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  • 20.01.2011

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 10.11.2010 – 1 K 1914/08

    Hat das Finanzgericht unter Hinweis auf das Verböserungsverbot von einer Änderung des ursprünglich angefochtenen Bescheid zu Lasten des Kläger abgesehen, schließt dies eine weitere Änderung nach § 174 Abs. 4 AO durch das Finanzamt aus.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung eines Steuerbescheids vorliegen.

    Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben unstreitigen Einkünften aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung erzielten sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, der Kläger als Geschäftsführer und die Klägerin als Prokuristin der Eisen- und Schrotthandelsgesellschaft G GmbH in T.

    Nachdem der Beklagte die Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1997 bis 2003 im Wesentlichen antragsgemäß durchgeführt hatte, wurde im Rahmen einer bei der o.g. GmbH in 2005 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung u.a. festgestellt (vgl. Anlage zum Prüfungsbericht vom 02.01.2006, Bl. 116 ff „Klage-Akte”), dass nach einer von dem Sozialversicherungsträger DAK vertretenen versicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit der Klägerin als Prokuristin diese keine eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung auslösende abhängige Beschäftigung sei. Daher wurden die seit Beginn der Tätigkeit gezahlten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung in freiwillige Beiträge umgewandelt, die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Arbeitslosenversicherung wurden an den Arbeitgeber zurückgezahlt. Diese Arbeitnehmeranteile wurden vom Arbeitgeber nicht an die Klägerin weitergegeben. Nach Auffassung des Prüfers führte die Feststellung des Sozialversicherungsträgers, die mit Schreiben vom 15.05.2002 mitgeteilt worden war, zum rückwirkenden Wegfall der bis dahin für die Klägerin angenommenen Versicherungspflicht. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG seien weggefallen. Die in freiwillige Beiträge umgewandelten Arbeitgeberanteile zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung seien im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum der Klägerin zugeflossen und als Arbeitslohn zu versteuern, ebenso die ab Juni 2002 gezahlten Zuschüsse des Arbeitgebers zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Dem gegenüber liege, weil die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Arbeitslosenversicherung an den Arbeitgeber erstattet worden seien und die Arbeitnehmeranteile nicht an die Klägerin ausgezahlt worden seien, in Höhe dieser Arbeitnehmeranteile eine Rückzahlung von Arbeitslohn im Zeitpunkt der Erstattung vor. Hieraus ergebe sich folgende Erhöhung der Bruttoarbeitslöhne der Klägerin:

    KalenderjahrKranken- und Pflegevers.Rentenvers.ArbeitslohnrückzahlungInsgesamt
    19973.753,05 DM4.882,15 DM8.635,20 DM
    19984.807,25 DM6.343,75 DM11.151,00 DM
    19994.883,75 DM6.153,75 DM11.037,50 DM
    20004.843,75 DM6.031,25 DM10.875,00 DM
    20014.870,88 DM6.002,18 DM10.873,06 DM
    bis Mai 20021.056,05 €1.245,10 €
    ab Juni 20021.913,66 €4.583,81 €- 369,00 €
    20032.939,60 €201,87 €2.737,73 €


    Die Einkommensteuerveranlagungen der Kläger seien ab 1997 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, die nachzuversteuernden Beträge seien gleichzeitig im Rahmen der Höchstbeträge abziehbare Vorsorgeaufwendungen.

    Der Beklagte folgte dieser Auffassung in den nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1997 bis 1999 bzw. nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheiden für 2000 bis 2002 und dem nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid für 2003, jeweils vom 03. April 2006, für 2002 und 2003 erhöhte er wegen anderer unstreitiger Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung gleichzeitig den Bruttoarbeitslohn des Klägers um 961 Euro bzw. 605 Euro.

