02.03.2011
Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.11.2010 – 3 K 682/08 E
Nimmt ein Ehegatte, dem ein Veräußerungsgewinn aus gewerblichem Grundstückshandel im Einspruchsverfahren des anderen Ehegatten zugerechnet worden ist, seinen Einspruch zurück, um Festsetzungsverjährung hinsichtlich seiner Nichtveranlagung eintreten zu lassen, so kann er gleichwohl gem. § 174 Abs. 4 und 5 AO zum noch schwebenden Einspruchsverfahren hinzugezogen werden, um die steuerlich richtigen Folgerungen zu ziehen. Er ist insoweit wie ein Dritter gem. § 174 Abs. 5 AO zu behandeln.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Ehrenamtlicher Richter … Ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18.11.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Hinzuziehung der Klägerin zum Einspruchsverfahren ihres Ehemannes.
Für das Jahr 1998 reichten die Klägerin und ihr Ehemann die Einkommensteuererklärung am 21.09.1999 beim Beklagten ein. In der Folge fand auch bzgl. der Einkommensteuer 1998 eine Prüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung bei der Klägerin und ihrem Ehemann statt. Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung waren Einkünfte aus dem Erwerb, der Bebauung und Vermarktung des Objekts „U” in Höhe von gut 2 Mio. DM im Jahr 1998 nicht wie erklärt der Klägerin als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern ihrem Ehemann als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnen. Wegen der Einzelheiten wird auf Tz 2.2. des Betriebsprüfungsberichts vom 12.06.2003 (Betriebsprüfungsakte) Bezug genommen.
Dementsprechend änderte der Beklagte die Einkommensteuer 1998 durch Bescheid vom 05.09.2003.
Gegen diesen Bescheid legte der Steuerberater der Eheleute unter Angabe der gemeinsamen Steuernummer und der Nennung beider Namen im Kopf des Schreibens am 25.09.2003 Einspruch ein. Der Einspruch richtete sich gegen den Ansatz des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf des Objekts „U”. Zu den Einzelheiten wird auf das Einspruchsschreiben (Blatt 1 Hefter ESt) hingewiesen.
Mit Schreiben vom 13.10.2003 zeigte der Prozessbevollmächtigte an, dass „uns die Eheleute R mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt haben”. Der durch den Steuerberater erhobene Einspruch werde begründet werden. Im Rahmen der Einspruchsbegründung vom 28.11.2003 vertrat der Prozessbevollmächtigte dann die Auffassung, dass das Objekt „U” nicht dem Ehemann der Klägerin sondern ihr selbst steuerlich zuzurechnen sei. Die in diesem Zusammenhang eingereichten Schriftsätze vom 28.11.2003, 26.02.2004 und 11.01.2007 trugen alle die Bezeichnung „Einspruch vom 25.09.2003 der Eheleute R 2 und R 1”.
In der Folge vertrat der Beklagte die Auffassung, das Objekt „U” sei der Klägerin steuerlich zuzurechnen, und sie habe mit der Veräußerung Einkünfte aus einem gewerblichen Grundstückshandel gemäß § 15 Einkommensteuergesetz (EStG) bezogen. Daraufhin nahm die Klägerin den Einspruch gegen den Einkommensteueränderungsbescheid vom 05.09.2003 am 16.04.2007 zurück (vgl. Blatt 70 Hefter ESt).
Mit Bescheid vom 10.10.2007 zog der Beklagte die Klägerin zum Einspruchsverfahren ihres Ehemanns gestützt auf §§ 174 Abs. 5 und 360 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter Hinweis auf die Zusammenveranlagung der Eheleute hinzu. Zu den Einzelheiten wird auf den Bescheid (Blatt 1 Hefter Hinzuziehung) Bezug genommen.
Das Einspruchsverfahren des Ehemanns der Klägerin ruht derzeit.
Gegen die Hinzuziehung wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 12.11.2007. Die Hinzuziehung sei rechtswidrig, da durch Rücknahme des Einspruchs die Einkommensteuerfestsetzung 1998 ihr gegenüber bestandskräftig geworden und im Übrigen auch Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung sei jedoch eine Hinzuziehung nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht mehr zulässig. Die Klägerin verwies insoweit auf das BFH-Urteil vom 13.04.2000 (V R 25/99, BFH/NV 2001, 137).
Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 25.01.2008 als unbegründet zurück. Die Hinzuziehung könne auf § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO gestützt werden. Die Festsetzungsverjährung stehe der Hinzuziehung wegen der ursprünglichen Beteiligung der Klägerin am Einspruchsverfahren des Ehemannes nicht entgegen.
Mit ihrer Klage vom 26.02.2008 verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung des Hinzuziehungsbescheides weiter. Zur Begründung trägt sie vor, sie sei am Einspruchsverfahren ihres Ehemannes nie beteiligt gewesen. Sie selber habe Einspruch nicht erhoben und auch den steuerlichen Berater nicht entsprechend beauftragt. Die „Rücknahme” ihres Einspruchs habe sie nur vorsorglich erklärt, um klar zu stellen, dass sie nicht verfahrensrechtlich am Einspruchsverfahren beteiligt gewesen sei. Darüber hinaus sei die Hinzuziehung aus den bereits im Einspruchsverfahren erörterten Gründen nicht zulässig.
Die Klägerin beantragt,
den Hinzuziehungsbescheid des Beklagten vom 10.10.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 25.01.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er zunächst darauf, dass aus seiner Sicht wegen der Bezugnahme auf die Eheleute R in allen das Einspruchsverfahren betreffenden Schriftsätzen des Steuerberaters und des Prozessbevollmächtigten von einer Beteiligung der Klägerin am Einspruchsverfahren des Ehemannes auszugehen sei. Auch die Hinzuziehung nach Ablauf der Festsetzungsfrist sei rechtmäßig, wenn der Dritte durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf die Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Bescheides hingewirkt habe. Dies sei vorliegend der Fall, da der von den Eheleuten R eingelegte Einspruch zum Ziel gehabt habe, die gewerblichen Einkünfte nicht dem Ehemann der Klägerin, sondern ihr selbst zuzurechnen. Der Beklagte verweist insoweit auf das BFH-Urteil vom 10.11.1993 (I R 20/93, BStBl II 1994, 327).
Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand am 28.01.2010 mit den Beteiligten erörtert. Zu den Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll (Blatt 48 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Der Senat hat in der Sache am 18.11.2010 mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Hinzuziehungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war berechtigt, die Klägerin gemäß § 174 Abs. 5 AO zum Einspruchsverfahren ihres Ehemannes hinzuzuziehen.
Gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO kann die Finanzbehörde Dritte zum Verfahren hinzuziehen, um in Fällen des § 174 Abs. 4 AO diesen Dritten gegenüber Steuerbescheide erlassen, aufheben oder ändern zu können.
Die Klägerin ist im vorliegenden Verfahren als Dritte zu qualifizieren, obwohl sie mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde und deshalb die festgesetzte Steuer neben ihrem Ehemann als Gesamtschuldnerin schuldete (§ 44 AO). In der Regel wird nicht als Dritter im Sinne des § 174 Abs. 5 AO gesehen, wer im ursprünglichen Bescheid als Steuerschuldner angegeben war (vgl. BFH – Urteil vom 10.11.1993 I R 20/93, BStBl II 1994, 327). Gleichwohl ist die Klägerin nach der Rücknahme ihres Einspruchs am 16.04.2007 am Einspruchsverfahren ihres Ehemannes nicht mehr beteiligt. Außerdem handelt es sich auch in den Fällen der Zusammenveranlagung um zwei separate Steuerfestsetzungen gegenüber den Ehegatten, die lediglich gemäß §§ 155 Abs. 3 Satz 1 und 122 Abs. 7 Satz 1 AO in einem Bescheid zusammengefasst und bekannt gegeben werden können. Ungeachtet dessen können diese separaten Steuerfestsetzungen sich im Verfahren hinsichtlich Änderbarkeit und Bestandskraft unterschiedlich entwickeln (vgl. BFH – Urteil vom 14.10.2009 X R 14/08, BStBl. II 2010, 533). Diese Möglichkeit der unterschiedlichen Entwicklung bedingt auch Unterschiede in der Verfahrensbeteiligung.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aber die Beiladung im vorliegenden Fall nicht deshalb unzulässig, weil für eine ihr gegenüber vorzunehmende Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1998 aufgrund der Rücknahme ihres Einspruchs die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist grundsätzlich der Erlass oder die Änderung eines Steuerbescheides gegenüber einem Dritten nach § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO nur dann möglich, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen worden ist. Eine Hinzuziehung komme grundsätzlich nicht in Betracht, wenn gegenüber dem Dritten im Zeitpunkt der Hinzuziehung die Festsetzungsfrist für den gegen ihn gerichteten Steueranspruch bereits abgelaufen sei. Denn der Dritte habe – bezogen auf die in § 174 Abs. 4 AO vorausgesetzte Fallgestaltung – im Allgemeinen nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheides hingewirkt; bei ihm könnten – typischerweise – Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkung der Korrektur nicht vorausgesetzt werden (vgl. BFH – Urteil vom 13.04.2000 V R 25/99, BFH/NV 2001, 137 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Allerdings kommt eine Hinzuziehung trotz Eintritts der Festsetzungsverjährung ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der betreffende Dritte durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf die Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheides i.S.d. § 174 Abs. 4 AO hingewirkt hat (vgl. BFH – Urteil vom 10.11.1993 I R 20/93, BStBl II 1994, 327 sowie BFH – Beschluss vom 14.02.2001 I B136/00, BFH/NV 2001, 1005).
