06.04.2011
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 02.11.2010 – 10 K 1301/10 Kg
- Ein für weniger als 12 Monate von seinem polnischen Arbeitgeber in das Inland entsandter polnischer Staatsbürger, der ausschließlich in Polen sozialversicherungspflichtig ist, unterliegt gemäß Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens über soziale Sicherheit und damit nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71 auch den polnischen Vorschriften über das Kindergeld.
- Deutsches Kindergeldrecht ist mangels eines Anwendungsbefehls zugunsten des nationalen Rechts in §§ 62 ff. EStG auch nicht subsidiär anwendbar, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist.
- Aus der VO (EG) 883/2004 ergeben sich insoweit gegenüber der auf der VO (EWG) 1408/71 beruhenden Rechtslage keine Abweichungen.
- Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kann auch bei Anwendbarkeit deutschen Kindergeldrechts nur für die Monatszeiträume eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG begründen, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt.
Tatbestand
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und der Vater des am 31. März 2003 geborenen „A” sowie der am 12. Juni 2006 geborenen „B”.
Die Kinder sowie die Kindesmutter leben in Polen.
Unter dem 25. März 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld. Dazu legte er eine „Bescheinigung des Arbeitgebers”, der in Polen ansässigen „C” vor. Danach war der Kläger vom 21. April 2006 bis zum 10. April 2007 von seinem Arbeitgeber in einen Betrieb in „D” entsandt worden. Ein Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesanstalt für Arbeit bestand nach dieser Bescheinigung nicht, weil der Kläger in Polen bei der ZUS sozialversichert war.
Des Weiteren war dem Antrag die Kopie einer von der „C” GmbH in „D” ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung für den Zeitraum 1. Juni bis 31. Dezember 2006 beigefügt. Danach wurden von dem Bruttoarbeitslohn lediglich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten, nicht jedoch Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung.
Außerdem erklärte der Kläger, seine Ehefrau sei weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig.
Mit Bescheid vom 6. November 2009 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis darauf, dass der Kläger in Polen sozialversichert sei, ab.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 30. November 2009 Einspruch ein und machte geltend, die Auffassung der Beklagten entspreche nicht der Gesetzes- und auch nicht der Weisungslage.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 2010 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit der am 22. April 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Ergänzend macht er geltend, er sei im Jahr 2006 und 2007 in Deutschland tätig gewesen. Auf seinen Antrag hin sei er vom zuständigen Finanzamt als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG behandelt worden.
Er begehre Kindergeld für seine beiden Kinder in Höhe von 7.392,- EUR für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007.
Im Verhandlungstermin am 2. November 2010 hat der Kläger die Klage bezüglich „B” für die Zeit von Januar bis Mai 2006 zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Änderung des Bescheides vom 6. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2010 für seinen Sohn „A” für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2007 und für seine Tochter „B” für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Dezember 2007 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Ausweislich einer im Klageverfahren nachgereichten Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2007 hatte der Kläger für die Zeit vom 14. Februar 2007 bis zum 1. April 2007 erneut von der „C” GmbH Arbeitslohn bezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der ablehnende Bescheid vom 6. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, Kindergeld festzusetzen.
I. Das Gericht geht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon aus, dass der Kläger für die Zeiträume vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2006 und vom 14. Februar 2007 bis zum 1. April 2007, in denen er in Deutschland nichtselbständig tätig war, aufgrund der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 nur nach polnischem und nicht nach deutschem Recht Anspruch auf Kindergeld hatte.
Ab dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auf den Kläger anwendbar.
Zu diesen Vorschriften zählt die seit 1971 gültige VO (EWG) 1408/71. Diese Verordnung ist allerdings durch die Verordnung (EG) 883/2004 vom 29.4.2004 (VO (EG) 883/2004)) – zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Fassung der (Änderungs-) Verordnung (EG) 988/2009 vom 16.09.2009 – aufgehoben worden, und zwar nach Art. 90 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 mit dem Beginn der Anwendung der VO (EG) 883/2004. Nach Art. 91 Satz 1 VO (EG) 883/2004 tritt diese Verordnung am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft; sie gilt aber nach Art. 90 Satz 2 VO (EG) 883/2004 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung. Die Durchführungsverordnung zu VO (EG) 883/2004 – die Verordnung (EG) 987/2009 vom 16.9.2009 (VO (EG) 987/2004 – trat nach ihrem Art. 97 am 10.5.2010 in Kraft. Damit hat die VO (EG) 883/2004 ebenfalls erst Geltung ab dem 10.5.2010.
