26.01.2011
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 17.06.2009 – 7 K 2496/08 Kg
- Ein aus Griechenland zugezogener selbständiger Architekt, der ungeachtet seiner ausschließlichen freiberuflichen Tätigkeit im Inland übergangsweise (August 2007 bis März 2008) in der griechischen Kasse für Ingenieure und Bauunternehmer für öffentliche Arbeiten (TSMEDE) rentenversichert und beitragspflichtig ist, hat für seine zusammen mit ihren Eltern in Deutschland lebende Tochter, für die aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses seiner Ehefrau bei einem griechischen Konsulat 18 € Kindergeld vom griechischen Staat geleistet werden, für diesen Zeitraum Anspruch auf Teil-Kindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und den griechischen Familienleistungen.
- Die Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs der VO (EWG) Nr. 1408/71 nach deren Anhang I Teil I Buchst C. (Versicherungs- oder Beitragspflicht in deutscher Versicherung) findet ausschließlich auf solche Familienleistungen Anwendung, die für Familienangehörige gezahlt werden sollen, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland wohnen.
Tatbestand
Der Kläger war in Griechenland als Architekt selbständig tätig und dort in der Kasse für Ingenieure und Bauunternehmer für öffentliche Arbeiten (TSMEDE) rentenversichert. Die Ehefrau des Klägers ist als vom griechischen Staat beamtete Lehrerin beschäftigt. Seit dem 31.7.2007 arbeitet sie bei dem griechischen Konsulat in Z-Stadt. Sie erhält für die am 25.3.2006 geborene gemeinsame Tochter B, die seit dem 1.8.2007 zusammen mit ihren Eltern in Deutschland lebt, 18 EUR Kindergeld vom griechischen Staat. Der Kläger beantragte am 23.8.2007 deutsches Kindergeld. Mit Bescheid vom 28.2.2008 lehnte die Familienkasse unter Bezug auf den Beschluss der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften Nr. 207 zur Auslegung des Begriffs der Erwerbstätigkeit i.S. der VO (EWG) 1408/71 den Antrag ab. Den hiergegen vom Kläger am 18.3.2008 erhobenen Einspruch, wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 9.6.2008 unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Einrichtung der Altersvorsorge in Griechenland zurück.
Der Kläger hat am 7.7.2008 Klage erhoben und trägt im Wesentlichen vor, es sei nicht zutreffend, dass er in Deutschland nicht erwerbstätig sei. Vielmehr sei er hier als freiberuflicher Architekt selbstständig tätig. Er habe bis Mai 2007 Einkünfte in Griechenland bezogen und bis März 2008 Beiträge zu dem Ingenieurversorgungswerk geleistet. Ab Juni 2007 habe er aus Griechenland keine Einkünfte mehr erhalten. Seit 1.8.2008 ist er Mitglied der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 4.2.2009 rückwirkend ab April 2008 Kindergeld in Höhe von 154 EUR bewilligt.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheides vom 28.2.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.6.2008 die Beklagte zu verpflichten, für seine Tochter B Kindergeld in Höhe von monatlich 136 EUR für den Zeitraum August 2007 bis März 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger habe in dem fraglichen Zeitraum ausschließlich den griechischen Sozialvorschriften unterlegen, daher scheide deutsches Kindergeld aus.
Die Beteiligten haben, soweit die Beklagte rückwirkend Kindergeld für den streitbefangenen Zeitraum bewilligt hat, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Sie haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter an Stelle des Senats entscheidet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Familienkasse vorgelegten Kindergeldakte Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.2.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.6.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte war daher dazu zu verpflichten, dem Kläger Teil-Kindergeld in Höhe der Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und den griechischen Familienleistungen zu zahlen.
Der Kläger hat, da sowohl er wie auch seine leibliche Tochter in Deutschland einen Wohnsitz haben, grundsätzlich einen Anspruch auf deutsches Kindergeld nach § 62 ff EStG. Dies wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Der Kindergeldanspruch ist nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Hiernach wird Kindergeld für ein Kind nicht gezahlt, für das Leistungen im Ausland gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Diese nationale Kollisionsvorschrift wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht, insbesondere durch Art. 13 Abs.1 und 2 Buchst. b) VO (EWG) Nr. 1408/71 verdrängt (vgl. nur: BFH Urteil vom 13.8.2002, VIII R 54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869).
