10.02.2011
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 08.12.2010 – 7 K 3228/09 GE
Bei dem Grundstückserwerb einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des Forderungsinhabers und (treugeberischen) Grundpfandrechtsgläubigers durch Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren ist der Betrag, hinsichtlich dessen die Muttergesellschaft nach § 114a ZVG als befriedigt gilt (Unterschiedsbetrag zu 7/10 des Verkehrswerts), bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer neben dem Meistgebot als zusätzliche Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.
Tatbestand
Streitig ist eine nachträgliche Erhöhung der Grunderwerbsteuer um f EUR (= a EUR x 3,5%).
Die Klägerin (A Immobilien GmbH, Y-Stadt) blieb im Versteigerungstermin am .2007 (Amtsgericht Z-Stadt Az.) Meistbietende mit einem zu zahlenden Betrag in Höhe von x EUR (vgl. Blatt 374 der ZV-Akte). Die versteigerten Grundstücke Z-Straße (insgesamt 301qm) in Z-Stadt wurden ihr mit Beschluss des Amtsgerichts vom .2007 zugeschlagen (Blatt 384 der ZV-Akte).
Aufgrund dieses Erwerbsvorgangs setzt der Beklagte mit Bescheid vom 27.08.2007 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von y EUR (Bemessungsgrundlage x EUR) fest.
Im Jahr 2009 informierte das Finanzamt X-Stadt den Beklagten in einer Kontrollmitteilung für Zwecke der Grunderwerbsteuer darüber, dass die A LLC mit Sitz in USA, die hundertprozentige Muttergesellschaft der Klägerin, mehrere Darlehen von der W AG für z Mio. EUR erworben habe. Die W AG werde bei den Grundstücken, die betroffen seien, im Grundbuch weiterhin als Grundpfandrechtsgläubigerin geführt, da das Grundbuch nicht bereinigt worden sei. Die entsprechend belasteten Grundstücke würden häufig versteigert werden. Die Tochtergesellschaften der A LLC erhielten häufig den Zuschlag. Die Amtsgerichte würden in den Zuschlagbeschlüssen auch regelmäßig darauf hinweisen, dass die Meistbietende keine Ersteherin im Sinne des Zwangsversteigerungsgesetzes sei. Dem sei aber nicht so. Es sei anfänglich in mehreren Fällen die Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert worden und die Differenz zu 7/10 des Verkehrswertes als zusätzliche Bemessungsgrundlage erfasst worden. Nachdem man gegen diese Änderungen keine Klagen erhoben habe, seien alle weiteren Fälle korrigiert worden.
Der Beklagte errechnete – nachdem die Sachbearbeiterin telefonisch die Höhe des festgestellten Verkehrswertes der Grundstücke Z-Straße beim Amtsgericht erfragt hatte (vgl. Vermerk vom .2009, Blatt 13 der Grunderwerbsteuerakte)-, dass das Meistgebot (x EUR) um a EUR unter 7/10 des festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c EUR) gelegen habe.
Außerdem druckte die Sachbearbeiterin am 11.05.2009 ein Grundbuchauszug aus (vgl. Blatt 10 der Grunderwerbsteuerakte), aus dem ersichtlich war, dass für die W AG zu Lasten der versteigerten Grundstücke eine Grundschuld eingetragen war.
Wie sich aus der beigezogenen Zwangsversteigerungsakte ergibt, war der Verkehrswert der Grundstücke Z-Straße nach § 74a ZVG mit Beschluss des Amtsgerichts (Az.) vom 24.01.2004 auf b EUR festgesetzt worden (vgl. Blatt 100 der ZV-Akte). Zu Lasten des von der Klägerin ersteigerten Grundstücks war in Abteilung 3 des Grundbuchs unter der laufenden Nummer 11 eine Grundschuld in Höhe von d DM (e EUR) für die W AG) brieflos eingetragen. Auf Antrag der W AG wurde wegen dinglicher Ansprüche aus der Grundschuld III/11 (in Höhe von e EUR) der Beitritt der W AG zur Zwangsversteigerung zugelassen (vgl. Beschluss des AG vom 09.07.2004, Blatt 140 der ZV Akte). Nach Versteigerung der Grundstücke erklärte sich die W AG in Höhe ihrer Ansprüche aus dem Steigpreis für befriedigt (vgl. Erklärung vom .2007; Blatt 408 der ZV-Akte). Auf Ersuch des Zwangsversteigerungsgerichts an das Grundbuchamt (vgl. Blatt 423 der ZV-Akte) wurde die Grundschuld in Abt. III laufende Nr. 11 gelöscht. In dem Ersuch heißt es:”§ 114a ZVG ist nicht anwendbar.”
Nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin (vgl. Schreiben vom 27. August 2009, Blatt 5 ff der GA) hatte ihre Muttergesellschaft, die A LLC, die mit der Grundschuld besicherte Darlehensforderung von der W AG erworben. Die Grundschulden seien allerdings weiterhin treuhänderisch von der W AG für die A LLC verwaltet worden. Die W AG sei mittelbar zu 33% an der A LLC beteiligt und damit mittelbar auch an der Klägerin.
Am 15.05.2009 erließ der Beklagte einen nach §173 Abs.1 S.1 Nr.1 AO geänderten Bescheid und erhöhte die Grunderwerbsteuer um f EUR auf g EUR. Die Bemessungsgrundlage wurde um a EUR (nach § 114a des ZVG ausgefallene Rechte) erhöht. In den Erläuterungen heißt es:
„Zur Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG) gehören neben dem Meistgebot auch die Beträge, hinsichtlich derer der Erwerber gemäß § 114 a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt (Verkehrswert b EUR, davon 7/10 = c EUR).”
Hiergegen legte die Klägerin am 18.06.2010 Einspruch ein, den sie zunächst nicht weiter begründete.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage vom 02.09.2010 (Eingang beim Finanzamt) trägt die Klägerin vor:
Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO lägen im Streitfall nicht vor, da diese Vorschrift voraussetze, dass die nachträglich bekanntgewordene Tatsache rechtserheblich sei. Der Erstbescheid dürfe nur geändert werden, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis dieser Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte, denn § 173 AO diene nicht zur Korrektur von Rechtsfehlern. Hierfür trage der Beklagte die Feststellungslast.
Im Jahr 2007 hätte der Beklagte die Grunderwerbsteuer in Kenntnis der Tatsache, dass die A LLC als hundertprozentige Mutter der Klägerin das Darlehen erworben habe, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders festgesetzt. Der Beklagte habe nämlich bei erstmaliger Festsetzung der Grunderwerbsteuer keinerlei Ermittlungen hinsichtlich etwaiger ausgefallener Rechte (§ 114a ZVG) unternommen. Der Beklagte habe allein aufgrund des Zuschlagbeschlusses die Steuer festgesetzt. Er habe das Grundbuch nicht eingesehen. Erst aufgrund der Kontrollmitteilung habe der Beklagte die Festsetzung korrigiert.
Sie, die Klägerin, habe als Meistbietende im eigenen Namen und auf eigene Rechnung das Grundstück erworben. Sie habe somit den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG verwirklicht. Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer sei das Meistgebot (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG). Die Klägerin sei aber nicht die berechtigte Grundpfandgläubigerin. Insoweit sei eine zusätzliche Gegenleistung nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 114a ZVG nicht zu berücksichtigen. Befriedigungsberechtigte sei allein die A LLC und nicht die Klägerin.
Der Beklagte verkenne die zivilrechtliche Lage. Zivilrechtlich müssten Meistbietender und Grundpfandgläubiger zwar nicht identisch sein. Die Befriedigungsfiktion trete zivilrechtlich aber nur beim Grundpfandgläubiger und nicht beim Meistbietenden ein. Der Beklagte differenziere nicht – wie zivilrechtlich geboten – zwischen Forderungsinhaber, Grundpfandgläubiger und Ersteher.
Die A LLC, nicht die Klägerin, sei Forderungsinhaberin bzw. (treugeberische) Grundpfandrechtsgläubigerin. Die Befriedigungsfiktion könne allenfalls bei der A LLC, nicht jedoch bei der Klägerin eintreten. Dies sei keine zusätzliche Gegenleistung für den durch den Meistbietenden realisierten Erwerbsvorgang (vgl. koordinierter Ländererlass vom 24.07.1987 FM Bayern). Der Forderungsverlust aufgrund der Befriedigungsfiktion führe auch nach Ansicht der Literatur (Hinweis auf Hofmann, 9. Auflage, § 9 GrEStG Rdnr. 45; Boruttau/Sack, 16. Auflage, § 9 GrEStG Rdnr. 448) nicht zur Erhöhung der Gegenleistung, wenn der Forderungsverlust nicht den Meistbietenden treffe, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 9 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 GrEStG seien nicht erfüllt. Es liege keine Leistung im Verhältnis des Meistbietenden zum Schuldner (Grundstückseigentümer) vor.
