18.03.2011
Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 18.11.2010 – 1 K 60/10
1. Jedenfalls der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides richtet sich nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG und nicht nach § 10d Abs. 4 S. 4 EStG; denn das Tatbestandsmerkmal des Letzteren, „Änderung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrages nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte”, kann dem Wortlaut nach beim erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nicht erfüllt sein.
2. Diese wortlautgetreue Auslegung und die daraus folgende Anwendung des § 10d Abs. 4 S. 1 EStG ermöglicht auch im Fall einer bestandskräftig auf 0 EUR festgesetzten Einkommensteuer noch eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags.
3. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung des Verlustentstehungsjahres steht der Ausübung des Wahlrechts auf Durchführung eines Verlustvortrags anstelle des regelmäßig vorzunehmenden Verlustrücktrags nicht entgegen.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 1. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. November 2010 durch den Präsidenten des Finanzgerichts Karl als Vorsitzenden, den Richter am Finanzgericht Dr. Amler, die Richterin am Finanzgericht Gehlhaar, die ehrenamtliche Richterin … und die ehrenamtliche Richterin …
für Recht erkannt:
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides wegen des Antrages auf Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrages zum 31. Dezember 2000 vom 21. November 2005 und der zugehörigen Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2009 wird der verbleibende Verlustvortrag zum 31. Dezember 2000 auf 8.066 DM (bzw. 4.124,08 EUR) festgestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin hatte im Jahr 1999 einen Gewerbebetrieb übernommen, aber innerhalb der Erklärungsfristen keine Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Daher erließ der Beklagte wegen Einkommensteuer 2000 am 11. Juli 2002 und wegen Einkommensteuer 2001 am 10. November 2003 Schätzungsbescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung. Die Klägerin bestritt den Zugang der Bescheide, legte innerhalb eines Monats nach erneutem Zusenden der Bescheide Einspruch ein und gab am 24. Mai 2004 ihre Einkommensteuererklärung 2000 nebst Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2000 sowie drei Tage später eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 ab. Der Beklagte folgte ihr darin zunächst nicht und wies die Einsprüche jeweils mit Bescheid vom 5. Oktober 2004 als unzulässig zurück. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht Klage und beantragte bei Gericht eine entsprechende Aussetzung der Vollziehung, welche dieses wegen Einkommensteuer 2000 ablehnte, wegen Einkommensteuer 2001 jedoch gewährte, weil es bei summarischer Prüfung den Zugang des ursprünglich abgesandten Bescheides für das Jahr 2000 annahm, ihn für das Jahr 2001 hingegen bezweifelte. Daraufhin nahm die Klägerin ihre Klage wegen Einkommensteuer 2000 zurück, was zunächst zur Einstellung des Verfahrens führte, was aber nach einer wegen des gleichen Bescheides erhobenen Nichtigkeitsfeststellungsklage unter dem Aktenzeichen 1 K 97/10 zuletzt zu einer Klageabweisung führte. Demgegenüber wurde das Klageverfahren wegen Einkommensteuer 2001 nach antragsgemäßer Änderung des Einkommensteuerbescheides 2001 auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten im Hinblick auf den von der Klägerin noch gemachten Verlust aus dem Jahr 2000 ausgesetzt. Dessen Feststellung auf den 31. Dezember 2000 in Höhe von unstreitig 8.066 DM entsprechend der Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages 2000 lehnte der Beklagte nämlich mit Bescheid vom 21. November 2005 ebenso ab, wie er den dagegen fristgerecht eingelegten Einspruch nebst Antrag vom 6. Oktober 2008, diese nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte aus dem Veranlagungszeitraum 2000 nicht in das Jahr 1999 zurückzutragen, mit Einspruchsbescheid vom 14. Dezember 2009 zurückwies. Daraufhin hat die Klägerin am 14. Januar 2010 die vorliegende Klage erhoben.
Die Klägerin meint, die von ihr wegen des Verlustes im Jahr 2000 beantragten Verlustfeststellungen auf den 31. Dezember 2000 seien – ungeachtet der möglicherweise eingetretenen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2000 – durchaus noch möglich und dann bei der Einkommensteuerfestsetzung ab dem Jahr 2001 zu berücksichtigen. Der begehrte Feststellungsbescheid sei nämlich ein eigenständiger Verwaltungsakt und infolgedessen nicht davon abhängig, dass der Einkommensteuerbescheid noch änderbar sei. Überdies sei seine Beantragung – zumindest solange die Verlustfeststellung noch für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung sei – auch sonst nicht befristet. Vorsorglich behauptet sie zudem, der Einkommensteuerschätzungsbescheid 2000 sei nichtig und damit trotz ihrer Klagerücknahme nicht bestandskräftig.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides wegen des Antrages auf Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2000 den Verlust nach § 10d Abs. 4 für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 8.066 DM festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält dem entgegen, dass die beantragten Verlustfeststellungen nach Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung 2000 nicht mehr möglich seien, insbesondere wenn der Einkommensteuerbescheid – wie hier – einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte ausweise. Andernfalls würden die verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften umgangen und die Rechtssicherheit außer Acht gelassen, die einem bestandkräftigen Bescheid inne wohne.
