09.12.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 20.09.2010 – 8 K 2285/09
- Gegen § 10a GewStG bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken, soweit dadurch der überperiodische Verlustausgleich beschränkt wird.
- Dem verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip genügt es, dass Verluste nach der im Gesetz angelegten Systematik überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, verrechnet werden können.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt seit Jahren und auch heute noch einen Hotelbetrieb. Aufgrund der in den Vorjahren erklärten Verluste wurde zum 31.12.2005 ein vortragsfähiger Gewerbeverlust in Höhe von € festgestellt. Im Streitjahr 2006 erzielte sie einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von €. Dieser war entstanden, nachdem eine Verbindlichkeit gegenüber der … GmbH&CoKG in Höhe von … € wegen Verjährung erloschen war und eine gewinnerhöhende Ausbuchung dieser Verbindlichkeit im Jahresabschluss erfolgte.
Die Klägerin wurde erklärungsgemäß mit Gewerbesteuermessbescheid vom … veranlagt. Von dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wurden ein vortragsfähiger Gewerbeverlust von … € gem. § 10a GewStG sowie der Freibetrag gem. § 11 Abs. 1 GewStG abgezogen und der Gewerbesteuermessbetrag auf … € festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. § 10a GewStG führe im Streitfall zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung. Der am 31.12.2005 festgesetzte vortragsfähige Gewerbeverlust in Höhe von € könne aufgrund der regionalen Lage des Hotels und aufgrund der Situation im Hotelgewerbe nach menschlichem Ermessen in absehbarer Zeit nicht mehr ausgeglichen werden. Hinzu komme, dass ein positiver Betrag, der besteuert werden könnte, gar nicht entstanden sei, weil nur eine Verbindlichkeit wegen Verjährung zugunsten der Erträge ausgebucht werden musste.
Das Finanzamt wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom … .2009 zurück. Im Streitfall werde der Verlustvortrag zeitlich nur gestreckt, da die Klägerin noch weiterhin gewerblich tätig sei. Die tatsächliche Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit lasse sich nicht mit Sicherheit vorhersagen, so dass im Streitfall keine Verfassungswidrigkeit des § 10a GewStG vorliege.
Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie betreibe ein Hotel der Spitzenklasse, dessen Betrieb hoch defizitär sei. Bei Umsatzerlösen von € und ständigen Verlusten könne nicht davon ausgegangen werden, dass der zum 31.12.2005 festgesetzte Verlustvortrag von mehr als € jemals von Gewinnen aufgebraucht werde. Auch der BFH habe in seinem Beschluss vom 27.01.2006 (VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150) ausdrücklich offen gelassen, ob § 10 a GewStG zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung führe, wenn der Verlustausgleich im Einzelfall ausgeschlossen sei. So lägen die Verhältnisse im Streitfall, weil der Verlustausgleich faktisch nie erfolgen werde. Da die Geschäftsleitung und die Gesellschafter erkannt hätten, dass das Hotel nicht gewinnträchtig geführt werden könne, sei beabsichtigt, das Hotel an einen Liebhaber zu verkaufen oder den Hotelbetrieb einzustellen und mit dem Grundstück etwas anderes anzufangen. Auch deshalb werde der Verlustvortrag in Zukunft nichts nutzen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid 2006 über den Gewerbesteuermessbetrag vom .2008 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom … .2009 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf … € festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung der Auffassung, hypothetische Verläufe könnten nicht in die Betrachtung mit einbezogen werden. Soweit die Klägerin vortrage, sie wolle das Hotel an einen Liebhaber verkaufen oder den Hotelbetrieb einstellen und mit dem Grundstück etwas anderes anfangen, so sei es Ausfluss der allgemeinen Grundsätze des Gewerbesteuerrechts, dass im Fall des Wegfalls der Unternehmens-/ Unternehmeridentität der Gewerbeverlust entfalle. Die Gründe, die für die Höhe des maßgebenden Gewerbeertrages entscheidend waren, spielten keine Rolle.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen. Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten mit den Bilanzheften für die Jahre 2006 – 2008 vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das Finanzamt hat den Gewerbesteuermessbetrag in zutreffender Höhe festgesetzt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm des § 10a GewStG bestehen im Streitfall nicht.
1. Gem. § 10a GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 vom Hundert um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.