    Nachdem die dagegen erhobenen Rechtsbehelfe erfolglos geblieben waren, entschied der Senat auf die von den Klägern erhobene Klage mit Urteil vom 13. September 2007 (Az. 1 K 2180/06, Juris), dass zwar im Grundsatz wegen des Entschlusses des Arbeitgebers der Klägerin, die an sich ihm zustehenden Erstattungsbeträge an den Arbeitnehmer weiterzugeben, und entsprechender Umsetzung ein Zufluss von Bruttoarbeitslohn an die Klägerin anzunehmen sei. Weil dieser Vorgang im damaligen Streitfall aber erst im Jahre 2002, dem nunmehrigen Streitjahr, und nicht in den Jahren 1997 bis 2001 erfolgt sei, hob der Senat die entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheide für diese Jahre mangels Zufluss von Arbeitslohn auf, im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der so verstandene Zufluss der für die Jahre 1997 bis 2001, der für Januar bis Mai 2002 und der von Juni bis Dezember 2002 gezahlten Arbeitgeberanteile sei im Streitjahr 2002 erfolgt. Eine Saldierung des danach in 2002 insgesamt anzusetzenden Bruttoarbeitslohns mit den - jedenfalls zunächst - unzutreffend angesetzten Teilbeträgen für Januar bis Mai 2002 führe zu keiner Änderung der Besteuerungsrundlagen. Eine darüber hinausgehende steuerliche Erfassung weiterer als Bruttoarbeitslohn der Klägerin zugeflossener Beträge in 2002 sei im Hinblick auf das im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtende Verböserungsverbot nicht möglich. Die gegen das genannte Urteil des Senats erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der Beklagte zurückgenommen (BFH-Beschluss vom 07. Mai 2008, Az.: VI B 120/07).

    In dem nach § 174 AO geänderten - und hier im Grunde streitgegenständlichen - Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 17. April 2008 erhöhte der Beklagte die Einkünfte der Klägerin um die o.g. Arbeitgeberanteile für die Jahre 1997 bis 2001 iHv umgerechnet 26.879 € auf 59.104 € und berücksichtigte diesen Betrag gleichzeitig im Rahmen der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen.

    Mit dem dagegen erhobenen Einspruch trugen die Kläger vor, eine Erfassung der in 2002 gezahlten Beträge sei nicht zulässig, weil die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO nicht die Möglichkeit eröffne, hinsichtlich eines bereits einer gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Bescheids das Verböserungsverbot zu unterlaufen. Eine nochmalige Änderung eines bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten Steuerbescheids mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht wegen des Verböserungsverbotes nicht habe ziehen dürfen, sei nicht möglich. Außerdem stellten die vom Arbeitgeber übernommenen Beiträge zur freiwilligen Rentenversicherung des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn dar.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der in 2002 erfolgte Zufluss des Arbeitslohnes habe in dem geänderten Bescheid berücksichtigt werden können, da die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO erfüllt seien. Das Finanzgericht habe die Bescheide für 1997 bis 2001 aufgehoben, weil nach seiner Auffassung in diesen Jahren ein Zufluss von Arbeitslohn nicht erfolgt sei. Der tatsächliche Sachverhalt, wie er vom Beklagten ermittelt worden sei, sei damit lediglich rechtlich anders gewürdigt worden. Weil das Finanzgericht in seinem Urteil wegen der Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Klagebegehren habe hinausgehen können, sei eine Änderung des Bescheids für 2002 daher nur durch das Finanzamt nach § 174 AO möglich gewesen.

    Die dagegen erhobene Klage begründen die Kläger unter Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Einspruchsverfahren im Wesentlichen damit, dass § 174 Abs. 4 AO nicht die Möglichkeit eröffne, hinsichtlich eines bereits einer gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Bescheids das Verböserungsverbot zu unterlaufen. Eine nochmalige Änderung eines bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten Steuerbescheids mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht wegen des Verböserungsverbotes nicht habe ziehen dürfen, sei durch die Vorschrift nicht erlaubt.

    Der Beklagte hat den Einkommensteuerbescheid 2002 aus nicht streitgegenständlichen Gründen am 18. Mai 2009 geändert.