Im Übrigen tritt er dem klägerischen Vortrag zur Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 2000 entgegen.
Dem Gericht haben die den Streitfall betreffenden Steuer- und Rechtsbehelfsakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die gesonderte Feststellung des am Schluss eines Veranlagungszeitraumes verbleibenden Verlustvortrages wird in § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG an keine weitere Voraussetzung geknüpft, während § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG für den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines entsprechenden Feststellungsbescheides voraussetzt, dass sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge – also die bei Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraumes festgestellten verbleibenden Verlustvortrages – ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Diese beiden Regelungen (bzw. deren ähnlich lautende Vorgängerregelungen) sind nach inzwischen geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. jeweils BFH, Urt. v. 17. September 2008, IX R 69/06, BFH/NV 2009, 555; IX R 70/06, BStBl. II 2009, 897; IX R 81/07, BFH/ NV 2009, 386; IX R 92/07, Haufe-Index 2108499) so zu verstehen, dass sich jedenfalls der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG richtet, und nicht nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG, denn das Tatbestandsmerkmal des Letzteren, „Änderung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrages nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte”, kann dem Wortlaut nach beim erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides gar nicht erfüllt sein.
Diese wortlautgetreue Auslegung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG und der daraus abgeleitete Rückgriff auf § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG erlaubt auch bei einer zuvor bestandkräftig auf 0 EUR festgesetzten Einkommensteuer (BFH, Urt. v. 17. September 2008, IX R 70/06, BStBl. II 2009, 897) und sogar bei einem dieser zugrundeliegenden positiven Gesamtbetrag der Einkünfte (BFH, Urt. v. 17. September 2008, IX R 69/06, BFH/ NV 2009, 555; IX R 81/07, BFH/ NV 2009, 386; IX R 92/07, Haufe-Index 2108499) wie auch bei einem dieser zugrundeliegenden negativen Gesamtbetrag der Einkünfte (BFH, Urt. v. 14. Juli 2009, X R 52/08, BFHE 225, 453) noch eine anschließende erstmalige gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges. Das führt zumindest in den Fällen zu einem interessengerechten Ergebnis, in denen der Steuerpflichtige sich zwar über die Höhe des aufgelaufenen Verlustes getäuscht hat, dies dem Finanzamt aber – weil die konkrete Verlusthöhe für den aktuellen Einkommensteuerbescheid beispielsweise wegen einer Festsetzung der Einkommensteuer auf 0 EUR irrelevant war – nicht mehr innerhalb der Anfechtungsfrist des Einkommensteuerbescheides mitgeteilt hat. Denn es verhilft ihm, ohne dass er die ja ohnehin nicht in Bestandskraft erwachsenden Besteuerungsgrundlagen des Einkommensteuerbescheides fristgerecht anfechten müsste, zu der gesonderten Verlustfeststellung und zugleich im dazu vorgesehenen Verlustfeststellungsverfahren zu der gewünschten eigenständigen Bedeutung gegenüber dem Einkommensteuerfestsetzungsverfahren.