Die Klägerin beantragt,
den Änderungsbescheid über die Grunderwerbsteuer vom 15.05.2009 und die Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 aufzuheben;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor:
Grundpfandrechtsgläubigerin des bis zu 7/10 als befriedigt geltenden Darlehens sei die A LLC. Die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG trete bis zur Höhe von 7/10 des Verkehrswertes des Grundstücks auch für die Klägerin als hundertprozentiges Tochterunternehmen ein, da das Grundstück unter 7/10 des eigentlichen Verkehrswertes ersteigert worden sei. Die Befriedigungsfiktion könne auch dann eintreten, wenn nicht der Meistbietende selbst die Voraussetzung dafür erfülle. Der Grundpfandrechtsgläubiger, der eine von ihm abhängige Gesellschaft das Grundstück unter der 7/10 Grenze ersteigern lasse, um sich dessen Wert zuzuführen, müsse sich zivilrechtlich nach § 114 a ZVG so behandeln lassen, als hätte er selbst das Meistgebot abgegeben (Hinweis auf BGH-Urteil vom 09.01.1992 IX ZR 165/91).
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Änderungsbescheid vom 15.05.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Für den nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG (Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren) steuerbaren und auch steuerpflichtigen Grundstückserwerb der Klägerin war der Betrag, hinsichtlich derer die Muttergesellschaft der Klägerin (A LLC) nach § 114a ZVG als befriedigt gilt (a EUR), bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer neben dem Meistgebot in Höhe von x EUR als zusätzliche Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen (§ 8 Abs. 1 GrEStG i. V. m. § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG).
Gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach dem Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinn gilt jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt o d e r die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt. Der Erwerb des Grundstücks und die Gegenleistung für den Erwerb müssen kausal verknüpft sein (vgl. nur BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162; Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 5).
Zur Gegenleistung gehören nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG auch diejenigen Leistungen, die ein anderer als der Erwerber des Grundstücks, d.h. ein „Dritter”, dem „Grundstücksveräußerer” dafür gewährt, dass dieser dem „Erwerber” das Grundstück überlässt. Die Grundstücksüberlassung muss der unmittelbare Hauptzweck der Leistung des Dritten sein (vgl. Sack in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., § 9 Rdnr. 612).
Nach diesen Grundsätzen ist auch der Betrag, hinsichtlich derer die A LLC nach § 114a ZVG als befriedigt gilt (a EUR), in die Bemessungsgrundlage mit einzubeziehen.
„Dritter” im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG ist hier die Muttergesellschaft der Klägerin (A LLC). Der „Grundstücksveräußerer” ist der Zwangsvollstreckungsschuldner.
Der „Grundstücksveräußerer” (Zwangsvollstreckungsschuldner) empfing eine „Leistung” für die „Veräußerung” des Grundstücks an die Klägerin in Höhe von a EUR. Denn der Erwerb der Klägerin führte dazu, dass bei der A LLC nach § 114 a ZVG die mit der Grundschuld gesicherte Darlehensforderung in Höhe von 7/10 des Grundstückswerts zum Erlöschen gebracht wurde.
Die Voraussetzungen des § 114a ZVG liegen hier vor.
Danach gilt der „Ersteher” auch insoweit als aus dem Grundstück befriedigt, als sein Anspruch durch das abgegebene Meistgebot nicht gedeckt ist, aber bei einem Gebot zum Betrage der Sieben-Zehnteile-Grenze gedeckt sein würde, wenn der Zuschlag einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten zu einem Gebot erteilt ist, das einschließlich des Kapitalwertes der nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleibenden Rechte hinter sieben Zehnteilen des Grundstückswertes zurückbleibt.
Die Klägerin ist Ersteherin des Grundstücks. Denn sie war nicht nur Meistbietende im Versteigerungstermin, sondern ihr ist auch der Zuschlag erteilt worden (§§ 81 Abs. 1, 82, 90 Abs. 1 ZVG).
Das Meistgebot in Höhe von x EUR lag a EUR unter 7/10 des nach § 74 a ZVG festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c EUR).
Anzeichen dafür, dass der vom Amtsgericht festgesetzte Grundstückswert der Höhe nach unzutreffend festgesetzt wurde bzw. zum Zeitpunkt des Meistgebots und Zuschlags wertmäßig überholt war, bestehen nicht. Die Klägerin hat hierzu auch nichts vorgetragen.