So liegt der Fall hier. Die Klägerin war zunächst als Einspruchsführerin am Einspruchsverfahren ihres Mannes beteiligt und hat so im Rahmen dieses Verfahrens darauf hingewirkt, dass die Einkünfte aus dem Objekt „U” entgegen der Handhabung der Betriebsprüfung wieder ihr zugerechnet wurden. Dem Vortrag der Klägerin, sie habe Einspruch nicht eingelegt und sei am Verfahren nie beteiligt gewesen, kann der Senat nicht folgen. Zunächst ist festzuhalten, dass die streitige Zurechnung der Einkünfte aus dem Objekt „U” eigene steuerliche Belange der Klägerin direkt betraf. Darüber hinaus waren sowohl bei der Einlegung des Einspruchs durch den steuerlichen Berater als auch im gesamten Schriftwechsel mit dem Prozessbevollmächtigten die Eheleute als Einspruchsführer benannt. Selbst wenn die Klägerin in eigener Person weder den steuerlichen Berater noch den Prozessbevollmächtigten im Einspruchsverfahren bevollmächtigt haben sollte, ist bei dieser Sachlage von einer Einspruchseinlegung auch in ihrem Namen zumindest nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht auszugehen. Die Äußerung des steuerlichen Beraters steht dem nicht entgegen. So hat dieser zwar ausgeführt, dass eine ausdrückliche Bevollmächtigung bzw. eine schriftliche Generalvollmacht nicht bestanden habe. Vielmehr seien die Angelegenheiten immer mit dem Ehemann der Klägerin auf kurzen Wege besprochen worden. Das entkräftet jedoch nicht den aufgrund des Schriftverkehrs im Einspruchsverfahren gesetzten Rechtsschein einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung sowohl des Steuerberaters als auch des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Insoweit kann der Senat auch nicht die Interpretation des Prozessbevollmächtigten teilen, die Klägerin habe den Einspruch am 16.04.2007 „vorsorglich” zurückgenommen, um klarzustellen, dass sie nie Verfahrensbeteiligte gewesen sei.
Abgesehen von den vorstehenden Erwägungen kann der Senat im übrigen auch nicht feststellen, dass gegenüber der Klägerin bezüglich der Einkommensteuerfestsetzung 1998 tatsächlich offensichtlich Festsetzungsverjährung eingetreten ist, die eine Hinzuziehung auf jeden Fall unmöglich machen würde (vgl. dazu BFH – Urteil vom 29.04.1999 V R 101/98, BFH/NV 1999, 1443, und BFH – Beschluss vom 10.02.2010 IX B 176/09, BFH/NV 2010, 832). Denn § 174 Abs. 4 AO enthält eine eigenständige Regelung zur Ablaufhemmung. Ob diese Ablaufhemmung im vorliegenden Fall greift und deshalb eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1998 nach erfolgter Hinzuziehung der Klägerin ihr gegenüber gem. § 174 Abs. 4 AO vom Beklagten tatsächlich durchgeführt werden könnte, ist jedoch erst im Folgeänderungsverfahren zu entscheiden (vgl. BFH – Beschluss vom 10.02.2010 IX B 176/09, BFH/NV 2010, 832).
Ob die Hinzuziehung auch auf § 360 Abs. 1 AO gestützt werden konnte, musste der Senat nach den vorstehenden Überlegungen nicht mehr entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Höchstrichterliche Entscheidungen zur Hinzuziehung gem. §§ 26, 26b EStG zusammenveranlagter Ehegatten gem. § 174 Abs. 5 AO sind bisher nicht ergangen.