Dann allerdings muss nach Ansicht des Senates diese wortlautgetreue Auslegung und die daraus folgende Anwendung des § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG auch im hier vorliegenden Fall einer über 0 EUR festgesetzten bestandskräftigen Einkommensteuer noch eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages ermöglichen. Schließlich kann die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Einkommensteuerbescheid schwerlich von der Höhe der Steuerfestsetzung oder gar von den darin enthaltenen, aber nicht in Bestandskraft erwachsenen Besteuerungsgrundlagen abhängig gemacht werden. Der vom Bundesfinanzhof für seine Rechtsprechungsänderung vorrangig herangezogene Wortlaut des § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG rechtfertigt eine solche Unterscheidung jedenfalls nicht und der Wortlaut des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG, der über die Formulierung „zu erlassen” im Gegensatz zu „aufzuheben oder zu ändern” ja ebenfalls als Anspruchsgrundlage für den erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides fungieren könnte, ist infolge der unglücklichen Formulierung seiner genauen Anspruchsvoraussetzungen und der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung daraus gezogenen Konsequenzen für den erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nicht mehr brauchbar. Entsprechend kann auch der gerade an dieser Stelle zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, den denklogischen Zusammenhang zwischen der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte und dem Ergebnis zu wahren, indem die daraus resultierenden jeweiligen Bescheide aneinander angepasst werden, keine abweichende Behandlung rechtfertigen. Gleiches gilt für die Gesetzessystematik, denn wenn § 10d Abs. 4 Satz 1 und § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG erst einmal als nebeneinander stehende Anspruchsgrundlagen akzeptiert werden, kann allenfalls die Erfüllung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG unter dem Gesichtspunkt der Spezialität einen Anspruch nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG ausschließen, nicht aber seine Nichterfüllung. Insofern ist auch der Überlegung, dass bei einer derart weiten Auslegung des § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG für § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG kaum ein Anwendungsbereich mehr verbleiben würde, entgegen zu halten, dass für die Fälle des erstmaligen Erlasses infolge des wohl „redaktionellen Versehens” des Gesetzgebers auch vorher schon kein Anwendungsbereich bestand und dass es für die Fälle der „Aufhebung” oder „Änderung” eines Verlustfeststellungsbescheides noch Anwendungsbeispiele geben mag. Bliebe noch der Sinn und Zweck des § 10d Abs. 4 EStG bzw. des gesonderten Verlustfeststellungsverfahrens insgesamt als Auslegungshilfe. Grundintention war sicherlich, diejenigen Verluste, die in der aktuellen Einkommensteuerfestsetzung nicht berücksichtigt werden konnten, unter dem Gesichtspunkt des Leistungsfähigkeitsprinzips für andere vergangene oder kommende Einkommensteuerfestsetzungen zeitnah feststellen zu lassen. Da die betreffenden Verluste naturgemäß von den aktuellen Einkünften abhängen, musste also bei Einführung bzw. Ausgestaltung des Verlustfeststellungsverfahrens zwangsläufig die Frage der unter Umständen auch wechselseitigen Bindungswirkung zwischen Einkommensteuer- und Verlustfeststellungsbescheid mit erörtert werden. Da im Normalfall die Einkünfteermittlung zunächst eine Einkommensteuerfestsetzung und dann eventuell noch eine Verlustfeststellung nach sich zieht, ergab es durchaus Sinn, die Verlustfeststellung an die zugehörige Einkommensteuerfestsetzung anzubinden. Fraglich ist aber schon, ob eine derartige Bindung auch dann noch Sinn hat, wenn die genaue Einkünfteermittlung für die festzusetzende Einkommensteuer – beispielsweise wegen des zu berücksichtigenden Existenzminimums – ohnehin nicht relevant wird und infolgedessen vom Steuerpflichtigen bei der Überlegung, ob er den Einkommensteuerbescheid anfechten soll, häufig nicht einbezogen wird, denn seine Anfechtungsmöglichkeiten mögen so lange zu schützen sein, solange die genaue Einkünfteermittlung noch für eine Verlustfeststellung relevant werden könnte. Erst recht aber wäre der Sinn und Zweck einer solchen Bindung in den Fällen zweifelhaft, in denen ausnahmsweise einmal die Verlustfeststellung der Einkommensteuerfestsetzung vorausging und somit bei entsprechender Abhängigkeit vom Einkommensteuerbescheid die Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides tangiert sein könnte. Insofern sind also dem eigentlich denklogischen Vorrang der Einkünfteermittlung zum Zwecke der Einkommensteuer vor derjenigen zum Zwecke der Verlustfeststellung in der Praxis schon gewisse Grenzen gesetzt, will man das Verlustfeststellungsverfahren nicht zum bloßen Sprachrohr der im Steuerbescheid ohnehin schon ausgewiesenen, aber nicht in Bestandskraft erwachsenden Besteuerungsgrundlagen degradieren und das kann wohl auch nicht Sinn und Zweck seiner Einführung sein.
Richtet sich also im Ergebnis die erstmalige gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrages nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG und ist deshalb nach Ansicht des Senates konsequenterweise auch bei einer festgesetzten Einkommensteuer von über 0 EUR keine den Wortlaut korrigierende Auslegung geboten, dann scheitert der Erlass des hier beantragten Verlustfeststellungsbescheides auf den 31. Dezember 2000 vorliegend jedenfalls nicht an der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2000.
Ebenso wenig steht dem Erlass dann die nach §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 1 Satz 1 AO auch für das Verlustfeststellungsverfahren zu beachtende vierjährige Feststellungsfrist nach §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen. Diese beginnt nach §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, da auch für die gesonderte Feststellung – wie die Formulierung „insbesondere” in § 181 Abs. 2 Satz 2 AO zeigt – eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Folglich begann sie im vorliegenden Fall – mangels zeitnaher Verlustfeststellungserklärung – zum Ende des Jahres 2003 und wäre damit erst Ende des Jahres 2007 abgelaufen, das aber schon längst, nämlich am 24. Mai 2004, eine entsprechende Verlustfeststellungserklärung vorlag. Damit kann erstens dahinstehen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Spezialregelung des § 181 Abs. 5 AO, wonach eine gesonderte Feststellung auch noch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist erfolgen kann, wenn die Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist – wie hier für die Einkommensteuer 2001, da das Klageverfahren derzeit ausgesetzt ist – mittlerweile durch § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG eingeschränkt wird, wonach § 181 Abs. 5 AO nur anzuwenden ist, wenn die Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrages pflichtwidrig unterlassen hat. Zweitens kann auch offenbleiben, inwieweit dem Beklagten wegen Ablehnung der Feststellung der dann ja schon amtsbekannten Verluste angesichts der erst später vollzogenen Rechtsprechungsänderung eine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden könnte.