Die VO (EWG) Nr. 1408/71 ist auf den Kläger anwendbar. Er gilt als Selbständiger im Sinne der VO (EWG) Nr. 1408/71. Der persönliche Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71 wird in deren Art. 2 Abs. 1 dahin umschrieben, dass sie für „Arbeitnehmer” und „Selbständige” gilt, für welche die „Rechtsvorschriften” eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. Nach Art. 1 Buchst. j Unterabs. 4 der VO (EWG) Nr. 1408/71 umfasst der Begriff „Rechtsvorschriften” nicht die Bestimmungen für Sondersysteme für Selbständige, deren Schaffung der Initiative den Betreffenden überlassen ist oder deren Geltung auf einen Teil des Gebiets des betreffenden Mitgliedsstaats beschränkt ist. Wegen der betreffenden Sondersysteme, die nicht in den Regelungsbereich der Verordnung fallen, wird auf den Anhang II verwiesen. Dies führt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu einer „Verklammerung” von persönlichem und sachlichem Geltungsbereich der Verordnung mit der Folge, dass die in einem Sondersystem pflichtversichert sind, dessen Geltung auf einen Teil des Gebiets des betreffenden Mitgliedsstaats beschränkt ist, insgesamt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen (Urteil vom 13.8.2002, VIII R 54/00, a.a.O.). Da die TSMED nicht auf einen bestimmten Bereich Griechenlands beschränkt ist und darüber hinaus der Anhang II zur VO (EWG) Nr. 1408/71 keine Ausnahme für diese Versorgungseinrichtung enthält, gehörte der Kläger somit einem Sondersystem für Selbständige an.
Eine Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs ergibt sich nicht aus dem Anhang I zur VO (EWG) Nr. 1408/71. Nach Anhang I Teil I Buchst. C Unterabs. b erster Gedankenstrich der Verordnung gilt als Selbständiger i.S. von Art. 1 Buchst. a Ziff. ii der VO (EWG) Nr. 1408/71, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig ist. Zu den Versicherungen in diesem Sinne gehören nur deutsche Versicherungen (vgl. BFH Urteil vom 13.8.2002, VIII R 54/00, a.a.O.). Allerdings gilt diese Einschränkung, wie sich aus dem Wortlaut des Anhang I Teil I Buchst C. ergibt, nur wenn ein deutscher Träger für die Gewährung von Familienleistungen nach Titel III Kapitel 7 der Verordnung zuständig ist. Nach Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der den Vorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, für seine im Ausland lebenden Familienangehörigen Anspruch auf Familienleistungen, nach den Vorschriften des ersten Staates, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten. Hieraus ergibt sich, dass die Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs der VO (EWG) Nr. 1408/71 nach deren Anhang I Teil I Buchst C. ausschließlich auf solche Familienleistungen Anwendung findet, die für Familienangehörige gezahlt werden sollen, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland wohnen. Die Tochter des Klägers wohnte aber im fraglichen Zeitraum bereits in der Bundesrepublik.
Nach der allgemeinen Regel des Art. 13 Abs. 1 und 2 Buchst. b) VO (EWG) Nr. 1408/71 unterliegt ein Selbständiger den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er seine selbständige Tätigkeit ausübt. Der Kläger übte nach seinem Umzug aus Griechenland – wie zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig ist – ausschließlich in Deutschland eine selbständige Tätigkeit aus. Folglich gelten für den Kläger ausschließlich die deutschen Vorschriften. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 14a Nr. 2 VO (EWG) 1408/71. Diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Selbständiger in mehr als einem Land eine berufliche Tätigkeit ausübt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da der Kläger seit seinem Wegzug aus Griechenland dort keiner selbständigen Erwerbstätigkeit mehr nachging.
Allerdings besteht – was zwischen den Beteiligte auch nicht streitig ist – der Anspruch des Klägers nicht in voller Höhe, sondern, wie sich aus Art. 10 DVO (EWG) Nr. 574/72 ergibt nur in Höhe der Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und den entsprechende griechischen Leistungen, die der Ehefrau des Klägers gezahlt werden.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, auf § 139 FGO, im übrigen auf § 135 Abs