Im Streitfall ist der maßgebende Gewerbeertrag zunächst, da ein vortragsfähiger Verlust zum 31.12.2005 in Höhe von € festgestellt war, um eine Million Euro und der eine Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag um 60 vom Hundert gekürzt worden. Diese Ermittlung entspricht dem Gesetz.
2. Zu Unrecht ist die Klägerin der Auffassung, etwas anderes müsse zumindest deshalb gelten, weil durch die Ausbuchung der verjährten Verbindlichkeit ein „Buchgewinn” entstanden sei, der zu keinem finanziellen Zufluss geführt habe. Es entspricht allgemeinen bilanzrechtlichen Grundsätzen, dass sich diese Veränderung des Betriebsvermögens in einer Gewinnrealisierung niederschlägt. Ob sich dieser Umstand bei einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu Gunsten der Klägerin auswirken würde, war vom Senat nicht zu entscheiden.
3. Im Streitfall wird durch die Anwendung der maßgebenden Norm des § 10a GewStG die Klägerin auch nicht in verfassungswidriger Weise belastet.
a) Dem verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip genügt es, dass Verluste nach der im Gesetz angelegten Systematik überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, verrechnet werden können. Eine gesetzliche Regelung, wonach der Vortrag der Verluste zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, begegnet keinen ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04, BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609). Im Beschluss vom 27. Januar 2006 (VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150) hat der BFH entschieden, dass bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich sei, dass § 10a GewStG zu einer Verletzung der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs.1 GG) oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern führe. So sei das objektive Nettoprinzip jedenfalls dann nicht entscheidungserheblich tangiert, wenn der überperiodische Verlustausgleich beschränkt werde, denn als hinreichender rechtfertigender Grund für die Abweichung vom objektiven Nettoprinzip in § 10a GewStG sei bei summarischer Prüfung jedenfalls die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BT-Drucks 15/1517, 12, 19) zu sehen. Dies gelte im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls dann, wenn der Verlustausgleich nicht gänzlich ausgeschlossen werde.
Ob diese Grundsätze auch dann gelten würden, wenn im Einzelfall negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr vorgetragen werden können, hat der BFH in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassen. Er hat aber ausgeführt, dass eine verfassungswidrige übermäßige Besteuerung eines Steuerpflichtigen eintreten könnte, wenn ein Verlustausgleich im Einzelfall ausgeschlossen wäre.
b) Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Im Streitfall steht noch nicht fest, ob ein Verlustausgleich endgültig ausgeschlossen ist. Anders als in Fällen, in denen wegen einer Liquidation ein Verlustausgleich für die Zukunft nicht mehr in Betracht kommt (Beschluss des erkennenden Senats vom 26. Juli 2007 8 V 928/10, juris), steht im Streitfall der Verlustausgleich noch für kommende Jahre zur Verfügung. Die Klägerin hält es zwar angesichts ihrer Ertragserwartungen für ausgeschlossen, dass sich der Verlustausgleich faktisch je auswirken wird. Andererseits betreibt sie ihr Unternehmen auch heute noch, woraus zu schließen ist, dass die Gesellschafter trotz der von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft anlässlich der Bilanzaufstellung 2006 – 2008 festgestellten Überschuldung der Gesellschaft offensichtlich von einer besseren Ertragslage für die Zukunft ausgehen. Dass die Gesellschafter vorhaben, das Hotel entweder zu verkaufen oder anders zu nutzen, ist weder nachgewiesen worden noch ist es als hypothetischer Umstand für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung.
4. Ob im Streitfall eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO in Betracht kommt, wofür die rechtlichen Erwägungen in den Urteilsgründen des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 15.06.2010 6 K 6216/06 B, juris) sprechen könnten, ist im Streitfall nicht zu entscheiden, da hier nur die Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung angegriffen wurde.
5. Da die Klägerin mit der Klage keinen Erfolg hatte, waren ihr die Kosten nach § 135 Abs. 1 FGO aufzuerlegen.
6. Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO. Es liegen unterschiedliche Entscheidungen der Finanzgerichte zu der Frage vor, in welchen Fällen von einem sich auf Grund der Mindestbesteuerung ergebenden endgültigen Ausschluss des Verlustausgleichs auszugehen und wann im Einzelfall die Verfassungsmäßigkeit der zu Grunde liegenden Norm des § 10a GewStG in Frage zu stellen ist.