Obwohl die Klägerin selbst nicht zur Befriedigung aus dem Grundstück berechtigt war, ist die Befriedigungsfiktion im Streitfall auch eingetreten. Denn die Wirkung des § 114 a ZVG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Berechtigte einen uneigennützigen Treuhänder oder – wie hier – eine von ihm abhängige Gesellschaft bieten lässt, um das Grundstück zu ersteigern (vgl. BGH-Urteil vom 9. Januar 1992 IX ZR 165/91, BGHZ 117, 8). Die A LLC war aus den von der Klägerin erstandenen Grundstücken berechtigt, nachdem ihr von der W AG die Darlehensforderung gegen den Grundstückseigentümer übertragen worden war und sie zudem (treugeberisch) die der Forderung zugrundeliegende Grundschuld hielt. Die A LLC muss sich so behandeln lassen, als hätte sie selbst das Gebot abgegeben.
Sowohl die Klägerin als auch die A LLC erstrebten als Hauptzweck– wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist – den Grundstückserwerb der Grundstücke Z-Straße im Zwangsversteigerungsverfahren.
Ob der Schuldner oder das Amtsgericht tatsächlich Kenntnis von der Anwendbarkeit des § 114 a ZVG hatte, kann hier dahinstehen. Denn zum einen erlischt die Forderung (auch ohne Kenntnis des Schuldners) kraft Gesetzes. Zum anderen ist ein Austausch der Gegenleistung für die Bemessung der Grunderwerbsteuer nicht erforderlich. Der Gegenleistungsbegriff der §§ 8 Abs. 1, 9 GrEStG ist vielmehr – abweichend von der bürgerlich-rechtlichen Betrachtungsweise – sachbezogen auf das Grundstück zu werten (BFH-Urteile vom 25. Januar 1989 II R 28/86, BFHE 156, 251, BStBl II 1989, 466; Sack in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., § 9 Rdnr. 18; Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 5).
Dass der Grundstückserwerb der Klägerin durch staatlichen Hoheitsakt (Zuschlag) erfolgte und auch die Befriedigungsfiktion gemäß § 114a ZVG kraft Gesetzes eintrat, ist für die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG ohne Bedeutung. Denn auch eine solche Leistung ist Gegenleistung i.S. der §§ 8, 9 GrEStG, die der Veräußerer des Grundstücks aufgrund der Verpflichtung eines Dritten zu fordern berechtigt ist. Ein streng synallagmatisches Austauschverhältnis ist nicht vorausgesetzt (vgl. Viskorf in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., § 8 Rdnr. 16). Nichts anderes kann gelten, wenn die Leistung des Dritten nicht aufgrund dessen schuldrechtlicher Verpflichtung gegenüber dem Grundstücksveräußerer, sondern – wie in den Fällen des § 114a ZVG – aufgrund gesetzlicher Fiktion erfolgt (vgl. auch Urteil des FG-Münster vom 29. April 2008 8 K 1363/06 GrE, EFG 2008, 1577).
Soweit in dem Grunderwerbsteuerkommentar Hofmann, 9. Auflage, § 9 Rdnr. 45 die Ansicht vertreten wird, dass die tatbestandlichen Vorausaussetzungen von § 9 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 GrEStG nicht erfüllt seien, wenn der Forderungsverlust infolge der Befriedigungsfiktion des § 114a ZVG nicht den Meistbietenden trifft, so vermag der Senat dieser Auffassung nicht zu folgen.
Gründe für diese Ansicht, werden in dem Kommentar auch nicht angeführt, sondern es wird nur auf den Grunderwerbsteuerkommentar Boruttau (Sack in Boruttau, 16. Auflage, § 9 Rdnr. 448) verwiesen.
In Rdnr. 448 des Kommentars Boruttau werden zunächst Ausführungen gemacht zu dem Fall, dass der Meistbietende, die Rechte aus dem Meistgebot an einen Grundpfandgläubiger abtritt und der Zuschlag dann dem Grundpfandgläubiger erteilt wird. In einem derartigen Fall sei die Befriedigungsfiktion nicht (zusätzliche) Gegenleistung für den durch den Meistbietenden erfüllten Erwerbsvorgang, weil eine Leistung im Verhältnis zum Schuldner nicht vorliege.