Der Senat kann offen lassen, ob die VO (EG) 883/2004 und VO (EG) 987/2004, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltendes Gemeinschaftsrecht sind, auch auf die hier streitigen Zeiträume und damit auf Zeiten vor dem 10.5.2010 angewandt werden können.
Sowohl die VO (EWG) 1408/71 als auch die VO (EG) 883/2004 führen vorliegend nämlich nicht zu einem inländischen Kindergeldanspruch des Klägers.
1. Für den Fall der Anwendung der VO (EWG) 1408/71 gilt Folgendes:
Beim Kläger handelt es sich um einen Arbeitnehmer i. S. von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt, weil er dort sozialversichert ist. Er ging auch während des Streitzeitraums in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, einer nicht selbständigen Tätigkeit nach. Damit handelt es sich aus Sicht der VO (EWG) 1408/71 um einen innerhalb der Gemeinschaft zugewanderten Arbeitnehmer. Ein sog. reiner Inlandssachverhalt, d. h. ein Sachverhalt ohne jegliches grenzüberschreitendes Merkmal (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Art. 73 Rz. 5), ist folglich nicht gegeben.
Ob der Kläger der Regelung in Anhang I Teil I E (im Streitzeitraum: Anhang I Teil I D) nicht unterfällt, weil er in Deutschland nicht gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist, kann dahinstehen. Denn selbst bei Nichtanwendbarkeit des Anhangs I Teil I E ist damit keine Einschränkung des allgemeinen persönlichen Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1408/71 verbunden, sondern lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen. Zwar „verdrängt” die Definition in Anhang I Teil I E die Definition in Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, jedoch nicht mit Wirkung für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften (vgl. die Überschrift des Titels II), sondern nur für die Bestimmung des Personenkreises, der Anspruch auf Familienleistungen hat (vgl. EuGH-Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-194/96, Kulzer, Slg. I 1998, 895). Auch nach dem Einleitungssatz des Anhangs I Teil I E gilt die Definition ausdrücklich nur „für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung”. Die Regelung in Anhang I Teil I E soll folglich nicht über die Anwendbarkeit eines gesamten Sozialversicherungssystems eines Mitgliedstaats, d. h. über den gesamten sachlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 i. S. ihres Art. 4 entscheiden, sondern nur über den persönlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der Leistungsart „Familienleistung” i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71. Damit ist die Frage, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. VO (EWG) 1408/71 anzuwenden sind, d. h. in die Zuständigkeit welches Mitgliedstaats der Sachverhalt fällt, vorrangig zu prüfen.
Der Kläger unterliegt gemäß Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 den Rechtsvorschriften Polens über soziale Sicherheit und damit nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71 auch den polnischen Vorschriften über Familienleistungen, zu denen das Kindergeld bzw. eine vergleichbare ausländische Leistung gehört (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 13. August 2002 VIII R 54/00, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2002, 1581; VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1584, und VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588).
Nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, der eine von Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 abweichende Regelung trifft, unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitzeitraum vor.
Der Kläger ist im Streitzeitraum ausweislich der Bescheinigung vom 29. Juli 2008 von seinem polnischen Arbeitgeber „C” zur Arbeitsleistung nach Deutschland entsandt worden.
Die Dauer der vom Kläger jeweils erbrachten Arbeitsleistungen überschritt nicht den Zeitraum von zwölf Monaten, denn er war im Jahr 2006 nur für die Dauer von 6 Monaten und im Jahr 2007 für die Dauer von 1 1/2 Monaten in Deutschland als entsandter Arbeitnehmer tätig. Wenngleich die „C” dem Kläger eine Entsendungszeit vom 21. April 2006 bis 10. April 2007 bescheinigt hat, geht das Gericht entsprechend den vorgelegten Lohnsteuerbescheinigungen davon aus, dass der Kläger lediglich in der Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 31. Dezember 2006 und vom 14. Februar 2007 bis 1. April 2007 in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet hat.