    Die Kläger beantragen sinngemäß,

    die Einkommensteuerbescheide für 2002 vom 18. Mai 2009 und vom 17. April 2008 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    Er hält daran fest, dass die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift erfüllt seien. § 174 Abs. 4 AO verhindere lediglich die hier allerdings nicht vorliegende nochmalige Änderung desselben Bescheids, wenn dieser durch Gerichtsentscheidung geändert worden sei. Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt, die zunächst nicht im „richtigen” Bescheid, sondern in einem anderen Verfahren gezogen worden seien, sollten durch Änderung des „richtigen” Bescheids oder durch dessen erstmaligen Erlass noch gezogen werden können. Das Finanzamt habe nicht den nämlichen Bescheid, also nicht die bereits durch die Gerichtsentscheidung modifizierten Bescheide für 1997 bis 2001, sondern einen anderen, das Jahr 2002 betreffenden Bescheid geändert. Der Einkommensteuerbescheid 2002 sei durch die Gerichtsentscheidung weder aufgehoben noch geändert, also nicht modifiziert worden. Es handele sich schon begrifflich um verschiedene Besteuerungsverfahren im Sinne des § 174 Abs. 4 AO, weil der Beklagte aus dem Urteil die Konsequenzen aus der Aufhebung der Bescheide für 1997 bis 2001 gezogen habe. Dies ergebe sich auch aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Mit der Änderung des Bescheids für das Streitjahr habe der Beklagte nicht auf die Entscheidung des Senats für dieses Streitjahr reagiert, sondern lediglich die Konsequenz aus der für die Kläger günstigen Änderung der Jahre 1997 bis 2001 gezogen.

    Im Streitfall handele es sich um einen Sonderfall („Mischfall”), in dem in ein und demselben Finanzgerichtsverfahren und in ein und derselben Finanzgerichtsentscheidung über mehrere, formell jedoch unabhängige, Besteuerungsverfahren, darunter auch das für das Streitjahr 2002, entscheiden worden sei. Für diese Fallkonstellation liege eine BFH-Entscheidung noch nicht vor.

    Mit Beschluss vom 17. August 2009 (Az. 1 V 1808/08) hat der Senat auf entsprechenden Antrag der Kläger die Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids gewährt.

    Der Senat hat die Verfahrensakten zu 1 K 2180/06 und 1 V 1808/06 beigezogen.

    Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

    Gründe

    Die zulässige Klage ist im Ergebnis auch begründet.

    Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte konnte sich nicht auf die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO berufen.

    Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO als einziger hier in Betracht kommender Änderungsvorschrift aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Nach Satz 2 gilt dies auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. § 174 Abs. 4 AO erfasst neben den Fällen, in denen die Finanzbehörde aus „einem bestimmten Sachverhalt” die steuerlichen Folgerungen ziehen will, sich dabei aber darüber irrt, welches Steuerobjekt oder welches Steuersubjekt (welchen Steuerpflichtigen; Inhaltsadressaten) diese Folgerungen betreffen, auch jene Konstellationen, in denen die Finanzbehörde darüber irrt, in welchem Jahr (Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum) die steuerrechtlichen Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt zu ziehen sind, sog. Periodenkollision (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Februar 2009, Az.: X B 121/08, BFH/NV 2009, 890 m.w.N.). Irrig ist dabei die Beurteilung eines Sachverhalts, wenn sie sich nachträglich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen als unrichtig erweist (BFH-Urteil vom 15. Januar 2009, Az.: III R 81/07, BFH/NV 2009, 1073).

    Diese Voraussetzungen der Änderungsvorschrift erscheinen im Streitfall zunächst als erfüllt.

    Mit der Entscheidung vom 13.09.2007 in dem Verfahren 1 K 2180/06 hatte der Senat die nach seiner Rechtsauffassung auf einer irrigen rechtlichen Beurteilung des Beklagten beruhenden unrichtigen Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 2001 auf Betreiben der Kläger zu deren Gunsten aufgehoben, weil ein im Grundsatz anzunehmender Zufluss von Arbeitslohn nicht in diesen Veranlagungszeiträumen stattgefunden hatte. Vielmehr war nach Auffassung des Senats der Zufluss des Arbeitslohns in 2002 erfolgt. Die Norm des § 174 Abs. 4 AO bietet im Grundsatz für diese Fälle eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass oder die Änderung einer anderen Steuerfestsetzung, um den nunmehr unberücksichtigten Sachverhalt - den Zufluss von Arbeitslohn - in dem richtigen Bescheid zu erfassen. Dies hat seinen Hintergrund in der Überlegung, dass derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen muss. Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhaltes und das Interesse an dessen übereinstimmender steuerrechtlicher Beurteilung erlauben es, unter diesen Voraussetzungen einer zutreffenden Besteuerung den Vorrang vor dem Schutz des Vertrauens auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu geben (BFH-Urteil vom 11. Mai 2010, IX R 25/09, DB 2010, 2151 m.w.N.). In diesem Sinne hat der Beklagte mit der nachträglichen Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 im Streitfall den Widerstreit, dass der Sachverhalt entweder in dem aufgehobenen oder in dem nach § 174 Abs. 4 AO zu ändernden Steuerbescheid hätte geregelt werden müssen, aber aufgrund der vorausgegangenen gerichtlichen Aufhebung nunmehr ohne Regelung war, beseitigt.