Diese dort dargestellte Sachlage (zwei Erwerbe, Zuschlag wird dem Grundpfandgläubiger erteilt) entspricht aber nicht dem hier zu entscheidenden Sachverhalt. Im Streitfall wurde der Zuschlag, mit dem die Befriedigungsfiktion nach § 114 a ZVG eintritt, der meistbietenden Klägerin erteilt.
Zur Begründung, warum für den Fall, dass sich der Grundpfandgläubiger zur Ersteigerung eines von ihm abhängigen Unternehmens bedient, das Gleiche gelten soll, wird im Kommentar Boruttau (Sack in Boruttau, 16. Auflage, § 9 Rdnr. 448) auf die Kommentierung Hofmann (siehe oben) und Pahlke/Franz § 9 Rdnr. 127 GrEStG verwiesen. Die Kommentierung in Rdnr. 127 ff des Kommentars Pahlke/Franz behandelt aber § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG und nicht § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG. Dass die bei der Muttergesellschaft eintretende Befriedigungsfiktion nicht nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG als Bemessungsgrundlage für den Erwerbsvorgang der Klägerin zu berücksichtigen ist (sondern nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG), sieht der Senat ebenso.
Der Beklagte war auch befugt, den bestandskräftigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.08.2007 durch den angefochtenen Bescheid zu ändern, denn die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO liegen im Streitfall vor.
Gemäß § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache in diesem Sinne ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Tatbestand oder einzelne Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt (vgl. BFH vom 11. Juni 1997, X R 242/93, BFHE 183, 427, BStBl II 1997, 612). Dabei kann es sich um einzelne Tatsachen, aber auch um eine Summe von Tatsachen handeln, die ihrerseits den Sachverhalt ausmachen, der unter das Gesetz subsumiert wird (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 173 AO Tz. 2 m.w.N.).
Der Umstand, dass die Klägerin eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der A LLC ist und der Lebensvorgang, dass die A LLC von der W AG – vor Versteigerung der Grundstücke Z-Straße – die mit der Grundschuld in Höhe von e EUR besicherte Darlehensforderung von der W AG erworben hat und die W AG zudem als Treuhänderin für die A LLC als Treugeberin die Grundschuld treuhänderisch verwaltet hat, sind solche neuen Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Diese Tatsachen – zusammen mit dem Umstand, dass das Meistgebot in Höhe von x EUR in Höhe von a EUR unter 7/10 des vom Amtsgericht nach § 74 a ZVG festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b = c EUR) lag – machen den Sachverhalt aus, der die einzelnen Tatbestandsmerkmale von §§ 8, 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG und § 114 a ZVG erfüllt.
Diese Summe von Tatsachen ist dem Beklagten nachträglich bekannt geworden.
Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren. Dabei kommt es für die Frage, ob eine Tatsache nachträglich bekannt geworden ist, auf den Kenntnisstand der Personen an, die innerhalb der Finanzbehörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (ständige Rechtsprechung des BFH vgl. 1. April 1998 X R 150/95, BFHE 186, 70, BStBl II 1998, 569 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei in der Regel die abschließende Zeichnung des Steuerfalls durch den zuständigen Bearbeiter.
Die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle ist bei Erlass des ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheides vom 27.08.2007 von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Denn im August 2007 waren ihr die Beteiligungsverhältnisse und die Vereinbarungen der Muttergesellschaft der Klägerin, der A LLC, mit der W AG noch nicht bekannt. Diese Kenntnis erlangte sie erst durch die Kontrollmitteilung des Finanzamtes X-Stadt im Jahr 2009 (Blatt 8 der Grunderwerbsteuerakte). Zudem wurde die Höhe des nach § 74 a ZVG festgestellten Verkehrswertes der Sachbearbeiterin erst in dem Telefonat vom 13.05.2009 (vgl. Blatt 13 der Grunderwerbsteuerakte) mitgeteilt. Die Tatsache, dass für die W AG eine Grundschuld zu Lasten der versteigerten Grundstücke (Z-Straße) eingetragen war, wusste die Sachbearbeiterin erst, nachdem sie am 11.05.2009 das Grundbuch eingesehen hat (vgl. Blatt 10 der Grunderwerbsteuerakte).
Diese neuen Tatsachen sind auch rechtserheblich.
Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache ist erfüllt, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). Wie das Finanzamt bei Kenntnis bestimmter Tatsachen einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen zur beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das Finanzamt gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 15 März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461 m.w.N.). Wenn – wie hier – zu der hier unmittelbar umstrittenen Rechtsfrage weder eine Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vorliegen, so ist aufgrund anderer Umstände abzuschätzen, wie das Finanzamt in Kenntnis des vollständigen Sachverhaltes entschieden hätte. Hierzu rechnen beispielsweise das Vorgehen in Parallelverfahren und interne Schreiben und Mitteilungen (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen hätte der Beklagte im Streitfall bei rechtzeitiger Kenntnis der oben genannten Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Steuer um f EUR höher festgesetzt. Denn das Finanzamt hätte die Steuer für den steuerbaren und steuerpflichtigen Grundstückserwerb der Klägerin nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG (Meistgebot für ein inländisches Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren) nicht nur nach dem Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG) in Höhe von x EUR bemessen, sondern die Behörde hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch den Betrag, hinsichtlich derer die Muttergesellschaft der Klägerin gemäß § 114a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt (a EUR), in die Bemessungsgrundlage miteinbezogen. Dies ergibt sich aus der Kontrollmitteilung des Finanzamtes X-Stadt vom .2009 (Blatt 8 der Grunderwerbsteuerakte) aus der hervorgeht, dass die Finanzbehörde bereits in einem längeren Zeitraum vor dem .2009 zunächst in wenigen Parallelverfahren und dann – nachdem über die Einsprüche in diesen Fällen entschieden wurde und die Klagefrist verstrichen war – in weiteren Fällen die Differenz zu 7/10 des Verkehrswertes als zusätzliche Bemessungsgrundlage bei der Grunderwerbsteuer erfasst habe. Aufgrund dieser Umstände geht der Senat davon aus, dass das Finanzamt auch Mitte des Jahres 2007 nicht anders entschieden hätte. Andere Schreiben und Mitteilungen, die für ein anderes Verhalten sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Der Hinweis der Klägerin auf den koordinierten Ländererlass vom 24.07.1987 FM Bayern führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Erlass betrifft nicht den hier zu entscheidenden Sachverhalt.
Ob die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle des Beklagten seinerzeit die Rechtsfrage tatsächlich auch genauso beurteilt hätte, wie die übrige Finanzverwaltung in den vielen Parallelverfahren, kann dahinstehen. Auf das mutmaßliche Verhalten der Sachbearbeiterin und deren individuelle Rechtskenntnisse kommt es insoweit nicht an (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I 216/85, BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715).
Die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Nach Treu und Glauben ist eine Änderung unrechtmäßig, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner ihm nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre (vgl. BFH vom 24. Januar 2002, XI R 2/01, BFH/NV 2002, 715 m. w. N.). Eine solche Sachlage liegt im Streitfall nicht vor.
Zwar hat der Beklagte bei Erlass des ursprünglichen Bescheides nicht ermittelt, dass das Meistgebot in Höhe von x EUR um a EUR unter 7/10 des nach § 74 a ZVG festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c EUR) lag. Dies wäre aber nur dann vom Finanzamt zu ermitteln gewesen, wenn irgendwelche Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass hier der Tatbestand des § 114a ZVG verwirklicht sein könnte (z.B. Ersteigerung durch eine Kreditbank). Darüber hinaus wären der Sachbearbeiterin – selbst wenn sie die Zwangsversteigerungsakte vom Amtsgericht beigezogen und dadurch festgestellt hätte, dass das Meistgebot unter 7/10 des festgestellten Grundstückswertes gelegen hat – die Beteiligungsverhältnisse zwischen der A LLC und der Klägerin ebenso verborgen geblieben, wie die Vereinbarungen zwischen der W AG und der A LLC. Auch wenn die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle zusätzlich in 2007 noch das Grundbuch eingesehen hätte, hätte sie hieraus immer noch nicht erkennen können, dass die W AG die Grundschuld für die Muttergesellschaft der Klägerin treuhänderisch verwaltet hat.
Da die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflichten verborgen geblieben wären, kann auch dahinstehen, ob die Klägerin über die Leistung in Höhe von a EUR, die ihre Muttergesellschaft an den Zwangsvollstreckungsschuldner erbracht hat, eine Anzeige nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG hätte erstatten müssen und ggf. Mitwirkungspflichten verletzt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO). Der BFH hat– soweit ersichtlich – noch nicht über die Frage zu entscheiden gehabt, ob die beim zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten eintretende Befriedigungsfiktion nach § 114a ZVG bei dem Grundstückserwerb des Meistbietenden Bestandteil der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage ist, wenn der Meistbietende ein vom Berechtigten abhängiges Unternehmen ist.