Auf die vom Kläger in diesem Zusammenhang angeschnittene Frage der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kommt es an dieser Stelle nicht an, denn für die Zeiten als entsandter Arbeitnehmer und damit für die Anwendung von Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 ist nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erheblich, sondern die tatsächliche Arbeitsleistung als nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger während seiner Arbeitstätigkeit in Deutschland eine andere Person abgelöst hat, deren Entsendungszeit abgelaufen war. Damit liegt ein Entsendungsfall im Sinne des Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 vor.
Nach Ansicht des Gerichts sind die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 auch abschließend d.h. dass deutsches Kindergeldrecht auch nicht subsidiär anwendbar ist, wenn nach der VO (EWG) 1408/71 das Recht eines anderen Mitgliedstaats anwendbar ist.
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Die Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) 1408/71 bezwecken nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache C-60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365). Davon ist auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 110, 412) ausgegangen.
Der EuGH hat zwar im Urteil vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06 (Bosmann, HFR 2008, 877) entschieden, dass dem Wohnsitzstaat, auch wenn der Kindergeldprätendent nach der VO (EWG) 1408/71 nicht dessen Rechtsvorschriften unterliegt, „nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren”. Der Wohnsitzstaat solle durch die VO (EWG) 1408/71 nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren. Ob nach deutschem Recht für diesen Fall ein Anspruch besteht, hatte der EuGH nicht zu entscheiden. Diese Prüfung ist nach seiner Ansicht Sache der nationalen Gerichte.
Den §§ 62 ff. EStG ist nicht zu entnehmen, dass deutsches Kindergeldrecht auch dann anwendbar ist, wenn nach dem Wortlaut der VO (EWG) 1408/71 die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats Anwendung finden. Ein Anwendungsbefehl zugunsten des nationalen Rechts wäre aber zu erwarten, weil die VO (EWG) 1408/71 als überstaatliches Recht den nationalen Rechtsvorschriften vorgeht und deren Anwendungsbereich begrenzt. Dass der Gesetzgeber von einem Anwendungsvorrang des überstaatlichen Rechts ausgeht, zeigt § 1 Abs. 7 des Bundeserziehungsgeldgesetzes i. d. F. des Gesetzes vom 12. Oktober 2000. Durch diese Vorschrift wurde die Anspruchsberechtigung von Ehegatten von EU-Bürgern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland hinsichtlich des Erziehungsgeldes für den Fall neu geregelt, dass nur der EU-Bürger in Deutschland erwerbstätig ist, nicht aber sein im Wohnsitzstaat lebender Ehegatte. Der Gesetzgeber wollte damit als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 10. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow, Slg. I 1996, 4895) das nationale Recht der Regelung der VO (EWG) 1408/71 anpassen (BT-Drucks. 14/3118, 10). Dieses bestimmt aus seiner Sicht darüber, ob und in welchem Umfang nationales Recht in Zu- und Abwanderungsfällen anwendbar ist.
2. Sollte die VO (EG) 883/2004 anwendbar sein, ergäben sich gegenüber der auf der VO (EWG) 1408/71 beruhenden Rechtslage bezüglich der Zeiten, in denen der Kläger in Deutschland gearbeitet hat, keine Abweichungen.
Art. 12 VO (EG) 883/2004 regelt, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht übersteigt und diese Person keine andere Person ablöst. Damit gelten für den Kläger als entsandten Arbeitnehmer auch nach Art. 12 VO (EG) 883/2004 allein die polnischen Vorschriften über die Gewährung von Kindergeld.
Im Ergebnis unterscheidet sich Art. 12 VO (EG) 883/2004 in seinem materiellen Gehalt – bis auf die zeitliche Höchstgrenze der Auslandstätigkeit – nicht von Art. 14 VO (EWG) 1408/71.
II. Darüber hinaus steht dem Kläger auch für die Zeiten, in denen er nicht in Deutschland gearbeitet hat (Januar bis Mai 2006 sowie für den Monat Januar 2007 und von April 2007 bis Dezember 2007), kein Kindergeld nach inländischem deutschem Recht zu.
Soweit der Kläger während der Zeit von Januar 2006 bis Mai 2006 bzw. im Januar 2007 und ab April 2007 als Arbeitnehmer in Polen (oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU) tätig war, gilt nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) VO (EWG) 1408/71 das Recht des Beschäftigungsstaates; damit scheidet inländisches deutsches Recht aus. Auf eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2010, 10 K 1829/09 Kg, juris).