    Der Senat hält jedoch an seiner in dem Beschluss vom 17. August 2009 zu 1 V 1808/08 dargelegten Rechtsauffassung fest, nach der der Streitfall durch eine besondere prozessuale Situation insoweit gekennzeichnet ist, dass sich die unter dem Az. 1 K 2180/06 geführte Klage nicht nur gegen die Bescheide für 1997 bis 2001, sondern auch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2002 gerichtet hatte.

    Im Urteil vom 13. September 2007 zu 1 K 2180/06 hatte der Senat unter begründeter Darlegung seiner Auffassung insoweit entschieden, dass der Zufluss der für die Jahre 1997 bis 2001 und auch der für Januar bis Mai 2002 gezahlten Arbeitgeberanteile im Streitjahr 2002 erfolgt ist und sodann ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „eine darüber hinausgehende steuerliche Erfassung weiterer als Arbeitslohn in 2002 zugeflossener Beträge indes im Hinblick auf das im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtende Verböserungsverbot nicht möglich” sei. Das Verböserungsverbot hindert zunächst das Gericht an einer Änderung eines streitbefangenen Bescheids zu Lasten der jeweiligen Kläger. Es würde verletzt, wenn das Gericht den angefochtenen Bescheid zum Nachteil des Klägers ändern würde.

    Als weitere Konsequenz dieses Grundsatzes erlaubt § 174 Abs. 4 AO eine nochmalige Änderung ein und desselben bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten Steuerbescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht aus Gründen des Verböserungsverbotes gerade nicht ziehen durfte, nicht. Dieser Grundsatz lässt sich der Entscheidung des BFH vom 08. Juli 1992, Az.: XI R 54/89, BStBl II 1992, 867 entnehmen, deren Leitsatz, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, sich mit der „nochmaligen Änderung desselben Bescheids durch die Verwaltungsbehörde” befasst. Der Senat hält dies indes für einen auch auf den Streitfall anwendbaren Gedanken. Denn in der zitierten Entscheidung wird weiter ausgeführt, dass es der Behörde grundsätzlich verwehrt ist, aus einem Sachverhalt „ergänzende” Rechtsfolgen zu ziehen und diese zur Grundlage einer nochmaligen Änderung des rechtskräftig gewordenen Bescheids zu machen, wenn die Beurteilung eines einzelnen abgrenzbaren Lebensvorgangs durch gerichtliche Entscheidung über einen Verwaltungsakt rechtskräftig abgeschlossen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Rechtsfolgen sich zu Ungunsten des Bescheidadressaten auswirken würden und vom Gericht bereits in Betracht gezogen, aber aus verfahrensrechtlichen Gründen bewusst unberücksichtigt gelassen worden waren. Diese die Bedeutung des Verböserungsverbotes unterstreichenden Ausführungen treffen in gleichem Maße für die im Streitfall bestehende Konstellation zu. Der Senat hatte, wie ausgeführt, in der Entscheidung vom 13. September 2007 eine vor dem Hintergrund des Zuflussprinzips grundsätzlich denkbare Änderung des Bescheides für 2002 zu Lasten der Kläger ausdrücklich erwähnt und ebenso ausdrücklich aus den angesprochenen verfahrensrechtlichen Gründen bewusst nicht umgesetzt.

