechts keinen Rechtsverlust erlitten. Der Kläger ist aus Polen, wo er durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und ist, nach Deutschland zugewandert, wo er eine von Deutschland bewusst aus dem Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ausgenommene Berufstätigkeit ausübt. Daher ist die Bundesrepublik Deutschland nicht der nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zuständige Mitgliedstaat.
Die Bundesrepublik Deutschland ist - anders als im Fall von Frau Bosmann - auch nicht Wohnmitgliedstaat der Kinder. Ein Anspruch im Wohnmitgliedstaat der Kinder scheiterte im Fall von Frau Bosmann am Fehlen einer Anspruchskumulierung, da im (abweichenden) Beschäftigungsmitgliedstaat (Niederlande) gerade kein Anspruch bestand. Anders stellt sich die Situation des Klägers dar. Da seine Kinder in Polen leben, kann sich ein für sie aufgrund ihres Wohnsitzes zu berücksichtigender Anspruch nur aus polnischem Recht ergeben. Die im Rahmen der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 grundsätzlich zu berücksichtigenden konkurrierenden Ansprüche nach dem Recht des zuständigen Staates einerseits und nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats des Kindes andererseits richten sich im Fall des Klägers - anders als in dem Fall von Frau Bosmann - also ausschließlich nach polnischem Recht. Eine gewissermaßen „freiwillige” Anwendung des deutschen EStG ist nach Art. 13 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 weder zulässig noch im innerstaatlichen Recht vorgesehen (hierzu vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 27.04.2010 10 K 3402/08 Kg, juris).
dd) Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gem. Art. 234 Abs. 2 EGV ist nicht geboten. Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 VO ist nach Überzeugung des Senats eindeutig. Außerdem besteht eine Vorlageverpflichtung nur für einzelstaatliche Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit innerstaatlichen Rechtsmitteln angefochten werden können. Dies ist bei einem finanzgerichtlichen Urteil, das die Revision zulässt, jedoch möglich.
Der Senat ist daher der Überzeugung, dass Art. 13 VO dahingehend auszulegen ist, dass im vorliegenden Fall allein polnisches Recht auf den Kläger anzuwenden ist.
c) Der Kläger war während des Streitzeitraums durchgehend in Polen sozialversichert. Dort hielten sich auch seine Kinder auf. Der im Streitzeitraum erfolgte Ausschluss vom polnischen Kindergeld beruhte nicht auf der Arbeitsaufnahme des Klägers mit der Folge einer Rechtszuweisung nach Deutschland, wo er als Selbständiger von der V0 1408/71 gerade nicht erfasst wird, sondern auf der Steigerung seines Einkommens und der dadurch eingetretenen Überschreitung der polnischen Einkommensgrenze. Er hat also durch die Aufnahme seiner Tätigkeit in Deutschland keinen Rechtsnachteil erlitten.
Der Kläger war daher durch Art. 13 VO 1408/71 vom Anspruch auf Kindergeld nach dem deutschen EStG ausgeschlossen.
Die Klage war deshalb als unbegründet abzuweisen.
II. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Für die Zeit von September 2006 - März 2008 hat der Kläger auch deswegen keinen Anspruch auf Kindergeld für Kind 1, da dieser vollzeiterwerbstätig war und sich nicht mehr in Ausbildung befand. Es liegt daher kein Berücksichtigungstatbestand vor, so dass die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs nach deutschem Recht nicht erfüllt sind.
b) Für die Zeiträume, in denen der Kläger bzw. seine Ehefrau Anspruch auf Kindergeld in Polen hatten bzw. solches tatsächlich bezogen haben, steht einem inländischen Kindergeldanspruch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entgegen. Der Kläger bzw. seine Ehefrau haben für Kind 1 von August 2004 - August 2006 und für Kind 2 von August 2004 - August 2007 in Polen Kindergeld bezogen. Aus der dem Senat vorliegenden Einkommensteuerakte des Klägers für die Jahre 2004 - 2008 und der vom Kläger vorgelegten Nachweise über sein Einkommen und das Einkommen seiner Ehefrau in Polen ergibt sich allerdings unter Anwendung des polnischen Gesetzes vom 28.11.2003 über Familienleistungen (Gesetzblatt Nr. 228/2003 Pos. 2255), dass die Einkommensgrenze i. H. v. 504 PLN monatlich pro Familienmitglied aufgrund des Einkommens im vorangehenden Kalenderjahr (hier: ab 2005) mit kindergeldausschließender Wirkung bereits ab September 2006 überschritten wurde.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die VO 1408/71 ist zwar seit Mai 2010 ausgelaufenes Recht; die Frage, ob Art. 13 der VO der Anwendung des deutschen EStG entgegensteht, ist aber immer noch in einer Vielzahl von Verfahren entscheidungserheblich. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass der BFH in einem künftigen Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einholen wird, wie er es bezüglich Art. 14 derselben Verordnung bereits getan hat. Auch in einem solchen Fall ist die Revision zuzulassen (BFH-Beschluss vom 09.11.2007 IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390).