Ebenso wenig scheitert die beantragte Verlustfeststellung an einer eventuellen zeitlichen Grenze für die Wahl des Verlustvor- statt des in dem betreffenden Streitjahr regelmäßig erfolgenden -rücktrages. Eine solche ist im Gesetz nicht vorgesehen, wird aber teilweise bei Bestandskraft der Abzugsveranlagung mit Verlustverbrauch angenommen (Schmidt-Heinicke, Kommentar zum EStG, 29. Aufl. 2010, § 10d Rdnr. 28), was hier unproblematisch ist, weil die entsprechende Einkommensteuer 2001 noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, und teilweise bis zum Ablauf der Verjährungsfrist des Verlustentstehungsjahres angenommen (FG Köln, Urt. v. 30.Januar 2001, 13 K 6855/00, EFG 2001, 841), was aber nach Ansicht des Senates zu kurz greift, wenn man über die Regelung des § 181 Abs. 5 AO noch eine erstmalige Festsetzung zulässt, weil dann der von Amts wegen zu berücksichtigende Anspruch auf Verlustfeststellung ohne ausreichende rechtliche Grundlage eingeschränkt würde.
Im Übrigen hat der Senat auch keine Bedenken wegen der Höhe der beantragten Verlustfeststellung, denn die Steuererklärung ist insbesondere bei den Verlusten aus Gewerbebetrieb durch eine entsprechende Gewinnermittlung glaubhaft gemacht, die auch vom Beklagten inhaltlich in keiner Weise beanstandet wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Revisionszulassung aus § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO. Im Ergebnis zeigt nämlich gerade der vorliegende Fall, welche logischen und wertungsrechtlichen Widersprüche sich ergeben, wenn die erstmalige gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages über § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG von jedweder bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung abgekoppelt wird. Nach Ansicht des Senates sollte die Klägerin, der der Beklagte bei ihrer Einkünfteschätzung – aus guten Gründen – überhaupt keine Verluste zugestanden hat, nämlich nach Bestandskraft eines vorbehaltlosen Einkommensteuerbescheides mit einer tatsächlich nicht unerheblich festgesetzten Steuer weder in ihrer Erwartung geschützt werden, aus dem gleichen Sachverhalt heraus doch noch hohe Verluste für die Vor- oder Folgejahre verwertbar machen zu können, und das unter Umständen noch über Jahre hinweg. Noch sollte sie gegenüber anderen Steuerpflichtigen, denen das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung aus ebenso guten Gründen wenigstens einen Teil der geltend gemachten Verluste in entsprechenden Feststellungsbescheiden zugestanden hat, bevorzugt werden. Derartige Wertungswidersprüche lassen sich aus Sicht des erkennenden Senates jedoch allenfalls in Zukunft vermeiden, indem das Finanzamt künftig jeden positiven Schätzungsbescheid durch eine entsprechende Null- Verlustfeststellung flankiert, um so in den Anwendungsbereich des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG zu gelangen, in der Hoffnung, dass dieser als die bei „Aufhebung” bzw. „Änderung” womöglich doch spezielle Vorschrift die Anwendung des § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG sperrt. Allerdings hat der Bundesfinanzhof anlässlich seines Beschlusses über die Beiladung des BMF wegen der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung (v. 24. Oktober 2007, XI R 42/06, BFH/ NV 2008, 48) selbst ausgeführt, dass nach der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung „entscheidungserheblich” sein würde, „ob die Voraussetzungen für eine den Wortlaut korrigierende Auslegung oder Rechtsfortbildung vorliegen”. Da er dann aber gleichwohl im darauffolgenden Urteil (v. 17. September 2008, XI R 70/06) keine näheren Ausführungen mehr gemacht, wann, inwieweit und mit welcher Begründung eine solche Korrektur zu erfolgen hat, lässt der erkennende Senat die Revision zu, um klären zu lassen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Steuerpflichtiger mit der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung tatsächlich eine bestandskräftige Einkommensteuerschätzung über mehr als 0 EUR schlicht dadurch unterlaufen kann, dass er die bisher nicht berücksichtigten Verluste einfach später gesondert feststellen lässt.