    Diese Überlegungen aufnehmend hat der BFH im Beschluss vom 30. Dezember 2008, Az.: I S 31/08, Juris, für eine dem vorliegenden Streitfall vergleichbare Konstellation entschieden, dass § 174 AO aus Rechtskraftgründen unanwendbar ist, wenn das Gericht unter Hinweis auf das Verböserungsverbot davon abgesehen hat, den ursprünglich angefochtenen Bescheid zu Lasten des Klägers zu ändern; dann bietet § 174 Abs. 4 Satz 1 AO keine Handhabe dafür, dass das Finanzamt jene Änderung in einem weiteren Bescheid vornimmt. Soweit, worauf sich der Beklagte beruft, der BFH in diesem Beschluss weiter ausführt, dass es um einen solchen Sachverhalt im dortigen Streitfall nicht gegangen sei, weil das Finanzamt mit der Änderung des Bescheids für das Streitjahr nicht auf die Entscheidung des Finanzgerichts für dieses Jahr reagiert, sondern die Konsequenzen aus der für die dortige Antragstellerin günstigen Änderung für ein Vorjahr gezogen habe, liegt dies in der Besonderheit des dortigen Sachverhaltes begründet, im vorliegenden Streitfall verhält sich dies anders. Denn mit der Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2002 hat der Beklagte, wenn auch naturgemäß vor dem Hintergrund der für die Kläger günstigen gerichtlichen Entscheidung für die Jahre 1997 bis 2001, ausschließlich auf die Entscheidung des Senats für das Jahr 2002 reagiert und die aus Gründen des Verböserungsverbotes vom Gericht unterlassene Änderung zu Lasten der Kläger vorgenommen.

    Unabhängig davon, ob der Senat den damaligen Einkommensteuerbescheid 2002 im Urteil vom 13. September 2007 im obigen Sinne „modifiziert” hat, hat er im o.g. Verfahren, auch wenn die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 als unbegründet abgewiesen worden war, nach den Entscheidungsgründen angesichts der zitierten Ausführungen ausdrücklich darüber entschieden, ob und auch in welcher Höhe ein Zufluss von Arbeitslohn im Jahr 2002 anzunehmen ist. Damit hat der Senat trotz Abweisung der Klage insoweit ersichtlich von seiner Entscheidungskompetenz Gebrauch gemacht und bewusst über Zeitpunkt und Höhe des Arbeitslohnzuflusses entschieden. Die Entscheidung beansprucht daher, anders als in dem dem BFH-Urteil vom 08. Juni 2000, Az.: IV R 65/99, BStBl II 2001, 89 zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem das dortige Finanzgericht im „ersten” Verfahren eine abschließende Entscheidung zu der dort maßgeblichen materiellen Frage bewusst nicht getroffen hatte, insoweit auch eine abschließende Entscheidungskompetenz i.S.d. § 110 FGO. Weil es, ggfls. auch bei Überschreitung der Entscheidungskompetenz, allein darauf ankommt, worüber das Finanzgericht tatsächlich entscheidet - nach den Entscheidungsgründen im Streitfall: Zufluss von Arbeitslohn in einer bestimmten Höhe zu einem bestimmten Zeitpunkt in 2002 -, nimmt die Auffassung des Senats an der Rechtskraft des Urteils teil. Insofern unterscheidet sich der Streitfall auch von demjenigen, über den der BFH mit Beschluss vom 24. August 2005, Az.: VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86 zu entscheiden hatte und der dadurch gekennzeichnet war, dass das Finanzgericht im dortigen „ersten Verfahren” tatsächlich keine derartige Entscheidung für das Streitjahr getroffen hatte.

    Im Ergebnis kann daher die vom Beklagten vorgenommene Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 nicht auf § 174 Abs. 4 AO gestützt werden, auch wenn damit die streitgegenständlichen Beträge letztlich unversteuert bleiben. Andere Änderungsvorschriften kommen ersichtlich nicht in Betracht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten und der Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

    Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 90 Abs. 2 FGO).

    Anmerkung

    Revision eingelegt (BFH VI R 92/10)

    VorschriftenAO § 174 Abs. 4, FGO § 110