Auch wenn der Kläger in den vorgenannten Zeiten überhaupt nicht tätig gewesen ist und deswegen nicht die VO (EWG) 1408/71, sondern gegebenenfalls nur inländisches deutsches Recht zur Anwendung kommt, besteht kein Kindergeldanspruch.
Der Kläger gehört nämlich bei dieser Sachverhaltsvariante nicht zu den Kindergeldberechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 EStG.
Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen.
Anhaltspunkte dafür, dass er in den hier interessierenden Zeiträumen in Deutschland gewohnt oder sich hier aufgehalten hat und deshalb in Deutschland seinen Wohnsitz oder seine gewöhnlichen Aufenthalt hatte, gibt es nicht.
Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG besteht ebenso wenig, da der Kläger nicht in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts gestanden hat.
Auch eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG – auf die sich der Kläger beruft – vermag in Verbindung mit § 62 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG keinen Kindergeldanspruch auszulösen.
Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kann nämlich nur für die Zeiträume eine Kindergeldberechtigung begründen, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht entsteht nämlich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz EStG nur soweit inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG vorliegen. Der Konjunktion „soweit” hat nicht nur konditionale Bedeutung („sofern”), sondern beinhaltet auch ein zeitliches Moment mit der Folge, dass die Einkünfte im Sinne des § 49 EStG den Beginn und das Ende der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG markieren (Herrmann/ Heuer/ Raupach, EStG, § 1, Anm. 297 a.E: „Beginn und Ende der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht richten sich nach der Verwirklichung des Tatbestandes des Abs. 3”). Diese Sichtweise korrespondiert mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Kinderfreibetrag, wonach bei einer nur für einen Teil des Kalenderjahres bestehenden unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG der Kinderfreibetrag nur für diejenigen Monate zu berücksichtigen ist, in denen die unbeschränkte Steuerpflicht bestand hat (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 111/01, BFH/NV 2004, 331).
Die Rechtslage beim Kindergeld ist identisch mit der des Kinderfreibetrages. Beide Rechtsinstitute sollen (alternativ) die durch Kinder bedingten finanziellen Belastungen von der Besteuerung freistellen, wobei sowohl für den Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 Satz 1 und Satz 5 EStG) als auch für das Kindergeld (§ 66 Abs. 1 EStG) das Monatsprinzip gilt, d.h. Kinderfreibetrag bzw. Kindergeld werden nur für die Monate gewährt, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 32 Abs. 1 – Abs. 5 EStG für den Kinderfreibetrag; §§ 62 ff. EStG für das Kindergeld) erfüllt sind. Dieses Monatsprinzip gebietet es, die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG, auch wenn sie sich steuerlich in einem Jahres-Einkommensteuerbescheid niederschlägt, unter zeitlichen Gesichtspunkten zu begrenzen und exakt ihren Beginn und ihr Ende festzustellen.
Damit besteht für die Zeiten, in denen der Kläger keine Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt hat, also die Zeiten, in den er sich nicht in Deutschland aufhielt, auch keine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG und damit auch keine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG.
Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten in seinem Schriftsatz vom 29. Oktober 2010 ändern nichts an diesem Ergebnis.
Sollte der Kläger aufgrund seiner monatsweisen Entsendung nach Deutschland ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt und in den übrigen Monaten in Polen oder in einem anderen EU-Staat gearbeitet haben, ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass dem Anspruch auf Kindergeld für die Monate der Tätigkeit in Deutschland nach Ansicht des Senats Art. 14 VO (EWG) 1408/71 und in den restlichen Monaten Art. 13 der VO (EWG) 1408/71 entgegen stehen. Auf die Regelung des § 1 Abs. 3 EStG kommt es in diesen Konstellationen nicht an.
Dass der Kläger in den Zeiträumen, in denen er weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, beispielsweise inländische Kapitaleinkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG erzielt hätte, die die Annahme einer fiktiven Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG für weitere Monate gerechtfertigt hätte, hat der Kläger nicht nachgewiesen. Die Feststellungslast für derart anspruchsbegründende Tatsachen obliegt jedoch dem Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.